Detektei Lessing

 

Mörderische Revanche

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Der Mann in der grauen Livree sah angespannt und doch so unverfänglich zum Café Schlüter hinüber, dass ihm der Mann auf der Rücksitzbank das Interesse nicht anmerkte. Er war sich sicher, an einem der Tische die Ehefrau seines Chefs entdeckt zu haben. Sie war in der Begleitung eines ihm unbekannten Mannes und sie schien sich ausnehmend gut zu unterhalten. Auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches und doch ein weiteres Indiz für ihre Untreue. Kai Winkler war nicht nur der Fahrer des Baumarktriesen Rainer Hauptmann, er war über die Jahre auch zu einem Vertrauten seines Chefs geworden. Insofern sah er sich geradezu in der Pflicht, ihn nicht ins offene Messer laufen zu lassen. Andererseits wollte er sich seiner Sache sicher sein, bevor er den Fünfzigjährigen von seinen delikaten Beobachtungen unterrichtete.

Für den Augenblick hoffte er allerdings auf grünes Licht, um möglichst bald weiterfahren zu können. Noch war Rainer Hauptmann mit dem Studium seiner Unterlagen beschäftigt, hatte also jene Szene noch nicht bemerkt, wie der Fahrer im Rückspiegel beobachten konnte. Noch wähnte er sein Chef ahnungslos und so sollte es vorerst auch bleiben.

„Was ist los, Kai? Ich habe einen wichtigen Termin und du weißt, wie sehr ich Unpünktlichkeit hasse!“ In diesem Moment sprang die Ampel endlich auf grün. „Es geht schon weiter, Chef. Sie werden rechtzeitig in Braunschweig sein“, versprach der Uniformierte, während sich der dunkelblaue Jaguar über die breite Herzogstraße durch den zähfließenden Berufsverkehr schob.

„Ich bitte Sie, Schneider“, erhob sich der Geschäftsmann einige Zeit später hinter seinem Schreibtisch. „Sie wissen genauso gut wie ich, wie hart die Zeiten geworden sind. Wenn Sie den Preis nicht halten können, werde ich mich einem anderen Zulieferer zuwenden müssen“, gab Rainer Hauptmann seinem Geschäftspartner unmissverständlich zu verstehen. „Es gibt genügend Firmen, die sich darum reißen, mit ihren Produkten in meinen Regalen vertreten zu sein.“ „Bitte, Herr Hauptmann, bedenken Sie den drastischen Anstieg unserer Fertigungskosten…“, gab der Mann vor dem Schreibtisch zu bedenken. „Dann müssen Sie halt an anderer Stelle sparen. Ich muss Ihnen doch nun wirklich nicht aufzeigen, wie Sie Ihre Produktion kostengünstiger umstrukturieren können. Entsorgen Sie unrentable Altlasten und ersetzen Sie diese durch motivierte Zeitarbeiter.“

Schneider sah Hauptmann entsetzt an. „Wir sind ein traditionsreiches Familienunternehmen“, gab er zu bedenken. „Wir können nicht einfach unsere langjährigen Mitarbeiter hinauswerfen.“ „Nun werden Sie nicht sentimental, Schneider. Wenn Ihre Firma überleben will, bleibt Ihnen doch gar nichts anderes übrig. Inzwischen ist dies gängige Praxis.“ „Kein Wunder, wenn in diesem Land immer mehr den Bach hinuntergeht. Soziale Errungenschaften, für die mutige Menschen einmal auf die Straße gingen, werden der Profitgier weniger Oligarchen widerstandslos geopfert.“ Hauptmann grinste. „Jetzt werden Sie nicht auch noch pathetisch. Im Augenblick sind Sie eher dabei, Ihre Firma zu opfern.“

Schneiders Fäuste ballten sich im Verborgenen. Bei allem Geschäftssinn konnte er nicht verstehen, dass es derart gewissenlose Menschen gab. Ginge es nicht um all die Schicksale, die an den Arbeitsplätzen hingen, für die er sich in der Verantwortung sah, wäre er längst aufgesprungen und hätte diesem arroganten Geldsack gehörig den Marsch geblasen. So jedoch musste er sich zusammenreißen und gute Miene zum wahrhaft mörderischen Spiel seines Gegenübers machen.

„Also, reden wir Tacheles, Schneider“, brachte es Hauptmann auf den Punkt. „Entweder Sie kommen mir um zehn Prozent entgegen, oder Sie sind aus dem Rennen.“ Dem Mann vor dem Schreibtisch klappte buchstäblich die Kinnlade herunter. „Das ist viel zu viel, da könnte ich ja gleich Konkurs anmelden. Fünf Prozent wäre das Äußerste, was ich Ihnen einräumen könnte“, appellierte Schneider an Hauptmanns Fairness. „Tja, dann tut's mir Leid, Schneider“, grinste sein Geschäftspartner und erhob sich. „Sechs Prozent“, startete der Mann vor dem Schreibtisch einen letzten Versuch. „Siebeneinhalb und ich will wegen unserer langjährigen Zusammenarbeit noch mal ein Auge zudrücken“, reichte ihm Rainer Hauptmann die Hand.

Schneider hatte keine Wahl, er wusste, dass dieser Abschluss einige bittere Einschnitte in seiner Firma bedeutete, aber letztendlich waren diese besser als die unausweichliche Pleite, die der Verlust des Auftrags mit sich gebracht hätte. Zögerlich und mit großem Widerwillen schlug Schneider schließlich ein.

„Gut, dann sind wir durch. Ich sage meiner Sekretärin Bescheid, damit Sie die Vertragsänderung unverzüglich umsetzt. Mich müssen Sie jetzt leider entschuldigen, ich bin ein wenig in Eile“, komplimentierte Hauptmann seinen Geschäftspartner hinaus. „Frau Striezel wird sich um alles Weitere kümmern.“

Die Zeiten, in denen Vertragsabschlüsse mit einem guten Essen oder in anderer Weise besiegelt wurden, waren vorbei. Leben und Leben lassen, war ein Rudiment aus der Vergangenheit. Was sollte auch gefeiert werden, wo sich in den allermeisten Fällen eh nur einer der Geschäftspartner die Hände reiben konnte. Mathias Schneider wusste nur zu genau, dass er sich nach anderen Märkten umsehen musste, um seine Produkte abzusetzen. Das Baumarktgeschäft war längst nicht mehr so lukrativ wie zu Zeiten, als es noch kein Internet gab, aber mit dieser Entwicklung musste der gesamte Handel zurechtkommen. Geiz ist geil! Schneider fragte sich ohnehin, wie lange es noch die herkömmlichen Vertriebswege geben würde. Das Schreckgespenst von leerstehenden Geschäften und verödenden Innenstädten war längst keine Vision mehr. Was blieb, war die Frage, wie man dieser unheilvollen Entwicklung entgegentreten sollte.

-2-

„Wohin geht die Fahrt, Chef?“, erkundigte sich der Mann in der dunklen Livree, während er seinem Boss die Tür zum Fond öffnete. „Fahren Sie mich zum Mandarin, Winkler.“ „Jawohl, Chef.“ Kurz darauf erreichte der Jaguar das chinesische Restaurant in der Braunschweiger City. „Holen Sie mich hier in einer Stunde ab“, befahl Hauptmann seinem Fahrer und verschwand zwischen den beiden Drachenköpfen, die den Eingang des Mandarin bewachten.

