Detektei Lessing

 

Die linke Hand des Todes

 

 

 

-1-

 

„So Manfred, es ist so weit. Dein großer Tag ist gekommen. Ich hoffe, du kommst in Zukunft ohne uns aus.“ Manfred Peters zwinkerte dem bärtigen Schließer gut gelaunt zu. „Was willst du von mir hören?“, erwiderte er schließlich grinsend. „Dass ich das gute Essen vermissen werde, oder gar die freundliche Bedienung?“ Der Bärtige ließ sich zu einem schiefen Grinsen verleiten. „Ich werde zumindest die Abende vermissen, an denen wir stundenlang Schach miteinander spielten.“ „Stimmt, aber vielleicht komme ich dich ja privat mal besuchen.“ „Meine Frau und ich würden uns freuen.“ Manfred Peters seufzte, während er seine Hand auf die Schulter des Schließers legte. „Danke, danke für alles, Horst.“

Die Männer gingen gemeinsam durch die Gänge der Justizvollzugsanstalt Hannover. Die Gefangenen, die ihnen auf ihrem Weg zur Kleiderkammer begegneten, schlugen Manni kameradschaftlich auf die Schulter, um sich von ihrem Kumpel zu verabschieden. Die Szene wirkte weniger wie aus dem Knast als aus einer riesigen Wohngemeinschaft. Der ehemalige Chef einer Baufirma war mit seinen Mithäftlingen gut ausgekommen. Einigen hatte er nach ihrer Entlassung sogar einen Job in Aussicht gestellt.

Der Beamte in der Kleiderkammer reichte ihm den Anzug, den er damals bei seiner Verhaftung trug und endlich auch wieder die bequemen Schuhe mit den Schnürsenkeln, auf die er so lange verzichten musste. Daneben stellte der Beamte ein Schälchen mit den Wertsachen ab, die Manfred bei seiner Inhaftierung bei sich hatte. Er sah seine Brieftasche durch, zählte die Barschaft und begutachtete die verschiedenen Kreditkarten, wobei er sich fragte, ob sie noch Gültigkeit besaßen. „Eine Armbanduhr, Marke Rolex, ein Ehering und ein Siegelring“, las der Beamte von einem Zettel ab, den er Manfred schließlich zur Unterschrift vorlegte.

„Alles vollzählig?“, fragte er abwartend. Manni nickte und kritzelte seinen Namen in das dafür vorgesehene Feld. „Sie können sich da vorn umziehen“, deutete der Mann hinter dem Tresen auf eine Kabine am Ende des Vorzimmers. „Okay“, räusperte sich der Bärtige. „Ich muss wieder zurück. Für dich alles Gute da draußen. Lass dich nicht unterkriegen und melde dich mal. Meine Telefonnummer hast du ja.“ Die Männer schüttelten sich die Hände und lächelten einander zu. „Ist versprochen“, bekräftigte Manni. Der Schließer schob seine Magnetkarte in das Lesegerät in der Tür. Drückte sie auf und wandte sich noch einmal Manfred zu. „Dreh dich nicht um und sieh nicht zurück, wenn du gehst, sonst sehen wir uns schneller wieder als es dir lieb ist.“ „Manni winkte ab. „Du mit deinem Aberglauben.“

„Ist ja kaum zu glauben“, ereiferte sich der Beamte hinter dem Tresen, als Manfred Peters in seinem Anzug vor ihn trat. „Tja, Kleider machen eben Leute.“ Der Bauunternehmer schüttelte den Kopf. „Wenn ich eines hier drinnen gelernt habe, dann, dass genau dies ein Trugschluss ist.“ „Wie auch immer, ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Glück für Ihr weiteres Leben.“ „Danke.“ Der Kleiderwart wies ihm den Weg zur Kasse und drückte auf den Türöffner.

Dreihundertsechsundachtzig Euro und zwanzig Cent bekam Manfred Peters für seine Arbeit in der Schlosserei ausgezahlt. Da er sich im Gefängnis das Rauchen abgewöhnt hatte, war eine für Knastverhältnisse ordentliche Summe zusammengekommen. „Nachzählen und unterschreiben“, befahl der Kassenwart im normalen Ton einer Haftanstalt. Geld und Quittung wechselten die Seiten der Glasscheibe. „Ihre Entlassungspapiere erhalten Sie beim Pförtner“, erklärte er knapp, bevor er sich irgendwelcher Schreibarbeit zuwandte. „Also dann“, brummte Manfred, „auf Nimmerwiedersehen.“

Mit einem lauten Krachen fiel die schwere Stahltür hinter ihm ins Schloss. Manni ging einige Schritte, wobei er an die mahnenden Worte des Bärtigen dachte: „Dreh dich nicht um.“ Aberglaube, nichts als Einbildung , sagte er sich, blieb unvermittelt stehen und drehte sich um. Hierher bringen mich keine zehn Pferde mehr, schwor er sich, so oder so nicht! Dann setzte er seinen Weg in Richtung Hainholz fort.

Er hatte nicht wirklich damit gerechnet abgeholt zu werden, aber ein wenig hatte er schon darauf gehofft. Nur ein einziges Mal während seiner Inhaftierung war Jennifer zu Besuch gekommen, und auch nur, um ihm ihren Entschluss mitzuteilen, sich von ihm zu trennen. Wenigstens hatte sie so viel Anstand besessen, es ihm ins Gesicht zu sagen. Er konnte ihr deswegen noch nicht einmal böse sein, hatte er sich das Ganze durch seine Unbeherrschtheit doch selber eingebrockt. Was er ihr übel nahm, war die Tatsache, dass sie ihm ihre gemeinsame Tochter entfremdet hatte. Melissa war sein Ein und Alles, aber das interessierte den Familienrichter nicht, als er Jennifer das alleinige Sorgerecht zusprach. Die beklemmende Situation einer Haftanstalt wäre für die Fünfjährige eine unzumutbare Belastung, argumentierte die Frau, die er einmal über alles liebte. Wie es in Melissa aussah, wurde dabei völlig außer Acht gelassen. Manni war sich sicher, wenn es nach seinem Sonnenschein gegangen wäre, hätte sie ihren Papa sicher gern besucht.

Tränen standen in seinen Augen, als er in Höhe Kabelkamp ein vorbeifahrendes Taxi stoppte. Er stieg ein und ließ sich auf der Rückbank nieder. „Zum Bahnhof bitte.“ Der weiße Mercedes rollte an und fädelte in den fließenden Verkehr ein. „Darf ich fragen, ob Sie sich geschäftlich in unserer schönen Stadt aufhalten?“, fragte die junge Frau hinter dem Steuer. „Dürfen Sie, aber ich muss Sie enttäuschen“, antwortete Manfred gelassen. „Ich komme geradewegs aus dem Gefängnis, wo ich wegen schwerer Körperverletzung eine Haftstrafe verbüßt habe und nun möchte ich nur noch nach Hause.“ Doch noch während er den Satz aussprach, fragte er sich, wo eigentlich sein Zuhause war. Das Haus hatte er bei der Scheidung im Rahmen des Vermögensausgleichs seiner Frau überlassen. „Entschuldigung, ich wusste ja nicht…“ „Ist schon gut, ich bin ja schon froh, dass man es mir nicht gleich ansieht.“ „Wissen Sie, ich habe schon so manchen nach seiner Entlassung in die Stadt gefahren, aber Sie sind der Erste, der so offen mit seiner Vergangenheit umgeht.“ „Sollte man sich nicht den Dingen stellen?“, fragte der Mann im Fond. „ Wenn du die Wahrheit für dich behältst, wird sie giftig , pflegt meine Mutter immer zu sagen.“ „Ihre Mutter ist eine kluge Frau“ „Das ist sie“, nickte die Chauffeurin, während sie das Taxi in die Bahnhofsallee lenkte.

„So, da wären wir.“ „Was bin ich Ihnen schuldig?“ „Nichts, ich wünsche Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute.“ „Aber das geht doch nicht.“ „Betrachten Sie es als meinen kleinen Beitrag für Ihren Start in eine bessere Zukunft.“ Manni war gerührt. War dies wirklich der Weg, den er beibehalten sollte? Ein völlig neues Gefühl machte sich in ihm breit. Ein scheinbar leichtes Gefühl von Ehrlichkeit, die er sich als Unternehmer niemals hatte leisten können. „Ich danke Ihnen, vielleicht führt uns das Schicksal ja wieder zusammen, dann werde ich mich revanchieren.“ „Schön, überlassen wir es also der Vorsehung.“

Einige Stunden später sah er die ersten Häuser seiner Heimatstadt am Horizont auftauchen. Manfred Peters war in Wolfenbüttel geboren und er konnte sich beim besten Willen keinen anderen Ort vorstellen, an dem er noch einmal von vorne anfangen wollte. Hier hatte er seine Freunde, hier kannte er jeden Stein, nur hier hatte er dieses eigentümliche Gefühl der Geborgenheit, das Gefühl daheim zu sein.

 

-2-

 

„Du kannst dort nicht einfach auftauchen und so tun als sei nichts geschehen. Es sind mehr als zwei Jahre vergangen.“ „Zwei Jahre und drei Monate, in denen mich dieses Miststück nur ein einziges Mal besuchte, um mir zu sagen, dass sie die Scheidung wollte. Ich könnte sie unangespitzt in den Boden rammen.“ „Das lass mal nicht den Verkehrten hören“, mahnte der einzige Freund, der ihm geblieben war. Gernot Schmieding war schon mit ihm auf das Gymnasium am Rosenwall gegangen. Er war es auch gewesen, der Manni die Augen über seinen Teilhaber geöffnet hatte. „Wenn ich damals geahnt hätte, dass du gleich ausrastest, als ich dir von den miesen Geschäften deines Partners erzählt habe, hätte ich dich sicher keine Minute aus den Augen gelassen.“ Manni legte die Hand auf die Schulter seines Freundes. „Du bist gewiss der Letzte, der sich deswegen Gedanken machen müsste.“

„Ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll“, druckste Gernot herum. „Es gibt da noch etwas, was ich dir sagen sollte. Aber versprich mir, dass du nicht gleich wieder ausflippst.“ „Ist es wegen der Firma? Da brauchst du dir keine Gedanken zu machen“, winkte Manni ab. „Ich lasse mich von Kessler auszahlen und baue mir irgendwo anders eine neue Existenz auf.“ „Deine Firma gibt es nicht mehr. Kessler hat sie soweit heruntergewirtschaftet, bis sie einen Fall für den Konkursrichter war. Deine Frau hat sie dann für einen Appel und n´ Ei ersteigert und Kessler als Geschäftsführer eingesetzt.“ „Meine Güte, Gernot“, fuhr Manni seinen Freund erregt an, „Warum hast du mir denn das nicht früher gesagt?“ Der hagere Mann mit der Halbglatze schluckte trocken. „Das ist leider noch nicht alles.“ „Was kommt denn nun noch?“ „Dein ehemaliger Teilhaber ist inzwischen in dein ehemaliges Haus eingezogen und schläft mit deiner ehemaligen Frau.“

„Manni reagierte völlig anders als von seinem Freund erwartet. Er sprang auf und lachte aus Leibeskräften. „Und wahrscheinlich sagt meine ehemalige Tochter inzwischen Papa zu diesem Schwein! Ich hätte dem Mistkerl damals die Kerzen ausblasen sollen!“ Manni steckte sich eine Zigarette an und zog tief durch. „Hattest du dir das Qualmen nicht abgewöhnt?“ „Na, wenn das kein Grund ist, um wieder anzufangen.“ „Du musst jetzt vor allem die Nerven bewahren, sonst sitzt du eher wieder hinter schwedischen Gardinen, als du es dir vorstellen kannst“, versuchte ihn Gernot zu beruhigen, „und das, mein lieber Freund, nutzt weder dir noch deiner Tochter.“ Natürlich wusste Manni, dass sein Freund Recht hatte, aber diese Neuigkeiten musste er erst einmal verdauen.

„Lass sie in Ruhe, du kannst eh nichts mehr an den Tatsachen ändern. Bau dir eine neue Existenz auf und du wirst sehen, dass sie dir deine Tochter nicht mehr vorenthalten können. Ich werde dir dabei helfen.“ Manni ließ sich wieder in die Sofapolster sinken und vergrub sein Gesicht in den Händen. Minutenlang saß er so da, sagte kein einziges Wort, schien nicht einmal mehr zu atmen. Plötzlich erhob er sich. „Okay, du hast Recht. Ich werde sie in Frieden lassen, aber eines muss ich noch für mich selber tun, ehe ich alle Brücken, bis auf die zu Melissa, hinter mir abbreche.“ Gernot sah seinen Freund fragend an, obwohl er bereits ahnte, was Manni vorhatte.

„Es gibt einige persönliche Dinge, an denen ich besonders hänge. Besitztümer mit einem besonderen emotionalen Wert für mich. Gegenstände, an denen mein Herzblut hängt.“ „Okay“, bot sich Gernot ohne zu zögern an, „holen wir sie.“ Manni lächelte bitter. „Nein, das ist allein meine Sache. Borgst du mir deinen Wagen?“ „Lass mich wenigstens im Auto auf dich warten“, beschwor ihn der Mann mit der Halbglatze. „Du weißt, dass ich mir diesen Gang schuldig bin. Ich will Jennifer in die Augen sehen. Ich möchte dieses unerfreuliche Kapitel meines Lebens ein für alle Male abschließen. Das kann ich nur auf diese Weise.“ „Dann solltest du nicht eine einzige Sekunde lang vergessen, dass dir die verbleibende Haftzeit nur zur Bewährung ausgesetzt sind. Eine Unbedachtheit und die Macht des Gesetzes wird dich mit voller Wucht treffen.“

Manni streckte seinem Freund fordernd die flache Hand entgegen. „Mach dir keinen Kopf. Ich weiß, dass du es gut meinst, aber deine Sorge ist unbegründet. Ich habe gelernt, mich zu beherrschen.“ Gernot legte den Schlüssel seines Passat Variant nur sehr zögerlich in die offene Hand seines Freundes, aber letztendlich wusste er nur zu genau, dass er Manni nicht aufhalten konnte, wenn sich erst einmal etwas in seinem Hirn festgesetzt hatte. Für die Dauer eines Atemzugs hielt er die Hand fest, sah seinem Freund tief in die Augen um ihn ein letztes Mal zu ermahnen. Manni hatte verstanden und der Blick, den er Gernot zurückwarf, hatte etwas Beruhigendes.

 

Die Villa im Wolfenbütteler Försterkamp lag still und friedlich, nur einige Fenster im Parterre waren beleuchtet. Alles schien wie früher, als Manfred nach getaner Arbeit nach Hause kam. Nur, dass in der Garage jetzt der Wagen eines anderen Mannes stand, der Wagen seines einstigen Opfers, Rainer Kessler. Manni hatte den Passat seines Freundes auf der dem Haus gegenüber liegenden Straßenseite abgestellt. Durch das Fernglas, welches der passionierte Jäger stets in seinem Auto mit sich führte, konnte er die Schatten hinter den Gardinen ausgezeichnet beobachten.

Eine ganze Weile saß er so da, belauerte jede Veränderung jenseits der Straße, überlegte, sinnierte. Rachegedanken, Wut und Verzweifelung paarten sich binnen weniger Minuten mit dem Wunsch, die Zeit einfach um zweieinhalb Jahre zurückdrehen zu wollen. Manni schlug sich an den Kopf. Ja, war er denn von allen guten Geistern verlassen? Wie konnte er für diese Frau noch so etwas wie Liebe empfinden? Hatte sie ihm nicht genug angetan? Die Schatten umarmten sich, küssten sich leidenschaftlich und hinter den Linsen des Fernglases wandten sich zwei feuchte Augen traurig ab.

Manfred Peters verließ den Wagen, ging einige Male auf und ab, versuchte seine Gedanken zu ordnen und wieder Herr über seine Sinne zu werden. Geschäftsmäßig wollte er die Sache angehen, wenigstens finanziell retten, was zu retten war. Immerhin gab es da noch die Nummernkonten in der Schweiz. Geld, von dem nicht mal der Fiskus etwas wusste. Der Mann im grauen Anzug atmete noch einmal tief durch. Seine Fäuste ballten sich und der Schritt, mit dem er nun die Straße in Richtung Villa überquerte, hallte hart über den Asphalt. Aus der Gewohnheit heraus griff er zum Schlüsselbund in der Jacketttasche. Er probierte den Schlüssel für die Pforte und war erstaunt, dass er noch passte. Für einen Moment lang hielt er inne, er zweifelte, immerhin war das Haus nicht mehr sein Eigentum, doch anstatt sein Vorhaben zu überdenken, folgte eine Trotzreaktion, die ihn in seinem Handeln nur noch mehr bestärkte.

So weit kommt es noch, ich werde doch nicht wie ein Bittsteller läuten und vor dem Haus, welches ich selber gebaut habe, darauf warten bis ich gnädigerweise hereingelassen werde , rechtfertigte er sich selbst gegenüber. Vor der Haustür überlegte er es sich dann doch und legte den Finger auf den Klingeldrücker, ohne auch diesen Schlüssel auszuprobieren. Die kleine Kamera über dem Eingang surrte. „Was willst du?“, ertönte die vertraute Stimme seiner Ex aus dem Lautsprecher der Sprechanlage. „Du weißt, weswegen ich gekommen bin. Also, sei vernünftig und öffne die Tür.“ „Verschwinde, oder ich rufe die Polizei!“ „Tu das und ich werde hier auf sie warten. Du kannst mir mein persönliches Eigentum nicht verwehren.“ „Moment.“

Kurz darauf öffnete sich die Haustür und Rainer Kessler stand in der Laibung des Eingangs. „Wie geht es dir?“, erkundigte er sich, ohne sich wirklich für das Befinden seines ehemaligen Kompagnons zu interessieren. „Spar dir deine Floskeln“, entgegnete Manfred Peters unwirsch. „Keine Angst, ich bin nicht hier, weil ich Theater machen will, sondern um mein Eigentum zu holen.“ „Wir haben deinen ganzen Krempel in der Garage ausgelagert. Wird auch Zeit, dass du den Müll endlich mal abholst.“ Manni grinste breit. „Wegen dir mache ich mir kein zweites Mal die Hände schmutzig. Dich kriege ich anders. Bis dahin, sei versichert, wirst du keine ruhige Nacht mehr haben, weil du meinen Atem in deinem Rücken wähnst.“

Manni machte einen Schritt nach vorn, drückte seinen Gegenspieler sanft aber bestimmt zur Seite und trat ein. „Und nun mach Platz, du Clown, ich habe etwas mit meiner Frau zu besprechen!“ „Exfrau“, korrigierte Kessler, der wie ein dummer Junge hinter Manni herstakste. Der nahm den vertrauten Weg in den Salon. Jennifer erwartete ihn bereits. „Ich habe gewusst, dass du hier auftauchen würdest.“ „Dafür fällt der Empfang allerdings etwas mager aus, würde ich sagen.“ „Nach allem was war, hast du doch nicht allen Ernstes erwartet, dass ich dir um den Hals falle.“ „Und wenn, dann sicher höchstens, um mir auch noch den Rest der Luft abzudrücken.“ Sie stieß einen spitzen Pfiff aus, ein giftiges Grinsen legte sich über ihren Teint. „Seit wann so sarkastisch? Der Knast scheint Seiten an dir freigelegt zu haben, die ich damals vermisst habe.“ „Lassen wir das. Ich bin nicht hier, um Spielchen zu spielen.“

Manni ließ seine Ex stehen und begab sich auf direktem Weg zum Tresor. Er drehte an dem Mechanismus und stellte die Zahlen ein, die ihm im Gedächtnis haften geblieben waren, doch der Safe blieb verschlossen. Er versuchte es ein weiteres Mal, war jedoch auch jetzt erfolglos. „Es dürfte selbst dir klar sein, dass ich die Kombination verändern lassen habe.“ Natürlich , fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, Jennifer kannte die alte Zahlenreihe . „Also schön, dann gib du mir die Papiere, dann verschwinde ich und lasse euch in Frieden.“ „Das wirst du auch so“, entgegnete Jennifer bissig. „Falls du hier bist, weil du die Schwarzgelder in der Schweiz an dich bringen willst, kommst du zu spät.“ „Du weißt von den Nummernkonten?“, erwiderte Manni bestürzt. „Nicht nur ich! Als der Betrieb in den Konkurs ging, hat das Finanzamt deine Transaktionen durchschaut. Um nicht auch noch wegen Steuerhinterziehung hinter Gitter zu müssen und um für unsere Tochter wenigstens das Haus zu retten, musste ich alles offen legen.“

Manni stieg die Zornesröte ins Gesicht. Wild gestikulierend raste er aufgeregt schimpfend durch das Wohnzimmer „Das glaubst du doch selber nicht! Wenn ihr mich verarschen wollt, werdet ihr noch euer blaues Wunder erleben.“ Jennifer blieb unbeeindruckt. „Selbstverständlich steht dir die Hälfte des Verkaufserlöses zu, der sich bei der Versteigerung der Firma ergeben hat“, erklärte sie gönnerhaft. „Natürlich abzüglich anteilmäßiger Kosten und Verbindlichkeiten, versteht sich.“ Manni stand kurz vor einem Gefühlsausbruch, konnte sich nur mit Mühe zusammenreißen.

