Detektei Lessing

Der Tod lässt schön grüßen

zum 17. Buch aus der Serie

Einleitung

Eine junge Frau kommt beim Sex mit ihrem Liebhaber durch einen Pfeil ums Leben. Ihr als extrem eifersüchtig geltender Ehemann gerät schon sehr bald in das Visier der polizeilichen Ermittlungen. Oberkommissar Tim Sinner gelingt es relativ schnell, eindeutige Beweise zusammenzutragen. Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall klar. Der folgende Mordprozess und der abschließende Schuldspruch demzufolge nur noch Formsache. Lebenslänglich lautet das Urteil des Richters beim Oberlandesgericht Braunschweig.

Das Leben des vermeintlichen Mörders scheint am Ende, als sich selbst seine Eltern und die gemeinsame Tochter von ihm abwenden. Kaum dass er sich mit den ungewohnten Lebensumständen im Gefängnis einigermaßen arrangiert hat, erhält er einen Anruf. Der unbekannte Anrufer sagt nur einen einzigen Satz: „Und nun hole ich mir deine Tochter!“



Zum Autor:

Uwe Brackmann lebt in der Nähe von Wolfenbüttel. Die Schriftstellerei betreibt er nebenberuflich. Außer Krimis gehören authentische Romane und Komödien zu seinen bevorzugten Genres. Der bislang eher regional bekannte Autor gilt unter Krimifreunden als Geheimtipp.

 

Liebe Leserinnen und Leser, mit dem vorliegenden Band „Der Tod lässt schön grüßen!“ liegt ein weiterer spannender Krimi aus der Reihe Detektei Lessing vor. Es ist inzwischen der 17. Band dieser Reihe, die sich eines rasch wachsenden Leserstamms erfreut. Mein besonderer Dank gilt den Lektoren Jürgen Nieber, Viola Dowhanycz und Andrea Rogosik, die das Manuskript sorgfältig durchgesehen haben. Ebenso bedanke ich mich bei dem Künstler Alfred Preibsch für die gekonnte Cover-Gestaltung.

 

Ich wünsche Ihnen spannendes Lesevergnügen!

Ihr Uwe Brackmann

 

Handlungen und Personen sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.



Detektei Lessing

 

Der Tod lässt schön grüßen

 

-1-

Der weiße Porsche Carrera bog in die enge Einfahrt zum Innenhof des Mehrfamilienhauses ein. Aus den Lautsprechern der Stereoanlage plärrte ein Song der Gruppe Silbermond und über die Schenkel des Fahrers glitt die zärtliche Hand einer schönen Frau.

„Bist du sicher, dass dein Mann nichts von unserem Verhältnis ahnt, Tamara?“, sorgte Doktor Ralf Bender für ein jähes Ende der erotischen Stimmung. „Oh Mann, noch abtörnender geht's wohl nicht?“, zog die gebürtige Estin ihre Hand zurück. „Ich bin dieses Versteckspiel einfach leid. Warum sagst du deiner Frau nicht endlich, dass du sie nicht mehr liebst und dich von ihr trennen willst?“ „Nicht schon wieder!“, reagierte der Mann hinter dem Steuer erbost. „Ich habe dir doch erklärt, wie abhängig ich finanziell momentan noch von ihr bin.“ „Ich weiß, es ist ja nur, weil…“ „Solange mein Bekannter im Ausland ist und wir seine Wohnung nutzen können, ist doch alles gut“, fiel ihr Ralf Bender ins Wort. Tamara nickte wortlos.

Er zog den Wagenschlüssel ab. Die Musikanlage verstummte. Sie stiegen aus und begaben sich zum Aufzug, der sie in das oberste Stockwerk beförderte, wo sich die Penthauswohnung des Bekannten befand. „Wie lange bleibt denn dein Freund noch im Iran?“, erkundigte sich Tamara, während sich die Tür des Fahrstuhls ineinanderschob. „Vor September müssen wir nicht mit ihm rechnen“, winkte Ralf ab. „Und dann?“ Der Liebhaber verdrehte genervt die Augen. „Bis dahin fällt mir sicher etwas anderes ein. Vertrau mir und bitte lass uns dieses leidige Thema jetzt um Himmels Willen beenden, sonst ist der Rest meiner Stimmung auch noch dahin.“

„Na, das will ich natürlich nicht riskieren“, hauchte Tamara, während sie ihrem Geliebten noch vor der Penthaustür in den Schritt griff. „Deine Argumente sind mal wieder überzeugend, mein Schatz.“ Kaum dass die Tür wieder ins Schloss gefallen war, begannen sie damit, sich gegenseitig auszuziehen. Die Küsse der Estin waren voller Leidenschaft. Prickelnde Erotik ließ seinen Körper wie Eis in der Sonne vor Sehnsucht nach ihrem makellosen Körper vergehen. Heiß und kalt fuhr es ihm über den Rücken, ließ seinen Verstand rotieren. Hemdsknöpfe sprengten nach allen Seiten davon, als sie ihm das Oberteil voller Begierde von seiner Brust riss. Nichts konnte diesen Vulkan nun noch an einem Ausbruch hindern. Ralf liebte diese Wollust, liebte es, wenn sie ihn mit sich riss, in diese Welt der Sünde.