„Ist meine Frau schon da?“, erkundigte er sich bei der zierlichen Frau mit den Stricknadeln im Haar. „Leider nicht, Herr Hauptmann, aber sie wird sicherlich gleich eintreffen.“ Während er der Frau im Kimono an seinen Tisch folgte, starrte er grinsend auf ihren Po. Klein und zierlich , dachte er sich, ist ja schön und gut, aber … „Ich hoffe der Tisch ist Ihnen recht?“ Hauptmann verzog das Gesicht. Er konnte die aufgesetzte Höflichkeit der Chinesen nicht ausstehen. „Wenn mir der Platz nicht recht wäre, würde ich wohl kaum jedes Mal hier sitzen.“ „Ganz wie es beliebt, der Herr.“ „Schwatzen Sie nicht, bringen Sie mir lieber ein Bier.“

Während der Bauhausmagnat auf Bier und Frau wartete, meldete sich sein Smartphone. Ein guter Bekannter von der Polizei teilte ihm mit, dass Kollegen gerade seinen Sohn beim Ankauf von Amphetaminen festgenommen hatten. „Nein Lutz, ich werde nicht bei euch auf der Wache vorbeikommen und die Angelegenheit regeln. Diesmal nicht. Von mir aus steckt ihn in eine Zelle und werft den verdammten Schlüssel weg!“ „Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, wenn er mal ein paar Stunden Zeit zum Nachdenken erhält“, wertete der Kommissar die Aussage Hauptmanns als erzieherische Maßnahme. „Ein paar Stunden?“, ereiferte sich der Geschäftsmann, „…von mir aus kann der Bengel in eurer Zelle verrotten!“ Hauptmann konnte sich nicht beruhigen. „Der Junge braucht jetzt endlich mal einen ordentlichen Schuss vor den Bug. Behandele ihn so, als wäre er irgendein Junkie. Veranstalte mit ihm das volle Programm und nimm dabei keine Rücksicht. Boris muss endlich begreifen, dass ich ihn nicht jedes Mal aus dem Dreck ziehen kann.“

Noch ehe der Kommissar etwas dazu sagen konnte, beendete der Mann im Restaurant das Gespräch. „Was war gerade mit Boris?“, erkundigte sich Tanja Hauptmann. Die Mutter des Neunzehnjährigen war gerade hinzugekommen, als der Name ihres Sohnes fiel. „Nichts“, erwiderte der Ehemann knapp. „Aber du hast doch gerade…“ „Nichts habe ich!“, schnitt ihr Rainer das Wort ab. Während sich seine Frau setzte, servierte die zierliche Chinesin das bestellte Bier. „Na endlich!“, brummte der Geschäftsmann die Asiatin an. „Wenn unsere Jungs in Rio auch so lahmarschig gewesen wären, hätten wir den Cup nie geholt.“ Die kleine Frau lächelte und verschwand. „Musste das gerade sein?“ „Wie geht es deiner verehrten Frau Mama?“, ignorierte ihr Ehemann die Frage, um sein Interesse stattdessen auf die Verabredung seiner Frau zu richten. „Du wolltest sie doch heute Vormittag besuchen, oder?“

Ein schlaksiger Chinese trat an ihren Tisch. Er tat dies genau im richtigen Moment. Zumindest empfand Tanja es so. „Haben die Herrschaften gewählt?“ „Bedient uns die kleine Ming nicht mehr?“, erkundigte sich Hauptmann süffisant grinsend. „Meine Kollegin hat Feierabend“, erwiderte der junge Mann kopfnickend. Der Geschäftsmann runzelte ungläubig die Stirn. „Na, so gut möchte ich es auch mal haben.“ „Bringen Sie mir bitte einen Chin Chin“, lenkte Tanja den Fokus auf ihre Bestellung. „Mir bringen Sie gleich noch ein Bier. Es wird ja eh eine Weile dauern.“

Tanja sah sich beschämt um. Die Gäste an den Nebentischen waren bereits auf sie aufmerksam geworden. „Haben die Herrschaften bereits das Menü gewählt?“, erkundigte sich der Asiat aufreizend gelassen. „Wir nehmen so eine Platte, wo alles drauf ist“, entschied Rainer Hauptmann. „Wünschen Sie vorweg eine Suppe?“ „Suppe?“, verzog der Unternehmer das Gesicht. „Habe ich hier jemals Suppe gegessen?“ „Ich hätte gern eine Wan Tan Suppe“, kam Tanja dem Kellner ein weiteres Mal zu Hilfe. Der nickte ihr dankbar zu, nahm die Speisekarten an sich und entfernte sich.

„Musst du immer so einen Wirbel machen? Die Leute sehen bereits zu uns herüber.“ „So, tun sie das?“ Hauptmann hob den Kopf und sah sich demonstrativ um. „Lass sie doch glotzen!“, tönte er in einer Lautstärke, mit der er auch bis an den letzten Tisch gut zu hören war. „Also, meine Liebe, du wolltest mir erzählen, wie es bei deiner kranken Mutter war.“ Dies war der Moment, in dem bei Tanja sämtliche Alarmglocken schrillten. Sie wusste nur allzu gut, wie eifersüchtig Rainer sein konnte. „Es ging ihr nicht so gut“, log sie daher. „Ich musste ihr ein Medikament aus der Apotheke holen. Die Haushaltshilfe hatte es wohl gestern vergessen.“ „So, so“, kommentierte Rainer nachdenklich. „Ich hoffe, es kam noch rechtzeitig.“ „Durch die halbe Stadt musste ich rennen, bis ich es schließlich in der Wolfapotheke am Holzmarkt bekommen habe. Zufällig traf ich dort einen alten Schulfreund wieder. Wir haben uns kurz im Café Schlüter auf einen Cappuccino zusammengesetzt und von den alten Zeiten geplaudert.“ „Na so etwas, und ich dachte schon, als ich euch dort zufällig sitzen sah, du hättest eine neue Affäre“, lachte Rainer zynisch.

Tanja ergriff die Hand ihres Ehemannes und sah ihm lächelnd in die Augen. „Du weißt, was ich dir versprochen habe. Es wird bei diesem einen dummen Ausrutscher bleiben.“ „Wohl dem, ich höre deine Worte, nur zu glauben, noch zu vertrauen vermag ich ihnen nicht.“ Er zog seine Hand zurück und sah sie aus wehmütigen Augen an. In ihnen lag nichts mehr von der Verbissenheit, mit der er seine Geschäftsverhandlungen führte, nichts von der Entschlossenheit, die ihm den Ruf eines knallharten Unternehmers eingebracht hatte und nichts von der Gelassenheit, die er an den Tag legen konnte, wenn es darum ging, mit hohem Einsatz zu pokern. Er dachte an die guten Jahre ihrer Ehe, an die Zeit, in der es ihnen weniger gut ging und sie gemeinsam durch Dick und Dünn gingen. So paradox es auch sein mochte, er hatte ihre Liebe auf dem Schlachtfeld seiner Karriere geopfert.

Eine Erkenntnis, die ihm schon seit längerem bewusst war und doch vermochte er die Umstände nicht zu verändern. Das Wissen, von der eigenen Frau immer wieder betrogen zu werden, setzte ihm mehr zu, als er sich eingestehen wollte. Eigene Versuche, es ihr mit gleicher Münze heimzuzahlen, scheiterten kläglich. Wobei dies nicht an mangelnden Gelegenheiten lag, Geld macht bekanntlich sexy, sondern viel mehr an den Gefühlen, die er noch immer für Tanja hegte. Ein sonst so souveräner Mann wie Rainer Hauptmann wusste sich einfach keinen Rat.

