Detektei Lessing

 

Erst erben – dann sterben.

 

-1-

 

„So, das wär's,“ strahlte Leo Lessing zufrieden. „Machen richtig was her, die neuen Schilder. Jetzt bin ich doch froh, mich für die teureren aus Messing entschieden zu haben.“ Die Sekretärin lächelte selbstzufrieden. „Na, sag ich doch, es kommt eben immer auf die richtige Verpackung an.“ Leo trat einen Schritt zurück, so dass er durch die Eingangstür in den Empfangsraum blicken konnte. Dort war auch Trudes Büro untergebracht. Nach wie vor herrschte darin ein martialisches Durcheinander. „Was nutzt das schönste Schild vor der Tür, wenn meine Klienten der Schlag trifft, sobald sie diese öffnen?“ Die hagere Sekretärin rümpfte die Nase. „Das bisschen Unordnung ist ratzfatz aufgeräumt. Sie könnten schon ein wenig mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten haben.“

Wie sollte ich? Trude war mir von der Agentur für Arbeit aufs Auge gedrückt worden. Ich hätte mir sicherlich ein anderes Aushängeschild für meine Detektei gewünscht, aber als schwer vermittelbare Mittfünfzigerin gab es einen nicht unerheblichen Zuschuss zu ihrem Gehalt. Ein Umstand, der es mir als Existenzgründer überhaupt erst ermöglichte, eine Vorzimmerdame einzustellen. Also, besser eine nicht mehr ganz so taufrische Rose im Vorgarten stehen zu haben, als gar keine.

„Hören Sie das Spektakel?“, merkte Trude plötzlich auf. „Es scheint, als hätten Sie sich nicht gerade ein ruhiges Haus für Ihre Detektei ausgeguckt,“ lästerte sie. Ich legte meine Stirn in Falten, hatte ich doch schon so etwas wie eine Vorahnung. Nur kurze Zeit später bestätigten sich meine Befürchtungen auf das Angenehmste.

„Hi, Leo! Alles Gute zur Eröffnung deiner Detektei.“ Isabelle war nicht nur eine äußerst intelligente Kommissarin, sondern auch eine besonders liebe Freundin, die ich während meiner Zeit bei der Kripo mehr als schätzen gelernt hatte. Das Ende unserer schon länger zurückliegenden Affäre hatte unsere Freundschaft nur kurzzeitig vor eine Zerreißprobe gestellt. Sie umarmte mich und gab mir einen innigen Schmatzer auf die Wange. „Gut schaust du aus,“ lobte sie, „...aber dünn bist du geworden,“ fügte sie hinzu, während sie mich nachdenklich betrachtete. „Und dieser Schnauzer...,“ seufzte sie kopf-schüttelnd. Schließlich überreichte sie mir den mitgebrachten Geldbaum. „Er braucht viel Licht, verbrennt sich aber leicht. Ein wenig Schatten schadet ihm nicht, aber du solltest darauf achten, dass er niemals kalte Füße bekommt, dann bringt er dir Reichtum ins Haus und wenn es euch doch einmal schlecht gehen sollte, weißt du, wo du Hilfe erwarten kannst.“ Ich hatte den Wink verstanden. „Ich danke dir, Isabelle.“

„Meine Güte,“ meldete sich eine empörte Stimme aus dem Hintergrund. „Wenn ihr mit eurer Süßholzraspelei endlich so weit seid, würden wir auch gern unser Grünzeug loswerden.“ Natürlich hatte ich meine Exkollegen längst bemerkt. Allein den Bass meines besten Freundes würde ich unter Tausenden anderer Stimmen heraushören. Jogi hatte mit Engelszungen auf mich eingeredet, um mich von meinen Entschluss abzubringen, den Polizeidienst zu quittieren, doch nach allem, was geschehen war, konnte ich nicht anders. Die Ereignisse jener Nacht verfolgten mich auch zu diesem Zeitpunkt noch bis tief in meine Träume. Sie rissen mich schweißgebadet aus dem Schlaf, ließen Schuldgefühle unter meiner Schädeldecke hämmern, brachten mich sogar dazu, den Sinn meines Lebens in Frage zu stellen. Ich war gern Polizist gewesen, aber wie um Himmels Willen hätte ich einfach so weiter machen können, einfach so wieder zur Tagesordnung übergehen sollen?

„Ich habe mir gedacht, so ein Stamm mit Früchten wäre das sinnvollste, falls die Geschäfte wirklich mal so schlecht gehen, dass du nix zu futtern hast.“ Ich nahm das Pfirsichbäumchen lächelnd entgegen. „Hab vielen Dank, aber ich hoffe doch, dass du von Zeit zu Zeit vorbeikommen wirst, um die Ernte selbst einzufahren.“ „Notfalls machen wir eben ein Likörchen daraus,“ grinste Jogi mit dem gewissen Schalk im Nacken. Genau das war mal wieder typisch für ihn. Ich erinnerte mich an so manchen Zug, den wir gemeinsam durch die Gemeinde machten. Da graute schon mal der Morgen, ehe wir den Weg nach Hause fanden.

Aber das fand, wie gesagt, in einem anderen Leben statt. Jetzt musste ich erst mal sehen, wie ich mein neues Leben in den Griff bekam. Erst einmal mit dem Arsch an die Wand kommen, wie es im Volksmund heißt.

„Ich habe uns vorsichtshalber gleich etwas zu trinken mitgebracht,“ meldete sich schließlich auch Kollege Hüttig zu Wort. „Bis euer Likör so weit ist, wären wir sicherlich verdurstet.“ Frank holte die beiden Proseccoflaschen aus der Einkaufstüte und wollte sie mir in den Arm drücken. Aber da waren schon der Reichtum bringende Geldbaum und der Fressbaum für schlechte Zeiten. Ich reichte beides an Trude weiter, die wie angewurzelt im Türrahmen verharrte. „Ich dank dir, Frank. Du denkst eben immer am praktischsten.“

„Das ist also dein neues Reich,“ versuchte sich Isabelle angetan zu zeigen, während sie sich im Vorzimmer umsah. „Mein Büro ist dort,“ deutete ich wegen der Unordnung peinlich berührt auf eine der Türen, die in den hinteren Bereich der kleinen Wohnung führten. „Und die andere?“ „Da geht's zum Klo und in die Küche.“ „Na prima,“ zeigte sie sich überrascht. „Alles da, Herz, was willst du mehr?“ „Wie wäre es mit ein paar Klienten?“, entgegnete ich nicht ohne Sorge. „Hast du schon inseriert?“, erkundigte sich Frank. „In der morgigen Ausgabe der Braunschweiger Zeitung,“ erwiderte ich skeptisch. Während sich Jogi an den Flaschen zu schaffen machte, war Trude in die Küche gegangen, um nach einigen sauberen Gläsern Ausschau zu halten. „Gerade in dieser Branche ist die Mundpropaganda die beste Reklame,“ wusste Frank. Isabelle hatte hinter meinem Schreibtisch Platz genommen. „Der Sessel lädt nicht gerade zum Verweilen ein.“ „Ich hoffe, dass ich die meiste Zeit außer Haus sein werde,“ grinste ich wenig überzeugt von dem, was ich gerade von mir gab. „Wir werden gehörig die Werbetrommel rühren, damit es so ist,“ versprach Jogi. „Und nun kommt alle her, damit wir auf die beste Detektei anstoßen können, die Wolfenbüttel je gesehen hat.“

 

-2-

 

Es blieb nicht bei der einen Flasche Prosecco und auch nicht bei der zweiten. Der angebrochene Jack Daniels fand genauso seinen Abnehmer, wie die Flasche schwarzer Kater, der noch aus Tante Rebeccas Zeiten stammte. Wir tranken auf ihr Wohl, Gott hab sie selig. Trotzdem gab sie mir den Rest. Keine Ahnung, was mit den Freunden geschah. Als ich am nächsten Morgen mit einem Brummschädel quer über meinem Schreibtisch liegend erwachte, klapperte Trude schon wieder in der Küche. Keine Ahnung wie spät es war, noch seit wann sie dort wirbelte. Noch war ich nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.

„Ah, guten Morgen, Chef. Auferstanden von den Toten?“ „Schreien Sie doch nicht so, Trude,“ flüsterte ich, während in meinem Kopf ein Presslufthammer steppte. „Jetzt weiß ich, weshalb das Zeug schwarzer Kater heißt.“ „Ach, ihr jungen Leute könnt eben nichts mehr vertragen. Zu meiner Zeit gab's noch echte Kerle!“ „Nun klappern Sie doch nicht so mit den Gläsern herum,“ flehte ich inständig. „Sie wollen es doch ordentlich haben, oder sollen die Leute denken, hier würden Orgien gefeiert?“ „Tun Sie, was Sie nicht lassen können,“ gab ich der Ruhe willen nach und suchte das Weite. Ein, zwei Hände Wasser ins Gesicht und auf den Nacken verschafften mir wenigstens für den Moment die Illusion von Klarheit. Als ich jedoch durch das Vorzimmer in mein Büro zurücklatschte, tanzte wieder der Presslufthammer.

„Hallo, ist da jemand?“, vernahm ich die angenehm leise Stimme einer Fee. Offensichtlich rührte das Klopfen nicht unter meiner Schädeldecke her, sondern kam von der Tür zu meinem Büro. „Bitte kommen Sie herein,“ entgegnete ich. Die Fee trat ein, sah sich um und wollte wieder gehen. „Ich komme dann wohl ein anderes Mal wieder,“ sagte sie irritiert. „Aber so bleiben Sie doch,“ versuchte ich meine Sinne zu ordnen. „Ich hatte gestern eine kleine Feier mit ein paar Freunden. Bitte entschuldigen Sie die Unordnung.“ Dem Frieden noch nicht ganz trauend, nickte die Fee zögerlich und folgte meinem ausgestreckten Arm, der ihr den Weg in das Büro wies. Ich nahm ihr den Mantel ab und bot ihr einen Platz an, den sie zögerlich annahm.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte ich mit der gebotenen Seriosität in der Stimme. „Bevor ich Ihnen etwas erzähle, möchte ich erst einmal wissen, ob es bei Ihnen so etwas wie eine Schweigepflicht gibt.“ Ich spürte, wie verzweifelt sie war, aber auch die Angst, die in ihrer Stimme mitschwang. „Nun ja, eine Schweigepflicht unterliege ich nicht direkt, aber wenn ich mit der Klingel durchs Dorf ginge, könnte ich meinen Laden gleich wieder zu machen. Anders gesagt, können Sie sich meiner vollsten Verschwiegenheit sicher sein. Übrigens, wie kommen Sie eigentlich auf mich? Meine Annonce erscheint doch erst am Samstag.“ Die junge Frau auf dem Besucherstuhl seufzte. „Sie sind also noch gar nicht lange Privatdetektiv?“ „Ich kann Sie beruhigen, fünfzehn Jahre als Kriminalbeamter dürften ausreichen, um über einige Berufserfahrung zu verfügen. Aber Sie sind mir noch eine Antwort schuldig.“ Sie sah mich irritiert an. „Ach so, ich war gerade nebenan bei meinem Hausarzt, als ich wieder ins Auto stieg, habe ich zufällig ihr Schild gelesen.“ Das Messingschild hatte sich also bereits bezahlt gemacht.

Nun gut, was kann ich für Sie tun?“ „Also schön, schlimmer kann es ohnehin nicht kommen.“ Tränen rannen aus ihren Augen. Sie wischte sie mit der Hand beiseite. „Es geht um meine Schwester Rebecca von Aust,“ stammelte sie mit bebender Stimme. „Sie ist angeblich verschwunden.“ Ich stutzte. „Sie sagen angeblich?“ „Ich glaube nicht, dass sie bei Nacht und Nebel abgehauen ist! Gerd hat sie umgebracht und ihren Leichnam verschwinden lassen.“ Ich zog eine Schublade meines Schreibtischs auf und nahm einen Block heraus, um mir einige Notizen zu machen. „Wer ist dieser Gerd?“ „Rebeccas Mann,“ erwiderte die Klientin pikiert. Ihre Stimme klang nun nicht mehr so feenhaft. „Sie halten wohl nicht sonderlich viel von Ihrem Schwager?“ „Wenn ich das Wort Schwager schön höre, könnte ich..., na, Sie wissen schon.“ „Was veranlasst Sie zu der Annahme, dass Ihre Schwester nicht doch einfach ausgestiegen ist?“, fragte ich weiter.