Die Wäschespur führte bis ins Wohnzimmer. „Mir ist heiß“, hauchte er ihr ins Ohr, während sie seine Nippel zwischen den Zähnen liebkoste. „Gut so“, entgegnete sie ihm mit erregter Stimme. Irgendwie bekam Ralf den Griff der Terrassentür zu fassen und zog sie auf. „Wollen wir es draußen treiben?“ „Du bist wahnsinnig. Ich liebe deine verrückten Ideen.“ „Soll doch die ganze Welt sehen, wie sehr wir uns lieben“, lachte Tamara. Letztendlich war es Ralfs Verstand, der sie über die Sofalehne auf das Polster warf und ihr leichtes Sommerkleid nach oben schob. „Für deine unanständigen Fantasien muss ich dir deinen schmutzigen Po versohlen“, grinste der Doktor ordinär, während er ihren Slip herunterzog.

Irgendwann lag Ralf rücklings auf dem Sofa. Tamara befand sich über ihm und verwöhnte ihn, als ihre rhythmischen Bewegungen abrupt erstarben. Irgendetwas spritzte auf sein Gesicht. Noch ehe er seine Augen öffnete, kippte Tamara vornüber. Als er begriff, was geschehen war, atmete seine Gespielin nicht mehr.

-2-

Der Mann auf dem Stuhl stand noch immer völlig neben sich. Es schien, als habe er die Geschehnisse noch immer nicht in vollem Umfang realisiert. Sein Hemd war zerrissen und an seinen Füßen fehlten Strümpfe und Schuhe. Sie lagen verstreut im Wohnzimmer. Dort, wo die unbekleidete Leiche einer sehr attraktiven Frau gerade von dem Rechtsmediziner Michael Wohlfahrt und den Spezialisten der Spurensicherung begutachtet wurde. Ein Pfeil aus Fiberglas hatte sich auf der linken Seite ihres Kopfes, unterhalb der Schläfe in ihren Schädel gebohrt.

„Sie sagten, die Wohnung gehöre einem Bekannten, der sie Ihnen während seiner Abwesenheit zur Verfügung stellte“, fasste Oberkommissar Tim Sinner zusammen. „Weiß der Bekannte, was Sie in seiner Wohnung so treiben?“ Doktor Ralf Bender horchte auf, sah sein Gegenüber entsetzt an und fuhr von seinem Stuhl auf. „Nein und ich wäre Ihnen dankbar, wenn er es auch nicht erfahren würde.“ Der Oberkommissar schüttelte ungläubig den Kopf. „Wie stellen Sie sich das denn vor? Selbstverständlich müssen wir Herrn Rudolf informieren. Da geht kein Weg dran vorbei.“ „Dann lassen Sie wenigstens meine Frau aus der Sache raus. Ich bin glücklich verheiratet und habe Kinder.“ „Hören Sie, Herr Doktor Bender. Hier geht es um Mord! Da kann ich beim besten Willen keine Rücksicht auf Ihre Befindlichkeiten nehmen.“ Bender sackte seufzend in sich zusammen. Er wusste, dass es eng für ihn wurde, wenn seine Frau von seiner Affäre erfuhr.

„Sie und Frau Tamara Sommer trafen sich also öfter zu einem Stelldichein in dieser Wohnung.“ Bender nickte wortlos. „Ich gehe wohl recht in der Annahme, dass Frau Sommer ebenfalls verheiratet ist?“ Der Doktor nickte ein weiteres Mal. „Oh Gott, was wird nur aus ihrem kleinen Mädchen“, schreckte Bender plötzlich aus seiner Lethargie. „Frau Sommer hat eine Tochter?“, griff der Oberkommissar die Worte des Doktors auf. „Wie alt ist das Kind?“ „Ich glaube, das Mädchen ist sieben.“ Tim Sinner machte sich Notizen. „Fühlen Sie sich in der Lage, nach Hause zu fahren?“ „Ich denke schon.“ „Dann können Sie von mir aus gehen, aber halten Sie sich für weitere Fragen zur Verfügung.“ Bender nickte und raffte sich auf. „Was ist mit dem Schlüssel?“ „Sobald alles vorbei ist, bekommen Sie ihn natürlich zurück.“ „Ich weiß gar nicht, wie ich die Sache meiner Frau beibringen soll.“

Dass die Ehefrau des Doktors zum Kreis der Verdächtigen gehörte, behielt der Oberkommissar zunächst für sich. Falls sie etwas von dem Verhältnis ihres Mannes wusste, hatte sie ebenso ein Tatmotiv wie der Ehemann des Opfers. Eifersucht gehört schon von jeher zu den stärksten Beweggründen, einen Mord zu begehen. Es ist die klassische, immer wiederkehrende Geschichte von Leidenschaft und Betrug. Nirgendwo anders wird deutlich, wie nah Liebe und Hass beieinanderliegen.