Der schlaksige Chinese riss ihn schließlich aus dem tiefen Tal seiner Melancholie. Er kippte den Rest seines Bieres hinunter und lobte den Kellner für die flotte Bedienung. Der wusste nun gar nicht mehr, was er von seinem Gast halten sollte und trollte sich kopfschüttelnd.

„Denkst du an die Einladung zur Vernissage heute Abend?“, erinnerte ihn Tanja. „Ach ja, die Bilderausstellung von Mira Belle im Raabehaus hätte ich jetzt vergessen“, räumte Rainer ein. „Gut, dass du mich erinnerst. Ich werde rechtzeitig zu Hause sein.“ „Schön, dass wir mal wieder etwas gemeinsam unternehmen“, lächelte Tanja nachdenklich. Eigentlich hatte sie sich darauf eingestellt, ohne Rainer auszugehen und bereits Vorkehrungen getroffen, nicht allein an der Vernissage teilzunehmen. Gernot würde ihr die Absage sicherlich nicht übel nehmen, er gehörte nicht unbedingt zu den Männern, die derartige gesellschaftliche Veranstaltungen mit Interesse besuchten. Seine Qualitäten lagen auf anderem Gebiet.

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„Schön, dass du Wort gehalten hast, Rainer.“ „Also bitte, wenn ich dir verspreche pünktlich zu sein, bin ich es in der Regel auch.“ Die Frau des Unternehmers sah immer wieder unruhig zur Uhr. „Boris und Natascha sollten längst da sein.“ „Ich bitte dich, meine Liebe, Boris ist 19 Jahre alt, da muss er wohl kaum daheim sein, wenn wir ausgehen.“ „Na ja, das sicher nicht, aber zumindest von Natascha hatte ich mehr Zuverlässigkeit erwartet.“ Rainer winkte gelassen ab. Auf die Sechzehnjährige ließ er selten etwas kommen. Sie verstand es wie keine Zweite, ihren Stiefvater um den Finger zu wickeln. In ihren Händen schmolz der sonst so harte Hund wie Eis in der Sonne. „Du vergisst, dass wir auch einmal jung waren.“ „Sie muss trotzdem wissen, wie weit sie gehen kann“, gab Tanja zu bedenken. Rainer würgte seine Gedanken hinunter und mahnte stattdessen zum Aufbruch.

Als Kai Winkler den Wagen der Hauptmanns am Raabehaus vorfuhr, hielt Lutz Kräkel bereits seine Laudatio auf die Künstlerin. Rainer hasste es, wenn er auch nur für eine Minute zu spät war. Dementsprechend übel gelaunt betrat er die Ausstellung. Mira Belle war bereits seit vielen Jahren eine gute Freundin für ihn. Er liebte und sammelte ihre Bilder aus Leidenschaft. Eine Liebe, der er sich gern etwas kosten ließ. Umso ärgerlicher war er nun, die Eröffnung der Vernissage verpasst zu haben.

„Ein Gläschen Champagner die Herrschaften?“, wurden sie von einem der Kellner angesprochen. Tanjas Blicke hingen förmlich an seinem sportlichen Körper. „Na, vielleicht wird's ja doch noch ein netter Abend. Rainer bemerkte nicht, wie seine Frau dem jungen Mann zuzwinkerte. Er hatte sich eines der Gläser genommen und betrachtete bereits eines der ausgestellten Bilder. Laut Verzeichnis handelte es sich um den Akt 35, der den Körper einer schönen Frau in einer seitlich stehenden Perspektive zeigte.

„Gefällt es dir, Rainer?“, vernahm er die vertraute Stimme der Künstlerin. „Du hast dich einmal mehr selbst übertroffen, liebste Mira“, schwärmte Hauptmann. „Bist du allein oder hast du die Frau deines Herzens an deiner Seite?“ Der sonst so grobschlächtige Kerl nahm zärtlich ihre Hände und sah der Künstlerin huldvoll in die Augen. „Aber Mira, du weißt doch, dass du die einzige Frau bist, die ich in meinem Herzen trage.“ „Alter Charmeur“, klopfte sie ihm auf die Brust. „Handelt es sich hier um ein Selbstbildnis?“ „Nun ist es aber gut, du alter Schwerenöter. Sag mir lieber, wie es euch geht.“

Hauptmann winkte seufzend ab. „Wie soll es einem gehen, wenn die Zähne stumpf werden und deine Lieben nur noch mit Stiefeln nach einem treten?“ „Ja, ja und wenn einem die Gicht in die Glieder fährt“, stimmte Mira ein. „Dann gehen wir zusammen nach Wolfenbüttel, um dort als Stadtmusiker unser Brot zu verdienen“, komplettierte Lutz die humorvolle Szene. Die Männer begrüßten sich mit einem freundschaftlichen Männerhandschlag. „Schön, dich hier zu sehen. Ist Tanja auch hier?“ „Wenn sie sich in der Zwischenzeit nicht mit dem Kellner abgesetzt hat?“, witzelte Rainer sarkastisch. Lutz sah seinen Freund nachdenklich in die Augen. „Entschuldige Lutz, das gehört nicht hierher.“ „Schon gut. Wir sollten mal wieder zusammen angeln gehen“, schlug Miras Lebenspartner vor. Rainer nickte dankbar. „Das machen wir, mein Freund. Das machen wir.“

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„Guten Tag, allgemeine Verkehrskontrolle! Führerschein und Fahrzeugschein bitte“, trat ein freundlicher Polizeibeamter an meinen Wagen heran. Während er sich zu mir herunter beugte, nahm er die deutsche Dogge wahr, die auf der Rücksitzbank meines Skodas Platz genommen hatte. Bea schob neugierig ihren Kopf zwischen Tür und Kopfstütze dem offenen Fenster entgegen. „Was um Himmels Willen ist denn das?“ „Fuchur ist es jedenfalls nicht“, lachte ich angesichts seiner merkwürdigen Frage. „Wer ist denn jetzt Fuchur?“ „Sie kennen den Drachen aus der unendlichen Geschichte nicht?“ „Sie sind ja auch nicht Atreju“, konterte der Polizist. „Eins zu null für Sie“, räumte ich anerkennend ein.

„Sie sind Leopold Lessing?“, verglich er argwöhnisch das Bild auf meinem Ausweis mit meiner aktuellen Erscheinung. „Ich weiß, das Foto wird mir nicht gerecht“, witzelte ich weiter. „Sind Sie nicht dieser Privatermittler?“ „Oh, mein Ruf eilt mir offensichtlich voraus.“ „Nun ja, nichtsdestotrotz dürfen Sie Ihren Hund nicht ohne entsprechende Sicherungsmaßnahmen transportieren.“ „Ich hätte die Strecke wohl doch mit ihm fliegen sollen“, lächelte ich gequält. „Zumindest hätten Sie sich dann das nun zu zahlende Ticket sparen können.“ „Muss das denn wirklich sein?“, appellierte ich an das Mitgefühl des Ordnungshüters. „Seien Sie froh, dass ich Sie so überhaupt weiterfahren lasse“, ließ er keinen Zweifel an der Notwendigkeit eines Verwarnungsgeldes und reichte mir die Quittung durchs Fenster. Ich zahlte schweren Herzens.