Die Klientin schnürte ihren Rucksack auf und holte ein Kuvert hervor, welches einige Fotos enthielt, die sie mir nun eins nach dem anderen über den Schreibtisch schob. Ich betrachtete die Fotos, auf denen eine junge, hübsche Frau und zwei kleine Kinder zu sehen waren. Zwischendurch hob ich meinen Blick immer wieder, um in die Augen der Klientin zu sehen. Sie sah sich jedes Foto an, bevor sie es zu mir herüberschob. Dabei wechselte ständig ihre Mimik. Mal huschte ein mildes Lächeln über ihre Züge, ließ ihre Augen für einen Moment lang strahlen. Mal stieß sie einen leisen Seufzer aus und ihr Gesicht gefror zu einer Maske.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich bei der Frau auf den Bildern um Ihre Schwester handelt?“ Sie schob auch das letzte Foto, welches sie auffällig lange betrachtet hatte, zu mir herüber. „Ganz recht. Die Kinder gehören zu mir. Toni und Annika. Rebecca hat sie heiß und innig geliebt. Sie müssen wissen, dass meine Schwester als Kind einen Unfall hatte und deshalb keine eigenen Kinder bekommen kann. Sie hätte Toni und Annika nicht einfach so verlassen, glauben Sie mir.“ Die Aufnahmen bestätigten ihre Aussage. Das gute Verhältnis der Vermissten zu den Kindern ihrer Schwester war unüber-sehbar, genau wie die Ähnlichkeit der Geschwister.

„Nun gut, aber warum sollte der Ehemann Ihrer Schwester für deren Verschwinden verantwortlich sein?“ „Rebecca und ich haben im vergangenen Jahr unsere Eltern beerbt,“ erklärte sie. „Darf ich fragen, in welcher Größenordnung sich das Erbe bewegt?“ „Ist Ihnen der Name Braun geläufig?“ Ich überlegte einen Augenblick. „Im Moment fallen mir nur die Kunststoffwerke in Linden ein.“ Sie nickte. „Mein Name ist Kira Ruppold, geborene Braun. Meine Eltern kamen vergangenes Jahr bei einem Autounfall ums Leben.“ „Ich habe davon gehört. Tut mir wirklich sehr Leid.“ Die junge Frau vor meinem Schreibtisch atmete tief. „Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum meine Schwester und ich so sehr aneinander hängen?“ Ich nickte verständnisvoll. Gleichzeitig zog ich einen Gedanken in meine Überlegungen mit ein, auf den bislang nichts hindeutete. „Haben Sie schon an eine Entführung gedacht?“ „Sicher, dass war natürlich unser erster Gedanke, aber bislang gibt es keine Lösegeldforderung oder irgendetwas was darauf hindeuten würde.“

Je mehr ich von der Sache erfuhr, desto betroffener machte es mich. Aber da war noch etwas, die Offenheit, mit der mir diese Frau entgegentrat, war etwas völlig Neues für mich. Als Kriminalbeamter war ich es eher gewohnt, dass da so etwas wie eine Mauer zwischen Opfer und Ermittler war, die sich nur in den seltensten Fällen überwinden ließ. Hier gab es von vornherein eine gewisse Vertrauensbasis, die ich nicht mit der Frage belasten wollte, ob sie sich bereits an die Polizei gewandt hatte. Abgesehen davon, wollte ich meinen ersten Auftrag natürlich nicht aufs Spiel setzen.

Die Frau vor meinem Schreibtisch steckte die Bilder zurück in ihren Rucksack. „Übernehmen Sie den Fall?“ „Wenn Ihnen dreihundert Euro plus Spesen pro Tag nicht zu viel sind?“ Sie schob einen Umschlag zu mir herüber. „Das Geld im Kuvert dürfte für die ersten Tage reichen.“ Ich sah hinein und zählte zweitausend Euro. „Ich stelle Ihnen eine Quittung aus.“ Sie winkte ab. „Nicht nötig, ich vertraue Ihnen.“ Diese Frau hatte etwas ganz Besonderes an sich – sie war ehrlich. „Bevor wir nun ins Detail gehen, werde ich Trude um einen Kaffee bitten. Sie trinken doch sicher eine Tasse mit?“ Ich legte das Geld in die Schublade meines Schreibtischs und drückte auf den Schalter für die Sprechanlage. Außer einem Rauschen war jedoch nichts zu hören. „Tja, da muss ich wohl kurz in die Küche hinüber gehen. Einen Moment bitte.“

Als ich mit den beiden Tassen herrlich duftenden Kaffees zurückkehrte, staunte ich nicht schlecht. Die Klientin hatte sich in Luft aufgelöst. Ich setzte die Tassen ab und sah auf der Toilette nach, doch weder dort noch auf dem Gang vor der Detektei war noch etwas von ihr zu sehen. Ich griff mir an den Kopf. Hatte ich wirklich so viel getrunken? War alles nur ein schöner Traum? Ich stürzte an meinen Schreibtisch, riss die Schublade heraus und – der Umschlag mit dem Geld war noch da. Kein Traum, sondern mein erster Fall!

 

-3-

 

Eine ganze Reihe von Fragen war durch den plötzlichen Abgang meiner Klientin unbeantwortet geblieben. Noch wusste ich nicht, wie ich dieses Verhalten einordnen sollte. Merkwürdig erschien es mir allemal. Vielleicht war Kira Ruppold einfach mit ihren Nerven am Ende. Möglicherweise konnte sie nicht darüber reden. Ich dachte an ihre Emotionen, während sie mir die Fotos von ihrer Schwester zur Ansicht reichte. Ich konnte es nachvollziehen. Hatte sie doch erst ein Jahr zuvor ihre Eltern verloren und nun lastete auch noch die Ungewissheit auf ihrer Seele, womöglich auch noch ihre Schwester verloren zu haben.

Viel hatte ich bislang nicht in der Hand, nicht mal die Adresse meiner Klientin war mir bekannt, doch dieses Manko ließ sich durch einige Anrufe bei der Handelskammer, beim Grundbuch-amt und unter Nutzung alter Verbindungen, ohne großen Arbeitsaufwand ändern. Mein Anruf bei den Wolfenbüttler Kollegen gestaltete sich da schon als wesentlich schwieriger. Immerhin verriet mir der zuständige Kommissar, dass Gerd von Aust seine Frau bereits am Morgen nach ihrem Verschwinden als vermisst gemeldet hatte. Bis jetzt gab es allerdings nicht die geringsten Anhaltspunkte, die auf ein Verbrechen hindeuteten. Allerdings musste es irgendwelche Ungereimtheiten geben, denn ohne Grund nahm sich Kommissar Kleinschmidt nicht die Zeit für ein Treffen mit mir, das gegen Abend stattfinden sollte.

Ich griff mir meinen Filzschlapphut und bat Trude, sich endlich um die Unordnung auf ihrem Schreibtisch zu kümmern. Ausgestattet mit dem wenigen, was ich bisher wusste, lenkte ich meinen betagten Opel Astra über die Jägermeisterstraße in Richtung Linden. Die Fabrik der Brauns befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Produktionsstätte eines bekannten Pharmakonzerns. Laut Eintrag des Grundbuchamtes war die Firma erst seit wenigen Jahren in diesem Industriegebiet ansässig. Bis dato fand die Produktion in einem alten Gebäude am Neuen Weg statt. Die Expansion des Unternehmens hatte einen Umzug notwendig gemacht. Seither war der Gewinn der Firma im zweistelligen Bereich gewachsen. Als Inhaber waren Rebecca von Aust und Kira Ruppold zu je gleichen Teilen eingetragen. Erfahrungsgemäß gab es gerade in einem Unternehmen dieser Größenordnung eine Menge Klatsch und Tratsch, der mich möglicherweise weiter bringen konnte.

„Guten Tag,“ schöne Frau, Sie können mir sicherlich sagen, wie ich zum Büro von Frau Ruppold komme.“ Die Dame in der Anmeldung unterbrach ihre Arbeit und sah auf. „Da muss ich Sie leider enttäuschen, junger Mann. Frau Ruppold unterhält kein Büro in der Firma.“ Ich machte ein erstauntes Gesicht. „Ja, wer leitet denn dann die Firma?“, fragte ich verblüfft, „...ich meine jetzt, wo Frau von Aust verschwunden ist?“, schob ich nach, ehe mich die Empfangsdame abwimmeln konnte. Mein Insiderwissen zeigte Wirkung. „Sind Sie von der Polizei?“ Ich wich der Beantwortung ihrer Frage geschickt aus. „Wir ermitteln in der Sache.“

Die blonde Schönheit stieß einen Seufzer aus. „Was halten Sie denn von der Sache?“, hakte ich nach. Sie zuckte mit den Schultern. „Hier kann sich eigentlich niemand vorstellen, dass die Chefin einfach so alles stehen und liegen lässt. Das ist ganz gewiss nicht ihre Art.“ „So?“, fragte ich gedehnt, während ich die Bezeichnung Chefin als auffallend registrierte. „Frau von Aust ist gewissermaßen der Kopf des Unternehmens. Sie leitet die Firma so, wie es früher ihr Herr Vater tat. Gott hab ihn selig. Momentan leitet Herr Ruppold die Firma.“ Ich merkte auf. „Dann hat Herr Ruppold also bislang die Rechte seiner Frau in der Firma gleichberechtigt wahrgenommen?“ Die Empfangsdame schürzte die Lippen. „Wenn Sie so wollen.“ „Das ging doch sicherlich nicht ohne Reiberei ab? Sie wissen, was ich meine?“ „Also, da sind Sie bei mir an der falschen Adresse. In Betriebsinterner mische ich mich grundsätzlich nicht ein, aber wenn Sie das Klima in der Firma meinen, das ist in Ordnung.“

Ich bedankte mich für ihre Offenheit und ließ mich bei Herrn von Ruppold anmelden. Dass mich die blonde Schönheit dabei mit dem Titel eines Kommissars versah, überhörte ich großzügig.

Als sich die Aufzugstüren im vierten Stock des Verwaltungsgebäudes auseinander schoben, wurde ich bereits von einer Dame mittleren Alters erwartet. Sie stellte sich mir als Sekretärin von Herrn Ruppold vor. „Bitte folgen Sie mir, mein Chef erwartet Sie.“ Ich tat ihr den Gefallen.

Ein Mann mittleren Alters begrüßte mich. „Gibt es etwas Neues, Herr Kommissar? Hat sich meine Schwägerin gemeldet?“ Der Mann mit der recht athletischen Figur zeigte sich sichtlich besorgt. „Aber bitte, nehmen Sie doch Platz. Kann ich Ihnen etwas anbieten?“ Ich lehnte dankend ab. „Zunächst einmal muss ich wohl ein Missverständnis aufklären. Ich bin nicht von der Polizei.“ Ruppolds Stirn krauste sich. „Nicht? Aber wer...“ Ich unterbrach ihn. „Mein Name ist Lessing, ich bin der Privatdetektiv, den Ihre Frau engagiert hat.“ Mein Gegenüber starrte mich reichlich verdutzt an. „Was hat meine Frau?“ Ich war nicht weniger erstaunt, als ich bemerkte, dass mein Gegenüber nichts von dem Auftrag wusste, den mir seine Frau erteilt hatte. Möglicherweise sollte er auch nichts davon erfahren, aber das konnte ich auf Grund ihres überstürzten Aufbruchs ja nicht ahnen.