„Was können Sie mir zum Todeszeitpunkt sagen, Doktor?“ „Nun ja, der Pfeil traf mit hoher Geschwindigkeit auf den Kopf des Opfers, streifte den linken Wangenknochen, zerfetzte das Schläfenbein und durchbohrte das Cranium“, erläuterte Doktor Wohlfahrt. Das Gehirn wurde irreparabel geschädigt. „Wann trat der Tod ein?“ „Auf Grund der Ausbildung der Totenflecken und der gerade einsetzenden Leichenstarre dürfte das Opfer seit eineinhalb Stunden tot sein.“ „Gab es einen Todeskampf?“ „Ich denke nicht, die junge Frau muss sofort tot gewesen sein.“ „Können Sie schon sagen, ob die Pfeilspitze vergiftet war?“ „Bislang deutet eigentlich nichts darauf hin. Genaueres kann ich natürlich erst nach der Obduktion sagen.“ „Wann werden Sie damit so weit sein?“ „Nun ja, wenn ich mich unverzüglich daran mache, könnten Sie morgen Vormittag ein Ergebnis auf dem Tisch haben“, schätzte der Doktor. „Versprechen kann ich natürlich nichts.“ „Natürlich nicht“, lächelte Sinner gequält.

Während Doktor Wohlfahrt seine Tasche packte, wandte sich Oberkommissar Sinner an Marlis Knoop. „Was können Sie mir zum Tathergang sagen?“ „Anhand der Zeugenaussage und der Auffindesituation des Opfers konnten wir die Flugbahn des Geschosses rekonstruieren. Es wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Giebelfenster des gegenüberliegenden Hauses abgefeuert.“ Die Leiterin der Spurensicherung deutete auf das Dachgeschossfenster eines Fachwerkhauses, welches sich auf der anderen Straßenseite in ungefähr fünfzig Metern Entfernung befindet. „Axel und Petra versuchen sich gerade Zutritt zu verschaffen, um meine Annahme zu bestätigen und eventuell vorhandene Spuren zu sichern“, fügte die kleine Frau mit den roten Haaren hinzu. „Sehr schön“, lobte Sinner. „Dann werde ich mir die Sache mal aus der Nähe betrachten.“ „Ist schon eine außergewöhnliche Art zu sterben“, seufzte die sonst so resolute Frau. Sinner schürzte die Lippen. „Die Rolle ihres Liebhabers möchte ich aber auch nicht spielen.“

Auf seinem Weg nach unten stieß der Oberkommissar auf Ralf Bender und Doktor Wohlfahrt. Der Rechtsmediziner stützte ihn, während er mit der anderen Hand in seiner Tasche kramte. „Gut, dass Sie kommen Herr Sinner. Der gute Mann hatte soeben einen Schwächeanfall. Ich will ihm gerade etwas zur Beruhigung geben. Seien Sie doch bitte so gut und rufen einen Rettungswagen. Der Mann steht offensichtlich unter Schock und sollte jetzt auf keinen Fall unbeaufsichtigt bleiben.“ „Ich will nicht ins Krankenhaus!“, ereiferte sich der Liebhaber. „So, wie ich die Sache sehe, können Sie auf keinen Fall hinter ein Steuer“, griff Sinner ein. „Entweder fährt Sie ein Kollege nach Hause oder Sie rufen sich ein Taxi.“ „Also schön, dann rufen Sie mir um Himmels Willen ein Taxi“, lenkte Bender zähneknirschend ein. „Erwarten Sie mich im Laufe des Abends“, kündigte Sinner seinen Besuch an.

Oberkommissar Tim Sinner beauftragte einen seiner Leute damit, sich um Bender zu kümmern. Er selbst schloss sich der Leiterin der Spurensicherung an, die nun ebenfalls den Ort aufsuchen wollte, von dem aus der tödliche Pfeil abgefeuert worden war. Vor dem Haus in der Kannengießer Straße hatten sich einige Pressevertreter und eine ganze Scharr Schaulustiger eingefunden. Als sie Marlis Knoop und Oberkommissar Tim Sinner aus dem Haus kommen sahen, verbreitete sich eine gewisse Erregung unter ihnen. Der weiße Schutzanzug, in den sich die Leiterin der Spurensicherung gehüllt hatte, gab noch mehr Anlass zur Spekulation.

„Wer ist die Tote?“ „Können Sie schon etwas über die näheren Umstände sagen?“ „Wurde die Frau wirklich ermordet?“ „Gibt es einen Verdächtigen?“ Fragen über Fragen, denen sich der Oberkommissar zu seinem Unmut immer wieder bei solchen Gelegenheiten ausgesetzt sah. Er fragte sich, woher die Presse schon wieder Wind bekommen hatte und vor allem, woher die Journalisten wussten, dass es sich bei dem Opfer um eine Frau handelte. „Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich nur bestätigen, dass es sich bei der Toten um eine Frau handelt“, versuchte er die Pressemeute abzuspeisen. „Sie müssen verstehen, dass wir uns selbst erst einmal ein Bild machen müssen.“ „Es heißt, die Frau sei durch einen Pfeil getötet worden“, sorgte einer der Journalisten für Aufsehen unter den Sensationshungrigen. „Können Sie dies bestätigen?“ „Es tut mir leid, haben Sie bitte Verständnis, wenn ich Ihnen derzeit noch nicht mehr sagen kann“, bahnte sich Sinner nun seinen Weg auf die andere Straßenseite.