Rainer Kessler hielt sich im Hintergrund, beobachtete das Geschehen argwöhnisch. Die Situation erschien ihm mehr als suspekt. Natürlich hatten sich Jennifer und er oft genug über diesen unausweichlichen Tag Gedanken gemacht, sich jedes Wort zurechtgelegt und alles aufeinander abgestimmt, aber in diesem Augenblick war es selbst für ihn geradezu erschreckend, mit welcher Präzision Jennifer das Programm abspulte. Wie sehr musste sie ihn hassen, um derart gefühllos sein zu können. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass auch er sich auf ein Spiel mit dem Feuer eingelassen hatte.

„Glaub ja nicht, dass du damit durchkommst“, drohte Manni seiner Ex. „Ich werde mir mein Eigentum zurückholen, koste es, was es wolle!“ Jennifer wirkte nach wie vor eiskalt und abgezockt. Sie provozierte Manni sogar noch, indem sie ihm frech ins Gesicht grinste. „Und nun will ich meine Tochter sehen“, forderte der Mann ihm Jackett. „Melissa schläft!“, entgegnete Jennifer abwehrend. „Ich habe nicht vor, sie zu wecken, ich will sie nur sehen“, setzte Manni seiner Exfrau zu. Ohne ihre weitere Reaktion abzuwarten, verließ er den Salon und stieg die Treppe empor. „Ich habe dir gesagt, dass Melissa schläft“, folgte ihm Jennifer. „Wenn du nicht augenblicklich das Haus verlässt, rufe ich die Polizei!“ „Lass ihn doch“, versuchte Kessler sie zurückzuhalten. „Er ist schließlich ihr Vater und er hat sie schon lange nicht mehr gesehen.“ „Und genau daran soll sich auch nichts ändern.“

Manni ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er sich durch nichts und niemanden von seinem Vorhaben abbringen lassen würde. Leise öffnete er die Tür zum Kinderzimmer. Das Flurlicht fiel durch den Türspalt und erhellte das friedlich schlafende Kind. Wie sehr hatte sich die Kleine in den vergangenen zwei Jahren verändert. Groß war sie geworden und noch hübscher, als er sie in Erinnerung hatte. Tränen standen ihm in den Augen. Während Jennifer ungeduldig die Tür schloss, schwor er sich, um seinen Sonnenschein zu kämpfen. Er wollte sehen, wie seine Tochter aufwuchs und auch wenn er nicht ständig in ihrer Nähe sein könnte, so wollte er ihr dennoch ein guter Vater sein. „Das ist genug“, herrschte ihn Jennifer an. „Ich möchte, dass du jetzt gehst“, fügte Rainer Kessler hinzu. „Nimm deine Sachen und verschwinde aus unserem Leben. Hier ist kein Platz mehr für dich!“

Manni drehte sich langsam zu seinem ehemaligen Teilhaber um. In seinen Augen funkelte es bedrohlich. Blitzschnell fuhren seine Hände empor, ergriffen sein Gegenüber am Hemdskragen und zogen den Kopf des Verräters bis dicht vor sein Gesicht. „Spuck bloß nicht so große Töne. Du weißt doch, mein Freund , man trifft sich immer zweimal im Leben.“ Der Teint Kesslers verblasste zusehends. „Ich sagte ja bereits eingehend, dass du von jetzt an immer das Gefühl haben wirst, ich säße dir im Nacken. Und genauso wird es auch sein. Sei versichert, irgendwann wird der Augenblick der Abrechnung gekommen sein.“ „Willst du mir drohen?“, stammelte Kessler. „Drohen?“, lachte Manni. „Nein, ich gebe dir nur den Rat, auf der Hut zu sein. Man weiß schließlich nie, welche Gefahren da draußen lauern.“

Mit diesen Worten wandte sich der Ausgebootete zum Gehen. Vor der Haustür angekommen, blieb er stehen und warf einen Blick auf die oberhalb der Treppe Zurückgebliebenen. „Meine persönlichen Sachen, die ihr freundlicherweise in die Garage geschafft habt, lasse ich in den nächsten Tagen abholen.“ Jennifer stemmte die Hände in die Hüften. „Dann melde dich vorher an, sonst könnte es sein, dass du hier niemanden antriffst.“ „Ihr werdet von mir hören, das versichere ich euch.“

 

-3-

 

Manni war in den Wagen seines Freundes gestiegen und mit quietschenden Reifen davongebraust. Jeder sollte Notiz davon nehmen, dass er sich entfernt hatte. An der Einfahrt zum Försterweg steuerte er den Wagen einige Meter weit in einen befestigten Waldweg hinein, wo er ihn gut versteckt zurückließ. Es dürfte nicht sonderlich schwer sein, zu erraten, wohin der Weg ihn führte. Doch welchen Zweck verfolgte sein Handeln? Nun, Manfred Peters wusste es im Grunde selber nicht. Eines war er sich jedoch bewusst, er konnte unmöglich tatenlos zusehen, wie das, wofür er sein Leben lang gearbeitet hatte, für immer verloren ging. So spielte er zunächst mit der Möglichkeit eines Einbruchs, bei dem er sich in den Besitz versteckter Unterlagen bringen wollte. Doch als ihm bewusst wurde, dass das Risiko dabei erwischt zu werden einfach zu groß war, verwarf er diesen Gedanken wieder.

Er kam gar nicht bis zur Villa. Etwa auf halben Weg sah er einen Wagen aus dessen Einfahrt kommen. Er machte auf dem Absatz kehrt und versteckte sich im Lichtschatten eines Kastanienbaumes. Hinter dem Steuer des vorbeifahrenden Fahrzeugs erkannte er seinen ehemaligen Kompagnon. Einer inneren Stimme gehorchend, folgte er dem Wagen. Aus seiner Erfahrung heraus wusste er, dass Kessler an der Ampelanlage zum Neuen Weg eine Weile warten musste. Darin lag seine Chance. Er eilte zum Passat und warf sich auf den Fahrersitz. Er erreichte die Kreuzung gerade noch rechtzeitig, ehe die Lichtzeichen wieder auf Rot wechselten. Mit einem kurzen Blick in Richtung Braunschweig und einem weiteren in die Straße, die zum Krankenhaus führte, vergewisserte er sich, dass Kessler stadteinwärts abgebogen sein musste. In der Höhe des Steakhauses hatte er ihn schließlich eingeholt. Er folgte ihm, bog am Grünen Platz hinter ihm ab und folgte ihm weiter, an der Feuerwehr vorbei, auf der Adersheimer Straße stadtauswärts.

Manni konnte sich beim besten Willen keinen Reim darauf machen, wohin Kessler mitten in der Nacht wollte. Hinter dem Ortsschild bog er schließlich nach rechts in eine Straße ein, die es zwei Jahre zuvor noch nicht gegeben hatte. Sie führte die beiden Fahrzeuge in ein Neubaugebiet. Manni ließ sich ein gutes Stück zurückfallen. Damit Kessler keinen Verdacht schöpfte, folgte er ihm schließlich in einigem Abstand. Die Fahrt endete kurz darauf an einer größeren Baustelle. Manni schaltete die Scheinwerfer ab und ließ den Passat langsam rollen. Etwa fünfzig Meter zurück ließ er den Wagen stehen und schlich sich an.

Kesslers Mercedes war verlassen. Von seinem ehemaligen Teilhaber war weit und breit nichts zu sehen. Ganz in der Nähe hörte er plötzlich das Scheppern einer Bohle, die gegen eine Eisenstange schlug. Ein Geräusch, wie es verursacht wurde, wenn jemand über ein Gerüst oder einen Laufsteg läuft. Ein Geräusch, welches ihm durchaus vertraut war. Seine Neugier setzte sich durch. Lautlos und mit äußerster Vorsicht folgte er Kessler. Manfred Peters erkannte trotz der Dunkelheit ziemlich schnell, dass es sich bei dem Bauvorhaben um das Stauwerk eines zukünftigen Rückhaltebeckens handelte. Erste Fundamente waren bereits gegossen und anhand der fertigen Schalungen zeichneten sich auch schon die Dimensionen der Anlage ab.

Leider hatte er Kessler inzwischen in der Dunkelheit verloren. Manfred Peters blieb stehen, verharrte für einen Augenblick in der Bewegung und lauschte in die Nacht. Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben, haderte er, bis er in einem der Bauwagen unvermittelt Licht aufflackern sah. Manni schlich sich an und beobachtete durch einen Spalt in der Fensterlade, was im Inneren vor sich ging. Viel konnte er nicht erkennen, aber das was er sah, reichte aus, um seine Wut ins Uferlose wachsen zu lassen. Er fuhr um den Wagen herum, riss die Tür auf und setzte über die kleine Holztreppe hinauf in den Wagen.

„Das habe ich mir gedacht!“, blökte er Kessler an. „Noch schnell die Kohle in Sicherheit bringen, bevor es vielleicht zu einer Hausdurchsuchung kommt!“ „Du irrst dich, Manfred. Ich wollte das Geld hier nicht verstecken, sondern es an mich nehmen, um damit abzuhauen.“ Manni sah ihm durchdringend in die Augen. „Ah, verstehe, die Ratten verlassen das sinkende Schiff.“ „Glaubst du, ich habe Bock darauf, mich noch einmal von dir halbtot schlagen zu lassen?“ Manni grinste selbstgerecht. „Sei versichert, diesmal würde ich die Sache zu Ende bringen. Und nun wirst du so freundlich sein und mir mein Geld in die Tasche packen, die du ja schon in weiser Voraussicht mitgebracht hast.“ „Okay“, nickte Kessler unterwürfig, „aber bitte verschone mich. Ich räume das Feld. Du wirst mich nie wieder sehen, dass verspreche ich dir.“ „Hör auf zu winseln, du Aasgeier, sonst muss ich kotzen.“

Während Kessler die restlichen Geldbündel hinter der Holzverschalung hervorzog und brav in die Tasche stopfte, sah sich Manni die auf dem Tisch ausgebreiteten Pläne der Baustelle interessiert an. Dabei ließ er seinen Expartner für einen Moment aus den Augen. Ein Fehler, wie sich schon mit dem nächsten Wimpernschlag erweisen sollte. Kessler nutzte die kurze Unachtsamkeit seines Kontrahenten, sprang auf und schleuderte dem völlig Überraschten mit voller Wucht die inzwischen bis zum Rand gefüllte Sporttasche ins Gesicht. Manfred Peters hatte nicht einmal Zeit, um seine Hand nach oben zu reißen. Die Tasche erwischte ihn frontal im Gesicht. Schwer getroffen taumelte er zwei Schritte zurück, schlug mit dem Kopf gegen ein Regal und kippte rücklings gegen die Außenwand. Es gelang ihm nur mit äußerster Mühe, sich auf den Beinen zu halten.

Kessler nutzte die Gunst des Augenblicks und hastete mitsamt der Tasche an seinem Expartner vorbei ins Freie. Manni brauchte einige Atemzüge, um wieder klar zu werden, aber dann setzte er Kessler mit einem Sprung aus dem Bauwagen nach. Dabei trieben ihn eine gehörige Portion Wut über seine Nachlässigkeit und der unbändige Wille voran, sich sein Eigentum zurückzuholen.

Der Gejagte rannte auf dem gleichen Weg durch die Baustelle, auf dem er zuvor gekommen war. Diesmal jedoch war ihm Manni dicht auf den Fersen. So konnte er sich nicht nur an dem Lärm orientieren, den Kessler auf seiner Flucht verursachte, sondern im hellen Mondlicht auch dessen Konturen erkennen. Panikartig sprang Kessler über die Holzplanken eines Laufstegs, riskierte viel und verlor alles. Als er über eine der Querstreben setzte, blieb er mit einem seiner Füße hängen, geriet ins Straucheln und stolperte. Seine Kleidung verfing sich in einem der Moniereisen, die später für die nötige Stabilität des Bauwerks sorgen sollte und zu diesem Zeitpunkt noch bis dicht an den Steg heranreichten. Die Tasche mit dem Geld entglitt ihm dabei aus den Händen und landete wie von der Vorsehung bestimmt genau vor den Füßen des heranstürmenden Verfolgers.

Mannis Blicke wechselten zwischen Kessler und der Tasche. War dies der Augenblick, den er sich in den vielen schlaflosen Nächten im Gefängnis herbeigesehnt hatte? War dies der Zeitpunkt der Rache? Keine Ahnung, weshalb er ausgerechnet jetzt das Bildnis der Taxifahrerin vor seinem geistigen Auge sah und an das Gespräch mit ihr dachte. ‚ Wenn du die Wahrheit für dich behältst, wird sie giftig' hatte sie ihre Mutter zitiert und damit ohne Frage sein Dilemma auf den Punkt gebracht. Dieser Mistkerl, der da nicht mehr als einen Meter vor ihm gegen sein Schicksal kämpfte, musste für seine Schweinerein zur Rechenschaft gezogen werden. Er sollte, genauso wie er, am eigenen Leib erfahren, was es heißt, die Freiheit zu verlieren.

Manni stieg über die Tasche hinweg und streckte seinem Feind die Hand entgegen, um ihm zu helfen, doch der geriet noch mehr in Panik. Er glaubte, der ehemalige Freund, den er so schändlich hintergangen hatte, wolle ihm nun den Rest geben. Kessler schlug wild um sich, bettelte, flehte, schrie, ohne die Worte seines Retters richtig zu interpretieren. Erst als Manni seine Hand zu fassen bekam, bemerkte Kessler seinen Irrtum, doch da war es für ihn zu spät. Seine vom Angstschweiß glitschige Hand rutschte unaufhaltsam von Mannis Fingern. Mit einem spitzen Schrei fiel er kopfüber in die Schalung und blieb regungslos liegen.

Für den Mann auf dem Steg bestand kein Zweifel, so, wie sein Expartner in der etwa drei Meter tiefen Schalung dalag, den Körper völlig verrenkt, musste er einfach tot sein. Manni sah sich bestürzt nach allen Seiten um, ergriff die Tasche mit dem Geld und rannte davon.

 

Immer noch unter Schock stehend, fuhr Manfred Peters zu seinem Freund Gernot Schmieding. Manni wollte ihm erzählen, was geschehen war, doch sein Freund schien nicht zu Hause zu sein. Zumindest öffnete er nicht auf Mannis Läuten. Immer noch recht erregt, setzte er sich in den Wagen, den er direkt vor dem Haus abgestellt hatte und wartete. Der Morgen graute bereits, als der inzwischen Eingeschlafene von Klopfgeräuschen an der Seitenscheibe geweckt wurde.

„Mensch Gernot, wo warst du denn?“, fragte Manni seinen vor dem Auto stehenden Freund. „Wieso, ich war zu Hause. Du hättest doch klingeln können.“ Manni schüttelte irritiert den Kopf. „Das habe ich doch, aber es hat niemand geöffnet.“ Gernot zog die Autotür auf. „Keine Ahnung, ich habe nichts gehört. Meine Güte“, bekundete er, als Manni ausstieg„ du siehst ja schrecklich aus. Komm erst einmal mit rein, ich koche uns einen Kaffee und dann erzählst du mir, was geschehen ist.“

 

„Du hast dir nichts vorzuwerfen, Manni. Wenn es sich wirklich so zugetragen hat, wie du sagst, kann dir niemand einen Strick aus der Sache drehen.“ „Es war ein Unfall!“, beschwor Manni aufgelöst. „Umso wichtiger ist es, dass du dich sofort der Polizei stellst.“ Manni starrte seinen Freund entsetzt an. „Das kann ich nicht! Wie soll ich denen erklären, dass es sich bei dem Geld in der Tasche um meines handelt? Du weißt doch, dass es sich um Schwarzgelder handelt.“ Gernot seufzte. „Zugegeben, das ist ein Problem, aber du musst ja nichts von der Kohle erwähnen.“ „Wie soll ich der Polizei erklären, weshalb ich Kessler gefolgt bin und womit soll ich seine Flucht vor mir begründen? Die werden genau wie Kessler reagieren und glauben, ich wollte mich für all das rächen, was er mir angetan hat. Nee, nee, ich werde mich doch nichts selber ans Messer liefern!“

Gernot Schmieding machte ein betretenes Gesicht. „Zugegeben, das trifft sicherlich alles zu, aber wenn du dich nicht stellst und sie kommen dir drauf, siehst du erst recht alt aus.“ Manni zuckte mit den Schultern. „Wie soll die Polizei ausgerechnet auf mich kommen. Es hat mich niemand an der Baustelle gesehen.“ „Mag sein, aber sicher hat auch kein anderer ein besseres Motiv als du. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auf dich kommen. Sie werden die Tatzeit ermitteln und dann werden sie nach deinem Alibi fragen. Natürlich werde ich sagen, dass du in der fraglichen Zeit bei mir warst, aber mit der Angst, letztendlich doch noch zur Rechenschaft gezogen zu werden, musst du leben.“

 

-4-

 

Das Bild, welches sich Hauptkommissar Gunnar Kleinschmidt und seinem neuen Kollegen, Kommissar Tim Sinner bot, war mehr als bizarr. Bauarbeiter hatten etwa eine halbe Stunde zuvor die Polizei verständigt, weil sie an ihrem Arbeitsplatz eine unglaubliche Entdeckung gemacht hatten.

Unbekannte hatten in der zurückliegenden Nacht eine der tags zuvor errichteten Schalungen mit Fertigbeton gefüllt. Doch dies war nicht der eigentliche Grund für die Aufregung, der bei den Anwesenden herrschte. Oberhalb der noch nicht ausgehärteten Masse ragte die linke Hand eines Menschen empor.

