Detektei Lessing

Band 26

Ohne Vergangenheit

 

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Mein letzter Fall hatte mir einige Nerven gekostet, war aber letztlich halbwegs gut ausgegangen. Das Ehepaar Sandfort hatte sich in eine Paartherapie begeben und sich dank umfassender psychologischer Betreuung wieder zusammengerauft. Ähnliches galt auch für Miriam und mich. Uns tat es einfach gut, unseren Wunsch nach einem Kind nicht mehr so verbissen zu sehen. Meine kleinen Krieger hatten nach all dem Tohuwabohu ganz gewiss etwas Entspannung verdient. Nachdem wir uns nun ein Jahr Zeit geben wollten, war mir eine schwere Last aus den Lenden gefallen. Axels Eintritt in die Detektei brachte nach anfänglichen Problemen mit seinem Idealismus die erhoffte Entlastung. So konnte ich mich nach weiß nicht wie langer Zeit mal wieder mit den Jungs von der Braunschweiger Kripo zum Billardspielen verabreden. Kurz, ich befand mich zurzeit in einer dieser Ausnahmesituationen, in denen alles so läuft, wie es laufen sollte. Es versteht sich von selbst, dass es dabei nicht blieb. Genau genommen war es mit dem Läuten des Telefons auch mit genau dieser Ruhe vorbei.

Auf meinem Weg aus der Kaffeeküche in mein Büro bekam ich unfreiwillig mit, wie Trude offenbar mit einer alten Bekannten telefonierte. Dem Anschein nach hatten sie sich schon seit längerem nicht mehr gesprochen, geschweige denn gesehen. Ihr Gespräch verlief dementsprechend herzlich. Umso mehr wunderte ich mich, als mich Trude einige Minuten später mit ernster Miene in meinem Büro aufsuchte.

„Darf ich Sie einen Moment stören, Chef?“ „Sie wissen doch, dass ich stets ein offenes Ohr für meine Mitarbeiter habe“, entgegnete ich jovial. Trudes Stirn krauste sich nachdenklich. Doch das an dieser Stelle üblicherweise einsetzende Dementi blieb aus. Stattdessen lenkte meine Putzsekretärin unser Gespräch auf den Anruf ihrer Bekannten. „Die Rosi rief mich gerade an und erzählte von einer Patientin.“ „Ach...“, stutzte ich, „...Ihre Bekannte ist Ärztin?“ Trude verzog das Gesicht. „Wieso Ärztin?“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Nein, Rosi putzt im Landeskrankenhaus Königslutter.“ „Ach so“, verstand ich. „Also...“, fuhr Trude fort, „...die Rosi erinnerte sich, dass ich in einer Detektei beschäftigt bin.“ „Nun kommen Sie schon auf den Punkt, Trudchen“, wurde ich ungeduldig.

„Wie gesagt, meine Bekannte arbeitet in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie. Eine der Patientinnen hat sie gebeten, einen Kontakt zu einem guten Privatermittler herzustellen.“ Ich fühlte mich geschmeichelt. „Da hat sich die Rosi halt an mich erinnert. Sonst kennt sie ja auch keinen Detektiv.“ So viel zum Thema Referenzen.

„Hat Ihre Freundin gesagt, um was es geht oder weshalb die Patientin in die Psychiatrie eingewiesen wurde?“ „Nein, Rosi sagte nur, dass die Frau ebenso wenig verrückt sei wie Sie oder ich.“ „Na gut, wie sind Sie denn nun mit Ihrer Bekannten verblieben?“ Trude lehnte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen. Ein untrügliches Zeichen innerer Angespanntheit. „Ich habe ihr versprochen, mit Ihnen über die Sache zu sprechen.“ „Okay, das haben wir ja nun“, ließ ich die Gute im Regen stehen. „Und nun?“ „Na ja, nehmen Sie sich des Falles an, Chef?“ „Seien Sie ehrlich, Trude“, hatte ich meine Putzsekretärin längst durchschaut. „Sie haben doch schon längst einen Termin und einen Treffpunkt mit Ihrer Bekannten ausgemacht, stimmt's?“ Die gute Seele sah etwas verlegen auf ihre Armbanduhr. „In einer Stunde auf dem Markt. Rosi wartet im Eiscafé Venezia auf Sie.“ Ich hatte es geahnt. „Wie sieht denn die Dame aus?“, hakte ich nach. „Ich habe ihr gesagt, dass Sie einen Stetson tragen.“

Kurz vor der verabredeten Uhrzeit lenkte ich meinen Skoda auf den erst vor wenigen Jahren völlig neu gestalteten Marktplatz in Königslutter. Unweit der Buchhandlung Kolbe parkte ich meinen Wagen und sah nachdenklich an den alten Häuserfassaden empor. Ich erinnerte mich an einen dramatischen Fall, der sich an gleicher Stätte ereignet hatte. Damals ging es um die Entführung der Tochter einer in Königslutter ansässigen, bekannten Sängerin. Damals hatten sich die unzähligen Einwohner der Stadt an der Suche beteiligt. . Auch diesen Fall hatte ich dank der Hilfe vieler Freunde zu einem guten Ende gebracht.

Lessing 11 „Die Uhr tickt nur bis 12 Uhr Mittag“

Mit dem Stetson auf dem Kopf und einer gewissen Neugier im Gesicht, betrat ich also, wie von Trude verabredet, das Eiscafé Venezia, welches sich gegenüber der kleinen Betonplattform befindet, die bei festlichen Anlässen als Bühne genutzt wird. Noch bevor mich die Dame erblickte, stand ich vor ihrem Tisch. „Habe ich das Vergnügen mit Frau Bravo?“ „Trude hat gar nichts von einer so stattlichen Erscheinung erzählt“, hielt sich die Lady nicht lange mit der Vorrede auf. Offenbar beherzten sämtliche Damen des Salonstylings diesen erfrischend direkten Ton. Sie räumte ihre Handtasche zur Seite und klopfte mit der flachen Hand auf das Polster neben sich. Ich zog einen der Stühle vor, die auf der anderen Seite des Tisches platziert waren. Nachdem ich mir einen Cappuccino und der Dame einen Milchkaffee bestellt hatte, erkundigte ich mich nach dem Anlass unseres Treffens.

„Es geht um eine Patientin, die mir schon seit längerem aufgefallen ist“, begann Rosi Bravo. „Aufgefallen?“, hakte ich nach. „Ja, es ist irgendwie merkwürdig. Meistens steht die Frau irgendwie neben sich. Dann ist sie ganz offensichtlich mit Medikamenten ruhig gestellt. Aber manchmal scheint sie ganz klar zu sein. Offenbar sind dies die Momente, in denen die Wirkung des Psychopharmaka nachlässt.“ „Woher wollen Sie wissen, ob die Frau nicht gerade dann neben der Spur läuft, wenn Sie glauben, dass sie klar ist?“, äußerte ich eine gewisse Skepsis. „Am besten Sie sprechen selbst mit der Frau. Wenn Sie nicht zu genau derselben Überzeugung wie ich kommen, fresse ich einen Besen.“ Ich stieß einen tiefen Seufzer aus. „Also schön, wie heißt denn die Dame?“ „Wenn es nur so einfach wäre“, lächelte Rosi. „Sie behauptet, eine gewisse Melanie Weber zu sein, aber soviel ich weiß, glaubt ihr die Polizei nicht.“

Nun schien die Sache doch noch interessant zu werden. „Wie jetzt?“ „Genaueres weiß ich auch nicht. Da müssen Sie schon mit ihr persönlich sprechen.“ Rosi hatte mich überzeugt. „Dann sollte ich der Dame wohl einen Besuch abstatten.“ „Gute Idee“, lobte Trudes Bekannte, „...aber wie wollen Sie sich anmelden? Ich würde gern die Frau ohne Namen besuchen?“ Ich zuckte mit den Achseln. „Na ja, irgendwie wird es schon gehen.“ „Nein, nein, das machen wir besser heimlich.“ Rosi kramte einen Zettel hervor, auf dem sie die Gebäude der Psychiatrie skizzierte. „Als Reinigungskraft bin ich im Besitz aller Schlüssel, die notwendig sind. Ich lasse Sie morgen Vormittag um zehn Uhr durch diesen Kellereingang ins Haus. Nach meiner Erfahrung ist Frau Weber zu dieser Zeit am Zugänglichsten. Ich werde es so einrichten, dass ich mit ihr im Keller auf Sie warte. So haben Sie die Möglichkeit, ungestört mit ihr sprechen zu können.“