Froh darüber, die neugierige Meute hinter sich gelassen zu haben, drückten die beiden Ermittler die Glastür ins Schloss. „Es stellt sich die Frage, ob der Schütze den gleichen Weg genommen hat?“, überlegte der Oberkommissar, während sie die Steintreppe nach oben stiegen. „Wenn dem so ist, muss er irgendwie hereingekommen sein.“ „Entweder hatte er einen Schlüssel zur Haustür oder er hat irgendwo geläutet“, sinnierte Marlis Knoop. „Wenn ihn jemand ins Treppenhaus ließ, könnte er auch gesehen worden sein“, mutmaßte Sinner. „Na, mal sehen, was meine Mitarbeiter herausgefunden haben.“

„So, wie sich die Spurenlage darstellt, wurde der Schuss von diesem Fenster aus abgegeben“, fasste Petra Rettig zusammen. „Auf Grund der dichten Staubschicht auf dem gesamten Dachboden konnten wir frische Abdrücke markanter Sohlen sichern, wie sie bei Sportschuhen üblich sind.“ „Offensichtlich war sich der Täter recht sicher, dass uns dieser Ort verborgen bleibt“, krauste sich die Stirn von Marlis Knoop. „Oder er wurde von irgendjemanden gestört, ehe er seine Spuren beseitigen konnte“, zog Oberkommissar Sinner eine weitere Möglichkeit in Betracht. „Wenn Sie mich fragen, verhielt sich der Täter geradezu unbedarft.“ Petra Rettig ließ triumphierend ein Beweismitteltütchen zwischen ihren Fingern baumeln. „Wir fanden die Kippen direkt neben dem Fenster. Der Täter trat sie zwar mit seinen Schuhen aus, aber seine DNA dürfte trotzdem noch daran haften.“

Oberkommissar Tim Sinner schien begeistert. Die durch die Spurensicherung sichergestellten Beweise deuteten auf eine schnelle Aufklärung des Falles hin. Alles was nun noch fehlte war der Täter und da gab es ein relativ einfaches, aber sehr effizientes Auswahlverfahren. Er musste lediglich herausfinden, wer ein Motiv hatte, die junge Frau zu töten. Ganz oben auf dieser Liste konnte nur der Ehemann des Opfers stehen. Den zweiten Platz nahm die Ehefrau des Liebhabers ein. Im Hinblick auf die verwendete Tatwaffe hielt Oberkommissar Sinner diese Möglichkeit jedoch für mehr als unwahrscheinlich.

-3-

„Lieber Herr Lessing, ich habe Sie nicht um dieses Gespräch gebeten, weil ich Ihnen ein schlechtes Gewissen einreden will“, erhob sich die Leiterin des Tierheimes und trat vor ihren Schreibtisch. Eigentlich hatte ich gar kein schlechtes Gewissen und wenn, dann höchstens wegen meiner Blicke, die geradezu an ihren formvollendeten Beinen klebten. Jetzt, da sie direkt vor mir stand und sich mit dem Allerwertesten auf die Kante ihres Schreibtisches niederließ, traten mir auch noch kleine Schweißperlen auf die Stirn.

„Bea leidet jedes Mal wie ein Hund, wenn Sie das Tier bei uns zurücklassen.“ Auch jetzt konzentrierte ich mich mehr auf ihre Worte als auf das, was sie eigentlich damit ausdrücken wollte. Ein Hund konnte ja nun wirklich nur wie ein Hund fühlen – oder? „So ehrenhaft Ihre Absichten auch sein mögen, Herr Lessing, so muss uns das Wohl des Tieres an oberster Stelle stehen.“ Ich verstand immer nur Bahnhof. „Sorry, aber was wollen Sie denn nun eigentlich von mir?“ Die Frau auf der Tischkante verzog das Gesicht. „Also kurzum, entweder Sie besuchen Bea nicht mehr oder Sie nehmen das Tier ganz zu sich.“ „Kann es sein, dass ich Sie gerade eben nicht richtig verstanden habe?“, zeigte ich mich durch ihre Worte verwirrt. „Nun, ich weiß um ihre Phobie gegen Hunde, aber mir ist ebenso bekannt, welche Fortschritte Sie in letzter Zeit mit Bea gemacht haben. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Es geht nicht darum, den Hund loszuwerden und es geht auch nicht darum, Ihnen das Tier heute mitzugeben.“ Ich war nach wie vor geschockt. Die Waffe, mit der die langbeinige Leiterin des Tierheims auf mich zielte, hatte mindestens die Größe einer Magnum.