Jetzt hieß es also Augen zu und durch. „Ich nahm an, dass Ihnen die Zweifel Ihrer Frau, bezüglich des Verschwindens von Rebecca von Aust bekannt waren.“ „Ja sicher, wir haben darüber gesprochen,“ versuchte Ruppold die Situation zu retten. „Es war mir nur entfallen, dass sie einen privaten Ermittler einschalten wollte.“ Der Mann besaß zumindest Stil. „Dann gestatten Sie mir sicherlich einige Fragen,“ mutmaßte ich. Er nickte mit einem aufgesetzten Lächeln. „Sie und Ihre Schwägerin leiten den Betrieb gleichberechtigt?“ „Das kann man so sagen,“ erwiderte der Mann mit der athletischen Figur. „Wenngleich sich unsere Kompetenzen sowieso in keiner Weise überschneiden. Elementare Entscheidungen werden im Familienrat getroffen. Um Ihre nächste Frage vorwegzunehmen, zwischen Rebecca und mir gab es also keinerlei Grund zu Diskrepanzen.“ Womit er mir zweifelsohne den Wind der Spekulationen aus den Segeln nehmen wollte.

„Es geht mir im Augenblick eher darum, etwas über das Umfeld der Vermissten zu erfahren,“ erklärte ich. „Immerhin muss es einen Grund für ihr Verschwinden geben.“ Ruppold zuckte mit den Achseln. „Ich fürchte, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Meine Schwägerin ist eine eher introvertierte Persönlichkeit.“ „Ihre Frau hat mir von dem beinahe innigen Verhältnis zu Ihren Kindern erzählt.“ Ein Lächeln veränderte das Gesicht des Mannes in angenehmer Weise. Seine eher harten Züge entspannten sich für eine Momentaufnahme. „Das ist wohl war, Toni und Annika sind ganz vernarrt in sie.“ „Um so erstaunlicher finde ich es, dass Ihre Schwägerin einfach verschwindet und sich nicht einmal meldet. Ganz zu Schweigen von ihren Interessen an der Firma.“

Der Ehemann meiner Klientin erhob sich von seinem Platz und durchmaß nachdenklich den Raum. „Offensichtlich teilen Sie die fixe Idee meiner Frau, Rebecca sei einem Verbrechen zum Opfer gefallen.“ Ruppold brachte es auf den Punkt. Ich machte ein abschätzendes Gesicht. „Sagen wir mal so, ich kann es zu diesem Zeitpunkt nicht ausschließen.“ „Aber wer...“ Er zögerte. „Genau das ist die Frage,“ griff ich den Faden auf. „Wer könnte einen Grund haben, Ihre Schwägerin zu töten?“ Aus der Sprechanlage ertönte die Stimme der Sekretärin. „Herr Zwiebach wäre jetzt da.“ Ruppold eilte zum Schreibtisch. „Soll warten. Ich möchte bis auf weiteres nicht gestört werden. Bringen Sie uns einen Kaffee, Anita.“ Er wandte sich zu mir. „Sie trinken doch sicher auch eine Tasse mit?“ Ich nickte.

„Zunächst dachten wir an eine Entführung. Selbstverständlich haben wir sofort die Polizei eingeschaltet, aber mit jedem Tag, der verging, ohne dass wir eine Nachricht von den Kidnappern erhielten, verringerte sich die Wahrscheinlichkeit einer Entführung. Rebecca ist inzwischen seit zwölf Tagen verschwunden. Warum sollten die Kidnapper so lange mit ihrer Lösegeldforderung warten?“ „Ein solches Verhalten wäre zumindest sehr untypisch für eine Entführung,“ pflichtete ich meinem Gegenüber bei. „Das Risiko geschnappt zu werden, erhöht sich für die Kidnapper mit jedem Tag, den sie ihr Opfer versteckt halten. Warum also sollten sich die Gangster einem unnützen Risiko aussetzen?“ „Das meinte der Kommissar auch. So viel ich weiß, wurde die Fangschaltung bei meinem Schwager inzwischen wieder abgebaut.“

Das deckte sich mit den Informationen, die ich inzwischen hatte. „Könnte sich Ihre Schwägerin unbewusst Feinde gemacht haben? Vielleicht im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit für die Firma?“ „Nein, das halte ich für völlig ausgeschlossen. Rebecca ist eine durch und durch integere Person. Sicher, in unserer Brache wird zuweilen mit harten Bandagen gekämpft. Der Wettbewerb ist gerade in den letzten Jahren äußerst hart geworden, aber...“ Er hielt einen Augenblick inne, so, als sei ihm gerade etwas eingefallen. „Nein!“ Ruppold wischte seine Zweifel mit einem einzigen Wort zur Seite. „Rebecca ist immer den geraden Weg gegangen.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keinen Grund, seine Aussage anzuzweifeln.

„Wie sieht es in der Ehe Ihrer Schwägerin aus?“, stellte ich die nächste Frage. „Da fragen Sie besser meinen Schwager. Es gibt Dinge, aus denen ich mich prinzipiell heraushalte.“ Dergleichen Antworten kannte ich zur Genüge. Es ist sicherlich sehr löblich, sich nicht um anderer Leute Angelegenheiten zu kümmern, aber hier ging es darum, ein mögliches Verbrechen aufzuklären. „Ich kann Sie ja verstehen, aber wo bitte soll ich ansetzen, wenn ich keinen Hebel bekomme.“ Ruppold sah mich einen Augenblick an, überlegte und machte schließlich ein Gesicht, als habe er gerade in eine saure Zitrone gebissen. „Also schön, viel kann ich Ihnen nicht sagen, aber hin und wieder hat es zwischen den beiden schon gekriselt.“

Gerade als es interessant wurde, klopfte es und die Sekretärin brachte ein Tablett mit Kaffee herein. Das würzige Aroma frisch aufgebrühten Muntermachers durchströmte den Raum. Jetzt war ich doch froh, nicht abgelehnt zu haben. Der Kaffee schmeckte, wie er roch – lecker. Ruppold wartete, bis seine Sekretärin den Raum verlassen hatte.

„Ich glaube, es ging dabei immer wieder um die Kinderlosigkeit. Rebecca liebt Kinder. Soviel ich weiß, kann sie selber keine bekommen und würde deshalb gern eins adoptieren, doch das wollte Gerd auf keinen Fall. Er ist mehr der Lebemann, dem seine Freiheit über alles geht. Für ihn ist die Ungebundenheit das Wichtigste.“ „Mit anderen Worten, Kinder passen nicht in die Lebensplanung Ihres Schwagers,“ fasste ich zusammen. „Wenn Sie so wollen.“ Mein Gegenüber nahm einen Schluck Kaffee und erhob sich. „Die beiden passen ungefähr so gut zusammen wie Wasser und Elektrizität. Da gab's schon so manchen Kurzschluss,“ grinste Ruppold beinahe schadenfroh.

„Warum zog man dann nicht die Konsequenzen?“, hakte ich nach. „Das würde Rebecca teuer zu stehen kommen. Es gibt keinen Ehevertrag. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, was das für die Firma bedeuten würde.“ Ich konnte es mir vorstellen. „Eher ungewöhnlich, wo es um eine Menge Geld geht,“ überlegte ich laut. „Allerdings, aber als die beiden sich das Jawort gaben, war die Firma noch ein kleiner Betrieb und im Besitz der Brauns. Rebecca war so etwas wie das schwarze Schaf der Familie. Kein Mensch dachte damals, dass sie überhaupt in Frage käme, im Falle einer Erbschaft die Firma weiterzuführen.“ „Würden Sie es für möglich halten, dass Ihr Schwager etwas mit dem Verschwinden seiner Frau zu tun hat?“ Ruppold sah mich nachdenklich an. „Gerd geht's doch gut. Er hat seine Affären und gibt das Geld aus, das Rebecca verdient. Warum sollte jemand die Hand abschlagen, die ihn füttert?“

Um solche Verhältnisse zu verstehen, muss man wohl in diesen Kreisen leben, dachte ich mir. Eine Lebensphilosophie, die mir in meinem Beruf als Kriminalbeamter bereits so manches Mal begegnet war. Auch das Privileg, wohlhabend und einflussreich zu sein, erfordert eben seine Opfer. Von Liebe, so wie ich sie mir zumindest vorstelle, war in dieser Ehe sicherlich keine Spur.

„Wenn Gerd von Aust seine Affären hatte, liegt es nahe, dass es ihm Ihre Schwägerin gleich tat.“ Ich sah den Ehemann meiner Klientin abwartend in die Augen. Er zögerte mit einer Antwort. „Also schön, Sie werden es ja ohnehin erfahren. Es stimmt, sie soll ein Techtelmechtel mit einem unserer Mitarbeiter haben. Eine alte Jugendliebe. Rebecca hat ihn vor einem halben Jahr in unsere Forschungsabteilung geholt. Ein wirklich fähiger Kopf. Eigentlich ist es nur ein Gerücht, aber Herr Mahler und Rebecca sollen wohl wieder ein Verhältnis haben.“ Ich zog die Brauen hoch. Dafür, dass er mir anfangs gar nichts erzählen wollte, war er jetzt recht gesprächig.

„Ist es möglich, dass Ihr Schwager Wind davon bekam?“ Ruppold zuckte mit den Schultern. „Und wenn, es wäre ihm sicherlich egal gewesen.“ „Ich schätze, ich sollte mich gleich mal mit diesem Herrn Mahler unterhalten. Möglicherweise ist die Beziehung zu seiner Jugendliebe doch ernsterer Natur.“ „Sie werden ihn heute leider nicht antreffen. Mahler weilt zur Zeit bei einem Kongress in Hildesheim. Wir erwarten ihn erst morgen wieder in der Firma.“ Ich machte ein zerknirschtes Gesicht. „Tja, da kann man wohl nichts machen.“ „Aber lassen Sie sich doch von meiner Sekretärin seine Adresse geben. Vielleicht erreichen Sie ihn ja zu Hause.“ „Okay, ich will Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Sie haben mir ein gutes Stück weiter geholfen.“ Ich verabschiedete mich von Rüdiger Ruppold und bat ihn unser Gespräch vertraulich zu behandeln.

 

-4-

 

Als ich die Firma verließ, knurrte mir mächtig der Magen. Wie den meisten Singles ging es mir nicht anders, ich hatte nicht die geringste Lust mir daheim etwas zu kochen. Was blieb, waren einige Schnellimbisse, eine reichliche Auswahl an Restaurants verschiedenster Nationalitäten und zweimal in der Woche das traditionsreiche Wolfenbüttler Markttreiben. Heute war Mittwoch und so hatte ich mich zu einem Spezialmenü an einer der Imbisswagen entschlossen. Dass ich dafür die übliche, abenteuerliche Parkplatzsuche in der City auf mich nehmen musste, hielt mich nicht ab. Die Sache war's wert.

Zum dritten Mal bog ich nun schon in die Kanzleistraße ein. Der mehr als schlechte Zustand des Straßenbelags machte mich nachdenklich. Die fetten Jahre waren vorbei. Das Stadtsäckel war längst nicht mehr so gut gefüllt. Dafür zeugten die frisch restaurierten Fachwerkhäuser vom Stolz ihrer Besitzer. Einen Parkplatz fand ich deswegen trotzdem nicht. Ich beschloss, den Wagen schnell mal eben vor dem Standesamt zu parken. Eigentlich im Halteverbot, aber ich wollte ja nur schnell mal eben einen Happen essen. Den gut gemeinten Hinweis eines gerade vorbeigehenden Passanten schlug ich lapidar in den Wind. Wenn der Magen schreit, nimmt sich mein Gehirn meist eine Auszeit. An diesem Tag war es nicht anders.