„Jetzt sagen Sie mir nur noch, weshalb Sie so sicher sind, dass die Frau nicht doch an einer Form der Schizophrenie leidet. Sie würden es doch gar nicht bemerken, wenn ihnen die Patientin einen Bären aufbindet.“ „Sie haben Recht, Herr Lessing. Sicher kann man sich wohl tatsächlich nicht sein, aber wenn mich ein Mensch um Hilfe anfleht, dann versuche ich zumindest für ihn da zu sein. Ich möchte mir nicht zeitlebens den Vorwurf machen, im entscheidenden Moment weggeschaut zu haben.“ Ich nickte betreten. „Eines steht fest, wenn es mehr Menschen Ihres Schlages gäbe, wäre unsere Welt ein gutes Stück besser.“ „Dankeschön.“

Bevor ich mich auf den Weg zurück in die Heimat machte, sah ich mir das Landeskrankenhaus genauer an. Dank Rosis Skizze brauchte ich nicht lange nach dem Kellereingang suchen. Ich fragte mich, aus welchem Grund die vermeintliche Melanie Weber in der geschlossenen Abteilung untergebracht war. Soweit mir bekannt war, wurden hier nur die Fälle untergebracht, die eine Gefährdung für sich selbst oder für ihr Umfeld darstellten. Bevor ich mich mit dieser Frau traf musste ich mehr über sie in Erfahrung bringen. Ich beschloss, meinen alten Freund und Kollegen, Hauptkommissar Jürgen Wurzer von der Braunschweiger Kriminalpolizei anzurufen. Wenn es über diese Frau im Zentralcomputer der Polizei eine Akte gab, konnte er für mich hineinsehen. Das Problem war nur, ihn zu dieser kleinen Gefälligkeit zu bewegen.

Als ich in meinen Skoda einstieg, um die Heimfahrt durch das idyllisch gelegene Reitlingstal anzutreten, fiel mir ein weißer Sportwagen auf, der gerade in die Einfahrt zum Parkplatz rollte. Eine extravagante Flügeltür hob sich geräuschlos gen Himmel und ein Mann Mitte vierzig, der in dieses Gefährt ebenso wenig passte wie ein Nashorn in ein Schlauchboot, walzte sich aus dem Recaro Sitz. Auf dem Schild an der Oberkante der Parkbucht stand offenbar der Name des Berechtigten. Professor Doktor R. Riemenschneider. Offenbar ließ sich in der Psychiatrie gutes Geld verdienen. Wie auch immer, die Sache schien interessant zu werden.

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„Schön, dich mal wieder zu treffen“, nahm ich auf dem Stuhl Platz, der sich auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches befand, auf der mein Freund gerade sein Tablett absetzte. „Du bist dir sicher, wegen mir und nicht wegen unserer ausgezeichneten Kantine hier zu sein?“ „Ich bitte dich, Jogi, wie kannst du nur so etwas sagen?“, entgegnete ich voller Widerspruch. „Wenngleich ich zugeben muss, beides gern miteinander zu verbinden.“ „Zumal du mal wieder dein Portmonee im Wagen vergessen hast“, fügte mein Freund sarkastisch an. Ich sah beschämt auf meinen Teller, was meinem Appetit allerdings nicht im Geringsten abträglich war.

„Nun mal raus mit der Sprache“, ließ Jogi durchblicken, dass er mir den Freundschaftsbesuch an meiner alten Wirkungsstätte bei der Braunschweiger Kriminalpolizei nicht so ohne Weiteres abnahm. „Tja, wie soll ich sagen“, begann ich für meine Verhältnisse geradezu verhalten. „Ich habe da eine Sache auf dem Tisch, aus der ich mir keinen Reim machen kann. Noch sind meine Informationen sehr vage...“ „weshalb du auf die Idee kamst, dich mal wieder meines Zugangs zum Zentralcomputers zu bedienen“, vollendete Jogi meinen Satz. „Wie du das sagst, hört es sich nicht gut an“, schluckte ich bitter. „Die Wahrheit klingt eben nicht immer süß“, philosophierte mein Freund.

Kurz darauf saßen wir im Büro der Mordkommission 2. Das heißt, Jogi saß, während ich hinter ihm stand und über seinen Rücken auf den Monitor starrte. Es gab tatsächlich eine Akte, die sich auf eine unbekannte Frau bezog, die von sich behauptete, die Autorin Melanie Weber zu sein. Die Unbekannte war vor etwa drei Monaten auf der Dienststelle an der Lindener Straße in Wolfenbüttel aufgetaucht und behauptete, bei einem Treffen bezüglich der Recherchen zu ihrem neuen Roman, niedergeschlagen und verschleppt worden zu sein. In der Akte war weiterhin zu lesen, dass die Frau bei der Begegnung mit der tatsächlichen Melanie Weber ausrastete und gegen die Polizeibeamten handgreiflich wurde. Den Beamten blieb letztendlich nichts anderes übrig, als sie den Kollegen von der Kripo vorzustellen.

„Wie um alles in der Welt kommst du immer zu solchen Fällen?“, schüttelte Jogi verständnislos mit dem Kopf. „Eine Freundin von Trude arbeitet in der Klinik.“ „...und da hast du dich von deiner Putzperle mal wieder um den Finger wickeln lassen“, lächelte der Hauptkommissar mitleidig. „Was soll ich machen?“ „Wir können eben beide nicht aus unserer Haut.“ „Und weil das so ist, könnten wir uns mit den Jungs mal wieder zum Billard treffen.“ Jogi horchte auf. „Ist das ein Vorschlag oder ein Versprechen?“ „Natürlich ein Versprechen“, verkündete ich vollmundig. „Du meinst so wie früher?“ „Aber so etwas von!“ Mein Freund sah mich ungläubig an. „Na dann sage ich den Jungs Bescheid und du solltest dir genug Geld einstecken.“ Oje, da hatte Jogi aber etwas gehörig falsch verstanden. Sei es drum, eine Blöße wollte ich mir nun auch nicht mehr geben.

„Also schön, aber wenn ich nun schon so viel investiere, dann schaust du bitte noch mal in die Akte, wer den Fall mit meiner Unbekannten bearbeitet hat und was sonst noch darin steht.“ „Das nennt man Nötigung“, witzelte mein Freund, während er sich wieder dem Monitor zuwandte.

„Die Polizeibeamten, die als Erste mit der Frau zu tun hatten, beschrieben ihr Auftreten als Durcheinander und ihre Aussprache als leicht konfus. Sie hatten den Eindruck, sie würde noch unter dem Einfluss von Drogen oder Medikamente stehen.“ „Hat man einen Drogentest oder wenigstens einen Alkoholtest durchgeführt?“, hakte ich nach. „Leider nicht“, entgegnete Jogi kopfschüttelnd. „Übrigens landete der Fall bei Sinner und Schubert auf dem Schreibtisch“, fuhr mein Freund fort. „Na, das war ja mal wieder klar“, verdrehte ich die Augen. „Ich denke, ihr mögt euch in letzter Zeit“, zeigte sich Jogi auf Grund meiner Reaktion irritiert. „Na ja, der Not gehorchend eben. Gute Freunde werden wir wohl nicht mehr.“ „Aber besser als mit dem Kleinschmidt läuft es schon, oder?“

Ich ließ die Frage meines ehemaligen Kollegen unkommentiert, um seine Aufmerksamkeit stattdessen wieder auf die Akte zu lenken. „Wieso wurde die arme Frau letztendlich in das Landeskrankenhaus Königslutter eingewiesen?“ „Obwohl weder sie noch die Polizisten bei der Begehung ihres angeblichen Hauses keinerlei Dokumente sowie etwas Persönliches von ihr auffanden, blieb deine Klientin auch nach einer eingehenden Befragung durch Schubert und Sinner bei ihrer Behauptung, Melanie Weber zu sein. Sie wurde daraufhin einem Arzt vorgestellt, der sie ins Krankenhaus einwies, wo sie beobachtet werden sollte. Bereits am nächsten Tag wurde sie nach Königslutter überwiesen.“

Ich konnte nicht glauben, dass dies alles war. „Ja haben die beiden die Angaben meiner Auftraggeberin denn nicht überprüft?“ Jogi rief die detaillierte Ermittlungsakte auf. „Offenbar haben sich Sinner und Schubert die Stelle angesehen, an der deine Klientin überfallen worden sein wollte. Die Überprüfung der Örtlichkeit blieb ohne jeden Fund. Die anschließende Besichtigung der Raststätte, an der die Frau wieder zu sich gekommen war, brachte ebenfalls nichts.“ Ich wusste, dass die Kollegen weitere Recherchen anstellen würden, aber bei jährlich über zehntausend als vermisst gemeldeten Personen, allein in Deutschland, gestalteten sich diese Ermittlungen wie die Suche nach der berüchtigten Nadel im Heuhaufen.