„Bis wann muss ich mich entscheiden?“, brachte ich es auf den Punkt. „Es gibt eine einfache Möglichkeit, Ihr Zusammenleben mit Bea realistisch auszuprobieren.“ Ich stutzte. „So?“ „Sie nehmen den Hund einfach über das Wochenende zu sich. Auf diese Weise wird sich zeigen, ob Sie miteinander klar kommen.“ Ich schluckte trocken. „Ihnen ist schon bekannt, dass ich eigentlich nicht über den notwendigen Platz verfüge, um ein so großes Tier artgerecht zu halten.“ „Aber Sie verfügen über ein großes Herz und dies ist allemal ausreichend, um Bea ein gutes Zuhause zu bieten.“ Damit hatte sie mir auch den letzten Wind aus den Segeln genommen. „Gute Frau, Sie hätten Autoverkäuferin werden sollen.“ Ihre Beine wurden zu meiner Freude übereinander geschlagen. „Damit habe ich vorher meine Brötchen verdient.“

Der Gedanke, für die Dauer eines kompletten Wochenendes auf engstem Raum mit einem Hund zu leben, versetzte mich nicht gerade in Euphorie. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare mehr und mehr aufstellten. Genau wie früher, als mich meine Phobie immer wieder in die unmöglichsten Situationen brachte. Wollte ich diesen Ängsten wirklich nachgeben und all die Fortschritte, die ich seither gemacht hatte, aus Feigheit aufs Spiel setzen? Abgesehen davon hatte mich der Hund aus dem Koma erweckt, womit ich mich Bea irgendwie verpflichtet fühlte.

„Also gut“, ich hatte mich also breitschlagen lassen. „Wenn es recht ist, überdenke ich die ganze Sache in Ruhe.“ Die Leiterin des Tierheims strahlte über das ganze Gesicht. „Sie können sich mit Ihrer Entscheidung gern noch etwas Zeit lassen.“ „Was ist, wenn ich während des Wochenendes feststelle, dass wir nicht miteinander zurechtkommen?“ Sie überlegte einen Augenblick und notierte einige Zahlen und ihren Namen auf einen Zettel. „Hier ist meine Telefonnummer. Im Notfall können Sie mich jeder Zeit erreichen.“ „Das ist sehr nett von Ihnen. Vielleicht kann ich mich ja mal mit einem Abendessen erkenntlich zeigen?“ Sie kniff ein Auge zusammen und sah mich skeptisch an. „Wir werden sehen.“

Auf was hatte ich mich da nur wieder eingelassen? Wo um alles in der Welt sollte das Tierchen schlafen und was fraß so eine Dogge eigentlich? Ich dachte spontan an den Grillteller bei meinem Lieblingssyrer, verwarf den Gedanken aber sehr schnell wieder. Zu teuer! Letztendlich malte ich mir aus, wie wir gemeinsam auf Gangsterjagd gingen. So ein Hund hatte durchaus auch seine Vorteile. Hätte ich damals schon einen Wachhund gehabt, als mir die Jungs von der Computermafia die Detektei auseinandernahmen, wäre die Sache bestimmt anders ausgegangen.

-4-

„Guten Abend, mein Name ist Sinner, Oberkommissar Sinner. Der junge Mann zu meiner Rechten ist Kommissar Ritter“, erklärte Sinner, während er seinen Dienstausweis präsentierte. „Sie sind der Herr Sommer?“ Der Mann in der Haustür nickte. „Was ist los, bin ich zu schnell gefahren?“, scherzte der Softwareentwickler. „Wir sind von der Mordkommission“, stellte Ritter klar. Sommer stutzte. „Von der Mordkommission?“ „Können wir uns im Haus unterhalten?“, ließ der Kommissar keinen Zweifel an der Wichtigkeit ihres Besuchs.

Harry Sommer wirkte weder aufgeregt noch nervös. Er bat die Ermittler in sein Wohnzimmer und bot ihnen etwas zu trinken an. „Es tut uns sehr leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Frau heute Nachmittag das Opfer eines Mordanschlages wurde“, informierte Oberkommissar Sinner den Hausherrn. „Das kann nicht sein“, widersprach der Zweiundvierzigjährige. „Wir haben noch am Nachmittag miteinander telefoniert.“ „Darf ich fragen, wo Sie sich zu diesem Zeitpunkt aufgehalten haben?“, hakte Kommissar Ritter nach. „Sicher, ich habe nichts zu verbergen. Ich habe einen Kunden in Ilsenburg besucht.“ „Dann können Sie mir sicherlich den Namen und die Telefonnummer geben“, zeigte sich Ritter nicht gerade von seiner sensibelsten Seite.

Sinners Blicke riefen den Kollegen zu mehr Feingefühl auf. Der Kommissar zeigte sich allerdings nur bedingt einsichtig. Er schenkte der Aussage des betrogenen Ehemannes kaum Glauben. „Ich muss Ihnen leider sagen, dass es sich nicht um einen Irrtum handelt“, erklärte Sinner. „Ich habe hier den Ausweis Ihrer Frau. Es gibt keinen Zweifel, dass sie das Opfer eines Gewaltverbrechens wurde.“ Harry Sommer begriff endlich, dass es sich um keine Verwechslung handelte. Er sackte fassungslos in einen Sessel zusammen und schüttelte immer wieder entsetzt den Kopf.

„Seit wann sind Sie zu Hause?“, ließ ihm Ritter kaum mehr als eine Minute, um sich zu sammeln. „Gegen 20 Uhr“, entgegnete er mechanisch. „Und da wunderten Sie sich nicht, dass Ihre Frau nicht daheim war?“ „Tamara ist öfter noch aus, wenn ich heimkomme. Sie ist dann meist mit ihren Freundinnen unterwegs.“ Ritter machte sich Notizen. „Wie ist meine Frau ums Leben gekommen?“ versuchte sich der Mann im Sessel wieder unter Kontrolle zu bringen. „Sie wurde erschossen“, verriet Sinner nur das Wesentliche. „Wer um Himmels Willen macht so etwas? Tamara hat niemandem etwas getan.“ „Nun, wir stehen noch am Anfang unserer Ermittlungen. Es ist daher wichtig, dass Sie uns alles über das Opfer erzählen“, erklärte Ritter.