„Es ist zum verrückt werden“, zeterte Marlis Knoop, Leiterin der Spurensicherung. „Der Beton ist zu hart, um den Toten heraus ziehen zu können, aber wiederum zu weich, um ihn betreten zu können und seitlich kommen wir nicht heran, weil uns dickes Moniereisen den Weg versperrt. Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als zu warten, bis uns die Arbeiter eine Art Bühne gebaut haben, von der aus wir dann vorsichtig Schaufel um Schaufel abtragen können.“ „Sie konnten also noch nicht bis an den Leichnam heran“, schlussfolgerte Kommissar Sinner. Die Leiterin der Spurensicherung nickte. „Wie können Sie dann mit Bestimmtheit sagen, dass es sich um einen Mann handelt?“ „Doktor Wohlfahrt ist sich sicher.“ „Der Mann muss Hellseher sein. Wenn ich da an meine Tante Anna zurückdenke – die hatte Pranken wie ein Kerl.“ Marlis Knoop verdrehte die Augen. Sie hatte den Wink des neuen Kommissars verstanden.

Tim Sinner hatte es aus dem Schwäbischen an die Oker verschlagen. Seiner Herkunft zufolge, nahm er es mit allem, was sich um ihn herum ereignete, was er tat und sagte, äußerst genau. Hauptkommissar Kleinschmidt, der eher das Gegenstück zu ihm war, hatte deswegen zuweilen seine liebe Not, wollte er sich doch als Vorgesetzter keine Blöße vor ihm geben. Wen wundert es da, dass er bereits mehrfach mit seinem Schicksal gehadert hatte, weil es ihm nach den kriminellen Machenschaften seines ehemaligen Kollegen, Harry Schneider, ausgerechnet diesen Kollegen zugespielt hatte. Er empfand es als Strafe, einen so jungen Schnösel von der Direktion aufs Auge gedrückt bekommen zu haben. Andererseits war er aber auch dankbar, dass die Arbeit nicht an ihm allein hängen blieb.

„So, die provisorische Arbeitsbühne ist fertig“, meldete der Polier. „Sie können mit Ihren Untersuchungen beginnen.“ Marlis Knoop machte sich mit ihren Mitarbeitern an die Arbeit. „Haben Sie inzwischen Ihren Chef erreichen können“, erkundigte sich Kleinschmidt beim Leiter der Baustelle. „Leider nicht, Herr Kessler ist weder in der Firma noch zu Hause.“ „Nun gut, wir brauchen ihn hier nicht unbedingt.“ „Das sagen Sie so, ich muss es dann hinterher verantworten, wenn wir die Fristen nicht einhalten können.“ Der Hauptkommissar zuckte mit den Schultern. „Mal was anderes, wie kommt es eigentlich, dass hier so viel Beton herumsteht und wieso war der flüssig? Ich dachte immer, der würde von einem Betonmischer angeliefert und direkt verarbeitet werden.“ Der Polier grinste. „Da haben Sie schon Recht, In diesem Fall handelte es sich allerdings um eine Spezialmischung, in die wegen ihrer extremen Belastung ein Verzögerer eingemischt wurde. Der sorgt überdies dafür, dass die Mischung nur sehr langsam aushärtet. Um sie besser verarbeiten zu können, wird sie vom Fahrer in die bereitgestellten Tiegel gepumpt.“ „Ach so“, schlussfolgerte Sinner, „deshalb konnte die Lieferung auch bereits in den Nachtstunden erfolgen.“ „Genau“, bestätigte der Polier.

Marlis Koop begutachtete den Tatort stets in vorderster Linie, was in diesem Fall bedeutete, dass sie sich auf zwei etwa dreißig Zentimeter breiten Bohlen bewegte. Arbeiter hatten sie so nebeneinander gelegt, dass sie dicht am Opfer vorbei, über die gesamte Verschalung reichten. Wackelig war die ganze Geschichte trotzdem und so kann es nicht weiter verwundern, dass die Leiterin der Spurensicherung alle Hände, oder besser gesagt alle Beine damit zu tun hatte, nicht in die noch götterspeisenähnliche Masse zu stürzen. Bevor sie sich um das einzige, aus dem Beton herausragende Gliedmaß kümmerte, sondierte sie in ihrer unnachahmlich akribischen Art jeden Quadratzentimeter, der sich in unmittelbarer Nähe des Opfers befand. Erst als ihr Kollege Brenner die obligatorischen Tatortfotos im Kasten hatte, widmete sie sich der geschlossenen Hand, welche der oder die Tote, scheinbar beschwörend gen Himmel reckte.

Es bedurfte einer gehörigen Portion Kraft, um dem Opfer die durch die einsetzende Leichenstarre fest verschlossene Hand zu öffnen. Das Knacken der Finger verriet dem Eingeweihten, dass dabei das eine oder andere Glied gebrochen wurde. Nun, es tat jener bedauernswerten Person sicher nicht mehr weh. Wie dem auch sei, der Aufwand hatte sich gelohnt. Triumphierend wandte sich Marlis zu ihrem Kollegen um, der die Sache mit Kleinschmidt und Sinner vom Stahlgerüst aus verfolgte. In ihrer Hand befand sich ein goldener Ring. „Es ist etwas eingraviert“, erhöhte sie die Spannung. „In Liebe Jennifer, 9.8.98.“

Millimeterweise und nur mit äußerster Vorsicht gruben sich Marlis Knoop und ihr Kollege Brenner durch die zähe Masse, legten zunächst den Kopf des Opfers frei. Die Aktion glich einer geologischen Ausgrabung, bei der das uralte Grab eines Pharaos freigelegt wurde. „Um Himmels Willen!“, rief plötzlich der Polier, der nach wie vor neben Hauptkommissar Kleinschmidt und dessen Kollegen Sinner auf dem Gerüst stand, um der ungewöhnlichen Ausgrabung beizuwohnen. „Das ist ja der Chef.“ Die Kriminologen sahen ihn ungläubig an. „Aber das Gesicht des Mannes ist doch noch voller Beton.“ Der Polier ließ sich nicht beirren. „Ich bin mir sicher!“ Wasser und Pinsel ließen die Vorahnung des Mannes zur traurigen Gewissheit werden. Nachdem das Gesicht des Opfers vollständig freigelegt war, gab es keinen Zweifel mehr. Das Opfer war niemand anderer als Rüdiger Kessler, der Geschäftsführer der Firma Oker-Bau.

 

-5-

 

„Nehmen Sie bitte Platz“, sagte Kommissar Tim Sinner zu der attraktiven Frau, die ihm und Hauptkommissar Kleinschmidt gerade die Haustür geöffnet hatte. Sie schien nicht einmal sonderlich überrascht, als die Männer der Kripo vor ihrem Haus standen. „Wir haben Ihnen leider eine traurige Nachricht zu überbringen.“ Jennifer Peters schien auch jetzt noch äußerst gefasst. Sinner hatte den Eindruck, als wüsste die Eigentümerin der Oker-Bau, was auf sie zukam. „Ihr Lebensgefährte, Herr Rüdiger Kessler ist auf einer Baustelle im Gewerbegebiet West tot aufgefunden worden.“ „Was?“ Jennifer Peters schnellte wie von der Tarantel gestochen in die Höhe. „Das kann nicht sein!” Sinner und Kleinschmidt sahen sich mitfühlend an. „Leider“, bekundete der Hauptkommissar, „es besteht kein Zweifel.“ Jennifer Peters schüttelte energisch den Kopf. „Ich sage Ihnen, Sie irren sich!“ Kleinschmidt sah sich beim Überbringer von schlechten Nachrichten bereits so mancher Situation ausgesetzt, aber diese erschien ihm doch ein wenig überzogen. Er und Sinner sahen sich an, sie hatten wohl die gleichen Gedanken.

„Wie kommen Sie darauf, dass der Tote nicht Ihr Lebensgefährte sein könnte?“, erkundigte sich der Hauptkommissar lauernd. „Wir hatten gestern Abend eine kleine Auseinandersetzung. Rüdiger hat das Haus erst gegen 2 Uhr verlassen.“ „Darf ich fragen, um was es bei Ihrem Streit ging?“, hakte Sinner nach. „Nein!“ „Wohin wollte Ihr Bekannter mitten in der Nacht?“, erkundigte sich Kleinschmidt weiter. „Oder ist das auch ein Geheimnis?“ „Rüdiger unterhält eine kleine Wohnung in der Stadt und genau dort wollte er hin.“ „Leider ist er dort jedoch nicht angekommen“, explizierte der Hauptkommissar. „Können Sie sich vorstellen, was ihr Lebensgefährte zu dieser Stunde auf der Baustelle wollte?“ „Nein!“ „Kam es in Ihrer Beziehung öfter zu Streitigkeiten?“, ließ Sinner nicht locker. Jennifer Peters wandte sich ihm genervt zu. „Nein!“

„Die Art und Weise, wie Ihr Lebensgefährte getötet wurde, könnte eine Straftat vermuten lassen“, erläuterte Kleinschmidt. „Rüdiger ist ermordet worden?“, schlussfolgerte Jennifer Peters aus den Worten des Kriminologen. „Die rechtsmedizinische Untersuchung ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber es deutet alles darauf hin“, erklärte der Hauptkommissar, die Miene der zunehmend nervöser wirkenden Firmenchefin genaustens beobachtend. „Hatte ihr Bekannter Feinde?“, erkundigte sich Sinner. Wenn der Mann, den Sie auf der Baustelle gefunden haben, tatsächlich Rüdiger Kessler ist, hat ihn niemand anderer ermordet als mein Exmann!“

Wieder sahen sich die Kommissare mit den gleichen Gedanken an und wieder zeigten sie sich überrascht. „Ihr Exmann?“, hakte Sinner nach. Kleinschmidt griff sich an den Kopf. „Meine Güte, da war doch mal was. So vor zwei, drei Jahren. Wie konnte ich das nur vergessen?“ „Manfred Peters ist mein Exmann. Er wurde damals wegen schwerer Körperverletzung verurteilt“, erzählte Jennifer Peters, die inzwischen zur Bar hinübergegangen war und sich einen Tröster einschenkte. „Ich gehe doch wohl recht in der Annahme, dass Sie im Dienst nicht trinken.“ Kleinschmidt verzog seine Brauen. Eigentlich hätte er schon ganz gern ein kleines Gläschen... Aber da war ja noch der neue Kollege, deshalb schüttelte er energisch mit dem Kopf. „Die Baufirma ihres Mannes ging kurz darauf in Konkurs. Ich habe seinerzeit die Zeitungsmeldungen verfolgt.“ „Manni war gestern Abend hier. Er hat uns eine Riesenszene gemacht und Rüdiger und mich gewarnt. Wie sollte ich ahnen, dass er seine Drohungen so schnell wahr machen würde?“ „Würden Sie ihrem Exmann eine solche Tat zutrauen?“, fragte Sinner weiter. „Haben Sie mir nicht zugehört? Nach seinem Auftritt hier, in der vergangenen Nacht, traue ich Manni alles zu.“

Kleinschmidt zog einen kleinen Beutel aus seiner Jackentasche hervor und hielt ihn Jennifer Peters entgegen. „Haben Sie diesen Ring schon einmal irgendwo gesehen?“ „Machen Sie Witze? Das ist Mannis Ehering. Woher haben Sie den?“ „Das dürfen wir Ihnen leider nicht sagen“, bekundete der dicklich wirkende Hauptkommissar. „Hat Ihr Exmann Ihnen gegenüber erwähnt, wo er sich zur Zeit aufhält oder haben Sie eine Idee, wo er wohnt?“, erkundigte sich Sinner. „So weit ich mitbekommen habe, ist er erst seit gestern wieder auf freiem Fuß. Wenn er irgendwo untergekommen ist, dann bei seinem langjährigen Freund, Gernot Schmieding.“ Der Kommissar zog ein Notizheftchen hervor und drückte die Mine seines Kugelschreibers heraus. „Ist Ihnen die Adresse des Herrn bekannt?“ Jennifer Peters überlegte. „Moment, wenn mich nicht alles täuscht, müsste sie noch in dem alten Telefonverzeichnis meines Ex eingetragen sein.“

Während sich die Frau mit den gertenschlanken Beinen in einen der Nebenräume begab, sah ihr Kleinschmidt mit spitzen Lippen nach. „Die wäre was für Vattern“, schnalzte er mit der Zunge. „Nur zu“, ermutigte ihn sein Kollege. „Die Dame ist ja wieder zu haben.“ „So toll ist sie auch wieder nicht. Ich dachte da eher an einen One-night-stand.“ Sinner sah seinen Kollegen verblüfft an. Mit einer solchen Antwort hatte er beim besten Willen nicht gerechnet.

„So“, kehrte die Dame des Hauses in den Salon zurück. „Ich habe Ihnen nicht zuviel versprochen.“ Sie reichte Kleinschmidt den Zettel und widmete sich wieder ihrem Drink. „Sobald der Rechtsmediziner seine Arbeit beendet hat, werden wir uns wegen der Identifizierung des Toten wieder an Sie wenden.“ Jennifer Peters nickte betreten. „Können wir sonst noch etwas für Sie tun?“, erkundigte sich Sinner. „Nein, nein, ich komme schon klar. Ich weiß nur noch nicht, wie ich es meiner Tochter erklären soll. Sie wird nicht begreifen, dass ihr Vater wieder ins Gefängnis muss.“ „Nun, so weit ist es ja noch nicht“, relativierte der Kommissar. „In unserem Lande gilt man bekanntlich so lange als unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen wurde.“

 

-6-

 

Dieser Sommer machte seinem Namen alle Ehre. Schon länger als fünf Wochen herrschten Temperaturen von dreißig Grad und mehr. Es wurde bereits von dem heißesten Juli gesprochen, den es seit den Wetteraufzeichnungen gab. In dieser Zeit hatte ich lediglich einige kleinere Fälle zu bearbeiten und ich muss zugeben, nicht sonderlich traurig darüber gewesen zu sein. Meine finanzielle Situation gab zum ersten Mal, seitdem ich mich mit dem Detektivbüro selbstständig gemacht hatte, keinen Anlass zur Sorge. Ich konnte also rundherum zufrieden sein, wenn, ja wenn da nicht die Sache mit Monika gewesen wäre. Auch wenn ich ihre Entscheidung gegen eine gemeinsame Zukunft nicht so recht verstanden hatte, so blieb mir keine andere Wahl, als diese zu respektieren. Zumal mir ihre Freundschaft sehr am Herzen lag.

So saß ich also, wie so oft in den vergangenen Wochen in dem Cafe, in dem sie bediente und schlürfte genüsslich an einem Capuccino und dachte an jenen Fall zurück, bei dem ich Monika und ihre Tochter Suhela in ernsthafte Gefahr gebracht hatte. Die Jünger Satans wollten sie entführen, um sie gegen mich als Druckmittel einzusetzen. Um Haaresbreite wäre die Sache böse für sie ausgegangen. Die Einzigen, die wirklich etwas Positives aus dem ganzen Dilemma ziehen konnten, waren Dustin Borkmann und der Straßenpenner Jens Krüger, aber das wissen Sie ja sicher noch, wenn sie meine letzte Geschichte ‚Im Banne der Dämonen' gelesen haben.

Ich saß also, wie bereits erwähnt, bei einem Capuccino und ließ mich von Monika und der Sonne verwöhnen, als mein Handy dudelte. Zunächst wusste ich gar nicht, was der Anrufer eigentlich von mir wollte. Ein gewisser Riemenschneider, der sich mir als Anwalt eines Herrn Peters vorstellte, bat mich, baldmöglichst seinen Mandanten in der Justizvollzugsanstalt am Ziegenmarkt aufzusuchen. Nun, da mir der Name seines Mandanten irgendwie bekannt vorkam und der Fall eine willkommene Abwechslung bot, willigte ich ein und versprach besagten Herrn Peters noch am gleichen Tag in der U-Haft aufzusuchen.

 

„Alles, was Recht ist, Herr Peters, aber etwas Derartiges ist mir bislang auch noch nicht widerfahren und glauben Sie mir, ich habe schon eine ganze Menge erlebt. Immerhin war ich damals in Ihrer Strafsache der ermittelnde Beamte.“ Manfred Peters erhob sich von dem Holzstuhl, der mir gegenüber auf der anderen Seite des Tisches stand und durchmaß das spartanisch eingerichtete Besprechungszimmer. „Genau das ist der Grund, weshalb ich gerade Sie gebeten habe, die Wahrheit herauszufinden. Okay, Sie haben mich damals verhaftet, aber Sie waren fair, haben nichts anderes als ihren Job gemacht. In den Knast habe ich mich durch meine eigene Dummheit gebracht.“ Peters nahm wieder Platz. „Haben Sie vielleicht eine Zigarette für mich?“ Ich griff in meine Jacketttasche und schob ihm die Schachtel über den Tisch. „Danke. Eigentlich habe ich es mir im Knast abgewöhnt“, lächelte Peters gequält.

„Also schön, was kann ich nun für Sie tun?“, brachte ich es auf den Punkt. „Man legt mir zur Last, meinen damaligen Partner umgebracht zu haben. Jenen Mann also, den ich damals halbtot geprügelt habe.“ „Und, waren Sie es?“, fragte ich ihn geradewegs. Peters starrte mich mit großen Augen an. „Nein, natürlich nicht! Aber offensichtlich spricht so viel gegen mich, dass mir noch nicht einmal mein eigener Anwalt glaubt. Stellen Sie sich vor, er hat mir nahe gelegt, mich schuldig zu bekennen, um das Strafmaß auf diese Weise etwas zu drücken. Als ich dann vom Kommissar erfuhr, dass Sie inzwischen als Detektiv arbeiten, hielt ich es für das Beste, Sie zu bitten, meine Unschuld zu beweisen.“

Während er mir seine recht aussichtslose Situation schilderte, klemmte die Zigarette sozusagen trocken zwischen seinen Lippen. Er hatte einfach vergessen sie anzuzünden. „Bitte glauben Sie mir, als ich Kessler auf der Baustelle zurückließ, muss er noch am Leben gewesen sein.“ „Aber wie kommt er an Ihren Ring?“, fragte ich skeptisch. „Ich habe mir deswegen auch schon das Hirn zermatert. Kessler muss ihn mir versehentlich dabei abgezogen haben, als ich ihm meine Hände reichte, um seinen Sturz in die Grube zu verhindern. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.“ Ich wog nachdenklich meinen Kopf. „Okay, möglich, aber der Richter würde diese Version sicher nur als Ausrede ansehen, weil es mehr als unwahrscheinlich ist, dass Sie nach allem, was Ihnen Ihre Exfrau angetan hat, immer noch den Ehering trugen. Ich denke, er würde annehmen, dass Sie Ihren Widersacher in die Grube stürzten und ihm den Ring hinterher warfen, bevor Sie ihn mit Beton bedeckten.“

Manfred Peters rieb mit den geöffneten Handflächen über sein Gesicht. So, als wolle er sich von den Gedanken, die ihn gerade beschäftigten, rein waschen. „Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich liebe diese Frau noch immer.“ „Na prima, wenn Sie das gegenüber der Polizei aussagen, wird Ihnen der Staatsanwalt bei der Verhandlung neben dem Rachemotiv auch noch den Mord aus Eifersucht unterstellen. Gibt es noch etwas, was ich wissen sollte, bevor ich mein Pferd sattle und in den Kampf gegen Windmühlen ziehe?“ Peters sah mich resignierend an. „Wenn Sie nun auch noch davon überzeugt sind, dass ich schuldig bin, können wir die Sache von vornherein sein lassen.“

Um ehrlich zu sein, wusste ich in diesem Augenblick selber nicht, was ich glauben sollte. Ich dachte an seinen Gewaltausbruch vor zwei Jahren und daran, dass er seinen Kompagnon damals ziemlich übel zugerichtet hatte. Peters hatte wirklich nichts ausgelassen, um sich an den Galgen zu bringen. Für einen Mann mit seiner Intelligenz recht ungewöhnlich. Genau das war es letztendlich, was mich an seine Unschuld glauben ließ. Wenn er seinen Nebenbuhler wirklich aus dem Weg räumen wollte, so hatte er während seiner Haftstrafe genügend Zeit, um sich einen perfekten Plan auszuklügeln.