„Tja, wenn du ehrlich bist, hätten wir auch nichts anderes unternommen“, brachte es Jogi auf den Punkt. Ich musste ihm seufzend zustimmen. Mir war durchaus bewusst, dass ich bereits zu diesem Zeitpunkt eine vorgefasste Meinung zu meiner potentiellen Auftraggeberin hatte. Eine Position, die mir kaum noch Luft zum Revidieren ließ. Dennoch hielt ich Wort und machte mich am nächsten Morgen auf den Weg nach Königslutter.

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Nachdem ich meinen Wagen auf dem Parkplatz vor dem Gebäude sieben geparkt hatte, suchte mein Blick vergebens nach dem Sportwagen mit den Flügeltüren. Wenn ich einmal ganz viel Geld verdienen würde..., träumte ich, während ich um das Gebäude herumlief und die Stufen zur Kellertür hinabstieg. Ein kurzer Blick zur Uhr verriet mir, dass ich wohl noch etwas früh dran war. Ein Umstand, der mich zum Zeuge eines Gesprächs werden ließ.

„Stell dir vor, Annette, Robert und ich waren über das Wochenende auf Rügen. Er hat dort eine eigene Jacht. Ich hätte nie gedacht, dass er so romantisch ist.“ „Ich verstehe dich nicht, Tasja“, entgegnete ihre Freundin, während die beiden Frauen in meiner unmittelbaren Nähe stehen blieben. Ich duckte mich ab. „Der Mann könnte dein Vater sein.“ „Ja und? Was ist schon dabei? So ein Mann wie Robert ist doch ein ganz anderes Kaliber als diese Bodybuilder, die den ganzen Tag auf der Hantelbank zubringen, sich mit Anabolika vollstopfen und abends keinen mehr hoch kriegen.“ „Na, du musst es ja wissen.“ „So ein Mann wie Robert hat Manieren, der weiß, wie er eine Frau verwöhnen kann...“ „...und er hat Kohle, nicht wahr?“, fiel ihr Annette ins Wort.

Die Frauen setzten ihren Weg fort. „Was ja wohl nichts Negatives ist“, entgegnete Roberts Gespielin. „Pass bloß auf dich auf. Du bist nicht die Erste und du wirst auch sicher nicht die Letzte sein, die der Professors in den Wind schießt.“ „Ach, du bist ja nur neidisch. Robert hat mir gesagt, dass er mich liebt und ich glaube ihm.“ „Aber naiv bist du wohl...“ „...überhaupt nicht, vollendete ich den Satz mit meinen Worten, da ich die Frauen nicht mehr hören konnte.

Im nächsten Moment vernahm ich, wie die Kellertür aufgeschlossen wurde. „Ah, da sind Sie ja schon“, empfing mich Rosi Bravo. „So wie versprochen“, bekundete ich. „Kommen Sie herein. Frau Weber erwartet Sie bereits.“ Ich verkniff mir jeden Kommentar. Schließlich wollte ich so objektiv an die Sache herangehen, wie nur möglich. „Wir müssen leise sein“, flüsterte Trudes ehemalige Kollegin, die ihre Wurzeln nach meinem Dafürhalten in Spanien haben dürfte. „Es ist besser, wenn uns niemand bemerkt.“

Um zwei, drei Ecken herum öffnete Rosi eine Tür und schob mich sanft in die Abstellkammer, die sich dahinter auftat. Sie selbst blieb auf dem Gang zurück. Offenbar wollte sie dort Schmiere stehen. „Herr Lessing?“, empfing mich eine verängstigt wirkende Frau mit langen blonden Haaren, die sie kunstvoll zusammengesteckt hatte. „So ist es“, bestätigte ich knapp. „Danke, dass Sie hier sind. Sie sind meine letzte Hoffnung.“ „Ich kann Ihnen nichts versprechen. Ich bin nur deshalb hier, weil ich von einer guten Freundin darum gebeten wurde.“ „Ich schätze es, wenn man ehrlich zu mir ist.“ Zweifelsohne fehlt mir jegliche Erfahrung, aber diese Frau machte bisher ganz gewiss keinen verwirrten Eindruck auf mich.

„Möglicherweise haben Sie bereits eines meiner Bücher gelesen“, begann sie noch recht verhalten. „Da muss ich Sie leider enttäuschen, aber ich habe mich natürlich über Sie kundig gemacht. Sie sind ledig und lebten während der letzten zwanzig Jahre sehr zurückgezogen auf Mallorca. Sie haben mehrere, teils recht explosive Bücher zum Banken und Investmentwesen geschrieben, in denen Sie einige mehr als brisante Machenschaften namhafter Vorstandsmitglieder führender Kredithäuser aufdeckten.“ „Ich sehe, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht“, lächelte mein Gegenüber gequält.

Irgendwie hatte ich mir eine erfolgreiche Buchautorin komplett anders vorgestellt. Die Frau, die von sich behauptete, Melanie Weber zu sein, war klein und zierlich, fast zerbrechlich. Die Sonne Mallorcas hatte einige Falten in ihrem Gesicht hinterlassen. Vor mir stand eine Persönlichkeit, die offenbar ohne jeglichen Schmuck und sonstige Kinkerlitzchen auskam. Wahrscheinlich legte sie ihr Augenmerk eher auf die wahren Werte, die sie in ihrem Inneren trug.

„Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich Sie von meiner Identität überzeugen kann. Da ich noch nicht lange in Deutschland lebe, habe ich hier weder einen Arzt noch irgendwelche sozialen Bindungen, die Ihnen bestätigen könnten, dass ich Melanie Weber bin.“ „Was ist mit Ihrem bisherigen Leben auf Mallorca? Sie müssen dort ja wohl auch gemeldet gewesen sein.“ „Das war ich natürlich auch. Auf Grund meiner Bücher und der mitunter recht brisanten Ermittlungen lebte ich dort allerdings unter dem Pseudonym Monika Ritter. Als diese habe ich auch gelegentlich ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Unter anderem musste ich mich in zahnärztliche Behandlung begeben.“ „Sie waren sicherlich bei einer Krankenkasse versichert“, stellte ich erleichtert fest. „Als Selbstständige war ich Selbstzahler. Auf Mallorca besteht nicht zwingend Versicherungspflicht. Die Behandlung liegt zwar schon einige Jahre zurück, aber auch wenn in Spanien einiges lockerer als in Deutschland gehandhabt wird, werden auch dort Befunde und Röntgenbilder über einen längeren Zeitraum aufbewahrt.“ „Dann müsste ich mich also am besten mit diesem Zahnarzt in Verbindung setzen. Der Name und die Anschrift sind Ihnen bekannt?“ „Doktor Gonzales in Santa Ponsa“, las sie von einem Zettel ab, den sie mir reichte.

Wegen Ihrer Bezahlung brauchen Sie sich keine Sorgen machen, Herr Lessing“, versprach meine potentielle Auftraggeberin. „Wenn Sie meine Identität nachweisen, honoriere ich Ihnen dies zu Ihrem normalen Honorar mit einem zusätzlichen Bonus.“ „Und wenn nicht?“ Melanie Weber zuckte mit den Achseln. „Berufsrisiko?“ „Na dann bleibt mir ja wohl nichts anderes übrig, als in Ihrer Sache erfolgreich zu sein“, ließ ich mich einmal mehr zu den Recherchen in einem mehr als undurchsichtigen Fall überreden.

„Zunächst stellt sich die Frage, was Sie herausgefunden haben? Es muss derart brisant sein, dass Sie einige Leute so sehr in Bedrängnis gebracht haben, dass diese nicht davor zurückschrecken, Sie auf eine so aufwendige Art aus dem Verkehr zu ziehen.“ Ich sprach die Gedanken aus, die ich mir bereits während der vergangenen Stunden gemacht hatte. „Es wäre sicherlich bedeutend einfacher gewesen, sie für immer zum Schweigen zu bringen.“ „Aber dann hätten diese Leute riskiert, dass ich bei irgendeinem Anwalt Papiere hinterlegt hätte, die bei meinem Ableben veröffentlicht worden wären“, führte Melanie an.