„Wie ich sehe, sind Sie sportlich recht engagiert“, bewunderte Oberkommissar Sinner derweil mehrere Pokale, die er in einer Vitrine entdeckte. „Liegt schon einige Jahre zurück“, tat Harry Sommer desinteressiert ab. „Gibt es denn Zeugen oder schon einen Verdacht, wer meine Frau umbrachte?“ Sinner nahm einen der Pokale aus der Vitrine und wandte sich Sommer zu. „Ihre Frau wurde mittels eines Pfeils erschossen und nun sehe ich hier, dass Sie ein erfolgreicher Bogenschütze sind.“ „Das kann doch alles nicht wahr sein“, zeigte sich der Softwareentwickler bestürzt.

„Es ist schon mehr als ein merkwürdiger Zufall, dass Ihre Frau ausgerechnet durch einen Pfeil ums Leben kam“, krauste sich die Stirn des Oberkommissars. „Sie glauben doch nicht allen Ernstes, ich hätte meine Frau ermordet“, griff Harry Sommer die Äußerung des Ermittlers auf. „Ihre Frau wurde beim Sex mit ihrem Liebhaber ermordet“, schonte Ritter den Befragten auch jetzt nicht. „Da stellt sich für uns natürlich die Frage, ob Sie von der Affäre Ihrer Frau wussten.“ Sommer schüttelte den Kopf. Er strich sich mit beiden Händen über Gesicht und Haare. „Bitte glauben Sie mir, ich hatte nicht die geringste Ahnung.“

„Sie werden verstehen, wenn wir diese Aussage zwar zur Kenntnis nehmen, sie unabhängig davon jedoch überprüfen müssen“, erklärte Sinner. „Es liegt also durchaus in Ihrem Interesse, wenn Sie uns eine Hausdurchsuchung gestatten und uns Ihre Sportbögen zu einer Untersuchung zur Verfügung stellen. Wenn Sie nichts getan haben, haben Sie ja auch nichts zu befürchten“, begründete Sinner den Anfangsverdacht gegen Harry Sommer. „Meine Tochter ist gerade nicht im Haus, von mir aus können Sie hier alles auf den Kopf stellen. Ich habe nichts zu verbergen. Ich hoffe nur, Sie verlieren den wirklichen Täter nicht aus den Augen.“ „Da machen Sie sich mal keine Sorgen“, beschwichtigte Ritter. „Es wäre nett, wenn Sie mir bis dato erst einmal Ihre Schuhe und die besagten Waffen zeigen würden.“

Ohne dass die Ermittler auch nur ansatzweise auf die Gefühle des Hinterbliebenen Rücksicht genommen hätten, überrannten sie ihn nun geradezu mit ihrer Forderung. Auf die Idee, zunächst einen Anwalt einzuschalten, kam Harry Sommer gar nicht. Ein Fehler, wie sich schon bald herausstellen sollte.

„Ich würde gern Ihre Sportschuhe mitnehmen“, erklärte Kommissar Ritter, nachdem er im Schuhschrank des Verdächtigen fündig geworden war. „Bitte sehr, tun Sie sich keinen Zwang an.“ Kurz darauf übergab Harry Sommer zwei seiner Sportbögen und einige Köcher mit unterschiedlichen Pfeilen an den Polizeibeamten. „Sind das alle, oder gibt es weitere Bögen?“ Der Sportschütze schüttelte den Kopf. „Gut, dann benötige ich nun nur noch eine DNA Probe.“ Der mittlerweile mehr als angegriffen wirkende Mann schüttelte entsetzt den Kopf. „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Ich habe gerade meine Frau verloren und Sie haben nichts Besseres zu tun, als mich des Mordes an ihr zu bezichtigen. Nein, jetzt ist Schluss! Bitte verlassen Sie mein Haus!“

„Das war es dann fürs Erste“, verabschiedeten sich die beiden Ermittler. „Vielen Dank für Ihre Kooperation.“ Erst nachdem die Beamten das Haus verlassen hatten, kam der Zweiundvierzigjährige langsam zur Ruhe. Nur allmählich begriff er, dass er von seiner Frau betrogen worden war. Die Tatsache, dass er sie nicht mehr zur Rede stellen konnte, nagte an ihm ebenso sehr wie die Tatsache, dass sie von einem Tag auf den anderen nicht mehr am Leben war. Viel schlimmer für ihn war jedoch, sich über die eigenen Gefühle nicht im Klaren zu sein. Sollte er um sie trauern oder sollte er sie für ihren Betrug hassen? Bei allem was sie in den glücklichen Jahren miteinander verband fragte er sich, wer der Mann war und seit wann ihn Tamara betrogen hatte.