„Also gut, Herr Peters, ich will nicht sagen, dass ich von Ihrer Unschuld überzeugt bin, aber nach meinem Kredo hat ein Mensch so lange als unschuldig zu gelten, bis er seiner Schuld überführt ist. Ich werde für Sie ermitteln, aber wenn sich während meiner Recherchen der Eindruck erhärten sollte, dass Sie den Mann getötet haben, werde ich die Ergebnisse meiner Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft weitergeben, das sollte Ihnen bewusst sein.“ Peters lächelte gequält. „Ich schätze, ich habe nichts zu verlieren.“ „Sagen Sie das nicht, 250 Euro pro Tag zuzüglich Spesen sind kein Pappenstiel.“

Ich drückte ihm die Zigaretten und mein Feuerzeug in die Hand und betätigte die Klingel, die dem Justizvollzugsbeamten das Ende unseres Gesprächs signalisierte und die Tür zum Besucherraum öffnen ließ. „Halten Sie die Ohren steif, wenn es etwas gibt, das Sie entlastet, werde ich es finden.“ Ich schlug Peters aufmunternd auf die Schulter und verließ den Raum. „Lessing!“, rief er mir nach. „Danke!“

 

Eine ziemlich verfahrene Kiste, die ich mir da ans Bein gebunden hatte, aber andererseits konnte man es auch als eine sportliche Herausforderung sehen, bei der ich hoffentlich auch ungedopt ans Ziel kommen würde. Mein erster Gang führte mich in die zweite Etage des Kommissariats, wo ich die andere Sichtweise des Falles ausloten wollte. Doch weder Hauptkommissar Kleinschmidt noch sein neuer Mitarbeiter Kommissar Sinner, wie ich am Schild neben der Tür zu ihrem Büro ablas, waren im Präsidium. Ich beschloss also, mir stattdessen den Tatort anzusehen.

Wie ich von Manfred Peters erfahren hatte, war er Kessler in der Tatnacht in das neue Gewerbegebiet Ost gefolgt, wo die Baufirma seiner Exfrau ein Hochwasserrückhaltebecken aus dem Boden stampfte. Ich wollte mir ein eigenes Bild von den Örtlichkeiten machen, um den Handlungsablauf nachvollziehen zu können. Überdies interessierte es mich natürlich, was mir die Arbeiter zu dem Ermordeten sagen konnten. Derartige Gespräche sind, wenn sie denn zu Stande kommen, für jeden Privatermittler ein unschätzbarer Fundus, aus dem sie während ihrer Ermittlungen immer wieder Erkenntnisse ziehen. Ich hoffte also auf die Redseligkeit der Bauarbeiter und darauf, dass sie mir erste Ansatzpunkte für meine Recherchen brachten.

„Wo finde ich denn hier den Bauleiter?“, fragte ich den ersten Arbeiter, der mir über den Weg lief. „Nix verstehen, ich Kosovo.“ Ich verstand es auch nicht. Kopfschüttelnd suchte ich nach irgendjemand, der mir weiter helfen konnte. „He Sie“, röhrte plötzlich eine Stimme über mir. „Wenn Sie so ein Presseheini sind, können Sie gleich wieder abtauchen. Wir haben wegen dieser Sache schon genug Zeit verloren.“ Ich hielt die Hand schützend über die Augen, um den Knaben halbwegs erkennen zu können, doch die gerade hinter ihm stehende Sonne machte mir dies unmöglich. „Ich bin Privatermittler und hätte da einige Fragen an Sie.“ „An mich?“, rief der Mann ohne Gesicht vom Gerüst herunter. „Moment, ich komme.“

Ich nutzte die Zeit, um mir einen ersten Eindruck von der Baustelle zu verschaffen. Die Schalungen für die Staumauern, die einmal das Wasserrückhaltebecken umgeben sollten, waren fast fertig. Flutungstore und Technikgebäude standen bereits. Das ganze erinnerte mich an die Entsalzungsseen auf der Ferieninsel Mallorca. „Sie sind also Privatermittler“, riss mich der Mann, der nun ein Gesicht bekam, aus den Gedanken. „So ist es.“ Ich reichte ihm meinen Ausweis. Er prüfte ihn und sah mich fragend aus den Augenwinkeln an „Für wen arbeiten Sie?“ „Mein Auftraggeber ist Manfred Peters.“ „Na wenn das so ist, können Sie mit mir rechnen.“ Sein abwartender Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. „Ich bin der Polier. Am besten gehen wir in den Bauwagen rüber.“ „Ich würde zunächst gern die Stelle sehen, an der man den Toten gefunden hat.“ Der Bauleiter nickte, gab seinen Leuten einige Anweisungen und bedeutete mir, ihm zu folgen.

Wir bewegten uns auf der untersten Ebene eines dreistöckigen Gerüsts, bis wir nach etwa dreißig Meter an ein kraterähnliches Loch kamen, aus dem etliche Moniereisen spitz und teilweise von Betonresten bedeckt in den Himmel ragten. „Das ist die Stelle. Wie Sie sehen können, war die Schalung bis zum Rand mit Beton gefüllt. Nur Kesslers Hand ragte noch heraus. Echt gruselig. Ich habe sie zunächst gar nicht bemerkt, weil ich mich über den Fahrer des Betonmischers aufgeregt hatte.“ „Sie waren also derjenige, der den Toten gefunden hat“, resümierte ich. „Ich wünschte, es wäre nicht so.“ „Warum haben Sie sich über den Fahrer aufgeregt?“ „Na, weil ich zunächst annahm, dass er den bestellten Beton nicht in die bereitgestellten Behälter sondern direkt in die Schalung gefüllt hat.“ „Doch dem war nicht so?“ „Nein, als ich kurz darauf die unter dem Gerüst liegenden Betontiegel entdeckte, ahnte ich, dass hier etwas ganz gewaltig zum Himmel stank.“ „Woraufhin Sie sich die befüllte Schalung noch einmal genauer ansahen und die Hand aus dem Beton herausragen sahen“, rekonstruierte ich den weiteren Ablauf. „Genau so war es.“

Ich warf einen Blick auf die inzwischen gereinigten Betontiegel und überlegte, wie es möglich war, einen bis zum Rand gefüllten Behälter auf das Gerüst und den Inhalt schließlich in die Schalung zu kippen. Mein Blick sondierte die nähere Umgebung und wanderte schließlich weiter zu dem kleinen Kran, der in etwa fünfzig Meter Entfernung aufgebaut war. „Die von der Polizei gehen davon aus, dass der Täter die Kübel mit dem Kran bewegt hat“, erriet der Polier meine Gedanken. Leider war dies ein weiteres Indiz, welches gegen meinen Auftraggeber sprach.

„Sagen Sie, Herr…“ „Mümmelländer, aber Sie können ruhig Bodo zu mir sagen.“ „Also schön, Bodo. An Ihrer Reaktion vorhin sah ich, dass Sie Manfred Peters persönlich kennen. Ich nehme an, Sie haben damals für ihn gearbeitet.“ Bodo nickte über das gesamte Gesicht breit grinsend. „Darauf können Sie einen lassen. ‘Nen besseren Chef als den gibt es nicht“, sprudelte es nur so aus ihm hervor. „Der war sich nicht zu fein, um selber mal mit anzufassen. Nicht so ein Bürofuzzi wie Kessler.“ „Dann gehe ich doch wohl recht in der Annahme, dass Manfred Peters einen Kran bedienen kann.“ „Wie kein Zweiter, das sage ich …“ Bodo biss sich auf die Lippen. plötzlich hatte er erkannt, worauf ich hinauswollte. „Scheiße!“ Seine Hände ballten sich zu zwei riesigen Fäusten und die Augen, mit denen er mich plötzlich musterte, verzogen sich zu schmalen Sehschlitzen, in denen es gefährlich funkelte. „Für wen arbeiten Sie wirklich?“ „Bleiben Sie locker, Mann. Wenn ich ihrem Exchef helfen will, muss ich alle Eventualitäten in meine Recherchen einbeziehen. Auch die, die auf den ersten Blick gegen ihn sprechen könnten.“

Bodo machte ein betretenes Gesicht. „Nichts für ungut, aber die ganze Sache hat mich doch ziemlich mitgenommen.“ „Schon okay, man findet ja schließlich nicht jeden Tag einen Toten.“ Der Mann mit den riesigen Händen rieb sich am Hinterkopf. „Eins verstehe ich trotzdem nicht.“ Ich horchte auf. „Sehen Sie sich diesen Teil der Baustelle mal genauer an.“ Ich kam seiner Bitte nach, ohne jedoch dabei auf irgendetwas zu stoßen, was ein besonderes Interesse in mir hervorgerufen hätte. „Mir fällt nichts Besonderes auf“, bekundete ich daher achselzuckend. „Sehen Sie hier irgendwo eine Lampe?“ Ich ließ meinen Blick noch einmal kreisen und stellte fest, dass mir etwas Wesentliches entgangen war. „Sie haben Recht, Bodo, aber was ist mit den Lampen da oben am Kran?“ „Für freies Terrain durchaus zu gebrauchen, aber um einen Betontiegel in eine unbeleuchtete Schalung zu heben, die hinter einem Gerüst verborgen ist, brauchen Sie entweder ausgezeichnete Ortskenntnisse oder einen Einweiser.“

Endlich keimte so etwas wie Hoffnung in mir auf. Wenn mein Auftraggeber den Kran bedient hätte, brauchte er bei allem Können eine zweite Person, die ihn unterstützte. Womit sich die Frage stellte, woher Peters diese Person so kurzfristig nehmen sollte. Immerhin befand er sich erst wenige Stunden in Freiheit. Zugegeben, der Plan zu einer solchen Tat konnte auch schon im Gefängnis geschmiedet worden sein, doch die Art und Weise, in der das Verbrechen ausgeführt und vertuscht worden war, deutete eher auf eine spontane Tat hin.

„Gibt es sonst noch etwas, das Ihnen merkwürdig vorkommt?“ „Genau das wollte ich Ihnen gerade zeigen“, machte mich der Polier neugierig. „Kommen Sie mit zum Bauwagen, vielleicht hat es ja nichts mit dem Mord an Kessler zu tun, aber merkwürdig finde ich das Ganze schon.“ Kurz darauf stand ich neben ihm im Bauwagen und begutachtete ein Loch in der Innenverkleidung. „In der Tat, sehr merkwürdig“, wunderte ich mich. „Als ich kam, stand die Tür stand offen.“ „Sie sind sicher, dass der Wagen am Vortag verschlossen wurde?“ „Ich habe ihn selber abgesperrt. Aber sehen Sie sich das Regal hier an. Ich bin kein Detektiv, aber irgendwie sieht es so aus, als habe hier ein Kampf stattgefunden.“ Ich konnte die Ansicht des Bauleiters nur teilen. Das in sich verzogene Regal deutete auf eine heftige Auseinandersetzung hin. Woraufhin ich mir das Vorhängeschloss ansah. Es war völlig intakt, was darauf schließen ließ, dass es ohne Gewalt geöffnet worden war. „Wer besitzt alles einen Schlüssel?“ „Kessler und ich“, antwortete Bodo erwartungsgemäß. „Dann stellt sich die Frage, was Ihr Chef mitten in der Nacht in diesem Bauwagen zu suchen hatte.“

Der Polier machte mich auf einige Bauzeichnungen aufmerksam, die an einem Flipchart befestigt waren. „Kann sein, dass er sich die Pläne noch einmal ansehen wollte.“ „Gab es denn kurzfristige Änderungen, die es erforderlich machten, die Zeichnungen mitten in der Nacht zu ändern?“, hakte ich nach. „Eigentlich nicht“, Bodo zuckte mit den Schultern. „…zumindest ist mir nichts bekannt.“ „Also gut, kommen wir noch einmal auf das Loch in der Wandverkleidung zurück. Sie können mit Bestimmtheit sagen, dass sich dieses Loch gestern noch nicht dort befand?“ Der Polier nickte. „Wie lange steht der Wagen schon auf dieser Baustelle?“ „Au, lassen sich mich nachdenken. Das müssen etwa vier Monate sein. Und jetzt, wo Sie danach fragen, fällt mir ein, dass er vorher die ganze Zeit auf dem Betriebshof abgestellt war. Ich kann mich an einen Vorfall erinnern, der etwa ein Jahr zurückliegt. Damals fragte ich mich, ob der Chef völlig verrückt geworden sei. Wir wollten gerade mit dem Bauwagen den Hof verlassen, als Kessler wie ein Wahnsinniger aus dem Büro gerannt kam und darauf bestand, dass wir den Wagen zurückstellten und einen anderen nahmen.“

Es deutete alles darauf hin, dass etwas von besonderem Wert in dem Wagen versteckt war. Was mich störte, war das Versteck an sich. Die Holzverschalung eines Bauwagens war sicher alles andere als ein guter Ort, um etwas Wertvolles zu deponieren. Aber vielleicht lag gerade in diesem Unwahrscheinlichen eine gewisse Genialität begründet. Wie auch immer, entweder erschien Kessler das Versteck nach dem Auftauchen seines ehemaligen Partners nicht mehr sicher genug und er wollte den Inhalt an einen anderen Ort schaffen, oder aber er wollte sich nach den Drohungen meines Auftraggebers damit aus dem Staube machen. Was auch immer in diesem Versteck war, es war verschwunden und je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr beschlich mich der Verdacht, dass sich der Inhalt des Versteckes noch dort befand, wo sich mein Auftraggeber zum Zeitpunkt seiner Verhaftung aufgehalten hatte.

„Tun Sie mir und Ihrem Exboss um Himmels Willen den Gefallen und sagen Sie der Polizei vorerst nichts von dem, was Sie mir gerade gezeigt haben,“ bat ich den Polier, doch noch ehe er mir sein Wort geben konnte, zog jemand von draußen die Tür auf. „Darf ich erfahren, was der verehrte Herr Bauleiter nicht an die bösen Leute von der Polizei weitergeben soll?“, erkundigte sich Hauptkommissar Kleinschmidt. „Ich schätze, mein Besuch kommt ungelegen, aber Sie kennen ja meine Neugier, Lessing. Sie lässt mich einfach nicht ruhen.“ „Sie haben doch nicht etwa gelauscht, Herr Hauptkommissar?“ „Mein lieber Lessing, es sieht so aus, als überschätzen Sie nicht nur sich selbst, sondern auch die Dämmfähigkeit einer Holzwand.“ Der dickliche Mann mit dem wild wuchernden Schnauzer verzog seine Unterlippe merkwürdig nach oben. „Also, wovon zum Henker soll ich nichts wissen? Ich darf Sie daran erinnern, dass es strafbar ist, Beweismittel zurückzuhalten. Das gilt für Sie natürlich in einem ganz besonderen Maße!“

So sehr mir der Gedanke auch missfiel, meinem Auftraggeber nun einen Bärendienst erweisen zu müssen, so wenig blieb mir eine andere Wahl. „Treten Sie zur Seite Bodo, er hat Recht, wir sollten mit offenen Karten spielen.“ Wobei ich Kleinschmidt tiefgründig ansah. „Ich hoffe, dass gilt auch für Sie, verehrter Herr Hauptkommissar.“ Kleinschmidt rümpfte die Nase. „Hatten Sie jemals Anlass zur Klage?“ Ich ließ seine Frage unbeantwortet, um nicht vollends ins Fettnäpfchen zu treten.

Der Bauleiter machte den Blick auf das aufgerissene Loch in der Wand frei. Der Hauptkommissar bückte sich, um sich das Versteck aus der Nähe anzusehen. „Seit wann ist das?“, fragte er nachdenklich. „Ich hab's vorhin entdeckt,“ erklärte der Polier. „Kurz nachdem Ihre Leute abgerückt waren.“ „Sieht aus, als hatte hier jemand etwas gebunkert. Sie sind sich sicher, dass die Wand gestern noch in Ordnung war?“ Der Bauleiter nickte, während Kleinschmidt seine Blicke durch den Raum schweifen ließ. „Was ist mit dem Regal? Sieht aus, als habe hier drinnen ein Kampf stattgefunden.“ „Wir vermuten das Gleiche“, pflichtete ich ihm bei. Kleinschmidt holte sein Handy hervor und zitierte die Spurensicherung noch einmal auf die Baustelle. „Vielleicht haben wir Glück und finden ein paar Fingerabdrücke.“

 

-7-

 

Der Justizvollzugsbeamte hatte Riemenschneider gerade noch in einem der Besucherzimmer zwischenschieben können. Allem Anschein nach wurden die Insassen der JVA ‚Braunschweig' häufiger von ihren Angehörigen besucht als andernorts. An dem alten Gemäuer, in dem die Haftanstalt untergebracht ist, konnte es allerdings nicht liegen. Das musste auf die Besucher eher beklemmend und abstoßend wirken. Umso mehr Mühe gaben sich die Vollzugsbeamten, die sich sogar um die quengelnden Kinder der Besucher kümmerten.

„Wir haben leider nicht viel Zeit“, erklärte denn auch der Anwalt meines Auftraggebers kurz angebunden, nachdem Manfred Peters in den Besucherraum geführt worden war. Der Beamte verließ das Besprechungszimmer. „Hat Lessing schon etwas in Erfahrung bringen können?“, fragte Manfred Peters hastig. „Hat er, nur leider handelt es sich um nichts, was Ihre Situation verbessern könnte.“ Die Miene seines Mandanten verzog sich. „Wie soll ich das verstehen?“ „Das frage ich mich auch. Wie soll ich vernünftig für Sie arbeiten, wenn Sie mir die Hälfte verschweigen?“ Die Mimik meines Auftraggebers wechselte von der eines zu Unrecht Verdächtigten zu gespielter Empörung. Riemenschneider hatte während seiner Anwaltskarriere schon so ziemlich alles gesehen. „Hören Sie, Herr Peters. Ihnen scheint noch immer nicht recht bewusst zu sein, dass Ihnen ein Mord vorgeworfen wird. Entweder Sie lassen jetzt Ihre Spielchen und schenken mir bedingungslos reinen Wein ein, oder Sie besinnen sich auf meinen Vorschlag und bekennen sich schuldig. Ein Geständnis würde sich zu diesem Zeitpunkt äußerst positiv für Sie auswirken.“

Riemenschneider schwieg, um seinem Mandanten einen Moment zum Nachdenken zu geben. Da sich jedoch auch nach einigen Minuten nichts tat, drehte er sich um und winkte dem Vollzugsbeamten, der hinter einer Glasscheibe saß, um den Raum zu verlassen. „Warten Sie Herr Riemenschneider, ich habe Ihnen nicht alles erzählt, was auf der Baustelle vorgefallen ist.“ Die Tür wurde geöffnet und der Vollzugsbeamte kam herein. „Verzeihen Sie, ein Irrtum, wir brauchen noch ein paar Minuten.“ „Okay, aber denken Sie bitte daran, dass ich den Raum gleich benötige.“ Der Anwalt nickte dem Mann freundlich zu, woraufhin er die Tür wieder hinter sich verschloss. „Also?“, wandte er sich Peters wieder zu. „Eigentlich war's nur Zufall“, er stockte, „das müssen Sie mir glauben.“ „Nun reden Sie schon“, ermahnte ihn Riemenschneider.