Das Aroma, welches mich schon aus der Ferne betörte, ließ unverwechselbar auf meinen Lieblingsimbisswagen schließen. Die frisch gebratene Scheibe Kasseler und das würzige Sauerkraut ließen alles um mich herum in den Hintergrund treten. An jedem Mittwoch und auch Samstags stand ich hier und genoss das reichhaltige Angebot. Und jedes Mal, wenn ich bezahlte, sah ich zu, dass ein kleines Trinkgeld für die Marktfrauen abfiel. Halt eine Aufmerksamkeit, die von den Damen in Form eines netten Spruches quittiert wurden.

„Bedankt euch bitte,“ rief eine der Damen, wie der Anheizer in einem Fußballstadion. „Dankeschön,“ antworteten die restlichen Frauen wie aus dem Fanblock der Braunschweiger Eintracht. Auch wenn stets viel Betrieb am Imbisswagen herrschte, so hatten die Damen immer ein offenes Ohr für ihre Kundschaft. Überhaupt, die ganze Atmosphäre, die auf dem Wochenmarkt herrschte, die vielen alten Fachwerkhäuser gefielen mir, die das bunte Treiben auf dem Platz umgaben. Da gab es Marktschreier, die sich gegenseitig übertrafen, ihre Ware feil zu bieten, tratschende Weiber, die sich über den neuesten Klatsch auf dem Laufenden hielten, Kundschaft, die um den Preis für einen Sack Kartoffeln feilschte und über alle dem wachte Herzog August, der Begründer Wolfenbüttels, stolz neben seinem Ross, hoch oben von einem Steinsockel auf seine Untertanen herabblickend.

Gut gesättigt schlenderte ich an den Marktbuden vorbei, bog in die lange Herzogstraße ein und bummelte gut gelaunt die Fußgängerzone hinab. Auf halben Wege lockten mich einmal mehr die Tische meines italienischen Stammcafes. In all den Jahren bei der Kripo hatte ich es mir nicht nehmen lassen, wenigstens einmal in der Woche bei Nuccio einzukehren. Es war die besondere Atmosphäre, die mich an diesem Ort verweilen und meine Seele baumeln ließ. An diesem Tag waren meine Gedanken allerdings bei meinem ersten Fall als Privatermittler. Bislang konnte ich mir keinen Reim aus der Sache machen. Hatte Gerd von Aust seine Frau aus dem Weg geräumt, um seinen Neigungen ungezügelt nachgehen zu können? Hatte er sie womöglich im Streit erschlagen, oder war er einer drohenden Scheidung zuvorgekommen? Wie auch immer, ohne Leiche gab es keinen Mord. Das war auch das Problem welches die Kollegen von der Polizei bislang abwarten ließ.

Noch waren es nur Mutmaßungen. Noch hatte ich Gerd von Aust nicht gesprochen, aber das ließ sich ändern. Seine Adresse hatte ich inzwischen von Ruppolds Sekretärin erhalten. Blieb die Frage, wann ich ihn zu Hause antreffen würde. Ich zahlte meinen Cappuccino und machte mich auf den Rückweg zum Auto. Wer nun denkt, ich hätte ein Knöllchen an der Windschutzscheibe, den muss ich enttäuschen. Als ich beim Stadtcafe um die Ecke bog, dachte ich dennoch, mich traf der Schlag. Das gelbe Blinklicht eines Abschleppwagens verkündete nichts Gutes. Ich nahm die Beine in die Hand und kam gerade noch hinzu, als mein Wagen an die Kette gelegt wurde.

„He Sie!“, rief ich aufgeregt. „Das ist mein Wagen!“ „Dann würde ich besser auf ihn aufpassen,“ witzelte der Mann im Overall jovial. Ich hätte ihm eine knallen können. „Es ist ja wohl nicht nötig, dass Sie den Wagen nun noch abschleppen,“ versuchte ich mich zu beherrschen. Der Kerl drehte munter weiter an der Kurbel herum, welche die Ketten und damit meinen Wagen weiter in die Höhe hievten. „Schauen Sie, guter Mann, ich lebe davon, dass es Menschen gibt, denen die Straßenverkehrsordnung einerlei ist. Insofern bin ich Ihnen dankbar, was allerdings nichts daran ändert, dass ich den Auftrag habe, diesen Wagen abzuschleppen.“ Ich hatte verstanden. Hinter meinen Augäpfeln blitzte und funkelte es. „Wie viel?“ Allem Anschein nach hatte ich das Zauberwort gefunden. Das Grinsblech stellte seine Kurbelei zumindest für den Augenblick ein. „162 Euro und 80 Cent.“

Die Hand hinter meinem Rücken ballte sich. Meine rechte Braue begann aufgeregt zu flattern. Irgendwie schaffte ich es, mir ein bitteres Lächeln abzuringen. Mit harter Stimme fragte ich ein weiteres Mal: „Wie viel?“ Der Mann im Overall kniff ein Auge zu, dann schürzte er die Lippe. Sein Blick flog hastig nach rechts und links. „Okay Meister, für dich ein Hunderter.“ Meine Züge entspannten sich. „Eine Quittung bekommst du dann aber nicht,“ grinste er selbstgefällig. „Aber du,“ lächelte nun auch ich. Die Hand, die zuvor noch zu einer Faust angespannt war, griff in die Innentasche meines Jacketts und zog die Brieftasche hervor. Mein Gegenüber versuchte das Geschehen mit seinem Körper vor neugierigen Blicken abzudecken. Mit der anderen Hand griff ich in die Seitentasche und zog mein Diktiergerät heraus.

Ich ließ die Klarsichthülle mit meinem Detektivausweis herunterklappen. Gleichzeitig rieb ich ihm den kleinen Recorder unter die Nase. „Sie haben gerade versucht mich schwarz abzukassieren. Das könnte vor Gericht als Nötigung ausgelegt werden. Ein versuchter Betrug ist es allemal. Ich bin sicher, der Staatsanwalt wird noch einiges mehr zur Anklage bringen.“ Mein Gegenüber starrte mich irritiert an. „Ach du Scheiße!“ Seine Coolness wich blankem Entsetzen, als er begriff, dass er an den Verkehrten geraten war. Die Hand an der Kurbel veränderte die Drehrichtung. Rasselnd glitten die Ketten durch die Führungen, senkten den Wagen ab, bis die Räder des Opels wieder den Boden berührten. „Ich befürchte, das Ganze ist ein Irrtum,“ erklärte der Mann an der Kurbel kleinlaut. Ich habe sicherlich den falschen Wagen erwischt.“ „Das glaube ich auch!“, erwiderte ich barsch.

Der Fahrer löste die Ketten, während ich die Stoßstange und den Rest meines Wagens akribisch begutachtete. „Bitte, ich habe Frau und Kind,“ flehte der Mann im Overall. „Wenn mein Chef davon erfährt, bin ich meinen Job los.“ Nachdem er die Abschleppvorrichtung abgebaut und auf seinem Wagen verstaut hatte, griff er in die Brusttasche seiner Latzhose und holte ein Knöllchen hervor. „Sie wissen doch selbst, wie hart es heutzutage ist, seine Familie durchzubringen.“ Klar wusste ich, was Sache war und im Grunde hatte ich mein Ziel bereits erreicht. Dem armen Kerl ging der Arsch mächtig auf Grundeis. Ich riss ihm den Strafzettel, den er wegen des Transports von der Windschutzscheibe meines Wagens genommen hatte, aus der Hand und drückte ihm achtzig Euro in dieselbe. „Leben und leben lassen, Kumpel. Schließlich muss ich ja auch noch den Strafzettel löhnen.“ Damit stieg ich in meinen Wagen und ließ ihn stehen. Ich weiß schon, was Sie jetzt denken, aber nur weil ich ein Exbulle war, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht auch alles versuche, um mich vor Strafen solcher Art zu drücken. Von der Kohle mal ganz abgesehen. Gleichzeitig nahm ich mir zum einen vor, endlich Batterien für mein Diktiergerät zu kaufen und anderen den nächsten Parkplatz sorgfältiger zu wählen.

 

-5-

 

Als ich Gerd von Aust auch nach mehreren vergeblichen Versuchen nicht daheim erreichen konnte, steckte ich mein Handy endgültig weg. Irgendwie war heute nicht mein Tag. Der Ehemann der Vermissten war noch nicht wieder zu Hause eingetroffen. Mittlerweile war auch das egal. Ich machte mich trotzdem auf den Weg ins Kalte Tal. Unter der angegebenen Adresse im Fontaneweg stieß ich auf ein repräsentatives Einfamilienhaus. Ich parkte meinen Wagen an der gegenüberliegenden Straßenseite und stieg aus, um mir das Anwesen etwas genauer anzusehen. Das Gebäude befand sich, von der Straße zurückversetzt, inmitten eines herrschaftlichen, parkähnlichen Gartens, der von der Garagenzufahrt in zwei etwa gleich große Teile zerschnitten wurde. Von der Pforte zum Haus führte ein breiter, marmorierter Plattenweg, der beiderseits von einer Furt mit weißen Kieselsteinen begrenzt wurde. Große Pflanzenkübel aus Terrakotta flankierten ihn. Gleichzeitig versperrten sie den vorbeigehenden Passanten den Blick in den übrigen Teil des Gartens, der an die großzügig angelegte Terrasse vor dem Haus anschloss. Ich wollte die Zeit nutzen und mir ganz in Ruhe ein Bild von dem Lebensraum machen, in dem die Vermisste noch bis vor kurzem zu Hause war. Ich legte den Daumen auf den Klingeldrücker und läutete. Gespannt wartete ich auf eine Stimme, die sich aus dem Lautsprecher nach mir erkundigte, doch es geschah nichts. Nicht mal ein Knacken oder Rauschen war zu vernehmen. Offensichtlich war niemand zu Hause.

Klar, was jetzt geschah, war alles andere als legal, aber es gehörte zu den Dingen, die sich ein Privatermittler eher leisten kann, als ein Polizeibeamter. Die Konsequenzen, mit denen ein Detektiv zu rechnen hat, wenn er erwischt wird, sind längst nicht so drastisch. Während ich so tat, als ob ich mich mit jemanden über die Sprechanlage unterhielt, holte ich mein Schließbesteck hervor. Das einfache Schloss in der schmiedeeisernen Gartenpforte bot nur geringen Widerstand. Ein geübter Handgriff mit dem Dietrich genügte, um es zu öffnen. Ich ließ meinen Blick prüfend kreisen. Es schien weder ein Bewegungsmelder noch eine Überwachungskamera installiert zu sein, also huschte durch das Tor und verschwand zwischen den mannshohen Kübelpflanzen. Kurz darauf befand ich mich auf der Terrasse. Die Teakholzmöbel luden zum Verweilen ein, doch im Augenblick trieb mich die Neugier. Ich legte die Hände gegen die Glasscheibe, um einen Blick ins Innere zu riskieren. Im Wohnzimmer, welches sich hinter dem großen Panoramafenster befand und auch in dem Teil der Küche, den ich durch die weit geöffnete Verbindungstür sehen konnte, schien sich keine Menschenseele aufzuhalten.

Ich umrundete das Gebäude und gelangte schließlich in den hinteren Teil des Anwesens. Auch hier konnte ich keine Alarmvorrichtungen entdecken. Rebecca von Aust und ihr Ehemann verstanden es offenbar zu leben. Umgeben von einer stilvoll bepflanzten Holzpalisade befand sich ein elegant geschwungener Pool, der in weißem Marmor eingelassen war. An seinem Rand gruppierten sich einige Sonnenliegen. Etwas seitlich zum Garten zurückversetzt, entdeckte ich eine Sitzgruppe und einen offenen Kamin. Der gesamte Bereich konnte offenbar bei schlechten Wetter durch ein fahrbares Dach geschützt werden. Etwas abgelegen, im hinteren Teil des Gartens, der durch einen Zierrasen abgeteilt war, befand sich ein Gewächshaus, welches sich an eine Laube lehnte. Geld konnte hier kein nennenswertes Problem sein.