In Anbetracht dessen, dass ich Bea nicht so häufig bei mir habe, hielt ich die Anschaffung eines Hundesicherheitsgurtes bislang für unnötig. Da sich der Krankenhausaufenthalt und die anschließende Kur von Beas eigentlicher Halterin, Edeltraut Stahl, jedoch sicherlich eine ganze Weile hinziehen dürfte, würde ich nun wohl nicht länger um den Kauf eines solchen Gurtes herum kommen.

„Da ist ja unser Schatz“, freute sich Trude, als ich mit Bea in der Detektei aufkreuzte. Weit gefehlt, wer nun glaubt, ich sei der Angesprochene. Meine extrovertierte Putzsekretärin hatte bereits Berge von Hundefutter besorgt. Aus leidvoller Erfahrung wusste ich, wie wichtig die richtige Kost für einen Hund dieser Größe war. Ein Erlebnis in der Fußgängerzone unserer Lessingstadt hatte tiefgreifende Spuren in meinem Gedächtnis hinterlassen. So eine deutsche Dogge ist halt in so mancher Hinsicht ein pfundiges Hündchen.

Seitdem mich Bea aus dem Koma erweckt hatte, war ich ihr in besonderer Weise verbunden. Ein Anschlag, bei dem ich mich mit meinem Wagen überschlug, hatte mich für eine lange Zeit aus dem realen Leben gerissen. Erst die Idee meines besten Freundes, des Hauptkommissars Jürgen Wurzer, meine Phobie gegen Hunde in einer Art Schocktherapie zu nutzen, hatte mich aus dem ewigen Alptraum befreit. * Da Bea der einzige etwas größere Hund war, welches im Tierheim zur Verfügung stand, war es das Schicksal, welches Bea und mich an meinem Krankenbett zusammenführte.

* Lessing 13 „Lessing lebt“

„Wie lange bleibt denn unser Wonneproppen?“, erkundigte sich Trude. „Wenn ich das wüsste“, entgegnete ich achselzuckend. „Ich hoffe, Bea auch mal über Nacht mit zu mir nehmen zu können. Axel liebt Hunde. Als er noch obdachlos war, hatte er auch mal einen.“ „So? Wie läuft es eigentlich mit euch beiden?“ „Alles gut. Zwei ewige Singles wie wir tun sich erwartungsgemäß nicht sonderlich leicht, aber ich habe ein gutes Gefühl.“ „Das freut mich sehr.“ „Und zwischen Ihnen und Frau Herz ist auch wieder alles im Lot?“, erkundigte sich die gute Seele.

Es war klar, worauf Trude mit ihrer Frage anspielte. Mein letzter Fall hatte einige Spuren in meiner Beziehung zu der attraktiven Staatsanwältin Miriam Herz hinterlassen. Aus einer Dummheit heraus hatten wir beide zeitgleich einen Beinaheausrutscher. An sich noch nichts Schlimmes, hätte sich meine vermeintliche Affäre nicht soweit in die Sache hineingesteigert, dass sie sogar bereit gewesen wäre, Miriam von dem Balkon ihrer eigenen Wohnung zu stürzen. Der Schock nach dem Mordversuch saß tief und hinterließ wie gesagt tiefe Spuren.

„Ich denke, wir haben beide daraus gelernt“, gab ich Trude die ehrliche Antwort. „Wir nehmen uns seither mehr Zeit füreinander.“ „Gut so“, nickte die Gute zufrieden. „Was nutzt einem eine Partnerschaft, in der man sich selten sieht. Arbeit und Karriere sind nicht alles.“ „Sie sagen es Trude und deshalb sollten wir uns nun in die selbige stürzen, damit wir heute zeitig Feierabend machen können.“ „Bleibt die Frage nach der Arbeit“, verzog meine Putzsekretärin verzagt das Gesicht. „Die letzte Abrechnung ist raus und ein neuer Fall liegt nicht vor.“ „Wie jetzt, gar nichts? Nicht mal ein Ehebruch?“ „Nein, nichts.“

Ich glaubte, die schwierigen Zeiten nach meinem Start in die Selbstständigkeit gehörten der Vergangenheit an, waren nur noch ein Bestandteil schlechter Erinnerungen, doch wie es nun aussah, holten sie mich auch nach zuletzt so erfolgreichen Jahren wieder ein. Die Kanzlei meines Freundes Christoph Börner war einmal mehr meine letzte Anlaufstation. Vielleicht hatte er einen Fall, bei dem er meine Hilfe brauchen konnte.

„Wir gehen mal eben in die Kanzlei Börner rüber, Trude“, verkündete ich, ohne zuvor in mein Büro aufzusuchen. „Da werden Sie wohl heute Vormittag kein Glück haben, Chef. So viel ich weiß, hat der im Amtsgericht zu tun.“ Meine Stirn krauste sich. Wie konnte es sein, dass meine Vorzimmerdompteuse davon wusste und ich wieder einmal ahnungslos war? „Ich habe heute Morgen schon wegen einer Ihrer Spesenabrechnungen mit Anneliese telefoniert“, lächelte sie, als hätte sie mir in die Stirn schauen können. „Na gut, dann gehen wir eben dort hin.“

Es gibt nichts Schlimmeres, als hinter dem leeren Schreibtisch zu hocken und darauf zu warten, dass sich endlich mal jemand in meine Detektei verirrt. Ein Umstand, der nicht nur an den Nerven, sondern auch an den Rücklagen zerrt. Wobei das Wort in seiner Bedeutung sicherlich höher als mein bescheidener Notgroschen zu werten ist. Weshalb ich gerade in dieser Situation auf dem Weg zum Amtsgericht an die Fußballmannschaft von Eintracht Braunschweig denken musste, weiß ich eigentlich auch nicht. Fühlte ich mich etwa plötzlich nicht mehr in die erste Liga gehörig? Selbstzweifel, ich? Nix da! Dieses tiefe Tal würde ich ebenso schnell hinter mich lassen, wie die Blaugelben.

Beim Überqueren des rückwärtigen Hofes, der auch heute noch mit Kopfsteinpflaster ausgelegt ist, erinnerte ich mich an das alte Amtsgericht, welches in dem historischen Fachwerkbau zu meiner Linken untergebracht war. Eine der Verhandlungen durften wir als Schüler miterleben. Ich weiß noch heute, wie viel Eindruck der Richter damals auf mich machte. Als kurze Zeit darauf der neue Teil des Amtsgerichts angebaut wurde, war es unser alter Werklehrer, mit dem wir während des Unterrichtes Schieferplatten von der Baustelle mopsten. Ich kann mich gut daran erinnern, wie groß meine Angst vor dem Richter war und wie sehr ich hoffte, dass der Pauker wirklich eine Erlaubnis eingeholt hatte.

„Wenn ihr zu mir wollt, muss ich euch leider enttäuschen, Leo“, riss mich Miriam plötzlich aus meinen Gedanken. Bea und ich hatten sie gar nicht bemerkt. „Ich muss leider nach Braunschweig rüber. Kochst du uns etwas Leckeres zum Abend?“ Ob sie sich diese Bitte wirklich gut überlegt hatte? „Wenn ich dir damit eine Freude mache?“, erwiderte ich nachdenklich. Bea lauschte unserem Gespräch mit großem Interesse. „Okay, Schatz. Wir gehen lieber zu Yusef“, besann sie sich gottlob doch noch eines Besseren, drückte mir einen Schmatzer auf und verschwand in ihrem Mercedes Cabrio.