„Das ist nur zum Teil richtig. „Vergessen Sie nicht, dass man Sie durch ein Double ersetzt hat. Sie wären also offiziell am Leben. Wenn man Sie also ermordet hätte, wäre folglich nichts passiert. Ganz abgesehen davon hätte man mittlerweile die Gewissheit, dass von dieser Seite aus keine Gefahr besteht. Nein, nein, da muss es noch einen ganz anderen Grund geben“, überlegte ich fieberhaft. „Sie müssen bei Ihren Recherchen auf etwas gestoßen sein, was einen Erdrutsch auslösen würde, wenn es, auf welche Weise auch immer, bekannt würde. Die Angst davor und die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem Fall an höchster Stelle Köpfe rollen würden, hat sie hierher und nicht ins Grab gebracht.“

Hinter der Stirn meiner Auftraggeberin liefen die Synapsen heiß. „Ich bin Autorin und keine Agentin. Sicherlich gab es während der drei Monate meines Aufenthalts in dieser Klinik die eine oder andere Möglichkeit zur Flucht, aber was mache ich, wenn ich meine Freiheit zurückhabe? Wohin kann ich gehen? Werden mich die Leute, die mir meine Identität stahlen, dann nicht doch töten, weil ich dann eben doch ein zu großes Risiko für sie bin?“ Meine Auftraggeberin war den Tränen nahe. „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen wirklich vertrauen kann, aber offensichtlich habe ich keine andere Wahl.“ „Vergessen Sie nicht, dass Sie sich an mich wandten und nicht umgekehrt.“

Melanie Weber holte tief Luft. Ich merkte ihr deutlich an, wie schwer ihr der folgende Schritt fiel und wie groß die Angst sein musste, die es zu überwinden galt. „Sie haben Recht, Herr Lessing, es gibt da noch etwas, was ich bislang verschwieg.“ Ich horchte auf. „Auf Mallorca wurde mir ein USB Stick zugespielt. Er enthält etliche Namen und Auflistungen geheimer Konten“, erklärte sie. „Dieser Stick war ein Glücksfall für mich. Endlich konnte ich Ross und Reiter nennen, konnte beweisen, was bislang nur Gerüchte waren. Hinzu kam, dass mein Informant lediglich daran interessiert ist, die darauf enthaltenen Daten von mir veröffentlichen zu lassen.“

„Gestatten Sie mir eine Frage“, grübelte ich. „Kennen Sie diesen Informanten?“ „Nein, wir haben lediglich einmal miteinander telefoniert.“ Ich kombinierte und schloss aus den Begebenheiten. „Offenbar ist die Existenz des Sticks bekannt, jedoch nicht die Person ihres Urhebers. Was wiederum der Grund sein könnte, weshalb man Sie noch benötigt.“ Melanie Weber konnte mir nicht folgen. „Ich nehme an, dass sich diese Leute Ihrer in absehbarer Zeit bedienen werden, um Ihrem Informanten eine Falle zu stellen. Voraussetzung hierfür wäre allerdings, dass sich der Informant bei Ihrem Double meldet.“

Melanie Weber hatte mir eine mögliche Erklärung geliefert, aber restlos überzeugen konnte sie mich nicht. Ich fragte mich, weshalb ihre Widersacher das Risiko eingegangen waren und sie in der Psychiatrie parkten, anstatt sie an einem geheimen Ort so lange unter Verschluss zu halten, bis die Gefahr durch den ominösen Informanten gebannt war. Oder war ihr Aufenthalt in Königslutter gar nicht geplant? Obwohl ich davon überzeugt war, dass mehr dahinter steckte und mir die Salamitaktik meiner Auftraggeberin mächtig gegen den Strich ging, hatte ich Feuer gefangen. Ich fühlte mich wie ein Bluthund, der Fährte aufgenommen hatte und nun einfach nicht mehr davon ablassen konnte.

„Dann wäre es nun natürlich umso wichtiger, Ihren Informanten eher zu finden als die Leute, deren Existenz davon abhängt, dass diese Daten nie veröffentlicht werden“, griff ich den Faden wieder auf. „Dazu müsste ich wissen, wie oder wo ich ihn erreiche“, relativierte die Autorin. „Haben Sie wirklich nicht den kleinsten Anhaltspunkt, um wen es sich handelt?“, hakte ich nach. „Bitte denken Sie noch einmal ganz genau nach. Möglicherweise hat er Ihnen ja doch einen Hinweis gegeben, den Sie gar nicht als einen solchen gedeutet haben.“ „Glauben Sie mir, ich habe mir bereits mehr als einmal das Hirn dahingehend zermartert. Der USB Stick kam anonym mit der Post und das kurz darauf folgende Gespräch fand am Telefon statt.“ „Können Sie sich daran erinnern, wo das Päckchen aufgegeben wurde?“ „Ja sicher, in Hannover“, entgegnete sie wie selbstverständlich.

Es gibt Situationen, da fragt man sich, ob man sich über einen Hinweis freuen oder sich an den Kopf greifen sollte. „Sehen Sie, damit lässt sich doch schon etwas anfangen. Nun brauche ich nur noch den Stick.“ Melanie Weber sah mich mit großen Augen an. „Wenn Sie mir nicht vertrauen, können wir das Ganze auch an dieser Stelle abbrechen“, stellte ich unmissverständlich klar. „Der USB Stick liegt in einem Schließfach der Landessparkasse.“ Sie reichte mir einen Zettel, auf dem sie den Codenamen und die Nummer des Schließfaches notiert hatte. „Warum haben Sie den Stick nicht der Polizei übergeben?“ „Das Fach ist auf den Namen Melanie Weber angemeldet. Was ist, wenn sie behauptet, dass man ihr die Zugangsdaten für das Fach entwendet hat?“ „In diesem Fall würde der Stick dem rechtmäßigen Besitzer ausgehändigt.“ Ihre Erklärung war einleuchtend.

Mir kam ein Gedanke. „Gibt es für den Stick auch ein Codewort?“ „Ja“, nickte Melanie Weber trivial. „Hat man Sie während Ihrer Entführung danach gefragt?“ Die Autorin mimte die Ahnungslose. „In Ihrer Akte steht, dass Sie einen verwirrten Eindruck auf die Polizisten machten. Kann es sein, dass Sie unter Drogen gesetzt wurden, damit Sie den Verbrechern das Passwort verraten?“ „Ich weiß es nicht. Meine Erinnerungen an diese Tage sind ohnehin verschwommen.“ Ich überlegte fieberhaft. „Kann es sein, dass der Code nur der Erste von weiteren war, die folgen sollten? Liege ich da richtig?“ Melanie nickte.

Ich schlug mir mit der Faust in die Handfläche. „Natürlich, das ist es!“, fügte ich die Indizien zusammen. „Die Verbrecher, die Ihnen das alles angetan haben, wissen von dem Stick, so viel ist klar. Sie wissen von dem Informanten und sie wissen von dem Codewort. Wahrscheinlich wurde Ihr Telefon abgehört oder in Ihrem Haus wurden Wanzen installiert. Möglicherweise haben die Verbrecher den Datenträger längst gefunden, doch durch das erste Codewort kamen sie lediglich an den ersten Teil der darauf verschlüsselten Daten.“

Ich sah in die Augen meiner Auftraggeberin. „Bitte unterbrechen Sie mich, wenn ich auf der falschen Fährte bin.“ „Bislang könnte es so sein“, bestätigte die Autorin meinen Kombinationsfluss. „Aber wie kommen Sie darauf, dass die den Stick bereits haben?“ „Es gibt Drogen, unter deren Einfluss Sie einfach alles preisgeben würden, glauben Sie mir.“ Melanie Weber schien ernüchtert. Sie begriff allmählich die gesamte Tragweite.

„Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und behaupte, dass sich der Informant bereits bei Ihrem Double meldete. Wahrscheinlich wurde er misstrauisch und verweigerte ihrem Double das zweite Codewort.“ „Wieso sollte er misstrauisch geworden sein?“ „Vielleicht war es die Stimme, vielleicht fragte er nach irgendeinem Detail, welches nur Sie gewusst hätten? Keine Ahnung, aber dies würde erklären, weshalb Sie sich immer noch in der Psychiatrie und nicht auf dem Friedhof befinden.“

„Sorry, aber ich fürchte, Ihnen nicht folgen zu können.“ „Die wollen an den Informanten, um ihn aus dem Verkehr zu ziehen, so viel ist klar. Um ihn in eine Falle zu locken, lassen die durchblicken, wo Sie sich aufhalten. In der Hoffnung, dass Ihnen der Mann zur Hilfe kommt, wird man Sie unter Garantie überwachen, um im richtigen Moment zuzuschlagen. Wahrscheinlich bedient man sich sogar eines Angestellten, der diese Verbrecher über jeden Ihrer Schritte auf dem Laufenden hält.“ „Aber dann wären Sie ja auch in Gefahr“, schlussfolgerte Melanie Weber. „Das gehört zu meinem Job“, beruhigte ich meine Auftraggeberin.