-5-

„Was willst du?“, konnte Miriam kaum glauben, was ihr Leo da gerade so brühwarm erzählte. „Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein.“ Wenn ich gewusst hätte, was für ein Zinnober meine Liebste veranstalten würde, hätte ich die Einquartierung meines Logiergastes ganz sicher unerwähnt gelassen. „Ich möchte einfach nur ausprobieren, wie wir über einen längeren Zeitraum miteinander auskommen.“ Miriam klappte die Kinnlade herunter. „Verstehe ich das gerade richtig? Du ziehst doch wohl nicht tatsächlich eine Adoption in Erwägung?“ „Also ehrlich, Schatz. Anstatt froh darüber zu sein, endlich einen unerschrockenen Hundeflüsterer an deiner Seite zu wissen, hast du nun ganz offensichtlich irgendwelche Vorbehalte.“ „Leo, mal ehrlich, meine Vorbehalte wiegen zwei Zentner und fressen am Tag ein kleines Ferkel.“ Ich schüttelte den Kopf. „Nun übertreibst du aber wirklich. „Okay, das Kalb wiegt vielleicht nur neunzig Kilo, aber hast du mal gesehen, was so eine Fressmaschine pro Tag in sich hineinstopft?“

Natürlich wusste ich, wie Recht meine hübsche Staatsanwältin hatte, aber das konnte ich ja nun wirklich nicht zugeben. „Ich habe mir die Sache gut überlegt“, verkündete ich daher aus dem Brustton der Überzeugung. „Immerhin hat mich diese Zweizentnerfressmaschine aus dem Koma erweckt. So etwas verbindet.“ „Ach Leo, ich kann dich ja verstehen, aber du kannst doch deshalb nicht den Rest deines Lebens nach diesem Hund ausrichten.“ „Nein?“, sah ich Miriam erstaunt an. „Ohne Bea hätte ich gar kein weiteres Leben.“ Zum ersten Mal in unserer Beziehung waren wir grundlegend anderer Meinung.

„Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst“, erhob ich mich. „Ich habe noch einiges zu erledigen.“ „Warte Leo!“ „Ich denke, es ist besser, wenn ich erst einmal gehe.“ Ich griff nach meinem Stetson und stieg die sechs Stufen der Steintreppe hinauf, die den unteren Teil des Cafés mit dem oberen zur Fußgängerzone zeigenden Bereich verband. Wie schwer mir jede einzelne Stufe fiel, kann ich kaum beschreiben. Miriam hatte nicht begriffen, wie viel mir der Hund bedeutete.

„Hallo Leopold“, begrüßte mich mein griechischer Freund Jannis. „Hast wohl gut zu tun in letzter Zeit?“ Ich tat so, als würde ich ihn nicht hören, hatte einfach keine Lust auf belanglosen Smalltalk. „Ich möchte bitte bezahlen, Anne.“ Unsere Caféhausmutti sah mir tief in die Augen. Anne kannte mich lange genug, um zu sehen, wenn es mir nicht gut ging. Ich wich ihrem Blick aus, weil ich nicht darüber reden wollte. „Alles zusammen?“ „Ja klar.“ Ich zahlte und ging. Zurück blieben eine ratlose Staatsanwältin, ein verdutzter Grieche und die besorgte Anne.

-6-

Es war schon spät, als Oberkommissar Tim Sinner und sein Kollege Ritter an der Gartentür von Doktor Ralf Bender an der Sprechanlage Einlass begehrten. Das großzügige Anwesen lag im matten Lichtschein einer aufwendigen Gartenbeleuchtung. „Na, wenn das keine Idylle ist“, feixte Ritter. „Wer weiß, was uns hinter den Kulissen erwartet“, rümpfte Oberkommissar Sinner argwöhnisch die Nase.

„Wenn Sie wegen meines Mannes hier sind, haben Sie den Weg leider vergebens gemacht“, wurden die Ermittler an der Haustür empfangen. „Der Herr wohnt hier nicht mehr.“ Die Kommissare sahen sich überrascht an. „Vielleicht wären Sie dennoch so freundlich und würden uns auf ein paar Worte ins Haus bitten?“, besann sich Sinner als Erster.

„Sie wissen also Bescheid?“, schlussfolgerte Oberkommissar Sinner. „Er musste es mir sagen!“ Ritter schluckte trocken. „Sie waren bis dato ahnungslos?“ „Ansonsten wäre er ja wohl schon um einiges früher ausgezogen“, ließ Frau Bender keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit. „Können Sie uns zumindest sagen, wohin es Ihren Gatten verschlagen hat?“ „Ich könnte mir vorstellen, dass er bei seinem Busenkumpel Maic untergekrochen ist.“ „Ist Ihnen die Adresse bekannt?“ „Die Straße weiß ich nicht, aber Mönchevahlberg ist so klein, dass ihn dort eh jeder kennt.“ Sinner machte sich eifrig Notizen.