„Also schön, ich habe Kessler durch das Fenster des Bauwagens beobachtet. Er stopfte etliche Geldbündel, die er aus der Wandverkleidung des Bauwagens angelte, in eine Sporttasche. Mir war sofort klar, dass es sich dabei um meine Kohle handelte.“ „Woher wollen Sie wissen, dass es Ihr Geld ist?“ Manfred Peters lachte hämisch auf. „Wo sollte dieser Versager denn sonst soviel Geld herhaben?“ „Nun, da gibt es einige Möglichkeiten.“ Peters schüttelte unbeirrt den Kopf. „Glauben Sie mir, Herr Anwalt, es handelt sich hundertprozentig um die Kohle, die ich nach und nach auf einem Schweizer Nummernkonto eingezahlt habe.“ „Schwarzgeld“, schlussfolgerte Riemenschneider. „Wenn Sie so wollen... Aber genau das ist es ja, weshalb ich nichts von der Kohle erwähnte.“ „Ganz nebenbei haben wir da ein weiteres Motiv“, resümierte der Anwalt. „Die Luft wird immer dünner für Sie.“ Sein Klient seufzte. „Ich weiß.“

„Gut, Sie haben also gesehen, wie Kessler das Geld in eine Sporttasche packte. Was geschah dann?“ „Ich bin natürlich in den Wagen gestürmt und habe ihn zur Rede gestellt. Der Kerl leugnete nicht einmal, sich mit meiner Kohle aus dem Staub machen zu wollen.“ Peters lachte verächtlich auf. „Aber das habe ich ihm sehr schnell ausgeredet.“ „Wie ist das zu verstehen?“ „Er packte die Tasche weiter, nun allerdings für mich!“ „Verstehe.“ „Leider habe ich die Ratte einen Moment lang aus den Augen gelassen. Er sprang wie ein Besessener auf mich zu, schleuderte mir die Tasche ins Gesicht und sprang aus dem Bauwagen. Ich taumelte zurück und krachte mit dem Hinterkopf irgendwo gegen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich mich von dem Schlag erholt hatte, dann setzte ich dem Schwein nach. Auf den Laufplanken des Baugerüstes verlor er das Gleichgewicht und stürzte in die Schalung eines Fundamentes. Der Kerl hatte Glück, blieb irgendwie an den Moniereisen hängen. Die Tasche mit dem Geld lag noch auf dem Gerüst. Erst wollte ich ihn seinem Schicksal überlassen, aber dann habe ich versucht ihn heraufzuziehen. Der Rest ist Ihnen bekannt.“

„Wo ist das Geld jetzt?“ „Ich hat es an einem sicheren Ort versteckt“, entgegnete Peters misstrauisch. „Gut, dann sollten Sie mir diesen Ort jetzt nennen, damit ich das Geld holen und der Polizei übergeben kann.“ Sein Mandant starrte ihn entsetzt an. „Sind Sie noch recht bei Trost? Die Kohle ist alles, was mir geblieben ist. Sie ist gewissermaßen der Schlüssel in eine neue Zukunft.“ Riemenscheider fasste sich an den Kopf. „Sonderlich viel werden Sie im Knast nicht damit anfangen können. Begreifen Sie denn nicht, dass sich eine Herausgabe des Geldes positiv für Sie auswirken würde? Zumindest würde so ein Tatmotiv wegfallen. Allerdings würde im Falle eines Freispruchs von der Anklage wegen Mordes höchstwahrscheinlich der Vorwurf des Raubes bestehen bleiben.“

Peters dachte angestrengt nach. Seinen Kopf hatte er dabei zwischen den Armen verschränkt. Plötzlich schlug er mit der Faust auf den Tisch. „Also schön, Herr Anwalt, ich werde es Ihnen sagen. Wenigstens bekommt das Miststück auf diese Weise auch keine Kopeke! Die Kohle befindet sich bei meinem Freund Gernot Schmieding. Ich habe die Tasche bei ihm im Gästezimmer versteckt. Über dem Erker gibt es eine Dachgaube, die nur über eine kleine Klappe über dem Fenster erreichbar ist.“ „Ich muss schon sagen, eine gewisse Kreativität ist Ihnen nicht abzusprechen.“ „Sagen Sie Gernot, dass ich Sie geschickt habe.“

 

Zweifel plagten mich. Zweifel darüber, ob ich der Geschichte Glauben schenken wollte oder nicht. Zumindest hörten sich die Ausführungen, die Peters seinem Anwalt gegenüber gemacht hatte einigermaßen schlüssig an, was natürlich kein Garant dafür war, dass sie auch zutrafen. Zumal sein eigener Anwalt nach wie vor keinen Hehl daraus machte, die Unschuld seines Mandanten, gelinde gesagt, anzuzweifeln. Ich musste schnellstmöglich etwas zu seiner Entlastung finden, um wenigstens meine Bedenken an seiner Unschuld zu zerstreuen.

„Also schön“, wandte ich mich Riemenschneider zu. „Dann werde ich jetzt das Geld holen, damit Sie es der Polizei übergeben können.“ Der Anwalt meines Klienten sah mich argwöhnisch an. „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, verehrter Herr Lessing, aber ich wäre gern dabei, wenn Sie das Geld holen.“ Ich hatte schon ganz richtig verstanden, aber im Grunde war es mir sogar lieb, wenn mich der Rechtsverdreher begleitete. „Aber ich bitte Sie, Herr Anwalt, nur zu.“

Wir verließen die offensichtlich nicht sonderlich gut gehende Kanzlei Riemenschneiders und fuhren in getrennten Wagen nach Groß Stöckheim, einem Ortsteil Wolfenbüttels. Gernot Schmieding bewohnte ein altes Fachwerkhaus am Dorfplatz 8. Der Erker, den Manfred Peters seinem Rechtsanwalt beschrieben hatte, musste sich auf der Rückseite des Hauses befinden.

Ein Mann mit Halbglatze und leichtem Bierbauch öffnete uns die Tür. „Mein Name ist Riemenschneider, ich bin der Anwalt von Manfred Peters“, stellte sich der Rechtsvertreter vor. Es folgte eine flüchtige Handbewegung, mit der er auf meine Wenigkeit deutete. „Dies ist Herr Lessing. Ein Privatermittler, der ebenfalls für meinen Mandanten arbeitet.“ Der Mann mit dem knappen Haarkleid bat uns herein. „Wie geht es Manni? Ich bin leider noch nicht dazu gekommen, ihn zu besuchen.“ „Das wird auch nicht so ohne weiteres möglich sein. Herr Peters befindet sich in Untersuchungshaft, was bedeutet, dass er nur mit Genehmigung des Untersuchungsrichters Besuch empfangen darf.“ „Das wusste ich nicht. Bitte grüßen Sie Manni von mir, wenn Sie ihn wieder aufsuchen.“ Riemenschneider nickte.

„Doch nun zum eigentlichen Grund unseres Besuchs. Mein Mandant sagt, er habe in der Tatnacht bei Ihnen übernachtet.“ „Wenn es um sein Alibi geht, muss ich gestehen, dass ich bei der Polizei nicht umhin kam, die Wahrheit zu sagen.“ „Darum geht es eben nicht“, kürzte ich seine Entschuldigungsversuche etwas abrupt ab. „Es geht uns eher um das Zimmer, in dem Herr Peters geschlafen hat.“ „Es dürfte Ihnen ja bekannt sein, dass Ihr Freund in der Tatnacht mit einer Tasche voller Geld zurückkehrte“, mutmaßte Riemenschneider. Schmieding schüttelte den Kopf. „Davon ist mir nichts bekannt.“ „Egal“, kürzte ich ungeduldig ab. „Würden Sie uns bitte das Gästezimmer zeigen?“ Schmieding zuckte mit den Schultern. „Gern.“

Wir folgten dem Hausherrn ins Obergeschoss. Der Mann mit der Halbglatze öffnete die Holzkassettentür zu einem geräumigen, sonnendurchfluteten Raum, in dessen Mitte ein Doppelbett aufgebaut war. Gegenüber der Tür befand sich der Erker, von dem mein Auftraggeber seinem Anwalt berichtet hatte. „So, das wäre dann das besagte Zimmer.“ Riemenschneider betrat den Raum als Erster. Er steuerte sofort auf den Erker zu, seinen Blick zur Zimmerdecke gerichtet. Ich folgte ihm. „Da oben ist die Klappe, von der mein Mandant erzählt hat“, erklärte Riemenschneider erregt. Ich sah mich nach einem geeigneten Gegenstand um, der hoch genug war, um die Klappe zu erreichen. „Moment, ich habe auf dem Flur eine Klappleiter“, erbot sich der Hausherr.

Kurz darauf streckte ich Kopf und Arme durch die kleine Öffnung an der Decke des Erkers. In der Dachgaube herrschte völlige Finsternis. Die kleine LED Lampe an meinem Schlüsselbund tauchte den kleinen Raum in ein diffuses Blau. Jede Menge Staub wirbelte herum, doch von der Sporttasche fehlte jede Spur. „Hier oben ist nichts“, rief ich dem Anwalt zu. „Wie jetzt? Das kann nicht sein. Schauen Sie noch mal nach, Herr Lessing. Das Geld muss dort oben sein.“ Ich tat ihm den Gefallen, obwohl ich nicht wirklich glaubte, die Tasche übersehen zu haben. Ich leuchtete also ein weiteres Mal jede Ecke der Gaube aus, ohne dabei auch nur auf den kleinsten Gegenstand zu stoßen. Dafür machte ich allerdings direkt neben der Luke eine andere Entdeckung, die mir zu denken gab.

„Tja, tut mir Leid, aber wie ich schon sagte, hier ist nichts.“ Damit stieg ich die Leiter hinunter und sah in das ratlose Gesicht des Anwalts. „Hat mein Mandant Ihnen gegenüber etwas von dem Geld erwähnt?“, fragte er an Gernot Schmieding gewandt. „Nein, um was für Geld soll es sich denn handeln? Manfred hat mir doch erzählt, dass seine Frau all seine Ersparnisse durchgebracht hätte. Woher sollte er denn plötzlich eine ganze Tasche voller Geld haben?“ Riemenschneider ging nicht weiter auf die Frage des Hausherrn ein. „Nur der Ordnung halber“, fragte der Anwalt abschließend. „Ein weiteres Zimmer mit einem Erker und einer Dachgaube gibt es in diesem Haus nicht zufällig?“ Der Freund meines Auftraggebers grinste. „Nicht, dass ich wüsste.“

Während des Gesprächs versuchte ich mir mein eigenes Bild von dem Schulfreund meines Klienten zu machen. War er wirklich der Kamerad, für den er sich ausgab, oder spielte er ein falsches Spiel. Immerhin ging es um eine Menge Geld. „Sie hatten bei der Polizei zunächst ausgesagt, dass Herr Peters von dem Besuch bei seiner Frau gegen Mitternacht zurückkam und Sie den Rest des Abends gemeinsam verbracht hätten“, zitierte ich das Vernehmungsprotokoll. „Das ist richtig, Manfred Peters ist mein Freund. „Erst als man Sie mit der Zeugenaussage eines Nachbarn konfrontiert hat, änderten Sie Ihre Aussage.“ Schmieding stieß einen tiefen Seufzer aus. „Was sollte ich machen, mir blieb keine andere Wahl.“ „Verstehen Sie mich richtig, ich will Ihnen daraus keinen Vorwurf machen, aber warum sagten Sie zunächst die Unwahrheit?“ „Manni hatte mich gebeten, ihm ein Alibi zu geben.“

Was natürlich ein noch schlechteres Bild auf meinen Auftraggeber warf. „Wann war Herr Peters denn nun tatsächlich bei Ihnen?“, interessierte sich nun auch Riemenschneider. „Das kann ich leider nicht so genau sagen. Als ich irgendwann aus dem Fenster sah, – ich machte mir Sorgen, weil es bereits hell wurde und Manfred immer noch nicht wieder zurück war, – entdeckte ich plötzlich meinen Wagen vor dem Haus. Manfred saß hinter dem Steuer. Er sagte mir später, dass er schon eine Weile vor dem Haus gewartet hatte.“ Meine Stirn krauste sich. „Warum hat er nicht geläutet?“ „Hat er ja, aber ich war auf dem Sofa eingenickt und habe die Klingel offensichtlich überhört.“ „Das ist Pech“, bedauerte der Anwalt. „Pech für meinen Mandanten, aber da kann man nichts machen.“

Bevor Riemenschneider und ich wieder in unsere Fahrzeuge einstiegen, fassten wir noch einmal zusammen, was wir bisher herausgefunden hatten. „Je mehr wir in diesem Nebel herumstochern, um so mehr wird deutlich, dass unserem Klienten unterm Strich wohl nichts anderes übrig bleiben wird, als sich schuldig zu bekennen.“ Ich sah Peters Rechtsbeistand irritiert an. „Sollten wir zunächst nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Unschuld unseres Klienten zu beweisen? Ich glaube nicht, dass uns Herr Peters bezüglich der Tasche belogen hat.“ „Sie haben doch selber nachgesehen“, reagierte Riemenschneider mit Unverständnis. „Die Tasche war nicht mehr da.“ „Eben, sie war nicht mehr da, aber die Spuren, die sie ihm Staub hinterlassen hat, sagen mir zumindest, dass sie dort oben gestanden haben muss. Fakt ist, dass unser Klient bei seiner Verhaftung nichts mitführte. Auch die anschließende Durchsuchung des Zimmers brachte lediglich einen Wäschesack zum Vorschein, den er bei seiner Haftentlassung ausgehändigt bekam.“

Riemenschneider sah nachdenklich zum Haus von Schmieding hinüber. „Schöner Freund. Am besten wir konfrontieren den Kerl gleich mit unseren Vermutungen.“ „Das halte ich für unklug. Er würde ohnehin alles leugnen und wäre obendrein gewarnt. Es ist besser, wenn er annimmt, wir wären ihm auf den Leim gegangen.“ Der Anwalt stimmte mir nickend zu. „Wenn dieser ‚Freund' tatsächlich etwas mit der Sache zu tun hat, wird er früher oder später einen Fehler machen.“ „Wirklich geholfen ist unserem Klienten damit allerdings auch nicht. Selbst wenn wir beweisen können, dass dieser Schmieding das Geld an sich genommen hat, steht doch wohl außer Frage, wer es Kessler abnahm.“ Da musste ich dem Rechtsvertreter zustimmen, doch der Freund meines Auftraggebers war die einzige Spur, die wir bislang hatten.

„Bitte informieren Sie mich, falls Sie etwas Neues in Erfahrung gebracht haben.“ Mit diesem Worten setzte sich Riemenschneider in seinen Wagen und ließ mich stehen. Ich sah dem weißen Daimler noch eine ganze Weile nach, auch als er schon längst nicht mehr zu sehen war. Ein merkwürdiger Typ, dachte ich mir, ohne so recht zu wissen, was mich an ihm störte.

 

-8-

 

„Hallo Trude, schön, dass Sie noch da sind“, begrüßte ich meine Putzsekretärin, als ich die Tür zu meiner kleinen Detektei am ‚Alter Weg' aufstieß. Ich zog meinen Stetson vom Kopf und schleuderte ihn mit einer gekonnten Bewegung am Kleiderständer vorbei. „Wo bitte schön soll ich denn sonst sein, Chef?“ Ich sah auf meine Armbanduhr und grinste. „Ach, ist ja noch früh am Tage.“ Ich bückte mich, um meinen Hut an den Haken zu hängen und ließ meine Blicke durch das Vorzimmer wandern. Ein zufriedenes Lächeln huschte über mein Gesicht. Endlich war alles so, wie ich es mir immer erdacht hatte. Trude hatte Monate und etliche meiner Nerven gebraucht, um ihr eigenes kleines Chaos in ein funktionierendes Sekretariat umzuwandeln. Letztendlich schien sich meine Geduld auszuzahlen.

„Wie wäre es mit einem Kaffee, Chef?“ Ich schürzte die Lippen. „Beinahe hatte ich geglaubt, Sie würden mich nie fragen.“ Während ich in meinem Büro verschwand, lustwandelte Trude in die Küche hinüber. „Sie sind ja heute so gut gelaunt, Herr Lessing, sind Sie mit dem neuen Fall weiter gekommen?“, rief sie durch die geöffneten Türen. „Hält sich alles in Grenzen, Trude.“ „Ihre Bekannte hat übrigens schon mehrfach versucht Sie zu erreichen“, erklärte meine gute Fee, während sie den Kaffee auf meinem Schreibtisch absetzte. „Welche?“ „Die Exkollegin aus Braunschweig.“ „Isabelle?“, fragte ich erstaunt. „Warum ruft sie mich denn nicht auf dem Handy an?“ Trude zuckte mit den Schultern. „Da fragen Sie mich zuviel.“ Egal, ich wischte den Gedanken an meine Ex zur Seite und konzentrierte mich auf das, was in diem Moment Priorität hatte und das war nichts anderes, als mein aktueller Fall.

„Ich hätte da einige Kleinigkeiten, die Sie dringend für mich erledigen müssen.“ „Wenn ich die viele Arbeit, die ich sonst noch habe, vernachlässigen darf...?“ Meine Stirn verzog sich zu einem Meer aus Falten. „Äh...“ Das hämische Grinsen in ihrem Gesicht ließ keinen Zweifel an dem Zynismus offen, mit dem sie mich gerade auf die Schippe genommen hatte. „Ihre bärbeißige Seite war mir bislang noch gar nicht aufgefallen“, entgegnete ich denn auch recht verdutzt. „Ich bemühe mich dazuzulernen.“

„Also schön, solange es mich nichts kostet... Es geht um einen gewissen Gernot Schmieding. Der Mann wohnt hier in Groß Stöckheim am Dorfplatz 8. Versuchen Sie so viel wie möglich über diesen Herrn in Erfahrung zu bringen. Sie wissen schon, Standesamt, Einwohnermeldeamt, Finanzamt und was es sonst noch so gibt. Ihrer Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt.“ „Geht klar, Chef.“ Trude verließ voller Tatendrang das Zimmer. „Ach ja, wenn Sie schon dabei sind, können Sie auch gleich diesen Anwalt, äh, diesen Riemenschneider unter die Lupe nehmen.“ Trude machte auf dem Absatz kehrt und streckte den Kopf durch die Tür. „Ich soll Erkundigungen über einen Anwalt einholen?“ „So ist es. Ich mache mir gern ein Bild von den Leuten, mit denen ich es zutun habe.“ „Sie sind der Boss.“

Nachdem ich das Dringlichste erledigt hatte und Trude noch vollauf mit ihren Internet und Telefonrecherchen beschäftigt war, besann ich mich auf meine Exkollegin. Gespannt, was Isabelle denn so wichtiges auf dem Herzen hatte, griff ich zum Handy und tippte auf die Kurzwahltaste, mit der ich ihre noch immer eingespeicherte Nummer anwählen konnte.