Ich sah ihr kopfschüttelnd nach. Meine karrierebewusste Staatsanwältin hatte sich offensichtlich für den richtigen Job entschieden. Über einen Mangel an Arbeit konnte sie sich ganz sicher nicht beklagen. Ich zuckte mit den Schultern. Zumindest was mein Versprechen anging, kürzer zu treten, damit unsere Liebe nicht im Alltagstrott untergeht, war ich ihr ein gutes Stück voraus.

„So Bea, du bleibst brav hier sitzen solange ich im Gericht bin und du bist der liebste Hund, den ich mir vorstellen kann, klar?“ Die zweieinhalb Zentner Fressmaschine brummte sich etwas in ihren Damenbart und ließ sich neben der Eingangstür nieder. Ich prüfte nochmals den Sitz der Leine und betrat das Gebäude. Ein letzter Blick zurück durch die Glastür wog mich in trügerischer Sicherheit.

Nach dem im Foyer aushängenden Tagesplan hatte mein Freund Börner zur Stunde eine Verhandlung im kleinen Saal. Ich vertrieb mir die Zeit des Wartens inzwischen mit dem Lesen der Aushänge. In den Schaukästen, rechts und links des Flures, fanden sich einige Zwangsversteigerungen von Immobilien. Ich dachte an die vielen Schicksale, die hinter jeder dieser Anzeigen standen. Verzweifelte Menschen, denen ich vielleicht in der einen oder anderen Sache sogar weiterhelfen konnte. Oftmals wissen die Menschen gar nicht, dass sie sich gegenüber skrupelloser Geschäftemacher mit Hilfe eines Detektivs zur Wehr setzen können. Der Punkt war eben, wie man das Bewusstsein dieser Menschen erreichen konnte.

Vom oberen Flur her waren irgendwann Geräusche zu vernehmen. Die Verhandlung, in der Christoph Börner als Pflichtverteidiger sicher einmal mehr sein Bestes gegeben hatte, schien zu Ende. Der Umstand, mit dem Urteil des Richters nicht stets eine salomonische Entscheidung treffen zu können, mit der sich eben alle Kontrahenten zufrieden geben konnten, war in diesem Fall offensichtlich gegeben. Lautes Geschrei und wüste Beschimpfungen veranlassten sogar den Gerichtsdiener seine Pförtnerloge im Haupteingangsbereich zu verlassen und in die obere Etage zu eilen. Ich folgte seinem Beispiel.

„So glauben Sie mir doch, Herr Wenzel“, redete Börner mit Engelszungen auf seinen Mandanten ein. „Unter diesen Umständen war die Bewährungsstrafe das Beste, was wir herausholen konnten.“ Doch der Mann mit der fliehenden Stirn ließ sich nicht beruhigen. „Reden Sie doch keinen Mist. Ihr seid doch alle geschmiert! Euch Winkeladvokaten kenne ich zur Genüge. Das Recht bekommt ohnehin immer der mit dem dicksten Portmonee.“ „Jetzt reißen Sie sich aber bitte zusammen“, versuchte Börner seinen Mandanten in Richtung auf das Treppenhaus zu schieben. „Letztendlich haben Sie sich die Suppe selbst eingebrockt, Herr Wenzel.“

Von einer Sekunde zur anderen eskalierte die Situation. Der Mann in der schwarzen Robe verließ sein Richterzimmer, um vor der nächsten Verhandlung die Toilette aufzusuchen. Im Verstandskasten des Verurteilten knallten bei dessen Anblick sämtliche Sicherungen durch. Er zog ein Messer aus der Tasche und riss den Richter an sich, um ihn mit seinem Messer zu bedrohen. Eine ältere Dame, die Zeugin des Vorfalls wurde, begann hysterisch zu schreien. Der Gerichtsdiener wollte dem Mann im schwarzen Ornat zu Hilfe kommen und rannte ins offene Messer. Völlig konsterniert sah er an sich herunter und sackte daraufhin in sich zusammen.

„Ich habe nichts zu verlieren!“, schrie der Verurteilte. Ein weiterer Mann, von dem ich bislang keinerlei Notiz genommen hatte, drängte sich nun in den Mittelpunkt des Geschehens. „Vielleicht sollten Sie sich das Messer selbst an die Kehle setzen“, provozierte er den Mann, den mein Freund Wenzel nannte. „Sie sind ohnehin am Ende. Jetzt besitzen Sie wenigstens so viel Ehre im Leib und treten Sie mit Achtung ab!“ „Hören Sie auf so einen Mist zu erzählen!“, erboste sich Börner. „Sie haben es nötig, Hauptmann. Ausgerechnet Sie dürfen doch das Wort Ehre gar nicht in den Mund nehmen“, konterte Wenzel. „Wegen Ihrer Machenschaften habe ich doch alles verloren.“

Während sich die beiden Kontrahenten verbal attackierten, nutzte ich die Gelegenheit, den Gerichtsdiener vorsichtig aus der Gefahrensituation zu bergen und einen Notruf abzusetzen. „Wenn ich derjenige bin, dem Sie ihr Dilemma zu verdanken haben, dann verstehe ich nicht so recht, was Sie eigentlich mit dem Richter vorhaben. Dem blieb doch gar nichts anderes übrig, als sich an das Gesetz zu halten. Wenn Sie also jemanden abstechen wollen, müssten Sie mich nehmen.“ Allmählich begriff ich, worauf der Mann hinauswollte. Ein gewagtes Spiel und dennoch genial, wenn er sich anstelle des Richters als Geisel anbieten wollte. Der Moment, wenn Wenzel das Messer vom Hals des Richters nahm, musste ausreichen, um ihn zu überwältigen.

Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. In diesem Fall gab es eine unberechenbare Größe, die genau im entscheidenden Augenblick alle Theorie auf den Kopf stellte. Die benannte Größe bewegte sich auf vier Pfoten und war schneller, als ich sie stoppen konnte. Bea hatte offenbar auf Grund der panischen Schreie die Gefahr erkannt und ihre Leine durchgebissen. Hier oben angekommen erfasste sie sofort die Situation und griff den Mann mit dem Messer an. Der hatte angesichts ihrer Masse, der einhergehenden Geschwindigkeit und des Überraschungsmoments nicht den Hauch einer Chance. Wenzel ließ das Messer fallen, kippte rücklings zu Boden und war unter Beas gewichtigem Körper nicht mehr gesehen.