Von irgendwoher waberten merkwürdige Geräusche über den englischen Rasen. Ich ging ihnen nach und bemerkte schließlich ein offen stehendes Fenster im Obergeschoss. Der spitze Schrei einer Frau ließ mich erahnen, was dort oben vor sich ging. Neugierig wie ich nun einmal bin, musste ich in Erfahrung bringen, um welche Akteure es sich handelte. Nun gut, ich hätte mich auf die Lauer legen- und darauf warten können, bis sich jemand vor dem Haus zeigt, aber ein ereignisreiches Foto besitzt eben doch erheblich mehr Aussagekraft. Zumal das Fenster für einen geübten Free climber recht günstig lag.

Das seitlich vom Fenster verlaufende Regenfallrohr und das parallel verlaufende Rangspalier boten ausreichend Halt, um daran empor zu klettern. Vier Meter höher und fünf Minuten später, zog ich die extra angeschaffte Digitalkamera aus dem Gürtelfutteral und schoss einige mitreißende Bildchen. Dank der modernen Technik war sogar eine Videoaufzeichnung möglich, die über das eingebaute Mikrophon sogar einen Stimmenmitschnitt möglich machte. Eines war allerdings jetzt schon klar, die Frau, die dort, keine drei Meter von mir entfernt ihre Gymnastikübungen absolvierte, war ganz sicher nicht die Frau, die ich auf den Fotos von Kira Ruppold gesehen hatte. Und wenn der Typ unter ihr tatsächlich Gerd von Aust war, konnte ich verstehen, warum die Schwester der Vermissten nicht gut auf ihren Schwager zu sprechen war. Zumindest schien ihm das Verschwinden seiner Frau nicht sonderlich zu berühren.

Ich hatte genug gesehen und beschloss daher noch eine Weile im Auto zu warten, bevor ich einen weiteren Anlauf nahm, Gerd von Aust zu erreichen. Als ich jedoch nach unten sah, um nach einem Weg für meinem Abstieg zu sehen, musste ich entsetzt feststellen, dass meine Anwesenheit nicht unbemerkt geblieben war. Ein riesiger Bernhardiner, so groß wie ein Rind, saß dort unten und wartete seelenruhig darauf, dass ich in sein Maul herabstieg. Woher kam das Vieh nur so plötzlich? Weit und breit war niemand zu sehen. Egal, woher die Bestie auch kam, ich beschloss die Sache an der Stelle auszusitzen, an der ich mich gerade befand.

Und da ich nun noch hier oben war, konnte ich auch noch einen Blick ins Schlafzimmer riskieren. Gerd von Aust und seine Freundin hatten ihre Leibesübungen bereits absolviert und lagen nun nebeneinander auf dem Bett. Während sich die durchaus attraktive Dame mit einem Gläschen Schampus beschäftigte, zog der besorgte Ehemann eine Zigarette durch. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass sich meine Aufmerksamkeit überwiegend auf die rassige Blondine richtete. Alles was recht war, ich konnte dem Mann mit der Halbglatze seinen guten Geschmack nicht absprechen. Als sich die Schampuslady aus den Federn erhob und keine zwei Meter von mir entfernt so stand, wie sie der Herrgott erschaffen hatte, vergaß ich sogar, dass direkt unter mir ein Ungeheuer auf mich wartete.

„Hast du es endlich deiner Alten gesteckt?“, wandte sich die Schönheit unvermittelt ihrem Liebhaber zu. „Das brauche ich möglicherweise gar nicht mehr,“ erwiderte der paffende Adonis. „Rebecca weilt nicht mehr unter uns.“ Mir stockte der Atem. Hatte ich den Fall bereits gelöst? „Sie hat es vorgezogen, sang und klanglos aus unserer aller Leben zu verschwinden,“ relativierte er zu meinem Kummer. Dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass der Typ nicht ganz koscher war. „Über kurz oder lang wird sie zurückkehren,“ wandte die Blondine ein, während sie gekonnt den ersten Perlonstrumpf über ihre schlanken Fesseln Zentimeter um Zentimeter höher und höher rollte. „Ich bin nicht irgendein Häschen, dass sich nach Bedarf aus deinem Zauberhut ziehen lässt und nach der Vorstellung wieder darin verschwindet.“ „Nun schmoll doch nicht, Liebling.“ Der Kerl kroch auf allen Vieren über das Bett und streckte seine stark behaarten Arme nach der Blondine aus. Die beschäftigte sich gerade mit ihrem zweiten Strumpf. Sachte zog er ihren Kopf in seine erogene Zone. „Du bist mit Abstand das süßeste Häschen, was mir bislang über den Weg gehoppelt ist.“ Auch wenn ich den Schleim schon von der Bettkante tropfen sah, die Lady schien darauf zu stehen.

Die nächsten zwanzig Minuten waren nur sehr schwer zu ertragen. Ich hasse Spanner, aber was sollte ich machen? Ich konnte weder runter noch rauf. Hinzu kam eine Erfahrung, welche ich bislang auch noch nicht gemacht hatte. Da, wo ich stand, hatte ich kein Gefühl mehr in den Gliedern, meine Füße waren wie abgestorben, doch an anderer Stelle kehrte sich dies ins genaue Gegenteil um.

Eine halbe Stunde später war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich den richtigen Beruf gewählt hatte. Als Taxifahrer wäre mir eine solche Situation sicherlich erspart geblieben. Nun gut, ich hatte die Sache ausgestanden und das im wahrsten Sinne des Wortes. Der halbglatzige Nimmersatt und seine Cinderella hatten das Schlafzimmer verlassen. Das vereinfachte die Situation zwar etwas, bedeutete jedoch noch lange keine Entwarnung, denn hinunter konnte ich immer noch nicht. Dieser Hund hatte scheinbar eine Engelsgeduld. Seine wehmütig zu mir empor blickenden Augen konnten die blutrünstigen Gedanken, die ich dahinter wähnte nicht verschleiern. Oh nein, ich hatte keine Angst vor Hunden – es sei denn, sie waren so riesig wie ein Pferd.

Während ich mir den Kopf darüber zerbrach, wie es nun weitergehen sollte, hörte ich Türen klappen. Kurz darauf vernahm ich, wie der Motor eines Autos gestartet wurde. Kamen die Geräusche aus der Nachbarschaft, oder stammten sie vom Hausherrn und seiner Gespielin? Ich versuchte mir Klarheit zu verschaffen, indem ich mein Gewicht in Richtung des Regenfallrohres verlagerte. Wenn es mir gelang, näher an die Hausecke heranzukommen, musste ich über die Garagen hinweg, auf die Zufahrt und damit auf den gerade davon fahrenden Wagen sehen können. Nun, es gelang mir nicht. Zunächst verlor ich meinen Schlapphut, dann das Gleichgewicht und kurz darauf die Besinnung.

Als ich wieder zu mir kam, träumte ich gerade von einer brünetten Lady, die mir mit einem feuchten Tuch behutsam über die Stirn tupfte. Ein zufriedenes Lächeln umspielte meine Lippen. Erwartungsvoll schlug ich die Lider auf und blickte in zwei knopfgroße, rubinrote Augen, die mich freudig willkommen hießen. Im selben Augenblick führ mir eine klebrige Zunge quer über das Gesicht. Was für ein Tag!

 

-6-

 

Es war bereits Nachmittag, als ich wieder in der Detektei eintraf. Trude wirbelte hinter einem Berg von Kartons mit Büromaterialien, Ablagekästen aus Plastik, dazwischen der noch nicht angeschlossene Monitor eines gebrauchten Computers und leere Aktenordner, die längst im dem Schrank hinter dem Schreibtisch eingeräumt sein sollten. Die Schublade des Karteischranks war ausgezogen, doch anstatt des Registers ragten Kehrblech und Handfeger daraus hervor. Drei Tage lang ging das nun schon so, ohne dass Trude merklich voran gekommen wäre. Ich fragte mich jedes Mal, wenn ich durch mein Vorzimmer ging, wann dieses Chaos endlich verschwinden würde.

„Meine Güte, Trude, was treiben Sie hier eigentlich den ganzen Tag?“ Irgendetwas fiel zu Boden. Kurz darauf starrte das hagere Gesicht meiner Sekretärin entsetzt hinter dem Durcheinander auf dem Schreibtisch hervor. „Um Himmels Willen,“ griff sie sich an die Brust,“ „...haben Sie mich jetzt aber erschreckt.“ Ihre plattgedrückte Haartracht, die nur im entferntesten an eine Frisur erinnerte, rundete das Gesamtbild in gekonnter Weise ab. „Ich habe das Gefühl, es wird hier immer schlimmer.“ „Ach, das täuscht. Ich habe da mein ganz persönliches System,“ beruhigte mich Trude und tauchte wieder ab. „Na, da bin ich aber gespannt,“ erwiderte ich seufzend. „Gab es Anrufe für mich?“ Noch einmal fuhr sie ihren Kopf hervor. Ich musste unwillkürlich an die Schildkröte denken, die ich als Kind besaß. „Nein, nein, da war nichts.“

Ich verschwand in meinem Büro, nahm den von der Bestie angesabberten Schlapphut ab, zielte und versuchte mich daran, den Gardeobenständer zu treffen. Ich traf ihn zwar, das gute Stück blieb aber nicht daran hängen, sondern fiel zu Boden. „Was für ein Tag?“, seufzte ich, während ich mich nach der filzledernen Kopfbedeckung bückte. Vielleicht würde mich ein Kaffee wieder etwas auf Vordermann bringen. Nach allem, was ich in den vergangenen Stunden erlebt hatte, brauchte ich jetzt etwas Herzhaftes.

Gerade als ich in der Küche war, schlug das Telefon an. In der Annahme, Trude würde das Gespräch entgegennehmen, ließ ich mich nicht stören. Doch das anhaltende Läuten belehrte mich eines Besseren. „Gehen Sie mal ran, Chef?“, hörte ich Trude mit belegter Stimme rufen. „Ich kann gerade nicht.“ Nur der Hartnäckigkeit des Anrufers war es zu verdanken, dass ich gerade noch rechtzeitig an meinen Aperrat gelangte. „Detektei Lessing, private Ermittlungen aller Art,“ meldete ich mich. „Na endlich,“ vernahm ich Jogis genervte Stimme. „Warum meldest du dich denn nicht?“ Ich kniff nachdenklich ein Auge zusammen. „Habe ich irgendetwas verpasst?“ „Ja, hat dir denn deine Perle nicht gesagt, dass ich auf deinen Rückruf warte?“

Mein vorwurfsvoller Blick wanderte durch die weit auf- stehende Tür in mein Vorzimmer. „Doch, doch, ich hatte nur noch keine Gelegenheit – bin gerade erst wieder ins Büro gekommen,“ log ich zähneknirschend. „Na egal, es geht um die Vermisstensache von Aust,“ brachte es Kriminalhauptkommissar Jürgen Wurzer auf den Punkt. „Woher weißt du denn davon?“, fragte ich verwundert. „Das Gleiche wollte ich dich auch gerade fragen,“ entgegnete mein Freund. „Ich arbeite für die Schwester der Vermissten,“ erklärte ich abwartend. „Hoffentlich zahlt sie gut,“ lachte Jogi ins Telefon. „Danke, ich kann nicht klagen.“ „Aber jetzt mal im Klartext. Die Kollegen aus Wolfenbüttel sind der Vermisstenanzeige des Ehemannes nachgegangen, haben sogar eine Fangschaltung installiert, weil sie an eine Entführung glaubten und dann stellt sich heraus, dass deine Klientin schon längst einen Urlaubsgruß ihrer Schwester erhalten hatte.“ Ich glaubte mich verhört zu haben, konnte nicht glauben, was Jogi mir da erzählte.

Mir schwirrten Tausende Gedanken durch den Kopf, suchten nach Erklärungen, fanden aber nur noch weitere Fragen. Warum hatte mir Kommissar Kleinschmidt nicht gleich davon erzählt? Warum engagierte mich Kira Ruppold, wenn sie genau wusste, dass ihre Schwester im Urlaub war? Warum hatte mir nicht wenigstens ihr Ehemann reinen Wein eingeschenkt? Der Fall wurde immer mysteriöser.