„Nichtsdestotrotz sollten Sie jetzt zurück auf die Station gehen, ehe man Sie dort vermisst.“ „Okay“, schreckte die Autorin auf. „Danke, Herr Lessing. Bitte passen Sie auf sich auf.“ „Ich halte Sie auf dem Laufenden“, versprach ich. Auch wenn ich im Grunde nichts als einen Zettel hatte, auf dem ein Passwort und eine Nummer standen, die ebenso gut die Kombination eines Fahrradschlosses hätte sein können, sagte mir mein Bauchgefühl, dass ich es hier nicht mit einer psychisch Kranken zu tun hatte. „Halten Sie sich stets in der Nähe von Menschen auf, seien Sie misstrauisch und tun Sie nur so, als würden Sie brav Ihre Medikamente nehmen. Sie brauchen im Ernstfall einen klaren Kopf. Seien Sie versichert, die Medizin benötigen Sie ebenso wenig wie ich.“

Nachdem ich mich bei Trudes Freundin, Rosi Bravo, für ihre Hartnäckigkeit bedankt und ihr eingeschärft hatte, mit niemandem über die Sache zu sprechen, bat ich sie, die Augen offen zu halten. „Achten Sie bitte auf fremdes Personal und auf Angehörige anderer Patienten, die sich auffällig oder merkwürdig verhalten.“ Ich reichte ihr eine Karte, die lediglich mit meiner Handynummer bedruckt war. „Rufen Sie mich bitte an, wenn Sie etwas Verdächtiges beobachten.“ „Ist sie tatsächlich die bekannte Buchautorin?“ „Ich bin mir noch nicht sicher“, hielt ich mich bedeckt, „...aber wenn sie es ist, dann ist sie möglicherweise in Gefahr.“ Rosi Bravo hielt entsetzt die Hand vor den Mund. „Sie können sich auf mich verlassen.“

Ich war schon im Begriff, wieder durch die Kellertür zu verschwinden, als mich Trudes Freundin am Arm zurückhielt. „Wenn die Sache vorbei ist, könnten wir zwei hübschen ja eigentlich mal miteinander Essen gehen“, zwinkerte sie mir zu. „Das machen wir auf jeden Fall“, versprach ich, eilte die Treppe hinauf und verschwand über den Parkplatz, auf dem jetzt wieder der irre Mercedes mit den Flügeltüren parkte. Ich fragte mich, wie lange eine alte Frau dafür stricken müsste, dann sah ich auf meinen Skoda und war im Grunde meines Herzens zufrieden.

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Zugegeben, viel hatte ich nicht, aber eigentlich war es genau das, was mich an der Sache reizte. Da war auf der einen Seite diese hilflose, zugegeben recht attraktive Frau und niemand, der ihre Geschichte glauben wollte. Auf der anderen Seite stand offenbar eine mächtige und äußerst einflussreiche Organisation, die es verstand, die sogenannte freie Marktwirtschaft auf eine Weise zu ihren Gunsten auszunutzen, dass die Grenze der Maßlosigkeit bei weitem übertroffen wurde. Solchen Verbrechern haben wir es zu verdanken, dass Macht und Geld zu Gunsten eines mehr als geringen Teils der Menschheit verschoben sind.

Offenbar gab es einen Insider, der von solchen Machenschaften ebenso die Nase voll hatte wie ich. Nur, dass dieser Person allem Anschein nach nicht nur das Wissen um solche Transaktionen gegeben war, sondern auch die Möglichkeit hatte, an Belastungsmaterial zu gelangen. Folglich musste der Informant an der Quelle sitzen. Er war quasi ein Maulwurf. Ich musste mir bezüglich aller infrage kommenden Firmen, Banken und sonstiger Konsortien der Region ein Bild machen. Dazu brauchte ich unbedingt den Datenträger.

„Gab es während meiner Abwesenheit irgendetwas von Bedeutung?“, erkundigte ich mich nach meiner Rückkehr in die Detektei bei meiner Putzsekretärin. „Herr Doktor Börner rief vor einer guten Stunde an.“ „Hat er gesagt, worum es ging?“ „Besonders wichtig schien es nicht gewesen zu sein“, relativierte Trude. „Er wollte sich im Laufe des Nachmittags noch einmal melden.“ „Gut. Sonst noch etwas?“ Die gute Seele wog ihren Kopf hin und her. „Na ja, da hat noch jemand angerufen.“ Trude druckste herum. „Und, wollen Sie mir eventuell verraten, um wen es sich dabei handelte?“ „Ich habe den Namen des Herrn auch nach mehrfacher Nachfrage nicht verstanden. Wahrscheinlich war er einfach nur ein armer Spinner.“ „Der Mann muss doch etwas gesagt haben“, hakte ich nach. „Er meinte, er wäre ein Schamane und müsse mit Ihnen sprechen.“ Ich hob meine Hände beschwörend zum Himmel. „Ja sagen Sie das doch gleich“, raunzte ich Trude an, während ich stehenden Fußes in meinem Büro verschwand. Dummerweise achtete ich nicht darauf, die Tür hinter mir zu schließen. Stattdessen griff ich zum Telefon.

„Hallo, spreche ich mit Meister Ramires?“ Der Mann am Ende der Leitung ließ sich mit einer Antwort Zeit. Schließlich bestätigte er meine Annahme. „Gibt es Hoffnung?“, brachte ich unser Gespräch ohne lange Vorrede auf den entscheidenden Punkt meines Rückrufs. Der Schamane ließ mich auch jetzt eine gefühlte Ewigkeit im Unklaren, ehe er meine Frage mittels eines schlichten, aber bedeutungsvollem „Ja“ beantwortete. „Und Sie sind sich sicher, meine kleinen Helden motivieren zu können?“ „Ja.“

Wir verabredeten einen Termin für den nächsten Morgen. Bereits bei Sonnenaufgang sollte ich mich in Fümmelse einfinden. Schon einige Tage zuvor hatte ich dort ein Pröbchen meiner Manneskraft abgegeben. Nun sollte die Behandlung beginnen. Ich hatte das Gespräch kaum beendet, als sich Trude auch schon bemerkbar machte. Sie hatte offenbar hinter der geöffneten Tür gelauscht und konnte sich nun nicht länger zurückhalten.

„Also wenn Sie mich fragen, Chef, dann sollten Sie Ihr Geld für vernünftigere Dinge ausgeben, anstatt es einem solchen Scharlatan in den Rachen zu schmeißen.“ „Ich frage Sie aber nicht!“, entgegnete ich brüskiert. „Wie lange stehen Sie da eigentlich schon?“ „Lange genug, um das Elend mit anzuhören.“ Am liebsten wäre ich in das nächste Erdloch gekrochen. „Meinen Sie nicht auch, dass Ihnen ein wenig mehr Feingefühl gut zu Gesicht stehen würde?“ „Als Ihre Sekretärin in allen Lebenslagen gehört es zu meinen Aufgaben, Sie vor derartigen Dummheiten zu bewahren.“

Ich war mit meinem Latein am Ende. Die Peinlichkeit war heraus. Wie sollte ich meiner holden Putzsekretärin da noch erhobenen Hauptes entgegentreten? Da mich von Stund an Hohn und Spott begleiten würden, konnte ich auch mein angeschlagenes Selbstwertgefühl ignorieren und den Stier bei den Hörnern packen.“ „Wo Sie nun schon einmal mitbekommen haben, wie es um meine Gesundheit bestellt ist, haben Sie vielleicht eine Idee, wie sich da noch etwas bewirken lässt.“ Die gute Seele schien mein Problem mit gebotener Ernsthaftigkeit anzugehen. „Ich kümmere mich drum, versprach sie und verschwand.“

Miriam und ich hatten die Zeitspanne von einem Jahr verabredet, bis Sie sich, vereinfacht ausgedrückt, auf künstliche Weise von meinen altersschwachen Helden befruchten lassen wollte. Eine Vorstellung, die ich als gestandener Mann nur schwerlich ertragen konnte. Kein Wunder also, dass ich bereit war, jede auch noch so abwegige Möglichkeit auszuprobieren, um mein Gesicht zu wahren. Letztendlich konnte ich nur auf die Verschwiegenheit meiner Assistentin vertrauen und darauf hoffen, dass Trude eines ihrer oftmals hilfreichen Hausmittelchen aus Omas Zeiten entdeckt.