Als Polizei und Rettungswagen eintrafen, war der Drops bereits gelutscht. Ich konnte Wenzel in den Handschellen des Gerichtsdieners übergeben, Beas Leine war wieder notdürftig zusammengeknotet und der Richter saß endlich auf dem Klo. „Was wolltest du eigentlich hier?“, fragte mich Christoph, während ich Bea eine Schale mit Wasser vor die Nase stellte. „Tja, im Gunde wollte ich dich nach Arbeit fragen, aber fürs Erste reicht es mir heute eigentlich auch schon wieder.“

„Leute wie Sie braucht das Land, spürte ich unvermittelt die Hand des couragierten Geschäftsmannes auf meiner Schulter. „Wenn Sie mal einen Job brauchen, Cowboy“, bezog er sich auf meinen Stetson, „An meinem Lagerfeuer ist stets ein Platz für Sie frei.“ Womit er mir seine Visitenkarte reichte. „Gut zu wissen.“ Postwendend gab ich ihm meine zurück. „Detektiv sind Sie“, las er nachdenklich. „Vielleicht melde ich mich schneller als gedacht bei Ihnen.“ „Ich würde mich freuen.“

„Bevor du in die Dienste dieses Herren trittst, solltest du dich gut informieren“, riet mir Christoph. „Weshalb?“ „Hauptmann ist ein knallharter Geschäftsmann. Der Mann zieht alle Register, wenn es um seinen Profit geht. Er besitzt zwei Dutzend Baumärkte mit steigender Tendenz.“ „Nun, ich will ja nicht mit ihm angeln gehen.“ Christoph sah mich verdutzt an. „Seit wann gehst du angeln?“ „Wenn nicht bald Aufträge hereinkommen, muss ich mir ja irgendwie die Langeweile vertreiben.“ „Meine Güte“, sah mich der Rechtsanwalt verdutzt an, „…seit wann neigst du denn so zur Dramatik?“ „Seit mein Kühlschrank leer ist.“ Christoph kniff ein Auge zusammen und sah mich aus dem anderen herausfordernd an. „Falls ich dir mit einem kleinen Vorschuss aushelfen soll…?“ „Nee lass mal, lieb gemeint, aber damit fangen wir besser gar nicht erst an. Noch habe ich genug zu essen.“

Auch wenn ich den Kitt aus den Fenstern hätte fressen müssen, wäre es mir im Traum nicht eingefallen, Christophs großzügiges Angebot anzunehmen. Nichtsdestotrotz ist es gut zu wissen, auch in dieser Hinsicht auf Freunde zählen zu können. Da Börner also auch keinen Job für mich hatte, schnappte ich mir Bea und latschte mit ihr zum nächsten Zoogeschäft, wo ich eine neue Leine, einen Sicherheitsgurt und einen Riesenknochen zur Belohnung erstand. Obwohl ich zu diesem Zweck meine letzte Barschaft opfern musste, hatte ich das Gefühl, eine vernünftige Anschaffung getätigt zu haben. Verdient hatte es sich Bea allemal.

-5-

„Eine Frau wie du ist mir noch nie passiert“, gestand der Mann neben ihr. Tanja schmiegte sich schnurrend an ihn. „Du warst wie ein Vulkan, der immer und immer wieder aufs Neue ausbrach. Ich habe so etwas nie zuvor erlebt.“ Genau diese Worte wollte sie von ihm hören, genau dies war die Bestätigung, nach der sie tagtäglich jagte. „Eine Frau ist wie ein guter Wein. Bei richtiger Lagerung wird er mit den Jahren immer besser.“ Womit sie sich erneut auf die Lenden des Jünglings schwang und ihn am ganzen Körper liebkoste.

„Dein Mann muss ein Idiot sein, wenn er sich so wenig um dich kümmert“, hauchte der Kellner, während ihn Tanja mit rhythmischen Bewegungen verwöhnte. Sie verharrte abrupt, warf ihrem Lover einen verachtungsvollen Blick zu und erhob sich. „Was ist los?“ „Weshalb müsst ihr Kerle ständig alles kaputt reden? Könnt ihr euren Verstand nicht mal für einen Moment ausschalten?“ „ Sorry , es war dumm von mir. Komm wieder ins Bett.“ „Nee Kleiner, der Zug ist abgefahren.“ Der Kellner steckte sich eine Zigarette an und beobachtete irritiert, wie sich Tanja anzog. „Wann sehen wir uns wieder?“ „Gar nicht! Du warst ganz nett, aber mehr auch nicht.“

Der Mann auf dem Bett fühlte sich benutzt. Noch sträubte er sich gegen den Gedanken, wie ein dummer Junge vorgeführt worden zu sein und doch keimte bereits Wut in ihm auf. Tatenlos sah er zu, wie der Vulkan erlosch. „Werd erstmal erwachsen, dann kannst du ja vielleicht noch mal bei mir anklingeln“, warf sie ihm an den Kopf. In dem Bewusstsein, ein weiteres Mal nicht gefunden zu haben, wonach sie sich sehnte, ließ sie den Kellner im Hotelzimmer zurück.

Die Frau des Unternehmers hatte die billige Absteige in der Fasanenstraße nicht zum ersten Mal für ihre kleinen Abenteuer benutzt. Der Portier kannte sie daher recht gut. Nicht mit ihrem tatsächlichen Namen, dafür interessierte er sich nicht solange das Trinkgeld stimmte, aber ihr Gesicht, das erkannte er unter Hunderten anderer. So auch heute, als er die Zeitung aufschlug und von einer Bilderausstellung las. Ein Foto zeigte die Künstlerin und den befreundeten Baumarktbesitzer Rainer Hauptmann mit dessen Gattin.

„Entschuldigen Sie, Frau Hauptmann“, passte er Tanja ab, als sie das Hotel wieder verlassen wollte. Sie zuckte zusammen, als sie ihren Namen hörte. „Der Preis für das Zimmer hat sich leider geändert.“ „Wieso, ich habe doch bereits im Voraus bezahlt.“ „Sehen Sie, da wusste ich ja auch noch nicht, wie prominent Sie sind.“ Tanja verdrehte angewidert die Augen und schob einen Hunderter über den Tresen. „Ich verstehe.“ „Wohl noch nicht so ganz“, erwiderte der Portier gedehnt, während er seine Hand erhob und die Finger spreizte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als auch noch vier weitere Hunderter über den Tresen zu schieben. „Immer wieder gern zu Diensten, gute Frau“, grinste der Portier zufrieden.

Erst nachdem Tanja das Hotel verlassen hatte und ihrem Ehemann in die Arme lief, ahnte sie, dass der schmierige Portier doppelt kassiert hatte. „Hast du nicht gestern erst von Vertrauen gesprochen?“, trat er ihr entgegen. Tanja vermochte es nicht, ihrem Mann in die Augen zu sehen. Stattdessen versuchte sie sich an ihm vorbeizudrängen, um seine Nähe, zumindest im Augenblick, nicht ertragen zu müssen. Rainer hielt sie jedoch am Arm zurück. „Au, du tust mir weh“, hielt sie ihm vor. „Merkst du denn gar nicht, wie weh du mir tust?“ „Lass mich!“, fuhr sie ihn an, ohne auf seine Vorhaltung zu reagieren. „Keine Angst, ich werde meine Hand nicht gegen dich erheben“, blieb Rainer äußerlich gelassen, „…aber von dieser Sekunde an werde ich dir den Geldhahn zudrehen.“

Noch am späten Nachmittag betrat der Rechtsanwalt des Unternehmers die Villa in der Lessingstraße. Hauptmann empfing ihn mit einem Gesichtsausdruck, der keinen Spielraum für Kompromisse ließ. „Sie sagten am Telefon, ich sollte alle Unterlagen mitbringen, die für eine Scheidung notwendig wären“, ließ sich Pierre Materna auf dem zugewiesenen Platz nieder. „So ist es“, bestätigte der Hausherr. „Ich habe schlicht und ergreifend die Faxen dicke. Da es einen Ehevertrag gibt, soll Tanja lediglich den Unterhalt bekommen, der ihr vom Gesetz her zusteht. Um sie nicht länger in meinem Elternhaus dulden zu müssen, kann sie meinetwegen vorerst eine der Eigentumswohnungen in der Jägermeisterstraße beziehen.“ Rechtsanwalt Materns blätterte derweil eifrig in seinen Unterlagen. „Könnte es diesbezüglich Schwierigkeiten geben?“ „Nun, Sie sind erst seit drei Jahren verheiratet, da dürfte es keinerlei Probleme geben.“