„Lieb, dass du mich anrufst, Jogi, aber sag mal, woher weißt du denn nun, dass ich an der Sache arbeite?“ „Na, rate mal. Der Kollege aus Wolfenbüttel konnte dich unter der Rufnummer, die du ihm gegeben hast, nicht erreichen. Aus eurer Verabredung heute Abend wird nichts, ihm ist etwas dazwischen gekommen. Da er wusste, dass wir noch bis vor kurzem zusammengearbeitet haben, wandte er sich an mich.“ Das also auch noch, dachte ich, einem Verbalausbruch nahe. „Tja, äh, meine Sekretärin ist halt nur halbtags in meinem Büro zu erreichen,“ suchte ich nach Ausflüchten. „Vielleicht solltest du dir einen Anrufbeantworter zulegen,“ witzelte Jogi. „Aber lass ihn nicht von deiner Vorzimmerperle besprechen, sonst traut sich gar keiner mehr bei dir anzurufen.“ Wenn er nicht mein Freund gewesen wäre...

 

-7-

 

Ich fühlte mich verarscht, für dumm verkauft, kurz – wie ein Idiot! Kaum dass ich das Telefonat mit meinem Freund beendet hatte, schnappte ich mir meinen Hut und raste, ohne Trude eines Blickes zu würdigen, aus der Detektei. Dieses Mal hatte ich mein Handy bei mir – und zwar aufgeladen. Ich nahm mir fest vor, bei meiner Rückkehr einige ernste Worte mit Trude zu sprechen. Stinksauer raste ich über die Lindener- und die Neindorfer Straße, vorbei am Gutspark, wo ich meinen Opel schließlich vor einem Bahnübergang stoppen musste. Zeit, um mich etwas zu beruhigen, um einige Male durchzuschnaufen. So aufgewühlt konnte ich meiner Auftraggeberin nicht entgegentreten. Auch wenn ich allen Grund hatte, sauer auf sie zu sein.

Nicht mehr ganz so aufgebracht bog ich in die Straße am Meyenberg ein. Nummer 8, las ich von meinem Notizblock ab. Ich ließ meinen Blick von rechts nach links und wieder zurück wandern. 5 – 6 – 7 – 8, ein hübsches Haus mit blauem Dach. Mal was anderes, dachte ich, während ich den Wagen vor dem Haus stoppte. Ich sah mich um. Kein Halteverbot? Nicht mal ein Schild. Okay, wenigstens etwas. Ich stieg aus und betätigte die Fernverriegelung. Die vier Fahrtrichtungsanzeiger blinkten kurz auf. Ich dachte an amerikanische Filme, in denen man großzügig auf das Abschließen der Autos verzichtete, – von wegen!

Die Gartenpforte stand weit offen, ich sah es als Einladung, der ich ohne Vorbehalt nachkam. Als die Haustür dann allerdings auch noch offen stand, kam mir die Sache merkwürdig vor. Ich klopfte und rief, doch im Haus blieb es ruhig. „Frau Ruppold, sind Sie da?“ Keine Antwort. Ich zog meine Schusswaffe, öffnete langsam die Tür und huschte in den Flur, wo ich hinter einem Gardeobenschrank Deckung fand. „Frau Ruppold, hier ist Leo Lessing,“ gab ich mich zu erkennen. „Sind Sie zu Hause?“ Keine Reaktion. Meine Alarmglocken schrillten. Irgendetwas war hier nicht in Ordnung. Stück für Stück arbeitete ich mich voran, durchkämmte systematisch Raum für Raum, bis ich ins Wohnzimmer gelangte.

Was ich vorfand, war ein heilloses Durcheinander. Eine Blumensäule war mit dem darauf befindlichen Farn umgestürzt und zerschlagen. Der Parkettboden war übersät mit kleinen Steinchen der Hydrokultur. Ein Fußschemel lag auf der Seite und ein antikes Spinnrad lag halb auf dem Tisch, halb auf einem Sessel. Hier musste ein Kampf stattgefunden haben. War womöglich nun auch noch meine Klientin das Opfer einer Entführung geworden? Ich zog mein Handy, um die Polizei anzurufen, doch das hatten allem Anschein nach schon die Nachbarn besorgt, denn quasi mit demselben Atemzug hörte ich das Jaulen einer Sirene.

Ich verließ das Wohnzimmer, um den Polizeibeamten entgegenzugehen. Als ich jedoch den Kopf aus der Tür streckte, schrie eine hysterische Stimme: „Das ist der Mann!“ Die Beamten zogen ihre Dienstwaffen und legten auf mich an. „Stehen bleiben! Nehmen Sie die Hände hoch!“ Ich sah in die aufgeregten Gesichter zweier junger Polizisten, die mir noch recht unerfahren schienen. Ich tat erst mal das, was sie von mir verlangten. Während mich einer der Beamten in Schach hielt, trat der andere heran und durchsuchte mich nach Waffen. Als er meine Sig Sauer im Hosenbund entdeckte, wurde er noch nervöser. „Ich bin Privatdetektiv,“ erklärte ich. „Mein Ausweis befindet sich in der Innentasche meines Jacketts.“ „Halten Sie ja Ihre Hände nach oben,“ vibrierte die Stimme des anderen Polizisten. „Ja doch, aber seien Sie ja vorsichtig mit Ihrem Schießeisen,“ mahnte ich, während er mir die Waffe abnahm.

„Der Kerl ist tatsächlich ein Privatschnüffler,“ bekundete der Filzer. „Okay, nehmen Sie ihre Hände runter – aber ganz langsam!“, befahl der mit der Waffe in der ausgestreckten Hand. „Was machen Sie hier?“ „Ich war dabei, eine Klientin aufzusuchen. Da die Tür aufstand, bin ich ins Haus. Da drinnen sieht es aus, als habe ein Kampf stattgefunden. Ich wollte gerade bei euch anrufen, als ich die Sirene hörte.“ „Tja,“ rühmte sich der kleinere der beiden. „Wir sind eben von der ganz schnellen Truppe.“

In diesem Moment hielt ein blauer Nissan Primera vor dem Haus. Ich staunte nicht schlecht, als Kira Ruppold und ihre Tochter aus dem Wagen stiegen. „Was ist denn hier los?“, fragte sie entsetzt. „Ist etwas mit Toni?“ Jetzt erst fiel ihr Blick auf mich. „Ach, Herr Lessing. Haben Sie meine Schwester gefunden?“, fragte sie erregt „Nein, nein, beruhigte ich sie. „Nichts dergleichen. Ich wollte mit Ihnen sprechen. Die Haustür war auf, da bin ich ins Haus. Im Wohnzimmer ist alles verwüstet, ich befürchtete schon, Sie seien ebenfalls entführt worden.“ „Alles verwüstet? Toni!“ entgegnete sie erschrocken und eilte an mir vorbei ins Haus. „Fassen Sie bitte nichts an,“ folgte ich ihr. „Verwischen Sie keine Spuren.“

„Toni, Toni, rief sie immer wieder, während sie das Haus nach ihrem Sohn absuchte. Schließlich sank sie schluchzend auf einem der Küchenstühle zusammen. „Ich bin doch nur für einen Moment in die Stadt gefahren, um Annika vom Sport abzuholen,“ beteuerte sie. „Die Leute von der Spurensicherung werden sicherlich gleich hier sein, dann wissen wir, was hier geschehen ist.“ Im gleichen Moment trat das Mädchen in die Küche. „Toni und Berni sind gerade gekommen.“ Kira Ruppold starrte ihre Tochter ungläubig an. Im nächsten Moment sprang sie auf und lief in den Garten. „Um Himmels Willen, Toni, bist du in Ordnung?“ Sie herzte und küsste den Jungen geradezu überschwänglich. Der wusste gar nicht, wie ihm geschah.

„Es tut mir Leid, aber ich konnte gar nichts dafür,“ stammelte der Junge. „Onkel Gerd hat Berni gebracht und gesagt, dass ich auf ihn aufpassen soll. Ich habe nur ein bisschen mit ihm gespielt, dann ist plötzlich die blöde Blumensäule umgestürzt und Berni hat sich erschreckt. Er hat die anderen Sachen nicht absichtlich umgeworfen, das musst du mir glauben.“ Kira Ruppold strich ihrem Sohn über das Haar. „Halb so schlimm, Toni, das lässt sich alles ersetzen. Du hättest nicht davonlaufen brauchen.“ „Das bin ich doch gar nicht,“ beteuerte das Kind. „Berni hat sich so sehr erschreckt, dass er einfach ausgebüxt ist. Ich musste ihn doch wieder einfangen.“ Erleichterung machte sich allenthalben breit. Die Polizeibeamten bestellten die Spurensicherung und die Kollegen von der Kripo wieder ab. Bevor sie abzogen, bedankten sie sich bei der Nachbarin, die mich dabei beobachtet hatte, wie ich mir gezogener Waffe ins Haus gegangen war.

Kira Ruppold sah mich seufzend an. „Wären Sie so nett und würden sich einstweilen um den Hund kümmern?“ „Berni und ich kennen uns bereits.“ Das Monstrum starrte mich lauernd an. Das konnte nicht noch einmal gut gehen. „Wenn es Ihnen recht ist, helfe ich lieber dabei, das Wohnzimmer wieder herzurichten.“ Der Blick in den Augen meiner Klientin war vielsagend. Ich wusste, dass ich ein Problem hatte und es war mir klar, etwas dagegen unternehmen zu müssen, aber musste es denn sofort sein?

Es dauerte eine Weile, bis im Hause Ruppold wieder Ruhe eingekehrt war. Berni und die Kinder spielten hinter dem Haus, so konnte ich die ungeteilte Aufmerksamkeit auf meine Auftraggeberin richten. „Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?“, fragte sie den Grund für mein Erscheinen bereits erahnend. „Ich würde mich viel lieber erst einmal mit Ihnen unterhalten.“ Kira Ruppold setzte sich wieder. Sie atmete schwer. „Sie waren heute Morgen nicht ganz ehrlich zu mir," sagte ich gedehnt. „Tut mir leid, aber ich hatte Angst, dass Sie den Auftrag nicht annehmen würden.“ „Nun, ich sage es Ihnen, wie es ist. Ich hätte große Lust den ganzen Kram einfach hinzuschmeißen!“ „Bitte, Herr Lessing, tun Sie das nicht!“ reagierte sie geradezu entsetzt. „Ich zahle Ihnen den doppelten Satz.“ Ich schüttelte ungläubig den Kopf.

„Hören Sie, verehrte Frau Ruppold, es geht mir nicht ums Geld. Wenn Sie mir nicht vertrauen wollen und nur das erzählen, was Ihnen genehm ist, werde ich nie Licht ins Dunkel bringen können.“ „Also gut. Drei Tage nach Rebeccas Verschwinden bekam ich einen Anruf. Eine Frau, die sich für meine Schwester ausgab. Sie erklärte mir, einige Tage abschalten zu müssen. Ihr Akku wäre leer.“ Kira Ruppold lächelte eigentümlich. „Rebecca hätte niemals solche Worte gebraucht, verstehen Sie?“ Allmählich begriff ich. „Sie sind also davon überzeugt, dass es sich bei der Anruferin nicht um Ihre Schwester handelte.“ Meine Auftraggeberin nickte. „Ihre Stimme hallte irgendwie merkwürdig,“ erinnerte sie sich, „...aber ich bin sicher, dass es nicht Rebeccas Stimme war.“

Ich war zwar als Einzelkind aufgewachsen, konnte aber durchaus nachvollziehen, die Stimme eines guten Bekannten am Telefon wiederzuerkennen. „Ich habe meinen Mann sofort davon unterrichtet. Er meinte, wir müssten der Polizei von dem Anruf erzählen. Die stellte daraufhin natürlich ihre Ermittlungen ein.“ „Nun gut, ein Stück weit kann ich das nachvollziehen, aber wenn Sie berechtigte Zweifel an der Echtheit der Stimme haben, verstehe ich das Verhalten des Kommissars nicht.“ Ich lehnte mich zurück, suchte nach einer Erklärung und bemerkte den verlorenen Blick in den Augen meiner Klientin. „Was sagt denn Ihr Mann zu dem Anruf. Er hat mir übrigens nichts davon erzählt.“ „Das hätte mich auch gewundert. Rüdiger schämt sich für mich.“ Ich verstand nicht, was sie meinte.