„Hallo Isabelle, du hast schon mehrfach versucht, mich zu erreichen? Was hast du denn auf dem Herzen?“ „Zum einen wollte ich dich zu deinem Entschluss beglückwünschen, dass du dich, wie man munkelt, von deiner kleinen Cafehausbedienung wieder getrennt hast, zum anderen hielt ich es für sinnvoll, dich von der Entlassung Harry Kafkas zu unterrichten.“ ‚Brunswick Harry' ist wieder auf freiem Fuß?“ „Der Rest seiner Strafe wurde wegen guter Führung zur Bewährung ausgesetzt“, erklärte Isabelle. Ich schüttelte verständnislos den Kopf. „das darf doch nicht wahr sein, da läuft man sich die Hacken ab, damit ein so brutales Schwein endlich hinter Gitter kommt und die Justiz hat nichts besseres zu tun, als diesen Kerl wieder auf die Menschheit loszulassen.“ „In Anbetracht dessen, dass er dir damals Rache geschworen hat, hielt ich es für ratsam, dich vorzuwarnen.“ „Hab vielen Dank, das ist lieb von dir, ich werde meine Augen offen halten.“

Am anderen Ende der Telefonleitung wurde es ruhig. Ich konnte Isabelles Atem hören. „Was machst du denn heute Abend so?“, fragte meine Ex unvermittelt. Eine Frage, die ich kommen sah. „Och, im Grunde habe ich zur Zeit alle Hände voll mit einem neuen Fall zu tun, aber wenn ich wirklich noch etwas Zeit abknapsen kann, gehe ich zu meiner kleinen Cafehausbedienung, die sich übrigens, zu meinem Leidwesen von mir getrennt hat und pflege die außerordentlich gute Freundschaft, die mich mit ihr verbindet.“ Nun hörte ich nichts als Isabelles Schlucken in der Leitung. „Na ja, ich wollte dich ja nur warnen“, entgegnete sie schließlich schnippisch. „Wofür ich mich bei dir bedanke. Was alles andere angeht, solltest du überdenken, ob du es wirklich nötig hast, dich auf ein solches Niveau herabzulassen.“ Als ich auf eine Antwort lauschte, war nur noch ein leises Rauschen zu vernehmen. Meine Exfreundin und ehemalige Partnerin hatte das Gespräch beendet. Nichts Außergewöhnliches für Isabelle, eher eine Unart von ihr, wenn sie sich zu unrecht angegriffen fühlte und das leider keineswegs selten.

Während ich mich auf meinem Bürosessel zurücklehnte, meine Füße auf den Schreibtisch legte, die Hände im Nacken kreuzte und an Monika und ihre Tochter Suhela dachte, klopfte es an der Tür zu meinem Büro. Ich war so sehr in meinen Gedanken versunken, dass ich das Klopfen zunächst nicht wahrnahm. Als Trude daraufhin hereinstürmte, hätte ich fast das Gleichgewicht verloren. Nur das Rudern mit beiden Armen bewahrte mich vor einer peinlichen Niederkunft .

„Chef“, stürmte sie herein, „ich habe da einige ganz interessante Informationen für Sie.“ „Na, dann lassen Sie mal hören.“ Trude lehnte sich mit ihrem nicht mehr ganz so schmalen Hintern über die Ecke meines Schreibtischs und versuchte angestrengt ihre eigene Schrift zu entziffern. „Also, dieser Gernot Schmieding und unser Klient haben zusammen die Schulbank gedrückt.“ Was mich nicht umhaute, da ich es bereits wusste. „Die zwei waren dicke Kumpel, bis unser Mandant seinem Freund Schmieding die Frau ausspannte.“ „Jennifer?“, vergewisserte ich mich erstaunt. „Genau die, aber es kommt noch besser. Jennifer Peters, geborene Reiter und Gernot Schmieding hatten bereits das Aufgebot bestellt.“ Das war allerdings der Hammer. Ich verstand nur nicht, warum mir mein Auftraggeber nichts davon erzählt hatte. Ihm musste doch klar sein, dass ein solcher Umstand meine Ermittlungen in eine ganz andere Richtung führen konnte. Der einzige Grund für sein Schweigen konnte nur die offensichtlich vorgetäuschte Versöhnung mit Schmieding sein.

Nichtsdestotrotz konnte dies meinem Erachten nach nur bedeuten, dass der gute alte Schulfreund die Gunst der Stunde nutzte, um sich für die einst erlittene Schmach zu rächen. Die Frage war nur, ob ihm zu diesem Zweck die Tasche mit dem Geld reichte, oder ob er es auch war, der meinem Klienten den Mord an Kessler in die Schuhe schieben wollte? War die unerfüllte Liebe zu seiner einstigen Braut am Ende die Triebfeder zu einer solchen Tat? Wie auch immer, Schmieding war bislang meine einzige Spur und die galt es nun nicht mehr aus den Augen zu lassen.

„Ist Ihnen bekannt, dass Gernot Schmieding als Architekt arbeitet?“, fragte Trude lauernd. „Ja“, entgegnete ich knapp. „Er ist als Innenarchitekt bei einer großen Braunschweiger Firma beschäftigt.“ „Das ist korrekt, aber wussten Sie auch, dass der Gute in seiner Glanzzeit als Bräutigam Brücken bauen wollte?“ Trude versetzte mich in angenehmes Erstaunen. „Wie haben Sie das denn herausgefunden?“ Meine Putzsekretärin grinste über das ganze Gesicht. „War nicht ganz leicht, aber wozu hat man so seine Connection?“ Trude verblüffte mich immer mehr. „Was für Verbindungen?“, fragte ich neugierig. „Meine Freundin Elvira putzt im Standesamt und mein Bruder Johannes ist seit ein paar Wochen Hausmeister in der Uni Braunschweig.“ „Okay, okay, ich will gar nichts mehr wissen“, wiegelte ich nichts Gutes ahnend ab.

 

-9-

 

Seit Stunden saß ich nun schon in meinem Opel Ascona und wartete darauf, dass sich in dem Haus am Dorfplatz 8 etwas tat. Ein Anruf im Einrichtungshaus Pechwinter hatte genügt, um zu erfahren, dass sich Gernot Schmieding einige Tage Urlaub genommen hatte. Ich staunte nicht schlecht, als plötzlich ein offensichtlich nagelneuer Porsche 911 Cabriolet vor dem Haus stoppte und der beste Freund meines Klienten gut gelaunt auf die Straße hüpfte. Hatte er bereits einen Teil des Geldes darin angelegt? Wenn dem so war, musste der Kerl dümmer sein, als ich es zu hoffen wagte.

„Schni schna schnappi...“ Der melodische Klingelton meines Handys ließ mich meine Überlegungen abrupt abbrechen. „Lessing“, meldete ich mich gedehnt. „Kleinschmidt am Apparat. Sie arbeiten doch noch an der Sache Kessler?“ Ich bejahte. „Ich habe da was für Sie.“ Es schien der Tag der Überraschungen zu werden. „Sie können sich an das Regal im Bauwagen erinnern?“ Ich nickte, ohne dass es der Hauptkommissar hätte sehen können. „Ist noch nicht ganz amtlich, aber die Kollegin Knoop von der Spurensicherung hat daran DNA fähiges Material sichergestellt. Erste Untersuchungen des anhaftenden Blutes haben eine hohe Übereinstimmung mit der Ihres Klienten aufgewiesen.“ Ich hatte es befürchtet. „Ich fürchte, es wird eng für Herrn Peters. Wie dem auch sei, Sie hatten noch was gut bei mir.“ Ich bedankte mich und beendete das Gespräch, weil genau der Porschefahrer in diesem Augenblick das Haus verließ.

Der verhinderte Brückenbauer schien es eilig zu haben. Er sprang in seinen Wagen und ließ den Motor aufheulen. Die durchdrehenden Reifen seines Porsches radierten quietschend Gummi auf den Asphalt. Keine Ahnung, ob er mich bemerkt hatte und seinen mehr als zweihundert Pferdestärken deshalb die Sporen gab. Ich jedenfalls schickte ein Stoßgebet zum Himmel und drehte den Zündschlüssel. Der Motor brummte freudig erregt auf. Ein kurzer Blick des Dankes und ich setzte dem Porsche nach. Gottlob ging die Fahrt in Richtung Stadtmitte. Auf der Autobahn, die in der anderen Richtung verlief, hätte ich sicher keine Chance, ihm zu folgen.

Ich jagte ihm quer durch die Stadt nach und weiter in Richtung Groß Denkte, wo er dann nach links abbog und über einen Bahnübergang die Straße nach Mönchevahlberg nahm. Gleich hinter dem Ortsausgang steuerte er den Porsche in eine schmale Straße, die zum Wald hinaufführte. Ich folgte ihm in gebührenden Abstand. Als ich sah, dass er den Wagen auf einem kleinen Parkplatz stoppte, fuhr ich rechts ran und hielt ebenfalls. Nur Sekunden später rollte ein Smart XL an mir vorbei. Ich hatte den Wagen erst im letzten Moment wahrgenommen und war abgetaucht. Hinter dem Steuer erkannte ich niemand anderen als Jennifer Peters. Sie lenkte den Smart zielsicher auf den kleinen Parkplatz und stoppte direkt neben dem Porsche. Gewiss kein Zufall. Durch den Sucher meiner Kamera beobachtete ich, wie sie zu Schmieding in den Porsche stieg. Ich zoomte so dicht wie möglich heran und schoss einige vielsagende Fotos einer mehr als herzlichen Begrüßung.

Jetzt war die Gelegenheit gekommen, um mein neues Richtmikrophon auszuprobieren. Die kleine Übungseinheit am Tag der Lieferung zahlte sich aus. Ich hatte das Gerät mit wenigen Handgriffen zusammengebaut und einsatzbereit. Das Anpeilen der Zielpersonen erforderte allerdings reichlich Fingerspitzengefühl. Nach einigen Fehlversuchen, bei denen ich nichts als Vogelgezwitscher in die Ohren bekam, klappte es schließlich.

„Wie konntest du nur so dumm sein und dir diesen protzigen Schlitten zulegen?“, wetterte Jennifer. „Keine Angst“, wiegelte Schmieding ab, „ich habe genug auf die hohe Kante gelegt, um den Wagen davon zu bezahlen. So dämlich wie du glaubst bin ich dann doch nicht.“ Jennifer Peters Gesicht hellte sich auf. „Die Kohle, die Kessler von dir erpresst hat, habe ich nicht angerührt.“ Ich beobachtete, wie Schmieding die Rückbank seines Wagens nach vorn klappte und einen gelben Plastikbeutel hervorzog. „Wie versprochen“, sagte er lächelnd und übergab Jennifer den Beutel. Die schaute hinein und küsste ihn heiß und innig. „Ich wusste doch, dass man sich auf dich verlassen kann.“

Es bestand kein Zweifel für mich, dass gerade die ominösen sechshunderttausend Euro den Besitzer gewechselt hatten. Es war nur die Frage, ob es meinem Auftraggeber weiterhelfen würde, wenn ich seiner Geschiedenen das Geld zu diesem Zeitpunkt abnehmen und der Polizei übergeben würde. Am eigentlichen Tatvorwurf des Mordes an Kessler würde dies nichts ändern. Ich beschloss daher vorerst abzuwarten und weitere Recherchen anzustellen. Die intimen Fotos von Jennifer Peters und Gernot Schmieding und die der vermeintlichen Geldübergabe sprachen eine eindeutige Sprache.

„Wir müssen vorsichtig sein, neben diesem Kommissar schnüffelt nun auch noch so ein Detektiv herum. Er tappt zwar genauso im Dunkeln wie die Polizei, aber anders als die Bullen arbeitet der für deinen Exmann.“ „Und wenn schon, letztendlich können die uns gar nichts“, entgegnete Jennifer selbstsicher. „Mein Ex wird bekommen, was er verdient und wir haben zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Das Beste aber ist, dass uns die Bullen die Drecksarbeit auch noch abnehmen.“ „Manchmal machst du selbst mir noch Angst“, zollte ihr Schmieding Respekt. „Trotzdem, wir sollten kein Risiko eingehen und uns für eine Weile nicht mehr sehen“, fuhr Jennifer unvermittelt einen Gang zurück. „Es wäre nicht gut, wenn man uns im Moment zusammen sieht.“ „Warum, es wird schon niemand mitbekommen, wenn ich dich nachts besuche“, sah Schmieding seine Felle davonschwimmen. „Nein, nein, du hast schon völlig recht, Gernot, dieser Privatschnüffler könnte möglicherweise mein Haus beobachten. Wäre doch tragisch, wenn es dich so kurz vor dem Ziel noch erwischen würde.“ „Wieso mich?“, erwiderte der Mann hinter dem Lenkrad wie vom Donner gerührt. Jennifer verdrehte die Augen. Na, nun überleg doch mal. Bei dir hat Manni die Kohle deponiert. Du hast einen Grund sowohl auf Rainer als auch auf Manni eifersüchtig zu sein und letztendlich hast du für die Tatnacht kein Alibi.“ Schmieding glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. „Moment mal, was redest du denn da? Du weißt doch genau, dass ich bei dir war!“ „So, warst du das?“, antwortete sie gedehnt. „Du hast also möglicherweise kein Alibi.“ „Bist du verrückt?“, entgegnete Schmieding entsetzt. „Was glaubst du wohl, was dein Alibi noch wert ist, wenn die hinter unser Verhältnis kommen?“ Jennifer beugte sich zu ihrem Lover und nahm sein Gesicht zwischen beide Hände. „Glaub mir, es ist besser, wenn wir uns eine Weile nicht sehen. Nur solange, bis sich die Wogen geglättet haben. Du hast so lange auf mich gewartet, da kommt es doch auch auf ein paar Wochen nicht mehr an.“

Der Mann hinter dem Steuer begann die Frau neben sich leidenschaftlich zu küssen. Ich hatte den Eindruck, dass sich Jennifer ihm nur widerwillig hingab. Aber dieser Anschein konnte durch den Zoom durchaus verzerrt bei mir ankommen. Durch die plötzlich aufkommenden Wolken verschlechterten sich zudem die Sichtverhältnisse und der Wind sorgte überdies für ein immer lauter werdendes Rauschen, wodurch ich schließlich nur noch Bruchstückhaftes wahrnahm. Ich entschloss mich, meine Zelte abzubrechen, ehe es die Observierten taten. Immerhin hatte ich einiges gehört, was erst einmal neu einzuordnen war.

 

-10-

Wie das eben so ist, wenn man mit sich und dem Geleisteten zufrieden ist, hat man das Bedürfnis, sich in irgendeiner Form zu belohnen. Ich entschied mich, mir den Rest des Tages frei zu nehmen und die so gewonnene Zeit meinem Privatleben zu widmen. Da noch immer ein heftiges Sommergewitter über der Stadt tobte, entschloss ich mich schweren Herzens auf den Besuch des städtischen Freibades zu verzichten und mich im Cafe ‚Klatsch' bei einem leckeren Eis zumindest von innen etwas abzukühlen.

„Hallo Leopold“, begrüßte mich Anne, während ich von meinem Stetson den Regen abschüttelte. „Schön, dich mal wieder zu sehen.“ Es folgte eine herzliche Umarmung, wie es Annes Art ist, wenn sie gute Freunde und Stammgäste ihres Cafes begrüßt. Ich hatte direkt ein schlechtes Gewissen, weil ich mich in den vergangenen Monaten meist in dem Cafe aufgehalten hatte, in dem Monika den Cappuccino servierte, doch nun freute ich mich, all die bekannten Gesichter wieder an den Tischen sitzen zu sehen. Die Atmosphäre bei Anne war doch irgendwie familiärer. Kein Wunder, ich war seit über zehn Jahren dort Stammgast, da kennt man sich untereinander.

„So wie immer?“, fragte Anne, während ich meinen Stetson an einen Garderobenhaken hing und mich an einem der Tische vor der großen Glasscheibe niederließ. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick auf die vom Regen getriebenen, vorbeihastenden Menschen. Wochenlang hatte es nicht geregnet, alles schrie förmlich nach einer Abkühlung, doch nun, da sie endlich da war, wollte niemand nass werden. Wie merkwürdig wir Menschen manchmal sein können , dachte ich.

„Du arbeitest wohl gerade an einem interessanten Fall“, hörte ich Anne sagen. Sie setzte das kleine silberne Tablett mit dem heiß geliebten Cappuccino und dem Caramellino, einem in Folie verpackten Karamellgebäck, vor mir ab und setzte sich zu mir. Ich nickte wortlos. „Eine größere Sache?“ Ich wog den Kopf. „Kann man so sagen.“ Anne wusste, wann ich über etwas sprechen wollte und wann nicht. Sie fragte nicht weiter. „Wie ich sehe, hast du eine neue Bilderausstellung“, wechselte ich das Thema. „Ja, die Repliken sind von Dorothea. Hat mich eine Menge an Überzeugungskraft gekostet, um sie zu dieser kleinen Vernissage zu überreden.“ Ich sah mich von meinem Platz aus um. „Warum, die Bilder scheinen doch recht gelungen zu sein?“ „Eben“, fühlte sich Anne bestätigt, „das finde ich auch.“

Genau in diesem Moment sah ich Trude eilig am Fenster vorbeihasten. Ich schnellte ohne zu zögern hoch und riss die Tür auf, um ihr nachzurufen. Als sie mich hörte, kehrte sie stehenden Fußes um. Die Ärmste war pitschnass und völlig außer Atem, als sie das Cafe erreichte. „Ich war bestimmt nur ganz kurz fort, das müssen Sie mir glauben“, stammelte sie außer sich. „Beruhigen Sie sich, Trude“, sprach ich mit gedämpfter Stimme auf sie ein. Anne brachte einen Grappa. „Der wird Ihnen helfen.“ Meine Putzsekretärin kippte sich den Tresterbranntwein* ohne jede Reaktion hinunter. Ich verzog schon beim Zusehen die Miene. Als sie wieder genug Luft geholt hatte, begann sie zu erzählen. „Ich war nur kurz zur Schneiderin gegangen, um ein Kleid abzuholen, das ich letzte Woche zum Ändern gegeben hatte. Als ich ins Büro zurückkehrte, war die Tür aufgebrochen und in den Räumen herrschte ein heilloses Durcheinander.“ Trude liefen die Tränen. Sie begann erneut nach Luft zu jappen. „Es war niemand mehr da, aber alles ist zerschlagen, einfach alles!“

Einerseits war ich natürlich bestürzt, andererseits aber auch erleichtert, dass Trude niemanden in der Detektei überrascht hatte.

*wird aus Rückständen beim Keltern gebrannt.

Nicht auszudenken, was der oder die Strolche mit ihr gemacht hätten. „Das alles ist ganz gewiss nicht Ihre Schuld, Trude. Ich bin froh, dass Ihnen nichts geschehen ist, aber sagen Sie, warum haben sie mich denn nicht auf dem Handy angerufen?“ Trude sah mich konsterniert an. „Das habe ich doch, aber außer der Mailbox
meldete sich niemand.“ Ich kramte mein Handy hervor und stellte

genervt fest, dass sich der Akku wieder mal verabschiedet hatte.

„Haben Sie die Polizei informiert?“ Trude nickte. „Die sind gerade, dabei alles zu fotografieren und aufzunehmen. Weil ich nicht wusste, was ich machen soll, bin ich auf gut Glück losgelaufen, um sie zu suchen.“ Ich legte meine Hand auf Trudes Schulter. „Das haben Sie gut gemacht. Es ist das Beste, wenn ich Sie jetzt nach Hause fahre, damit Sie zur Ruhe kommen.“ „Nichts da!“, widersprach Trude energisch. „Ich werde Sie ins Büro begleiten. Da gibt es jetzt genug zu tun.“

Auf dem Weg in die Detektei kreisten meine Gedanken nur um eine Frage: War ich bei meinen jüngsten Ermittlungen jemandem auf die Füße getreten, oder hatte ich diesen Überfall Brunswick-Harry zu verdanken? „Wer ist nur so gemein?“, fragte mich Trude kopfschüttelnd. „Nun ja“, antwortete ich seufzend, „wenn man stets für das Richtige eintritt, macht man sich auf der dunklen Seite der Macht viele Feinde.“ „Ich verabscheue jegliche Art von Gewalt.“ Ich konnte ihr nur zustimmen.