Bis dahin hieß es Ruhe bewahren. Auch wenn sich meine geliebte Staatsanwältin die größte Mühe gab, mich nicht unter Druck zu setzen, so bemerkte ich natürlich immer dann, wenn Miriam und ich an unserem Nachwuchswunsch arbeiteten, dass ihre Hoffnung auf einen Volltreffer von Mal zu Mal schrumpfte. Noch war dieser das Einzige, was schrumpfte, aber der ständige Gedanke daran und die selbst auferlegte Hürde, nur im Erfolgsfall in den gemeinsamen Bund der Ehe einzutreten, verfolgte mich bis in meine Träume. Träume, aus denen ich schweißgebadet und mit rasendem Blutdruck erwachte, weil sich meine Herrlichkeit immer weiter verflüchtigte.

-5-

Da ich nach einigem Suchen einen Parkplatz ganz in der Nähe meiner Detektei gefunden hatte und diesen nicht ohne Not wieder aufs Spiel setzen wollte, beschloss ich, die paar Meter zur Landessparkasse auf dem Holzmarkt auf Schusters Rappen zurückzulegen. Ich war sehr gespannt, ob man mir den Inhalt des Schließfachs ohne viel Tamtam aushändigen würde.

In Höhe des Bankhauses Seeliger traf ich auf den stellvertretenden Bürgermeister von Wolfenbüttel. „Hallo Leo“, begrüßte mich der sonore Herr, den ich während meiner Recherchen in einem zurückliegenden Fall kennengelernt hatte. Damals ging es um einen Einbruch in das Rathaus, bei dem das goldene Buch der Stadt gestohlen worden war.

Lessing 19 „Der Hasardeur“

„Hallo Heinz-Rainer, wir haben uns ja schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen“, erwiderte ich seinen Gruß. „Du hast mich vor einiger Zeit wegen der sehr unpassenden Toilettenanlage auf dem Kornmarkt angesprochen“, erinnerte er sich. „Bist du denn mittlerweile mit der Umgestaltung des Platzes zufrieden?“ „Dass du dich daran erinnerst“, zollte ich ihm Respekt. „Na hör mal, die Anliegen unserer Mitbürger liegen mir doch am Herzen.“ „Fehlt nur noch, dass du nun noch behauptest, den Kornmarkt nur wegen mir umgebaut zu haben.“ „Aber natürlich“, lachte Heinz-Rainer jovial.

Ich war so sehr mit meinem Bekannten beschäftigt, dass mir die neugierigen Blicke eines Mannes verborgen blieben, der sich ganz in der Nähe des Eingangs zur Herzoglichen Manufaktur aufhielt. Der betont lässig gekleidete Mann mit den schwarzen Sneakers hielt genügend Abstand, um meine Aufmerksamkeit nicht zu erregen. Ein Profi, der mir im Anschluss durch die halbe Fußgängerzone bis zur Bank folgte, ohne sich dabei auffällig zu benehmen.

„Ich wusste gar nicht, dass Sie über ein Bankschließfach in unserem Haus verfügen, Herr Lessing“, zeigte sich die Dame am Empfang überrascht. „Das Schließfach ist ja auch auf eine Bekannte angemeldet. Ich soll lediglich etwas für Frau Weber abholen.“ „Dann hoffe ich, Sie verfügen über den Schlüssel und den entsprechenden Code.“ „Selbstverständlich“, reagierte ich gelassen. Kurz darauf zog sich die Bankangestellte diskret zurück. Offen gesagt hatte ich einen nicht ganz so unkomplizierten Umgang erwartet.

Einen Blick in das obere der beiden Kuverts, die sich in der Blechschachtel befanden, machte deutlich, dass meine Auftraggeberin die Wahrheit gesagt hatte. Ich entnahm dem kleineren den USB Stick und warf einen Blick in das zweite Kuvert, in dem sich einige Papiere befanden. Möglicherweise gab es eine Möglichkeit, durch sie die Identität der Autorin nachzuweisen. Nach ihrem kurzen Studium war klar, dass mir die Unterlagen nicht weiterhelfen konnten. Ich schob die Kassette zurück und die Bankangestellte verschloss das Schließfach. „Ich hoffe, alles ist zu Ihrer Zufriedenheit?“, erkundigte sich die aufmerksame Dame. „Ja, vielen Dank.“

Da ich einer der letzten Kunden war und die Eingangstür der Bank bereits geschlossen war, ließ mich die freundliche Angestellte durch den Seiteneingang zum Michael Praetorius Platz hinaus. Mein Glück, wie ich im nächsten Moment feststellte. Die beiden Männer in dem dort geparkten schwarzen Geländewagen waren nicht minder überrascht, als ich es war, als ich plötzlich direkt vor ihnen stand,. Mein geübter Blick fiel auf die Schusswaffen, die sie just in diesem Moment einstecken wollten. Als sie erkannten, dass ich die Situation sofort erfasst hatte und die hinter mir noch nicht wieder ganz geschlossene Tür zum Entsetzen der Bankangestellten wieder aufdrückte, versuchten sie mir nachzusetzen.

Die schwere Glastür schlug zurück und traf die völlig überrumpelte Frau vor der Brust. Sie schrie schmerzvoll auf, verlor das Gleichgewicht, kippte um und blockierte die Tür. Der verbliebene Spalt reichte mir somit nicht aus, um wieder in das Innere der Bank zurück zu gelangen. Geistesgegenwärtig warf ich den Umschlag mit dem USB Stick durch den Spalt und zog die Tür ins Schloss. Denn eines war mir sofort klar. Es konnte um nichts anderes als um den Datenträger gehen. Ohne ihn war ich für die Männer wertlos.

Das sahen diese offensichtlich ebenso. Nachdem sie mitbekamen, dass ich ihre Beute in für sie unerreichbare Ferne gebracht hatte, sahen sie sich konsterniert an. Als sich nun auch die Bankangestellte wieder aufrappelte und ich ihr zurief, dass sie die Polizei alarmieren solle, brachen sie ihr Vorhaben ab. Abgesehen davon hatten sie bereits für mehr Wirbel gesorgt, als es ihnen und vor allem ihrem Auftraggeber lieb sein durfte. Ein weiteres Kriterium für die Männer, so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Ich hatte wieder einmal mehr Glück als Verstand.

Als die Polizeibeamten kurz darauf eintrafen, waren die Männer samt Geländewagen längst über alle Berge. Die aufgrund meiner Täterbeschreibung und der Angabe des Kennzeichens sofort eingeleitete Nahbereichsfahndung blieb erfolglos. Die verletzte Bankangestellte wurde mittlerweile durch einen Notarzt versorgt. Der Umschlag mit dem Stick befand sich wieder in meinem Besitz. „Die Männer hatten es offenbar ganz gezielt auf Sie abgesehen, Herr Lessing“, befand Polizeioberkommissar Gundlach. „Sieht ganz so aus“, stimmte ich ihm notgedrungen zu. „Bitte erklären Sie mir das.“ Ich zuckte mit den Achseln. „Im Grunde ist bei mir nicht viel zu holen. Die Typen müssen einer Fehlinformation aufgesessen sein.“

Gundlach sah mich mehr als kritisch an. Ich hatte das Gefühl, dass er mir kein Wort glaubte. „Ich werde nicht so recht schlau aus der Sache“, verzog der Beamte ungläubig das Gesicht. „Den Schusswaffen zufolge muss es sich offensichtlich um schwere Jungs gehandelt haben. Weshalb brechen die den Überfall einfach so ab? Die hätten doch allemal genug Zeit gehabt, um Sie noch in aller Ruhe auszurauben.“ „Vielleicht wurde ihnen in diesem Moment bewusst, dass ich der Falsche war“, gab ich mich ahnungslos. „Sie sind Privatermittler“, rümpfte Gundlach die Nase. „Ich bin mir sicher, dass die Sache etwas mit Ihrem Job zu tun hat. Ich kann nur hoffen, dass Sie keinerlei Informationen zurückhalten.“

Natürlich hätte ich dem Polizeioberkommissar reinen Wein einschenken können, aber aufgrund der Art und Weise, in der man meiner Auftraggeberin nach ihrem Hilfeersuchen mitgespielt hatte, hielt ich es für sinnvoller, der Polizei nichts von der Existenz des Datenträgers mitzuteilen. Immerhin hatte ich das Eigentum der vermeintlich legitimen Melanie Weber und somit der rechtmäßigen Besitzerin aus dem Schließfach entwendet. Für mich war dies der letzte Beweis für die Identität meiner Klientin.