Die Hausherrin erhob sich, ging an die Bar und goss sich einen Whisky ein. „Den brauche ich jetzt. Darf ich Ihnen auch einen anbieten?“ Ich lehnte dankend ab. „Es fällt mir nicht leicht darüber zu sprechen, aber ich war vergangenes Jahr für einige Wochen zur Kur.“ Manchmal bin ich leider ein wenig schwer von Kapee. „Ja und?“ „Ich bin wegen Hypostase behandelt worden.“ „Entschuldigen Sie, aber...?“ „Ich wusste vor meiner Erkrankung selber nicht, dass es so etwas gibt. Hypostase nennt man den Zwang, alles zu personifizieren, zu verdinglichen. Sie müssen wissen, dass ich sehr gläubig erzogen wurde. Nach dem Tod unserer Eltern habe ich plötzlich Stimmen gehört. Leider habe ich auch Telefonanrufe unseres Herrn angenommen.“ Ich atmete erst einmal tief aus. Zugegeben, das Ganze erschien nun in einem völlig neuen Licht, aber musste deswegen falsch sein, was diese Frau sagte? Ich wusste, wie es ist, allein dazustehen, vom Rest der Welt geschnitten zu werden. Du hast dein Bestes gegeben und doch bist du für alle anderen der Schuldige.

„Bitte glauben Sie mir, Herr Lessing,“ flehte die Frau mit dem Whisky in der Hand. „Ich bin erfolgreich therapiert worden.“ Ich musste mich festlegen. Entweder glaubte ich ihr und gab ihr damit ein wenig Hoffnung und vor allem das Gefühl, nicht völlig durchgedreht zu sein, oder aber ich stieß in das gleiche Horn, auf dem ihr Ehemann und die Polizei bereits den Postillion bliesen. „Seien Sie mir nicht böse, aber jetzt hätte ich doch gern einen Whisky.“ Ich beobachtete sie, während sie meinen Drink einschenkte. Sie war unsicher – kein Wunder, nach allem, was war. Sie zitterte – weil sie Angst hatte, völlig auf sich allein gestellt zu sein. Sie weinte – weil sie am Ende war. „Okay, ich glaube Ihnen.“ Unendliche Erleichterung spiegelte sich in ihren Zügen. „Sie allerdings versprechen mir, in Zukunft nichts mehr zu verheimlichen, dann werde ich den Fall zu einem Abschluss bringen. So oder so!“

Es war ein tolles Gefühl, dieser Frau ein Stück ihrer Selbst zurückgegeben zu haben. Nachdem sie sich von ihrem eigenen Mann verraten fühlte, war es ungeheuer wichtig für sie, dass es einen Menschen gab, der an sie glaubte, auch wenn ich gestehen muss, dass eine große Portion Idealismus dazu gehörte. „Können Sie sich vorstellen, warum die Frau gerade Sie anrief und vor allem, was sie mit diesem Anruf bezweckte?“ „Genau darüber habe ich mir auch schon das Hirn zermartert. Ich weiß es nicht.“ „Hat die Frau einen weiteren Anruf angekündigt, oder aber gesagt, wie lange sie fort bleiben will?“ Kira Ruppold schüttelte traurig den Kopf. „Es hat in den letzten Tagen Momente gegeben, in denen ich mich selber schon fragte, ob ich nicht doch verrückt sei. Wer auch immer diese Person war, der Grund für ihren Anruf muss im Verschwinden meiner Schwester begründet sein.“ „Das denke ich auch.“

Ich sah mein Gegenüber mit hochgezogener Braue an. „Jetzt würde mich nur noch interessieren, weshalb Sie sich so klammheimlich aus meiner Detektei verdrückt haben.“ Die Schwester der Vermissten bekam einen hochroten Kopf. „Ich weiß gar nicht so recht, wie ich es Ihnen sagen soll? Mir kamen plötzlich Zweifel, ob Sie der richtige Detektiv waren.“ Ich stutzte. „Warum haben Sie mir dann das Geld einfach überlassen?“ Sie lächelte verlegen. „Seien Sie mir bitte nicht böse, aber ich wollte einfach nur sehen, wie Sie reagieren.“ „Mit anderen Worten, Sie wollten mich auf die Probe stellen,“ brachte ich es auf den Punkt. „Ich muss gestehen, dass mir so etwas auch noch nicht passiert ist.“ „Sie müssen mich verstehen, Herr Lessing, bevor ich mich Ihnen anvertraue, musste ich wissen, mit wem ich es zu tun habe.“ Unter Einbeziehung ihrer Krankheit, konnte ich ihr Verhalten nachvollziehen. Ob dies allerdings ein opportuner Weg war, um einen Menschen kennen zu lernen, wage ich zu bezweifeln.

„Also schön, dann gehe ich einfach mal davon aus, die Prüfung bestanden zu haben.“ Sie legte ihre Hand auf die meine und sah mich lächelnd an. Ihr dankbarer Blick bohrte sich bis tief in meine Seele. „Das haben Sie, Herr Lessing, das haben Sie.“ „Gut, dann kann ich meine Arbeit ja fortsetzen.“ Ich griff in mein Jacketttasche und holte die Digitalkamera hervor. „Damit Sie sehen, dass ich in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen bin, habe ich hier einige Aufnahmen, die Sie sich schon einmal ansehen können.“ Ich rief die Bilder, die ich am Anwesen der von Aust` gemacht hatte, über den kleinen LCD Monitor der Kamera ab. Auf einem der ersten Schnappschüsse war deutlich ein Mann zu erkennen. „Ist dies Ihr Schwager?“, fragte ich Kira Ruppold, ihre Antwort längst erahnend. Sie bestätigte meine Annahme durch ein schlichtes Nicken.

Die nächste Aufnahme trieb ihr die Zornesröte ins Gesicht. „So ein Schwein!“, ereiferte sie sich. „Ich hab's doch gewusst!“ Das Bild zeigte ihren Schwager in einer eindeutigen Position mit einer mir unbekannten Frau. „Nun, Ihr Mann erzählte mir, dass die Ehe Ihrer Schwester eine eher offene Beziehung ist.“ Kira Ruppold beruhigte sich nur sehr langsam. „Das lässt sich so nicht behaupten,“ schimpfte sie. „Sicher, Rebecca hat – sagen wir mal, etwas großzügige Ansichten von der Ehe, aber dass es dieses Schwein mit seinem Flittchen nun auch schon im Ehebett treibt, ist ja wohl das Letzte.“ „Kennen Sie die Frau?“ Die Klientin verkniff das Gesicht. Schüttelte mit jedem Bild, welches sich auf dem Monitor zeigte, verneinend mit dem Kopf. „Nein, leider,“ sagte sie schließlich, nachdem sie alle Aufnahmen begutachtet hatte. „Diese Person kenne ich nicht.“

Ich erhob mich. „Gut, das wär's dann fürs Erste. „Ich werde die relevanten Fotos ausdrucken. Vielleicht ist die Frau ja im Milieu bekannt?“ „Sie denken an eine Erwerbsmäßige?“ „Warum nicht?“ „Glauben Sie mir, Herr Lessing, der Himmel weiß warum, aber das hat der Kerl nicht nötig. Die Weiber im Tennisclub schmeißen sich ihm in Scharen an den Hals. Rebecca hat es mir selbst erzählt.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Wenn Sie mir sagen, wo Ihr Schwager seinem Sport nachgeht, werde ich schon herausbekommen, um wem es sich bei der Dame handelt.“ „So viel ich weiß, spielt er im Asse Sportcenter in der Schweiger Straße. Lassen Sie es mich bitte wissen, wenn sich etwas Neues ergeben hat.“

 

-8-

 

Eigentlich hätte ich meine Detektei gern direkt in der City aufgemacht, doch die Mieten für entsprechende Büroflächen waren dort um ein vielfaches höher, als ich sie am Alten Weg zu zahlen hatte. Wenigstens gab es hier keine Probleme mit einem Parkplatz. Mein Büro befand sich in einer ehemaligen Konservenfabrik. Ein noch heute existierender Schornstein war alles, was an diese Zeit erinnerte. Mein Büro befand sich in dem damaligen Verwaltungsgebäude. Es war vor einigen Jahren renoviert und gefühlvoll modernisiert worden. In etwa zwei Monaten, so hatte man mir versprochen, würde auch die auf demselben Flur gelegene Wohnung frei werden. Bis dahin musste ich zusehen, wie ich klar kam, denn meine Wohnung auf der Zickerickstraße hatte ich aus Kostengründen aufgegeben.

Ich parkte meinen Wagen also an der Rückseite des Hotels Antoinette. Es war bereits 18 Uhr. Trude musste längst Feierabend gemacht haben. Vielleicht war es gut so. Auch wenn ich mich inzwischen beruhigt hatte, so würde sich bei dem Anblick meines Vorzimmers sicherlich neuer Unmut in mir breit machen, den ich sicherlich in Worten zum Ausdruck bringen würde, die mir hinterher wieder Leid täten. So stellte ich mich darauf ein, selbst noch ein wenig Hand anzulegen, bevor ich den Abend im Sportcenter an der Schweiger Straße beschloss, wo ich ein Bierchen trinken und hoffentlich einen Happen essen konnte. Dass ich darauf spekulierte, bei dieser Gelegenheit Aust und seine Freundin anzutreffen, versteht sich von selbst.

Da hing es also, das Messingschild, welches für meine eigene Detektei warb. Nicht ohne Stolz wischte ich mit meinem Taschentuch darüber, bevor ich das Treppenhaus betrat und die Stufen in die erste Etage hinaufstieg. Zuhause fühlte ich mich jedoch hier noch nicht. Wie sollte ich auch, wo alles noch in einem unüberschaubaren Chaos lag? Neidisch hielt ich die Nase in den Duft, der aus der benachbarten Wohnung den Gang entlang waberte. Nicht dass ich nicht kochen konnte, oder dass es mir keinen Spaß machte, aber meistens hatte ich nicht die Zeit, oder die richtigen Zutaten im Kühlschrank. Abgesehen davon, war ich momentan weit davon entfernt, wieder zu einer gewissen Normalität zurückzufinden. Zu viel hatte sich in den vergangenen Monaten ereignet. Geschehnisse, die mich ziemlich aus der Bahn geworfen hatten.

Egal , dachte ich mir, die Tür zu meinem Detektivbüro aufschließend. Ich werde es schaffen, aller Anfang ist schwer.

Mein unerschütterlicher Optimismus wurde mit demselben Wimpernschlag belohnt. Ich glaubte, ich unterläge einer Sinnestäuschung. Konnte tatsächlich möglich sein, was ich da vor mir sah, oder wurde ich nun schon das Opfer meiner Einbildung? Das Vorzimmer und auch die Seite, in der Trude ihr Büro hatte, befand sich in einem atemberaubenden Zustand. Ich war sprachlos. Wie war dieser Wandel möglich? Nie im Traum hatte ich dies erwartet. Der Raum war nicht nur aufgeräumt, sondern mit unglaublich viel Geschmack dekoriert worden. In der Ecke mit den Besucherstühlen hingen Applikationen bekannter Meister. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wo Trude sie her hatte. Nie im Leben hätte ich ihr eine solche Kreativität zugetraut.