„Sind Sie Herr Lessing?“, empfing mich ein Polizeiobermeister, als ich die Detektei betrat. „So ist es“, seufzte ich, mich nach dem Ständer für meinen Hut umsehend. Ein derartiges Tohuwabohu hatte ich dann doch nicht erwartet. Es hatte den Anschein, als seien Ali Baba und seine vierzig Räuber kreuz und quer durch die Büros geritten. Gottlob befanden sich meine teure Fotoausrüstung und die neue Abhörvorrichtung im Kofferraum meines Asconas. „Ich hoffe nur, Sie sind gegen Einbruch und Vandalismus versichert“, riss mich der Beamte des Einbruchsdezernats aus meinen Gedanken. Ich stand noch immer fassungslos da und versuchte mir einen ersten Überblick zu verschaffen. Tausendmal schon hatte ich während meiner Polizeilaufbahn ein solches Durcheinander gesehen, doch nie war ich selbst betroffen. Das, was man allgemein hin als Abgeklärtheit bezeichnet, entbehrte hier jeder Gültigkeit. Es war nicht so, dass ich mich nun gleich an den weißen Ring * wenden musste, aber das Gefühl, schlagartig alles verloren zu haben, war entsetzlich.

„Haben Sie eine Ahnung, wer da etwas gegen Sie haben könnte?“ Klar hatte ich, aber diese Sache wollte ich auf meine Weise regeln. „Alles was recht ist“, fuhr der Obermeister fort, „nach einem gewöhnlichen Einbruch sieht das hier wirklich nicht aus.“ „In meinem Job tritt man schon mal dem einen oder anderen auf die Füße, aber das müssten Sie doch am besten wissen. Wenn Sie alle in Frage kommenden Kandidaten überprüfen wollten, wäre das Einbruchsdezernat sicherlich für Wochen mit nichts anderem beschäftigt.“ Der Beamte machte ein mitfühlendes Gesicht. „Wahrscheinlich können Sie noch nicht sagen, ob etwas gestohlen wurde?“ Ich sah mich sarkastisch lächelnd um. „Beim besten Willen...“ „Na schön, wir sind mit unserer Arbeit fürs Erste fertig. Fertigen Sie uns bitte eine Liste von den entwendeten, beziehungsweise zu Bruch gegangenen Gegenständen an. Für die Versicherung sollten Sie noch ein paar Fotos vom Tatort zulegen. Aber was rede ich, das ist Ihnen als Privatermittler sicher alles bekannt.“ Ich nickte stillschweigend. „Hier ist meine Karte, damit die von der Versicherung wissen, wer den Fall bearbeitet.“ Ich bedankte mich und folgte den Beamten auf die Straße, um meine Fotokamera zu holen.

Die Aufnahmen waren schnell im Kasten und nach Absprache mit meiner Versicherung sorgte die Wut in meinem Bauch neben Trudes Arbeitseifer und einer Kanne ihres leckeren Kaffees dafür, dass wir das Gröbste schon bis zum Abend wieder in Ordnung gebracht hatten. Große Teile des neuen Mobiliars waren zerschlagen. Trudes mit viel Liebe und Eifer eingerichteter Arbeitsplatz mit der Kundendatei und den übrigen Registern lag völlig verwüstet am Boden. Der Computer hatte den Anschlag überraschenderweise heile überstanden, wie ich erst einige Tage später erfuhr. Der Monitor war allerdings zu Bruch gegangen,

*'Weißer Ring' Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer

aber das war weniger dramatisch, da ich mir ohnehin in naher Zukunft einen moderneren Flachbildschirm zulegen wollte.

„So, Trude, lassen Sie's gut sein für heute“, sagte ich mit einem Blick auf die Uhr. „Nur noch drei Stunden, dann bricht ein neuer Tag an.“ Trude setzte sich erschöpft auf den einzigen ganz gebliebenen Küchenstuhl und atmete mit dicken Backen aus. „Sie haben recht, Chef. Ich glaub, ich bin ganz schön müde für heute.“ „Ich fahre Sie schnell nach Hause und dann legen Sie sich erst einmal hin. Morgen fangen wir später an.“ Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit ließ sich Trude diesmal widerstandslos von mir nach Hause fahren. Die gute Seele hatte sich ziemlich verausgabt. Sie war eben auch nicht mehr die Jüngste, wobei sich genau diese Generation so manche Scheibe von ihr abschneiden konnte.

Nachdem ich Trude an ihrer Wohnung in der Ahlumer Siedlung abgesetzt hatte, steuerte ich meinen Wagen nach Braunschweig in die Leopoldstraße, von wo aus ich zu Fuß in die Friedrich – Wilhelm – Straße ging. Es war das Viertel, in dem Brunswick-Harry zu Hause war. Aber auch ich kannte mich in dieser Gegend aus wie in meiner Westentasche. Während meiner Zeit bei der Braunschweiger Kripo war ich oft genug auf diesen Straßen unterwegs gewesen. Auch wen man hier nur noch gelegentlich eine Bordsteinschwalbe antraf, so tobte in den hier ansässigen Kneipen, Pinten und Nachtbars nach wie vor das Leben. Besonders in der Bruchstraße, wo sich ein Etablissement neben dem anderen befand.

Genau an der Ecke zu jener Straße befand sich eines dieser kleinen, schmutzigen Hinterhofkinos, in denen die ganze Nacht hindurch ordinäre Pornofilmchen drittklassiger Möchtegernschauspieler gezeigt wurden. Besagter Filmpalast mit dem reichlich hochtrabenden Namen Moulin-Rouge gehörte zu Harry Kafkas zweifelhaftem Rotlichtimperium. Große, grelle Leuchtbuchstaben über einem schmalen, schlecht ausgeleuchteten Seitengang buhlten um die Gunst ortsfremder Nachtschwärmer. Es waren Leute von außerhalb, auf die es Brunswick-Harry abgesehen hatte. Bis zu ihnen hatte es sich nicht herumgesprochen, dass die Gäste des Moulin-Rouge in übelster Weise abgezockt wurden. Nicht selten erwachten sie ausgenommen und mit einem fürchterlichen Brummschädel am nächsten Morgen in einem Gebüsch im nahen Bürgerpark. Wenigstens mit einem dieser Fälle hatte ich diesen selbsternannten Rotlichtkönig in Zusammenhang bringen können. Das Opfer war bei eisigen Temperaturen von Kafkas Handlangern im Park abgelegt worden und auf Grund dessen erfroren.

Seit einigen Tagen hatte er also seine Haftstrafe abgesessen und nicht viel Zeit verstreichen lassen, um seinen Racheschwur umzusetzen, den er nach der Verkündung des Urteils gegen mich ausgesprochen hatte. Um ihm klarzumachen, dass diese Rechnung nicht aufgehen würde, war ich hier, denn eines war klar, Kafka würde nicht eher ruhen, bis er mich zur Strecke gebracht hatte. Da ich nicht mehr bei der Polizei arbeitete, gab es nun Mittel und Wege, die ich als Privatperson nutzen konnte, ohne dabei in einen Gewissenskonflikt zu geraten

Ich verschaffte mir Zutritt zu einem der an das Moulin-Rouge angrenzenden Häuser, um einen guten Blick auf den Hinterhof und damit auf die Zufahrt der Bar zu bekommen. Eines der Fenster des Treppenhauses grenzte an ein Flachdach, auf dem ich mich auf die Lauer legen konnte. Mit dem Kopf voraus robbte ich bis an die Dachkante. Ich packte meine Fotoausrüstung aus, schraubte das richtige Objektiv auf den Sucher und stellte den Restlichtverstärker ein. Nun hieß es, sich in Geduld zu fassen.

Selbst zu dieser späten Stunde waren noch einige der Fenster über mir beleuchtet. Es war sicherlich die anhaltende Schwüle, die sich auch nach dem Gewitter nicht verflüchtigt hatte, welche die Leute nicht in den Schlaf finden lies. Durch die weit geöffneten Fenster vernahm ich das Weinen kleiner Kinder, die Rufe genervter Eltern und den Disput zweier Frauen, die sich offenbar um die Gunst eines Mannes stritten. Geschirr ging klirrend zu Bruch, dann war es plötzlich ruhig. Auch wenn ich mich dicht auf das geteerte Flachdach presste und auf die Dunkelheit vertraute, die mich umhüllte, so blieb doch das Risiko von oben entdeckt zu werden.

Endlich öffnete sich die Hintertür des Moulin-Rouge und einige Männer traten ins Freie. Ich sah durch das Nachtsichtgerät und erkannte neben zwei dunklen Gestalten, die einen dicklichen Mann zum Lieferwagen schleppten, meinen speziellen Freund Kafka. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Nicht im Traum hatte ich mit einem so schnellen Erfolg gerechnet. Nun galt es, keine Zeit zu verlieren. Meine Kamera im Anschlag machte ich einige hervorragende Aufnahmen, wie sie nicht besser hätten sein können. Sie zeigten Brunswick-Harry, wie er seinen Leuten Anweisungen gab. Nachdem der Lieferwagen den Hof verlassen und Kafka wieder in seiner Schmuddelpinte verschwunden war, packte auch ich hochzufrieden meine Sachen und machte mich auf den Rückweg. Wenn die Fotos hielten, was ich mir von dem, was ich sah, versprach, hatte ich ein Druckmittel gegen den Kerl in der Hand, das ich gewillt war einzusetzen.

 

-11-

 

Trotz meiner erfolgreichen Exkursion nach Braunschweig und dem schweren Schreibtisch, den ich vor die eingetretene Tür zur Detektei geschoben hatte, waren die wenigen Stunden, die ich auf meinem zusammenklappbaren Gästebett verbracht hatte, alles andere als erholsam. Es war jedoch weniger die Sorge vor einer neuerlichen Aktion meines Widersachers, die mich um den Schlaf brachte, als die Gedanken, welche ich mir um meinen aktuellen Fall machte.

Was hatte ich bisher? Gegen meinen Auftraggeber sprachen vor allem sein Motiv, die Aussage des Zeugen, der wenige Stunden zuvor einen Streit zwischen ihm und dem späteren Opfer belauscht hatte, die im Bauwagen am Tatort gefundene DNA meines Mandanten und nicht zu vergessen, sein Ehering, den der Ermordete wie einen Fingerzeig fest in seiner Hand umschlungen hatte. Für ihn sprachen bislang nur die Fotos, die ich bei der Observierung von Gernot Schmieding gemacht hatte. Das Gespräch, welches ich dabei mit meinem Richtmikrophon aufgenommen hatte, besaß vor Gericht keinerlei Beweiskraft, da es mit einem illegalen Hilfsmittel aufgenommen worden war. Nichtsdestotrotz glaubte ich nun hundertprozentig an die Unschuld meines Klienten und dafür lohnte es, sich mit ganzer Kraft einzusetzen.

Es war also weniger die Entlastung meines Auftraggebers, die mich weiterbringen konnte, als vielmehr die Ermittlung anderer Verdächtiger und ihre Belastung durch andere Motive, Indizien und Fakten. Ganz oben auf meiner Liste stand dabei die geschiedene Frau meines Klienten. Lag ihr Motiv, sich Kessler zu entledigen, allein darin begründet, dass er das Schwarzgeld an sich gebracht hatte, oder gab es weitere Anstöße, seinen Tod zu wollen? Ich beschloss, mich auf dem Betriebshof der Baufirma umzusehen.

Die ehemalige Firma von Manfred Peters befand sich auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne auf der Salzdahlumer Straße. Peters und Kessler hatten nach dem Abzug der britischen Besatzer einen respektablen Teil der Anlage erworben und dort den Sitz ihrer Firma begründet. Auch Jahre später deutete noch immer vieles auf dem ursprünglichen Zweck des Geländes hin. Schon die Einfahrt ließ keinen anderen Eindruck zu. Eine große Tafel, die sich direkt neben dem ehemaligen Wachhäuschen befand, wies mir den Weg. Ich bog nach rechts ab und umrundete das einstige Verwaltungsgebäude, einen Teil der Garagen und der Mannschaftsunterkünfte, bis ich schließlich im hinteren Teil auf den Betriebshof der ‚Oker-Bau' stieß.

Im vorderen Teil der durch hohe Zäune und eine großzügige Einfahrt vom übrigen Gelände abgetrennten Baufirma, befanden sich in einem zweigeschossigen Gebäude offensichtlich die Büro- und Geschäftsräume. Ich stellte meinen Wagen auf einem der vorgesehnen Parkbuchten ab und folgte dem Schild mit der Aufschrift ‚Kundenberatung und Verkauf'.

Kurz darauf stieß ich hinter einem brusthohen Holztresen auf zwei ältere Herren, die die Tastatur ihres Computers quälten. Als sie mich erblickten, starrten sie mich an, als wäre ich ein Außerirdischer. „Guten Tag die Herren. Verzeihen Sie, wenn ich störe, mein Name ist Lessing, ich arbeite für den ehemaligen Chef dieser Firma, Herrn Peters.“ Die beiden sahen mich nun noch irritierter an. „Und wir dachten, Sie wollten bei uns Ihr Pferd beschlagen lassen.“ Ich rückte genervt meinen Stetson zurecht, ohne auf ihre Anspielung einzugehen. „Sie haben sicherlich gehört, was meinem Klienten zur Last gelegt wird.“ „Haben wir! Was wollen Sie?“ „Nun ja, wie Sie sich denken können, bin ich daran interessiert, seine Unschuld zu beweisen.“ „Hören Sie“, erwiderte der vermeintlich Jüngere der beiden Alten. „Wir haben Manfred Peters eine Menge zu verdanken, wenn wir wüssten, wie wir Ihnen helfen könnten, wären wir sofort dabei, aber ehrlich gesagt, glauben wir nicht an seine Unschuld. Wir kennen Peters. Er ist kein Mann, der sich eine solche Sauerei bieten lässt. Kessler hat bekommen, was er verdient hat. Nicht mehr und nicht weniger. Unsere Hochachtung hat er in jedem Fall und so wie wir denken hier auch die anderen. Mehr werden wir nicht zu der Sache sagen.“

Ich war einigermaßen überrascht. Der Mann, an dessen Brust ein Namensschild mit dem Aufdruck ‚A. Keune' haftete, hatte mir seinen Standpunkt unmissverständlich dargelegt, ohne dabei jedoch etwas Konkretes von sich gegeben zu haben. Klar, dass die beiden Veteranen Angst um ihren Arbeitsplatz hatten. Die Rente lag nicht mehr fern, da sieht man zu, die letzten Jahre bis zum Ausstieg aus dem Erwerbsleben noch so angenehm wie möglich herumzubekommen.

„Eine Frage hätte ich abschließend allerdings noch“, versuchte ich das Gespräch noch einmal anzuschieben. „Wer leitet denn jetzt eigentlich die Firma?“ A. Keune lachte höhnisch. „Das würden wir auch gern wissen. Angeblich will die Chefin den Laden verkaufen, aber ob sie ihn in der momentanen Flaute loswird, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.“ „Ist Frau Peters im Haus?“ Der Ältere winkte ab. „Bewahre, die hab ich hier schon lange nicht mehr gesehen, aber so viel ich weiß, hat sie sich für heute Nachmittag angekündigt. “ „Gibt es in dieser Firma überhaupt noch jemanden, der so etwas wie den Durchblick hat?“, fragte ich nachdenklich. „Wenn Sie wissen wollen, wer den Laden im Augenblick zusammenhält, kann Ihnen vielleicht Leonie Schindel, die Sekretärin von Kessler weiterhelfen. So viel ich weiß, ist sie ihm Hause.“

Ich bedankte mich und begab mich in den ersten Stock, wo die Buchhaltung, die Räume der Betriebsleitung und das Sekretariat untergebracht waren. „Ich suche eine Frau Schindel“, warf ich einer jungen, äußerst attraktiven Frau entgegen, die mir auf dem Flur begegnete. „Was wollen Sie denn von ihr?“ „Also, das möchte ich ihr lieber selber sagen.“ „Tja, dann schießen Sie mal los.“ Ich machte ein verkniffenes Gesicht. „Sie sind Frau Schindel?“ „So ist es.“ „Mein Name ist Lessing, ich arbeite für Manfred Peters und hätte Ihnen gern einige Fragen gestellt.“ Sie stutzte, sah auf meinen Hut, den ich mittlerweile in der Hand hielt und seufzte. „Also schön, ich habe gerade Frühstückspause. Wenn Sie mögen, können Sie mich ja begleiten.“

Kurz darauf saßen wir nicht etwa in einem Frühstücksraum, wie ich vermutet hatte, sondern auf dem Stamm eines gefällten Baumes, der inmitten eines kleinen verwilderten Gartens lag. Die adrette Sekretärin knabberte eher lustlos an einem Apfel herum. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich cooler gab, als sie es eigentlich war.

„Also, stellen Sie Ihre Fragen“, forderte sie mich unumwunden auf. „Wie ich erfuhr, waren Sie die Chefsekretärin und somit die rechte Hand Herrn Kesslers.“ „Wir waren, wenn Sie so wollen, ein gutes Team.“ „Dann trifft Sie der Tod Ihres Chefs sicherlich besonders hart“, suggerierte ich ihre Antwort. „Wenn man über Jahre hinweg gut miteinander klar kam, liegt eine solche Vermutung nahe“, wich sie mir geschickt aus. Ich versuchte es direkter. „Sie verband also nichts mit Ihrem Chef, was über die normale Arbeit hinausging?“ „Ich hatte Sie schon verstanden, Herr Lessing. Noch einmal zum Mitschreiben: Ich hatte keine Affäre mit Rainer Kessler.“ „Okay“, akzeptierte ich. „Gab es andere Frauengeschichten?“ Leonie Schindel starrte mich entsetzt an. „Meine Güte, was erwarten Sie von mir. Der Mann ist nicht mal unter der Erde und Sie verlangen von mir, dass ich schlecht über ihn rede.“ „Es gab also Affären?“, schlussfolgerte ich. Die Frau neben mir auf dem Baumstamm stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ja, um Himmels Willen, es gab einige Bettgeschichten. Das eine oder andere Häschen rief schon mal im Büro an, aber ich kann Ihnen versichern, dass ihm keine von denen wirklich etwas bedeutete.“ Während ich noch über ihre eigenwillige Antwort nachdachte, kramte ich mein Notizblock hervor, und drückte auf die Mine des Kulis.

„Sie können sich sicherlich an Namen erinnern“, sagte ich lauernd. „Bedaure, aber da fiel höchstens mal ein Kosename, nichts Konkretes.“ „Aber Sie können mir doch sicherlich sagen, ob seine Lebensgefährtin, Frau Peters, etwas von diesen Liaisons gewusst hat?“ Die Sekretärin schürzte die Lippen. „Kann schon sein, dass sie was bemerkt hat. Es gab nicht selten lauten Streit im Büro des Chefs.“ Ich horchte auf. „Dann war das Verhältnis zwischen Herrn Kessler und Frau Peters wohl nicht mehr das Beste?“ „Ehrlich gesagt, dürfte das noch eher untertrieben sein. Sie können sich nicht vorstellen, wie oft diese Frau Herrn Kessler niedergemacht hat. Dabei hat sie selbst vor der Anwesenheit anderer Leute nicht halt gemacht.“ „Nach einer romantischen Liebe hört sich das nun wirklich nicht an“, fasste ich zusammen. „So lange Rainer.. ich meine Herr Kessler tat, was diese Frau von ihm verlangte, war alles im Lot, aber wehe er spurte nicht.“

„Nun ja, verdenken kann man es Frau Peters eigentlich nicht, wo es ihr Lebenspartner doch mit der Treue nicht sonderlich genau nahm“, resümierte ich. Die Sekretärin winkte ab. „Das war doch erst viel später. Der Mann fühlte sich von dieser Furie einfach nicht verstanden.“ „Dann begreife ich nicht, weshalb er sich nicht von ihr trennte“, brachte ich es auf den Punkt. Leonie Schindel stockte. Hinter ihrer hübschen Stirn arbeitete es wie auf der Festplatte eines Computers. „Das hat sich hier wohl jeder gefragt. Ich schätze, er hat seine Gründe gehabt.“

Sie erhob sich, warf den Rest ihres Apfels arglos in ein Gebüsch und brachte ihre Kleidung wieder in Form. „So, Herr Lessing, meine Pause ist zu Ende. Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich wusste. Wenn Sie mich nun bitte entschuldigen würden?“ Ich reichte ihr die Hand und bedankte mich. „Ach bitte, eine Frage noch.“ Sie sah mich zunehmend genervt an. „Wie lange sind Sie eigentlich schon in der Firma?“ „Seit zwei Jahren.“ Ich stutzte. „Dann kennen Sie meinen Klienten gar nicht.“ „Nach dem, was mir Herr Kessler über diesen Herrn erzählt hat, lege ich auch gar keinen Wert auf eine solche Bekanntschaft.“ Ich horchte auf. „Was hat man Ihnen den über Herrn Peters erzählt?“ „Ich sagte doch, meine Pause ist zu Ende.“ Ich reichte ihr meine Visitenkarte. „Falls Ihnen doch noch der eine oder andere Name eines der Betthäschen einfallen sollte, rufen Sie mich an.“ Leonie Schindel steckte die Karte in die Gesäßtasche ihrer eng anliegenden Jeans und nickte gedankenverloren.