„Wo denken Sie hin, Herr Oberkommissar. Ich würde doch meine Zulassung nicht aufs Spiel setzen.“ „Also schön, dann will ich Ihnen fürs erste Mal glauben, aber seien Sie versichert, dass ich Sie im Auge behalten werde“, gab mir der Polizeibeamte seinen Argwohn unmissverständlich zu verstehen. Da er mir jedoch nicht das Gegenteil nachweisen konnte, musste er mich schweren Herzens ziehen lassen.

Sowohl auf dem Weg zur Detektei als auch bevor ich mein Büro betrat, achtete ich akribisch auf jede Ungewöhnlichkeit, denn eines war nun mehr als deutlich, ich befand mich bereits im Visier der Verbrecher. Um sicher zu gehen, dass alles in Ordnung war, rief ich Trude an. Für den Fall, dass in der Detektei irgendetwas vor sich ging, was Gefahr bedeutete, hätte sie ein mit mir verabredetes Codewort genannt. Dem war gottlob nicht so. Offenbar hatten die Herrschaften durch den Polizeieinsatz kalte Füße bekommen und sich fürs Erste zurückgezogen. Was für den Moment beruhigend war, aber bei Leibe kein Grund zur Entwarnung gab.

„Gab es während meiner Abwesenheit irgendetwas Ungewöhnliches?“, fragte ich meine Putzsekretärin. Die sah mich irritiert an. „Was soll denn sein?“ Nachdem ich Trude über die Vorfälle informiert hatte, war sie erleichtert, dass ich unverletzt geblieben war. „Wir müssen vorsichtig sein“, mahnte ich. „Ich weiß nicht, zu was diese Leute fähig sind. Da den Verbrechern offensichtlich bekannt ist, dass ich für Frau Weber arbeite und nun im Besitz des USB Sticks bin, werden sie alles daran setzen, um uns diesen wieder abzujagen.“ „Es tut mir so leid, Chef“, machte Trude ein betrübtes Gesicht. „Wenn ich Sie nicht darum gebeten hätte...“ „So einen Blödsinn dürfen Sie gar nicht erst denken, Trudchen. Ich habe selbst entschieden, den Fall zu übernehmen.“

Meine Putzsekretärin atmete tief durch. „Es stellt sich nun die Frage, wie mir die Typen auf die Spur kamen“, überlegte ich. „Im Grunde gibt es nur die Möglichkeit, dass ich bei meinem Besuch in Königslutter beobachtet wurde.“ „Wenn dem so ist, könnte Frau Weber ebenfalls in Gefahr sein“, überlegte Trude. „Das glaube ich nicht“, widersprach ich, weil meine Auftraggeberin und ich der Meinung waren, dass sie dort als eine Art Lockvogel fungieren sollte. Mir war nur noch nicht klar, weshalb mir die Typen den Datenträger abjagen wollten. Sollten sie entgegen unserer Annahme doch noch nicht im Besitz des zweiten USB Sticks sein?

Die ganzen Mutmaßungen wurden mir allmählich zu viel. Ich musste endlich Fakten schaffen. Die offensichtlich einzige Möglichkeit, in dieser Sache voranzukommen, war die Sichtung der auf dem Stick abgespeicherten Daten. So brillant Trude am Computer auch war, mit den Namen und Zahlen, die ich auf dem Datenträger erwartete, konnte sie beim besten Willen nichts anfangen. Dafür brauchte ich einen Spezialisten. Aus meiner Zeit als Hauptkommissar bei der Braunschweiger Kripo kannte ich einen total verrückten Hacker, der sein Können gelegentlich in die Dienste der Staatsmacht stellte.

„Sie kümmern sich jetzt zuallererst darum, die Identität unserer Auftraggeberin zu beweisen. Melanie Weber lebte bis vor kurzem auf Mallorca unter dem Pseudonym Monika Ritter. Als solche hat sie in Santa Ponsa gelebt und unter anderem auch einen Zahnarzt mit dem Namen Gonzales aufgesucht. Finden Sie bitte heraus, ob sie bei ihm in Behandlung war und versuchen sie bitte einen Zahnabgleich zu bekommen.“ „Geht klar, Chef.“ Ich reichte ihr den USB Stick. Vorher machen Sie mir hiervon bitte eine Kopie.“ „Kein Problem.“ „Übrigens fällt mir gerade ein, dass Frau Weber auf Mallorca sicherlich motorisiert war. Möglicherweise hielt sich unsere Klientin ja nicht immer an die Geschwindigkeitsvorschriften.“ „Ah, ich verstehe“, lächelte Trude. „So ein Blitzerfoto könnte ein Beweismittel sein. Abgesehen davon hat sie ihren Wagen, oder was auch immer, ja auch versichern müssen.“ „Gute Idee“, lobte ich. „Vielleicht finden Sie ja irgendetwas.“

„Noch etwas, Trude. Ich weiß nicht, wie weit die Leute gehen würden, um an die Daten auf diesem Stick zu gelangen, aber ich fürchte, es könnte auch für uns gefährlich werden. Wenn Sie lieber von zuhause arbeiten wollen, dann können wir die Detektei auch so lange dicht machen.“ Meine Putzsekretärin sah mich entsetzt an. „Das ist ja wohl nicht Ihr Ernst. Gerade jetzt, wo wir gut zu tun haben und Axel endlich Spaß an der Arbeit gefunden hat, geht das gar nicht.“ „Dann versprechen Sie mir aber auf jeden Fall vorsichtig zu sein“, mahnte ich. „Na klar, versprochen.“

-6-

„Das darf doch alles nicht wahr sein! Habe ich es hier denn nur mit Dilettanten zu tun?“ Heinz Schacher tobte, als sein Sicherheitspersonal den missglückten Überfall beichtete. „Geht mir aus den Augen!“ Die Männer verließen betreten den Raum. „Das geht so nicht weiter“, wandte sich der Spekulant seinem Partner zu. „Sind denn deine Spezialisten mit der Entschlüsselung dieses verfluchten USB Sticks immer noch nicht vorangekommen?“ „Wer auch immer die Dateien gesichert hat, verstand etwas davon“, räumte Hektor Wolf ein. Der Chef einer internationalen Immobilienverwaltung zeigte sich dennoch zuversichtlich. „Es ist aber sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis wir so weit sind.“ „Genau die haben wir aber nicht!“, konterte Schacher. „Um größeren Schaden abzuwenden, müssen wir so schnell wie möglich herausfinden, was wirklich auf dem Datenträger abgespeichert ist.“ „Das sehe ich ebenso.“

„Wir sollten unsere Strategie überdenken“, schlug der Mann hinter dem Schreibtisch vor. „Uns wird nichts anderes übrig bleiben“, stimmte Wolf zu. „Wenn wir darauf warten wollen, bis sich der Kerl mit der falschen Melanie Weber in Verbindung setzt, sitzen wir wahrscheinlich schon hinter schwedischen Gardinen.“ „Was schlägst du also vor, Heinz?“ „Zunächst sollten wir herausfinden, ob auf dem Stick, den dieser Detektiv an sich gebracht hat, die gleichen Dateien sind, wie auf unserem. Es ist mir ohnehin ein Rätsel, wie sich diese Autorin an ihn wenden konnte.“ „Offenbar ist unser Mann in der Klinik nicht sehr zuverlässig“, resümierte Hektor Wolf. „Das kommt davon, wenn man mit Amateuren arbeitet“, warf ihm der Mann hinter dem Schreibtisch vor. „Wir müssen jetzt Nägel mit Köpfen machen“, schlug er mit der Faust auf die Tischplatte. „Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir diese verdammte Autorin für immer zum Schweigen bringen müssen. Es war eine Schnapsidee, sie lediglich in der Klapse zu parken, um im Bedarfsfall auf sie zurückgreifen zu können. Jetzt haben wir den Salat.“ „Jetzt weiß ich es auch.“