„Übrigens verbrachte mein werter Herr Sohn die vergangene Nacht in einer Ausnüchterungszelle. Er wurde völlig betrunken mit einer nicht unerheblichen Menge Rauschgift aufgegriffen. Sehen Sie mal zu, ob sie in der Sache irgendetwas machen können.“ Materna erhob sich. „Dann werde ich Ihrer Nochehefrau also in den nächsten Tagen die Scheidungspapiere zukommen lassen.“ „Wie verhält es sich eigentlich mit Natascha? Ich habe die Tochter meiner Frau während der vergangenen Jahre in mein Herz geschlossen. Besteht die Möglichkeit, dass sie bei mir bleibt?“ „Soweit mir bekannt ist, haben Sie das Mädchen nicht adoptiert, oder?“ Hauptmann schüttelte den Kopf. „Nein, dazu kam es leider nicht.“

Der Rechtsanwalt verzog das Gesicht. „Wenn Ihnen ihre Nochehefrau nach der Scheidung ein Umgangsrecht verweigern würde, käme sie wahrscheinlich damit durch.“ Materna wog grübelnd den Kopf. „Es sei denn, es gäbe triftige Gründe, Ihnen dieses Recht zuzusprechen. Selbstredend immer zum Wohle des Kindes.“ „Was sind das für Gründe?“ „Alkohol, Drogen, unsteter Lebenswandel“, erläuterte Materna. „Gut, dann leiten Sie alles in die Wege, um diese Gründe bei den geeigneten Stellen als gegeben publik zu machen.“ „Voraussetzung ist natürlich, das Mädchen möchte bei Ihnen und nicht bei ihrer Mutter bleiben“, gab Materna zu bedenken. „Das überlassen Sie mal getrost mir“, war sich Hauptmann sicher. „Natascha wird glücklich sein, bei mir bleiben zu dürfen.“

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„Habt ihr wirklich angenommen, ich käme nicht dahinter?“, schlug Rainer Hauptmann außer sich vor Wut mit der Faust auf seinen Schreibtisch. „Ich dachte, wir wären Freunde. Zugegeben, Miras Arbeit ist großartig, aber um einen Gauguin zu malen bedarf es schon etwas mehr.“ Lutz sah betreten zu Boden. Er wusste, dass sie mit den Fälschungen die Freundschaft zu Hauptmann aufs Spiel gesetzt hatten, aber wie sollten sie ahnen, dass er soviel Sachverstand hatte, ihnen auf die Spur zu kommen. „Weshalb wolltet ihr mich nach all den Jahren unserer Freundschaft auf so miese Weise betrügen? Erkläre es mir, damit ich es verstehe.“

„Da gibt es nicht viel zu erklären. Mira und ich sind pleite. Die Bilder wären unsere Rettung gewesen. Als wir sie für dich kopierten, bekamen wir Besuch von einem Freund aus Miras Studienzeit. Als er die Gauguins sah, bot er uns einen Batzen Geld dafür.“ „Und da habt ihr euch gedacht, dass es ja egal sei, ob ihr die Bilder ein oder zweimal kopiert“, brachte es Hauptmann auf den Punkt. „So in etwa“, bestätigte Lutz. „Die Bilder kommen wieder zurück und dann will ich nichts mehr mit euch zu tun haben.“

„Aber das geht nicht“, gestand Lutz Belle. „Die Bilder sind längst verkauft.“ „Entweder die Bilder kommen zurück, oder ich zeige euch an“, verstand Hauptmann keinen Spaß. „Aber wie…?“ „Wie ist mir scheißegal! Sind die Bilder in zwei Tagen nicht wieder da, mache ich euch fertig!“

-7-

Es war bereits stockdunkle Nacht, als sich ein beinahe unsichtbarer Schatten aus dem diffusen Licht einer Straßenlaterne schälte. Er gehörte zu einer unscheinbaren Person, die sich von den Grünanlagen der Bibliothek her den Jugendstilvillen in der Lessingstraße näherte. Abgesehen von wenigen Autos, welche zu dieser Zeit noch auf dem nahe gelegenen Schlossplatz unterwegs waren, vernahm jene Person nur das Aufheulen eines beschleunigenden Motorrades und das heftige Balgen zweier Katzen. Ansonsten war alles still. Die Glocken der Hauptkirche schlugen vier mal zur vollen Stunde und dann zwei weitere Male zur Tagesstunde. Der milde Herbstwind musste aus ihrer Richtung wehen. Nur so war es möglich, die Gongschläge aus solch großer Entfernung noch zu vernehmen.

Zielgerichtet näherte sich die unbekannte Person der Villa von Rainer Hauptmann. Der Zeitpunkt war günstig, denn weder die Kinder noch die Nochehefrau waren im Haus. Der Insider wusste um die familiären Verhältnisse und er wusste, dass sich keiner der Bediensteten über Nacht in der Villa aufhielt. Die einfache Alarmanlage und der Tresor waren schlicht ein Witz. Es gab nicht einmal einen Wachhund. Ein Spaziergang also, denn das Schlafzimmer des Hausherrn befand sich in einem Gebäudetrakt, der ein gutes Stück weit vom Arbeitszimmer entfernt lag. Wenn alles nach Plan laufen würde, befänden sich die Papiere, auf die es die unbekannte Person abgesehen hatte, noch vor dem Morgengrauen in ihrem Besitz.

Als der Schatten den schmiedeeisernen Zaun erreichte, der die Villa umfriedete, musste er jedoch feststellen, dass in genau diesem Arbeitszimmer noch Licht brannte. Er überwand die Begrenzung an einer Stelle, die von den am Haus installierten Bewegungsmeldern nicht erfasst wurde und verbarg sich in Sichtweite zum erleuchteten Fenster. Von dort aus beobachtete der Schatten ungeduldig das Geschehen im Arbeitszimmer.

Durch den dünnen Stoff der Übergardinen erkannte er zwei Silhouetten, von denen sich die eine immer wieder durch den Raum bewegte. Den Konturen nach musste dies Hauptmann sein. Die andere Person saß in einem Sessel, fuchtelte lediglich gelegentlich mit den Armen herum und drehte von Zeit zu Zeit den Kopf in die Richtung, in der sich Hauptmann gerade befand. So, wie es sich dem Schatten vor der Villa darstellte, versuchte der Hausherr die Person im Sessel sehr nachhaltig von seinem Standpunkt zu überzeugen. Um was es in der recht turbulenten Unterhaltung ging, drang allerdings nicht nach draußen.

Irgendwann setzte sich Hauptmann, und beinahe gleichzeitig erhob sich die Person, die bis jetzt im Sessel saß. Der Schatten im Garten der Villa erstarrte. Er war sich nicht sicher, ob die Person plötzlich eine Waffe in der Hand hielt. Mit der nächsten Sekunde folgte jedoch die entsetzliche Gewissheit. Der Arm mit der Waffe ruckte zurück, ohne dass jedoch ein Schuss zu hören gewesen wäre. Hauptmanns Oberkörper wippte nach hinten, federte zurück und kippte schließlich vornüber, wo er im Sichtschatten der Fensterbank verschwand.