Ich sah ihr nach, bis sie im Gebäude verschwunden war. Nicht weil ich dabei auf ihren knackigen Hintern starrte, oder sollte ich sagen, nicht nur? Wie auch immer, ich sah ihr also nach und bemerkte, wie sich hinter einem der Fenster in der ersten Etage Bauleiter Mümmelländer mit einer jungen Frau ein Wortgefecht lieferte. Leider konnte ich nicht verstehen, um was es bei dem Streit ging, aber anhand der bedeutungsvollen Gestik musste er von enormer Wichtigkeit geprägt sein.

 

-12-

 

Der Raum war weder abgedunkelt noch von dichten Rauschwaden durchzogen und auf dem Schreibtisch stand keine Lampe, die Manfred Peters grell in das Gesicht strahlte. Es war nicht die Atmosphäre, wie man sie aus unzähligen Büchern und Fernsehkrimis kennt. Es war Hauptkommissar Kleinschmidts ganz normales Büro. Der Mann auf dem Besucherstuhl hatte eine Tasse Kaffee vor sich und er sah aus dem geöffneten Fenster der ersten Etage, wie auf dem Parkplatz vor dem Gebäude ein Lieferwagen vorbeifuhr. Kommissar Sinner kam zur Tür herein. In der Hand hielt er einen Zettel, den er an den Hauptkommissar weiter reichte. Kleinschmidt verließ die bequeme Haltung, in der er Peters zuvor vernommen hatte und betrachtete das Schreiben. Als er fertig war, legte er den Zettel naserümpfend in eine der Schubladen seines Schreibtischs und sah sein Gegenüber mit gerunzelter Stirn durchdringend an.

„Es ist aus, Herr Peters. Die DNA Untersuchung hat zweifelsfrei bestätigt, dass Sie sich mit Rainer Kessler im Bauwagen befunden haben. Die Spuren lassen keinen anderen Schluss zu, als dass es zu einer Rangelei zwischen ihnen kam. Dazu kommt der Ring, den Ihnen Kessler vom Finger zog, als Sie ihn in die Schalung warfen und das mehr als deutliche Motiv, sich an dem Mann zu rächen, der Ihr Leben zerstörte.“ „Es hat doch keinen Zweck mehr, Herr Peters, die Beweislage ist eindeutig“, fügte Kommissar Sinner hinzu, der sich an der Kaffeemaschine bediente. „Legen Sie ein Geständnis ab, es wird sich strafmildernd für Sie auswirken.“ Dem Mann auf dem Besucherstuhl wurde die Ausweglosigkeit seiner Situation zunehmend bewusster. Er hörte kaum noch zu, was Kleinschmidt und Sinner zu ihm sagten. Die Angst davor, wieder ins Gefängnis zu müssen, trieb ihm den kalten Schweiß auf die Stirn, ließ keinen klaren Gedanken mehr zu. Er dachte an die Taxifahrerin zurück, dachte an ihre Worte, als er ihren Wagen am Bahnhof verließ. „ Wenn du die Wahrheit für dich behältst, wird sie giftig .“ Er hatte die Wahrheit gesagt, doch niemand wollte ihm glauben. Wie sollte er jetzt noch seine Unschuld beweisen?

Es war wie ein plötzlicher Befehl, der ihn aus heiterem Himmel traf, ihn von seinem Platz aufspringen ließ und ihn mit einem Satz aus dem geöffneten Fenster auf das Blechdach des wieder anfahrenden Lieferwagens trieb. Sinner hatte die Situation als Erster erfasst, doch bis er an Fenster gestürzt war, griffen seine Hände bereits ins Leere. Der Kommissar musste hilflos mit ansehen, wie der Tatverdächtige auf dem Dach des Lieferwagens landete und das Polizeipräsidium verließ. Daran änderte auch Kleinschmidts sofortiger Anruf beim Pförtner nichts. Die Besatzung des unverzüglich ausrückenden Streifenwagens konnte den Lieferwagen zwar schon drei Straßen weiter stoppen, musste allerdings feststellen, dass sich der Flüchtige bereits abgesetzt hatte. Die sofort eingeleitete Fahndung im gesamten Stadtgebiet brachte ebenso wenig Erfolg.

Mein Auftraggeber hatte sich mit seiner Kurzschlusshandlung alles andere als einen Gefallen getan. Seine Flucht kam einem Schuldeingeständnis nahe. Das Tollste aber war, dass ich erst aus dem Radio von seiner Flucht erfuhr. Ich kam gerade von Franz Gerlauch, dem Zeugen, der am Tatabend den Streit zwischen meinem Auftraggeber, seiner Exfrau und dem späteren Mordopfer mitbekommen hatte. Er gab an, wie jeden Abend vor dem Zubettgehen mit seinem Hund Gassi gegangen zu sein, als er aus dem Haus seines Nachbarn laute Stimmen vernahm. Er hatte mir erklärt, dass es ganz und gar nicht seine Art sei, vor fremden Fenstern stehen zu bleiben und zu lauschen, aber als er im beleuchteten Wohnzimmer Manfred Peters erkannte, packte ihn doch die Neugier. „Es ging um viel Geld und um Betrug“, hatte mir Franz Gerlauch erzählt. Offensichtlich warf mein Klient seiner Exfrau vor, ihm sein Geld zu unterschlagen. „Die haben sich über Manfred lustig gemacht. Ich dachte, er würde Jennifer jeden Augenblick an die Kehle springen“, hatte der Nachbar seine Beobachtungen sehr anschaulich geschildert. Das Geschehen habe sich dann aus dem Wohnzimmer in den Flur verlagert. Woraufhin Franz Gerlauch die Runde mit seinem Hund fortsetzte. Bei einer Tasse Tee erzählte mir der Witwer dann von langen Gesprächen, die er und mein Klient oftmals miteinander geführt hatten. Er erwähnte die Hilfsbereitschaft meines Auftraggebers und die guten nachbarschaftlichen Beziehungen und wie Leid es ihm tat, nun gegen Manfred Peters aussagen zu müssen.

Keine Frage, die Staatsanwaltschaft hatte in Franz Gerlauch einen sehr glaubwürdigen Zeugen, der meinem Klienten mit seiner Aussage schwer zu schaffen machen würde. Für mich hingegen waren seine Beobachtungen ein weiteres Indiz für die Unschuld meines Auftraggebers, denn wenn er sich in diesem Augenblick des Zorns so weit unter Kontrolle hatte, Kessler und seine Exfrau nicht anzurühren, gab es erst recht keinen Grund Kessler zu töten, als er die Sechshunderttausend an sich gebracht hatte. Seine Flucht aus dem Polizeigewahrsam hingegen war so ziemlich das Dümmste, was er fabrizieren konnte. Es gab nur eine Möglichkeit, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Er musste sich stellen, doch dazu musste ich ihn erst einmal finden und zwar noch vor der Polizei.

 

-13-

 

Nur einen Straßenzug weiter stoppte der Lieferwagen des Paketzustelldienstes erneut. Dieses Mal im Hinterhof eines Bürogebäudes. Manfred Peters hatte sich während der kurzen Fahrt eng an das Dach gepresst und sich mit beiden Händen am Windabweiser festgehalten. Der Fahrer sprang aus dem Wagen, kramte einen Moment lang auf der Ladefläche herum und eilte schließlich mit einem Paket in das Gebäude. Peters nutzte den Augenblick und kletterte hinab. Er sah sich um. Sollte er sich an diesem Ort bis zum Abend verbergen und erst dann im Schutz der Dunkelheit seine Flucht fortsetzen? Ein weiterer auf dem Hof abgestellter Lieferwagen fiel ihm auf. Die hintere Ladetür stand weit offen. Der Fahrer der Wäscherei musste jeden Moment zurückkehren. Sein Blick fiel auf die großen Wäschesäcke auf der Ladefläche und schließlich auf das Wolfenbütteler Kennzeichen. Kurz entschlossen sprang er in den Wagen und versteckte sich hinter einem Berg schmutziger Wäsche.

Sekunden später wurden weitere Säcke in den Wagen geworfen und die Tür zugeschlagen. Manfred Peters atmete erleichtert auf. Er konnte nicht sehen, wohin die Fahrt ging, denn der Laderaum verfügte über keinerlei Fenster, aber zunächst ging es ihm vor allem darum, seinen Häschern zu entkommen.

Nach etwa einer halben Stunde stoppte der Wagen wieder und der Motor wurde abgeschaltet. Der Fahrer stieg aus. Peters machte sich bereit, wie ein geölter Blitz hinter den Wäschesäcken hervor und aus dem Wagen zu springen, doch entgegen seiner Erwartung geschah nichts. Die Tür zur Ladefläche blieb geschlossen. Stattdessen stieg ein betörender Geruch in seine Nase. Peters wühlte sich durch die Wäschesäcke und öffnete vorsichtig die Ladetür. Zunächst einen schmalen Spalt, um hindurch sehen zu können. Er befand sich auf dem großen Parkplatz eines Baumarktes. Ihm gegenüber stand eine Bratwurstbude. Er fragte sich, ob der Fahrer eine Frühstückspause eingelegt hatte.

Wie auch immer, die Gelegenheit, unerkannt davon zu kommen, war günstig. Peters sprang von der Ladefläche, schloss hinter sich die Tür und verließ in seliger Ruhe den Parkplatz. Kein Mensch nahm von ihm Notiz, als er an einer Tankstelle und einem angrenzenden Verbrauchermarkt vorbeiging. Ohne Geld blieb ihm nichts anderes übrig, als zu Fuß zu gehen. Gottlob war es von der Adersheimer Straße nach Groß Stöckheim nicht sehr weit. Er hatte sich alles genau überlegt, zunächst wollte er sich das Geld holen, welches er bei seinem Freund versteckt hatte, dann zur Grundschule, um seine Tochter abzufangen und gemeinsam mit ihr, irgendwo in Tschechien, ein neues Leben beginnen. Dort verfügte er immer noch über gute Verbindungen.

Gegen 11 Uhr stand Manfred Peters vor dem Haus seines Freundes. Nicht eine Sekunde lang hatte er den Worten seines Anwalts Glauben geschenkt, als ihm dieser von dem leeren Versteck erzählte. Irgendwie mussten sie ihn missverstanden haben. Selbst wenn Gernot das Geld gefunden hatte , da war sich Manfred sicher , dann hatte er es nur an sich genommen, um es für ihn aufzubewahren. Dass sein Freund ihn um das Geld betrügen könnte, war für ihn so abwegig, wie die Möglichkeit, dass man ihn nun noch schnappen könnte.

Er läutete, trat einige Schritte zurück und beobachtete das Haus, während er wartete. Es schien niemand zu Hause zu sein. Peters ging zur Garage hinüber, um nachzusehen, ob der Passat Variant seines Freundes darin abgestellt war. Woher sollte er auch wissen, dass der inzwischen gegen einen Porsche getauscht worden war. So oder so, die Garage war leer, was aller Wahrscheinlichkeit nach bedeutete, dass sein Freund nicht zu Hause war. Was wiederum bewirkte, dass dieser Umstand seinen gesamten Zeitplan über den Haufen warf. So lange konnte er nicht warten und obwohl es riskant war, da die Polizei sicher auch bei seinem Freund auftauchen würde, konnte er nicht auf das Geld verzichten. Er schlich um das Haus, prüfte ein Fenster nach dem anderen und fand schließlich ein Kellerfenster, welches sich mit einigem Kraftaufwand eindrücken ließ. Ohne große Mühe stieg er ein und verschloss es wieder.

Zielstrebig und ohne noch mehr Zeit zu verlieren, steuerte er vom Keller aus das Gästezimmer im Obergeschoss an. Der Raum, in dem er die Tatnacht verbracht hatte. Jene Räumlichkeit, in dessen Erker er die Tasche mit dem Geld versteckt hatte. Die Trittleiter stand noch immer in der kleinen Nische auf dem Flur. Er nahm sie mit hinein und stellte sie unter die Bodenluke. Erstaunt musste er schließlich feststellen, dass die Tasche mit dem Geld tatsächlich verschwunden war. Auch jetzt zweifelte er nicht an der Loyalität seines Freundes. Peters war sich sicher, dass dieser das Geld für ihn aufbewahrte. Er beschloss, danach zu suchen.

Eine gute Stunde lang hatte er das Unterste nach oben gewühlt, jedes nur erdenkliche Versteck vergebens durchsucht. Nun verließ ihn die Lust und er schenkte sich einen Whisky ein, legte eine alte Schallplatte auf, die ihm während der Suche nach dem Geld in die Hände gefallen war und setzte sich auf das Sofa. Der alte Beatles Song erinnerte ihn an die gemeinsame Schulzeit mit seinem Freund. Damals wollten sie noch die Welt aus den Angeln heben, wollten mit dem Yellow-Submarine in ihre Traumwelt hinabtauchen. Geblieben waren eine Baufirma, die ihm nicht einmal mehr gehörte und die Erkenntnis, dass niemand seinem Schicksal entfliehen kann.

Während er so dasaß und den Klängen der Pilzköpfe lauschte, an seinem Whisky nippte und über alte Zeiten sinnierte, hörte er, wie die Haustür geöffnet wurde. Er sprang auf, schaltete den Plattenspieler aus und versteckte sich, weil er nicht wusste, ob es sein Freund war und ob er von der Polizei oder jemand anderem begleitet wurde. Schmieding hatte es offensichtlich eilig. Peters sah, wie er in einer der Schubladen seines Sekretärs herumkramte. Als Peters sicher war, dass sein Freund allein war, verließ er sein Versteck und schaltete die Musik wieder ein. Der Hausherr zuckte erschrocken zusammen. Noch bevor er sich herumdrehte, hatte er den Song erkannt. „Wie kommst du hier rein?“, fragte er verblüfft. „So habe ich mir unsere Begrüßung eigentlich nicht vorgestellt“, entgegnete Peters. „Was hast du erwartet, wenn du heimlich in mein Haus eindringst?“

Manfred Peters leerte sein Glas und setzte es auf der Phonobar ab. „Du musst mir verzeihen“, entschuldigte sich der Eindringling. „Ich bin hier, um mein Geld abzuholen.“ „Hat man dich wieder frei gelassen?“, wich Schmieding mit zunehmend bleichem Teint dem Anliegen seines Gegenübers aus. „Nicht so direkt“, grinste Peters spitzbübisch. „Für die Kripo ist alles klar, die haben in mir Ihren Schuldigen gefunden. Ich habe kurzerhand die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und hier bin ich.“ Das Gesicht des Hausherrn hatte schlagartig auch den Rest seiner Farbe verloren. „Du bist getürmt?“ Peters schürzte die Lippen. „Ich schätze, so könnte man sagen.“ „Aber…, aber“, stammelte Schmieding. „Mal ehrlich“, fiel ihm Peters ins Wort, „etwas anderes blieb mir doch gar nicht übrig. Ich wäre auf dem direkten Weg wieder in den Knast gewandert. Alt und grau wäre ich, wenn die mich eines Tages entließen und meine Tochter wäre nur noch eine Fremde für mich.“

Schmieding versuchte einen kühlen Kopf zu bekommen. Er überlegte fieberhaft, wie er seinem vermeintlichen Freund klar machen sollte, dass er dessen Geld nicht mehr hatte. Er musste ihn hinhalten. Seine einzige Chance lag darin, aus dem Haus zu kommen. Schließlich kam ihm eine geniale Idee. „So, was ist nun mit meinem Geld? Ich habe keine Zeit mehr“, erklärte Peters. Die Polizei wird sehr schnell darauf kommen, mich bei dir zu suchen.“ Der Hausherr reckte seine Hände beschwörend zur Zimmerdecke. „Das Geld ist nicht hier.“ „Was soll das heißen?“ „Ich musste es doch aus dem Haus schaffen. So wie ich es entdeckt habe, wäre es auch der Polizei in die Hände gefallen, wenn sie das Haus durchsucht hätten.“ Das leuchtete ein. „Okay, wo hast du es denn nun?“ „In einem Postschließfach“, entgegnete Schmieding zögerlich. „Was ist los“, wurde Peters zunehmend ungeduldiger. „Du wirst doch wohl noch wissen, wo du den Schlüssel deponiert hast!“ Der Hausherr strich sich nervös über das Kinn. „Das Fach lässt sich nur mit einer Zahlenkombination öffnen“, behauptete er in seiner Not.

Peters beobachtete seinen Freund zunehmend argwöhnischer. „Du lügst!“, hielt er ihm unvermittelt vor. „Solche Schließfächer gibt es bei der Post nicht!“ In diesem Augenblick schellte es an der Tür. Das schrille Geräusch der Klingel kam Schmieding einer Erlösung gleich. „Moment“, sagte er und wollte sich umdrehen, doch Peters riss ihn am Arm zurück. „Du bleibst!“, herrschte er ihn an, während er den Arm seines Freundes mit aller Kraft zusammendrückte. Schmieding wehrte sich heftig, versuchte seinen Widersacher abzuschütteln, begann ihn immer lauter anzuschreien. Peters wusste sich schließlich keinen anderen Rat, als ihm ins Gesicht zu schlagen.

Der Hausherr geriet ins Wanken, knickte in sich zusammen und kippte seitlich zu Boden. Dabei schlug seine Stirn mit einem dumpfen Knall gegen die Tischkante und Schmieding verlor das Bewusstsein. Peters suchte nach dem Puls, konnte in seiner Aufregung jedoch keinen fühlen. In der Annahme, sein Freund sei tot, durchsuchte er dessen Taschen nach dem Schließfachschlüssel. Erneutes Läuten ließ ihn sein Vorhaben abbrechen, und durch eines der Fenster zur Straße nachzusehen, wer draußen stand.

Vorsichtig rückte er die Fenster der Küchengardine zur Seite und spähte hinaus. Jetzt klopfte es an der Tür. Er erkannte den Mann vor der Tür sofort. Es war dieser Privatdetektiv, den er vor einigen Tagen engagiert hatte. Ausgerechnet der musste ihm jetzt in die Quere kommen. Er sah, wie der Mann mit dem Cowboyhut das Haus umrundete. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er von der Terrassentür aus in das Wohnzimmer sehen würde und den Toten auf dem Boden liegen sah. Als Peters den Privatermittler gegen die Scheibe klopfen hörte, schlich er sich unverrichteter Dinge zur Vordertür hinaus. Der vor dem Haus mit steckendem Schlüssel abgestellte Porsche des Detektivs ließ ihn zumindest ein leichtes Lächeln über die Lippen gleiten.