„Haben Sie gemeinsame Kinder?“, griff nun auch Sinners Kollege in das Gespräch ein. Die Betrogene sackte in sich zusammen. Kommissar Ritter hatte offensichtlich den wunden Punkt der bislang so taffen Ehefrau getroffen. „Ich wollte immer Kinder, aber Ralf war das ja zu viel. Meine besten Jahre habe ich diesem Mistkerl geopfert! Meine eigene Karriere habe ich für ihn zurückgestellt und wofür das alles?“ Ritter verzog grüblerisch das Gesicht. „Entschuldigen Sie, aber haben Sie es als Frau nicht letztendlich selbst in der Hand?“ Der Angesprochenen entfuhr ein zynisches Lachen. „Außer heißer Luft zischte da längst nichts mehr. Er war nicht mal zu einer künstlichen Befruchtung bereit.“

„Ihr Nochehemann führt einen Doktortitel“, lenkte Sinner die Befragung wieder auf den fallbezogenen Teil ihres Besuchs. „Ralf ist Doktor der Medienwissenschaften.“ „Fernsehen, Radio und so?“ „Er arbeitet eher mit Zahlen“, erklärte die Mittdreißigerin. „Einschaltquoten, Verbraucherverhalten und so.“ „Dann habe ich nun nur noch eine abschließende Frage“, postierte sich Sinner so, dass er der betrogenen Ehefrau gut in die Augen sehen konnte. „Wo waren Sie heute Nachmittag zwischen fünfzehn und sechzehn Uhr?“ „Ist das die Zeit, zu der seine Geliebte ermordet wurde?“ „So ist es“, bestätigte Sinner. „Glauben Sie wirklich, ich hätte dieses Flittchen abgeknallt?“ Der Oberkommissar legte ein breites Grinsen auf. „Sie haben Recht“, räumte die erregte Frau ein. „Vielleicht hätte ich mich wirklich versündigt, aber dann hätte ich diesem Mistkerl ein Loch in seinen verdammten Schädel geballert.“

„Sie sehen, wie gut es für Sie wäre, wenn Sie über ein Alibi verfügten.“ Die Angesprochene seufzte. „Ich weiß nicht, ob es ausreicht, aber ich war zum Shoppen in den Schlossarkaden.“ „Allein?“ „So ist es. Ich konnte ja nicht wissen, dass ich einen Nachweis brauchen würde, wo ich mich zur fraglichen Zeit aufhalte.“ Sie stutzte. „Moment, vielleicht habe ich doch einen Nachweis?“ Die Frau mit den streng nach hinten frisierten Haaren kramte aufgeregt in ihrer Handtasche herum. „Hier!“ Sie schien erleichtert. „Wusste ich es doch!“ In ihrer Hand hielt sie triumphierend einen Kassenzettel. „Ich habe mir bei Yves Roche ein Parfüm gekauft. Auf dem Bon steht – glaube ich – auch die Uhrzeit.“ „Darf ich mal?“, nahm Ritter das Dokument unter die Lupe. „Jau, Sie haben Recht.“

„Dann wäre es das fürs Erste“, reichte Oberkommissar Sinner der Hausherrin seine Karte. „Falls Sie noch Fragen haben oder Ihnen etwas zum Tod von Frau Sommer einfällt, rufen Sie mich bitte an.“ Die betrogene Ehefrau horchte auf. „Ach, Sommer hieß das Miststück!“ Die Kommissare enthielten sich jeder Reaktion. „Auf Wiedersehen.“

„Was halten Sie von der Frau?“, erkundigte sich Sinner bei seinem Kollegen, während ihrer Fahrt über den Neuen Weg stadteinwärts. „Eine starke Persönlichkeit.“ „Erinnern Sie mich doch bitte daran, nachzusehen, wie die gute Frau mit Mädchennamen heißt. Ich kenne diese Villa. Wenn mich nicht alles täuscht, wurde sie früher von einem sehr einflussreichen Geschäftsmann aus Braunschweig bewohnt.“ „Na dann.“

Der Oberkommissar kramte angestrengt in seinen Erinnerungen. „Wenn ich mich auf mein Gedächtnis verlassen kann, gehörten ihm mehrere Schuhhäuser und er war sehr engagiert bei der Braunschweiger Eintracht.“ „Fußball?“, winkte Ritter ab. „Damit können Sie mich jagen!“ „Na, das sagen Sie lieber nicht so laut. Sie wissen wohl noch nicht, dass die Eintracht nach achtundzwanzig Jahren Abwesenheit in dieser Saison endlich wieder in das Oberhaus deutscher Fußballkunst aufgestiegen ist.“ „Sorry, aber mein Herz gehört dem Basketball“, grinste Ritter. „Meine Liebste spielt nämlich bei den Wildcats.“ „Oje, ziehen die sich nicht aus der Bundesliga zurück?“ „Ja leider, mit ein wenig mehr Unterstützung hätte es nicht so weit kommen müssen.“ „Da gebe ich Ihnen Recht, das ist wirklich ein Trauerspiel.“

Viel wusste Oberkommissar Sinner noch nicht von seinem neuen Kollegen, aber wer die beiden kannte, wunderte sich nicht darüber. Sie trugen beide nicht ihr Herz auf der Zunge, wie man so sagt. Der aus dem Rheinland nach Wolfenbüttel gezogene Arne Ritter war für Hauptkommissar Kleinschmidt gekommen. Auch wenn der Oberkommissar diese Personale im Grunde begrüßte, fehlte ihm doch ein ums andere Mal die Erfahrung des pensionierten Hauptkommissars. Aber dies würde er niemals zugeben.