Wie gelähmt kauerte die unbekannte Person hinter der Zypresse. Für einen Moment lang war sie zu keinem klaren Gedanken fähig. War sie gerade Zeuge eines Mordes geworden, oder entsprangen jene Geschehnisse lediglich ihrer Fantasie? Gebannt starrte der Schatten weiter zum Fenster hinüber und sah, wie sich der Schütze weiterhin im Raum aufhielt. Es war deutlich zu erkennen, wie er nach etwas suchte. Er ließ sich dabei ungewöhnlich viel Zeit. Offensichtlich ging er davon aus, mit dem Opfer allein in der Villa zu sein. Hin und hergerissen von den eigenen Gedanken entschied sich der Zeuge, die nächsten Minuten abzuwarten. Vielleicht würde sich für sein Vorhaben doch noch eine Gelegenheit ergeben, nachdem der Schütze die Villa verlassen hatte.

Angespannt verharrte der Schatten in seinem Versteck. So verging mehr als eine Viertelstunde, bis der Schütze endlich die Villa verließ. Während der gesamten Zeit hatte sich das Opfer nicht mehr bewegt. Somit konnte er mittlerweile davon ausgehen, Zeuge eines Mordes geworden zu sein. Jetzt, da sich die Haustür öffnete und sich der mutmaßliche Mörder über den Hausstein und die Granitstufen lautlos ins Freie schob, hielt der Schatten gebannt den Atem an. Einer der Bewegungsmelder erfasste den Schützen und schaltete die kniehohen Laternen an, die den Plattenweg bis zur Zaunpforte ausleuchteten. Ihr gedecktes Licht reichte lediglich aus, um das Gesicht des Mannes nur schemenhaft zu erleuchten. Das tief ins Gesicht gezogene Cap wirklich tat ein Übriges.

Täuschte sich der Schatten oder zog der vermeintliche Mörder eines seiner Beine leicht nach? Er erreichte die Pforte. Bevor er sie öffnete und hinaustrat, beobachtete er die Lessingstraße nach beiden Seiten. In dem Augenblick, als er in die Richtung sah, in der sich der Schatten noch immer hinter den Zypressen verbarg, fiel das Licht einer Straßenlaterne auf das Gesicht des Schützen. Zwischen dem Cap und dem aufgestellten Kragen seines Trenchcoats erkannte der Schatten einen breiten Schnauzer. Er erhob sich etwas, verließ ein wenig seine Deckung, um besser sehen zu können und trat dabei auf einen trockenen Ast, der daraufhin laut unter seinen Schuhen knackte.

Der Mann mit dem Bart wandte sich nochmals in seine Richtung. Der Schatten tauchte erschrocken ab. Der Mörder kam langsam auf ihn zu, lauschte dabei in die Dunkelheit der Nacht. Der Schatten verharrte, wagte es nicht weiterzuatmen und hoffte darauf, unentdeckt zu bleiben. Es waren nur noch wenige Meter, die beide von einander trennten, als sich auf der anderen Straßenseite erneut zwei Katzen balgten. Der Schütze sah zu ihnen hinüber. „Mistviecher!“, brummte er, wandte sich um und entfernte sich in Richtung Schlossplatz. Als sich der Schatten nach einem kurzen Moment des Zögerns aus seinem Versteck hervorwagte, um dem mutmaßlichen Mörder nachzuschauen, war dieser wie vom Erdboden verschluckt.

Erst zwei weitere Glockenschläge rissen ihn aus der Ohnmacht seiner Gedanken. Halb drei Uhr , dachte er sich. Wenn Hauptmann wirklich tot war, konnte die Gelegenheit nicht günstiger für ihn sein. Blieben die Papiere im Besitz des Toten, würden sie in die Erbmasse gehen und letztlich sein unausweichliches Ende bedeuten. Auch wenn das, was den Unbekannten in der Villa erwarten würde, sicher kein schöner Anblick war, musste er sich zusammenreißen und sein Vorhaben zu einem guten Ende bringen.

Bevor er sich entschloss, an seinem Plan festzuhalten, vergewisserte er sich, ob es auf der Lessingstraße nach wie vor ruhig war. Die Villen in der Nachbarschaft lagen im Dunkeln und in keinem der Fenster brannte Licht. Weit und breit war niemand zu sehen, nur das Brummen der Autos, die nach wie vor gelegentlich auf dem Schlossplatz vorbeifuhren, schallte zu ihm herüber. Zunächst noch zaghaft und etwas zögerlich schlich er sich durch den Garten, die breiten Granitstufen der Eingangstreppe hinauf, um schließlich in Windeseile durch die unverschlossene Tür in die Villa zu huschen.

Der Unbekannte drückte mit seinen behandschuhten Händen die bleiverglasten Türen des Windfangs zur Seite und schob sich durch das kleine, aber sehr gediegen wirkende Foyer nach rechts durch die nur angelehnte Tür des Arbeitszimmers. Er lauschte angespannt in die Dunkelheit des Raumes, ohne auch nur das leiseste Geräusch wahrzunehmen. Einen Augenblick lang überlegte er, ob es Sinn machte, das Licht wieder einzuschalten, doch dann besann er sich darauf, wie gut man von draußen hineinsehen konnte und griff zu seiner Taschenlampe. Stück für Stück und mit äußerster Vorsicht, den Lichtkegel nicht in Richtung Fenster zu schwenken, leuchtete der Unbekannte nach und nach den Raum aus.

Obwohl er den Anblick des Toten erwartet hatte, erschrak er fürchterlich, als er plötzlich vor ihm stand. Hauptmann hing vornüber gebeugt auf dem Schreibtisch. Unter ihm ergoss sich eine beträchtliche Blutlache. Das Projektil hatte seinen Körper durchbohrt und war schließlich in der Rückenlehne seines Drehstuhls stecken geblieben. Während ein Arm zum Teil unter seinem Kopf begraben lag, baumelte der andere leblos herunter. Über alledem hing der bedrückende Geruch des Todes.

Schließlich erfasste der Lichtkegel seiner Taschenlampe den weit offen stehenden Tresor. Er war ganz offensichtlich nach etwas Bestimmten durchsucht worden. Etliche Papiere lagen auf dem Fußboden davor verstreut. Der Einbrecher hoffte inständig darauf, unter ihnen den Knebelvertrag zu finden, mit dem er von Hauptmann immer und immer wieder erpresst worden war. Während seiner Suche fielen ihm auch andere Verträge, die nach dem gleichen Muster gestrickt waren, in die Hände. Es war unglaublich wie vielen Menschen dieser eiskalte Geschäftsmann in ähnlicher Weise übel mitgespielt hatte. Kurz entschlossen steckte er ein, was ihm in die Hände fiel. Irgendwann stieß er auf den eigenen Vertrag. Die Person nahm ihn an sich und verließ hastig den Raum. Gerade in dem Augenblick, als sie das Arbeitszimmer verließ, wurde im Foyer das Licht eingeschaltet und ein junger Mann stand ihr unvermittelt im Weg. Sie starrten sich einen Moment lang an, ehe der verdutzte Spätheimkehrer zur Seite geschubst wurde und die unbekannte Person davonlief.

 

- Ende der Leseprobe -

 

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