Heinz Schacher walzte sich aus seinem Chefsessel XXL, um seinen massigen Körper zur Bar zu schieben. „Ich habe bereits erste Vorkehrungen getroffen“, erklärte er, während er sich einen Whisky einschenkte. „Da diese Autorin offenbar ebenso wenig alle nötigen Codes kennt und sich der Verräter während der letzten Monate nicht an die falsche Melanie Weber wandte, um sich mit ihr zu treffen, stellt die echte Melanie Weber nun nur noch ein Risiko dar. Du wirst deine Mitarbeiterin besser anweisen, schnellstmöglich sämtliche Spuren, die auf diese Autorin hindeuten könnten, zu vernichten, das Haus zu verkaufen und als Melanie Weber zurück nach Mallorca zu gehen. Gleichzeitig werden wir die echte Autorin für immer aus dem Verkehr ziehen.“

Hektor Wolf war im Grunde seines Herzens ein eher feinfühliger Mensch, dem Gewalt fremd und Intrigen ein Dorn im Auge waren, aber wenn es darum ging, sein Imperium zu schützen, konnte auch er recht erfinderisch werden. „Wenn du meinst, das Zepter des Handelns in deine Hand nehmen zu müssen, musst du es tun.“ „Du warst schon immer zu weich für unser Geschäft“, runzelte der Dicke mit der Stirn. „Mag sein, aber dafür klebt bislang kein Tropfen Blut an meinen Händen.“

-7-

„Leo Lessing?“, erkannte mich Jack sofort. „Das gibt es ja gar nicht. Wir haben uns ja schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.“ Das Stammcafé des Computerfreaks war nach wie vor das gleiche. „Ja, ist schon eine ganze Weile her.“ Wir begrüßten uns nach alter Sitte, indem wir unsere Hände in aufrechter Weise ineinander schlugen und uns dann an den Schultern berührten. „Setz dich zu mir“, bat mir Jack einen Platz an seinem Tisch an. Ich kam seiner Einladung nach und bestellte mir einen Cappuccino.

„Was macht die Kunst, Alter? Ich habe von deinem Abgang bei der Kripo gehört. Respekt!“ „Ein Mann muss tun, was er tun muss“, entgegnete ich geläutert. „Und was soll ich für dich tun?“, hatte mich Jack durchschaut. „Es geht um einen USB Stick, der mittels verschiedener Codes gesichert ist.“ „Und ich soll ihn für dich knacken?“ „Für eine der Dateien besitze ich bereits ein Passwort. Die anderen sind noch verschlüsselt.“ Jack sah sich nervös um. „Es ist besser, wenn wir unser Gespräch an einem anderen Ort fortsetzen.“ Die plötzliche Hektik des sonst so coolen Hackers war offensichtlich.

„Wir treffen uns in einer halben Stunde am Reiter vor den Schlossarkaden. Achte darauf, ob mir oder dir jemand folgt.“ Mit diesen Worten verschwand er. Es lag auf der Hand, dass in der Szene bereits über die Sache getuschelt wurde. Jack hatte nicht umsonst derart erschrocken reagiert, als ich von dem Stick sprach.

„Bist du sicher, dass dir niemand gefolgt ist?“, empfing er mich zur verabredeten Zeit am Reiterdenkmal. „Nun, dieser Treffpunkt ist alles andere als ideal, um genau dies auszuschließen. Ich schlage vor, wir begeben uns von hier aus ins Parkhaus. Ich habe meinen Wagen auf der dritten Ebene, Stellplatz 22A stehen. Falls dir jemand folgt, werde ich es bemerken.“ Jack stimmte mir zu und ging voraus.

Nach einer Odyssee durch die halbe Stadt landeten wir letztendlich auf dem Innenhof einer stillgelegten Fabrik. „Was um alles in der Welt willst du denn nun hier?“, riss mir allmählich der Geduldsfaden. „Fahr da rein“, deutete der Hacker auf die Einfahrt zu einer der Hallen. „Wenn ich mir hier einen Platten fahre, schicke ich dir die Rechnung, mein Freund“, folgte ich seiner Anweisung eher widerwillig.

„Und nun?“, sah ich mich um, nachdem Jack das große Tor hinter uns geschlossen hatte. „Warts ab, Alter.“ Ich hasste es, wenn man Alter zu mir sagte. Ein Lastenaufzug beförderte uns in den gemauerten, mehrstöckigen Bereich der Halle. „Wieso funktioniert hier noch der Strom?“ „Das möchtest du nicht wirklich wissen“, entgegnete Jack grinsend. Er hatte Recht. Nachdem der Aufzug die oberste Etage erreicht und sich die beiden Blechtüren auseinandergeschoben hatten, ließ er eine einladende Handbewegung folgen. „Willkommen in meinem Domizil.“

Ich staunte nicht schlecht. Jack hatte sich in diesem alten Gemäuer eine Residenz geschaffen, die niemand an einem solchen Ort vermuten würde. Auf mehreren aneinandergereihten Tischen standen ein halbes Dutzend Monitore und mehrere Computer, Drucker und anderes Equipment. Abgeteilt hinter Vorhängen befanden sich Küche und ein Bett. „Und wo gehst du aufs Klo?“, hakte ich skeptisch nach. Jack deutete auf einen Flur, der das ehemalige Großraumbüro mit dem wahrscheinlichen Rest des Verwaltungsgebäudes verband. „Na, was sagst du?“ „Nicht schlecht“, zollte ich ehrlichen Respekt.

Ich flegelte mich in eine abgewetzte Couch und legte lässig die Beine auf den davor stehenden Tisch. „Im gleichen Moment erschrak ich, weil mir eine Katze in den Schoss sprang. „Das ist Jerry“, machte uns Jack bekannt. Wir teilen uns das Loft. Die Couch ist ihr Lieblingsplatz.“ „Hallo Jerry.“ Und nun würde mich interessieren, weshalb du fast aus den Pantinen gekippt wärst, als ich von dem Stick sprach.“ „Weil ich meinen braungebrannten Hintern darauf verwetten möchte, dass du von genau dem Datenträger gequatscht hast, von dem seit einigen Tagen in der Szene die Rede ist.“

Ich horchte auf. „Welche Gerüchte grassieren denn da?“ „Es soll sich um hochsensible Wirtschaftsdaten handeln, die bei dessen Bekanntwerden einige Köpfe ins Rollen brächten.“ „Da hat sich offenbar Jemand viel Mühe gemacht, die darauf enthaltenen Daten zu sichern und nun streut wahrscheinlich genau dieser jemand gezielt Gerüchte“, überlegte ich. „Wie kommst du darauf, dass der Urheber der Daten selbst die Infos gestreut hat?“, verstand Jack die Zusammenhänge nicht. „Ist doch logisch. Auf diese Weise will er Aufmerksamkeit verbreiten, ohne selbst in Erscheinung treten zu müssen.“ „Verstehe.“

„Was ist nun, hast du Interesse?“, brachte ich die Sache auf den Punkt. Jack zögerte. Er war sich durchaus bewusst, dass es gefährlich für ihn werden konnte, wenn er sich in die Sache hineinziehen lassen würde, denn die Gerüchte sprachen auch von mafiösen Strukturen, die hinter diesen Daten standen. Ich spürte seine Bedenken. „Offenbar habe ich deine Fähigkeiten überschätzt“, versuchte ich Jack bei dessen Hackerehre zu packen. „Ich hätte wissen müssen, dass die Sache zwei Nummern zu groß für dich ist. Am besten werde ich damit zu Calypso gehen. Vielleicht will der sich ja die Kohle verdienen.“ „Jetzt hör schon auf“, platzte ihm der Kragen. „Ausgerechnet dieser Stümper! Von Geld hattest du bislang auch noch nicht gesprochen.“ „Es versteht sich jawohl von selbst, dass du dir nicht für lau den Hintern breit sitzen sollst“, machte ich ihm deutlich.

Mein Schachzug, Jacks größten Widersacher ins Spiel zu bringen, hatte meinen Freund offenbar zum Umdenken bewogen. „Also gut, ich mache es, aber ich will nichts von dem Wissen, was sich auf dem Stick befindet.“ „Wenn es dich besser schlafen lässt“, zuckte ich mit den Achseln. Jack kappte sämtliche Leitungen, mit denen er online war und stöpselte den Datenträger an. Kurz darauf erschien der erste Ordner, für den Melanie Weber bereits ein Passwort erhalten hatte. Jack gab es ein und druckte die daraufhin sichtbar werdenden Namen und Zahlen für mich aus. „Soll ich mich bei dir melden, wenn ich die restlichen Dateien entschlüsselt habe?“ „Nein, es ist besser, wenn ich mich bei dir melde.“ „Bis dahin zu keinem ein Wort“, mahnte ich. „Meinst du, ich bin bescheuert?“

 

 

 

 

 

 

Ende der Leseprobe