Tief beeindruckt nahm ich den Hut ab und öffnete die Tür zu meinem Büro. „Überraschung!“, riefen Isabelle und Trude im Gleichklang. „Wir dachten, du würdest dich vielleicht über etwas Gesellschaft freuen.“ Ich war total von der Rolle. „Na, die Überraschung ist euch nun wirklich gelungen. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ „Dann sag nix und setz dich, damit wir endlich essen können,“ entgegnete Isabelle, während sie mich auf einem der drei Stühle niederdrückte, die um meinen Schreibtisch herum gruppiert waren. Dann verschwand sie mit Trude. Ich starrte auf das weiße Tischtuch, das mit Kerzen und Tellern gedeckt war. Sollte der verführerische Duft, dem ich auf dem Flur begegnet war, vielleicht...?

Die beiden Frauen enthoben mich jeglicher Spekulationen. Es war derselbe betörende Duft von frischen Bratkartoffeln mit Speck und hausgemachtem Sauerfleisch. Meinem absoluten Lieblingsessen. „Wie habt ihr das alles nur geschafft?“, fragte ich ungläubig. „Vielleicht haben uns ja die Heinzelmännchen geholfen?“ „Wenn ich mich so umsehe, muss es wohl eher ein guter Dschinn gewesen sein.“ Trude sah etwas verlegen auf ihren Teller. „Ich schätze, Sie hätten mir vorhin am liebsten den Kopf abgerissen.“ Ich hob die Brauen und seufzte. „Ach wissen Sie Trude, aller Anfang ist schwer.“

 

„Sie ist eine gute Seele,“ beteuerte Isabelle, auf dem Weg zur Schweiger Straße. „Okay, etwas chaotisch und vielleicht auch ein wenig schrullig, aber ich glaube, wenn's wirklich mal darauf ankommt, kannst du dich total auf sie verlassen.“ Ich wog den Kopf. „Hat sie dir von den Telefonanrufen erzählt?“ „Hat sie!“ „Und?“ „Sie ist nicht mehr die Jüngste. Es war einfach zu viel für sie. Gib ihr eine Chance, sie wird es dir auf ihre eigene Weise danken.“ Ich kratzte mir nachdenklich hinter dem Ohr. „Dein Wort in Gottes Gehörgang.“

 

Einige Minuten später war ich ganz Gentleman, als ich meiner Begleitung aus der Jacke half. Tagsüber war es zwar schon warm, aber die Nächte wurden noch immer empfindlich kühl. Der April macht eben, was er will. Wir setzten uns an einen der Tische, von denen man einen guten Blick in die Tennishalle hatte. „Gar nicht schlecht hier,“ bewertete Isabelle. Ich sah mich interessiert um, konnte aber weder von Aust noch seine reitbegeisterte Freundin entdecken. „Wenn die Bedienung kommt, hätte ich gern ein Gläschen Rotwein,“ erhob sich Isabelle, kaum dass wir Platz genommen hatten. „Nicht so süß. Ich gehe mir inzwischen die Nase pudern.“

Typisch Frau , dachte ich, während sich mein Blick durch die große Glasscheibe auf die Spielfelder verlagerte. Im Grunde hatte ich nie allzu viel für den sogenannten weißen Sport übrig, aber je mehr ich zusah, desto mehr Lust bekam ich auf ein Spielchen, Die Halle war ausgebucht. Herreneinzel, gemischtes Doppel, Damendoppel und ganz hinten traten ein Herr und eine Dame gegeneinander an. Eigentlich die interessanteste Paarung, weil ich in ihnen von Aust und seine Freundin zu erkennen glaubte. „Guten Abend, was darf ich Ihnen bringen?“, riss mich die Stimme eines jungen Mannes abrupt aus meinen Gedanken. „Äh, ja, äh, guten Abend. Bringen Sie mir bitte eine Flasche trockenen Rotwein und zwei Gläser.“ „Da könnte ich Ihnen einen griechischen Kokinelli oder einen halbtrockenen Imigliko anbieten. Oder wenn es lieber ein italienischer Wein sein soll?“ „Nein, nein, ich denke, ich nehme den Kokinelli.“ Der junge Mann nickte freundlich und verschwand wieder hinter der gut besetzten Theke. Einen Augenblick sah ich seufzend zu den Toilettentüren hinüber. Frauen , dachte ich kopfschüttelnd, als immer noch nichts von meiner Begleiterin zu sehen war.

Die Bestellung stand bereits und die Kerze auf dem Tisch war auch schon ein Stück weit abgebrannt, als sich Isabelle endlich wieder einfand. „Meine Güte,“ seufzte ich, „Ich dachte schon, ich müsste mich zwischendurch rasieren gehen. Was dauert da bei euch Frauen nur so lange?“ „Unsere Gespräche,“ lächelte sie, versonnen über den Rand ihres erhobenen Rotweinglases blinzelnd. „Hm, Kokinelli – lecker.“ Ich verdrehte die Augen. „Natürlich habe ich die Gelegenheit genutzt, um ein bisschen was über diesen von Aust herauszubekommen.“ „Auf dem Klo?“ „Ein sehr persönlicher Ort, an dem unsereins leicht Bekanntschaften macht.“ „Auf dem Klo!“ Isabelle winkte genervt ab. „Männer ticken da halt anders.“ Ich dachte mir meinen Teil. „Willst du nun hören, was ich für dich herausgefunden habe?“ Klar wollte ich. Männer sind auch neugierig, wenn auch nicht unbedingt auf dem Klo.

„Dieser von Aust ist als ziemlicher Windhund verschrieen. Offenbar schmeißt er reichlich ungeniert mit seinem Geld herum.“ „Seinem Geld ist gut,“ flocht ich ein. „Wie auch immer, der Kerl hatte eine Liaison nach der anderen.“ „Hatte?“, merkte ich auf. „Richtig, er hatte, denn seit einigen Wochen läuft da nur noch etwas mit einer gewissen Karla.“ Ich deutete mit dem Kopf auf die Spielfelder jenseits der Panoramascheibe. „Ganz hinten. Wenn mich nicht alles täuscht, müsste es sich um die Dame handeln, die ich dir auf der Kamera gezeigt habe.“ „Gut möglich.“ Isabelle rümpfte nachdenklich die Nase. „Glaubst du, er hat seine Frau aus dem Weg geräumt, um Platz für eine andere zu schaffen?“ „Er hätte zumindest kein schlechtes Motiv,“ resümierte ich. „Wenn Kleinschmidt die Sache bearbeitet, wirst du mit deinen Ermittlungen gegen von Aust wohl ziemlich alleine dastehen. Du weißt, dass er sich ungern die Finger verbrennt.“ „Finger verbrennen? Von Aust ist doch nur ein kleines Würstchen, dass einen guten Namen vor sich herträgt.“ „Er vielleicht, aber sein Onkel ist Richter beim Oberlandesgericht in Lüneburg. Das wusstest du wohl nicht?“ Ich schüttelte den Kopf. „Na dann.“ Ich lachte kurz auf. „Wenn er hinter dem Verschwinden seiner Frau steckt, wird ihm das Onkelchen auch nichts nutzen,“ bekundete Isabelle. „Ich werde Kleinschmidt ein wenig anschieben. Mal sehen, ob es was bringt.“

Es war das erste Mal seit langem, dass Isabelle und ich zusammen aus waren. Auch wenn der Anlass dafür beruflicher Art war, so freute ich mich, in ihr wieder die Freundin gefunden zu haben, die sie vor unserem Techtelmechtel für mich war. Sie und Jogi waren die einzigen Kollegen, die auch nach dem Tod meines Partners zu mir standen.

Wir waren so sehr mit uns selbst beschäftigt, dass wir gar nicht mitbekamen, wie die Zeit verging. „Da sind sie,“ unterbrach ich unser Gespräch, als von Aust und die vermeintliche Karla das Restaurant betraten. Wir hatten uns also nicht getäuscht, als wir in ihnen das Tennispärchen auf dem letzten Cord sahen. „Gebügelt und gestriegelt,“ lästerte Isabelle. „Ob die wohl zusammen geduscht haben?“, schmunzelte ich burschikos. „Typisch Mann, fällt euch auch mal etwas anderes ein?“ „Wenn du mich so fragst...?“

Das ungleiche Paar nahm an der Bar Platz. „Die ist doch mindestens fünfzehn Jahre jünger als der Kerl,“ bekundete Isabelle „Tja, das muss der Neid ihm lassen, er ist gut in Form,“ lobte ich seine Konstitution. „Pfff, wenn sie hat, was sie will, wird sie ihn eh abschießen. Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass da Liebe im Spiel ist.“ „Wer weiß?“

 

-9-

 

Eine halbe Stunde später befanden wir uns in meinem Wagen auf dem Parkplatz vor dem Sportcenter. Als ich bemerkt hatte, dass unser Pärchen aufbrechen wollte, waren wir ihnen zuvorgekommen. Auf diese Weise fällt es am wenigsten auf, wenn man andere beschattet. „Tja, es ist spät geworden, am besten ich fahre dich jetzt zu deinem Auto, schließlich musst du morgen früh raus.“ „Spinnst du?“, ereiferte sich die Frau auf dem Beifahrersitz. „Das ist ja wohl nicht dein Ernst? Jetzt will ich natürlich wissen, was die beiden vorhaben.“ „Spricht jetzt die weibliche Neugier aus dir?“, fragte ich augenzwinkernd, „oder ist das die Kriminalistin in dir?“ „Wenn du nicht endlich los fährst, wirst du es nie erfahren,“ lenkte sie meine Aufmerksamkeit auf den Audi TT, der gerade auf die Parkplatzausfahrt zurollte. „Was meinst du, ob er sie wohl nach Hause fährt?“, grinste ich vielsagend. „Wir werden es erleben.

Schon auf der Fahrt durch das Kalte Tal dachte ich mir, dass unser Pärchen auch noch den Rest des angebrochenen Abends miteinander verbringen würde. Die Digitalanzeige in der Instrumententafel meines Astras zeigte 23:42 Uhr. „Nur noch um zwei Ecken herum, dann sind wir an seiner Villa,“ erklärte ich Isabelle. „Wenn Gerd von Aust seine Gespielin zu solch später Stunde mit nach Hause nimmt, muss er sich verdammt sicher sein, nicht von der eigenen Frau überrascht zu werden,“ interpretierte ich seine Handlungsweise. „Da hast du wohl wahr,“ pflichtete mir Isabelle bei. „Andererseits kann ich nicht glauben, dass der Typ wirklich so dämlich ist. Er muss doch damit rechnen, von der Polizei observiert zu werden.“ Ich nickte nachdenklich.

Von Aust lenkte seinen Wagen in die Einfahrt. Licht ging an. Das Rolltor surrte automatisch in die Höhe und der Audi TT verschwand hinter der sich wieder senkenden Jalousie. Ich stoppte meinen Astra in Sichtweite zum Haus, genau im Lichtschatten zweier Straßenlaternen. So konnten wir gut sehen, wenn sich vor der Villa etwas tat, ohne selbst von dort aus gesehen zu werden. „Hast du noch ein paar Minuten?“, fragte ich meine Beifahrerin. Isabelle sah mich versonnen an. „Bislang habe ich noch nichts besseres vor.“ „Dann wollen wir doch mal sehen, wie es weiter geht.“

Zunächst tat sich gar nichts. Hinter den Fenstern der Villa gingen Lichter an und wieder aus. Schatten bewegten sich hinter den Vorhängen und man konnte nur erahnen, was im Inneren des Hauses vor sich ging. Irgendwann erlosch auch das letzte Lichtlein. Ich sah Isabelle fragend an. „Das Schlafzimmer befindet sich im hinteren Teil des Hauses. Was da jetzt abgeht, sollte uns auch so klar sein.“ Meine Beifahrerin lächelte süffisant. „Tja, was machen wir nun mit dem angebrochenen Abend?“ „Brechen wir ihn doch ganz ab,“ schlug ich vor. Ich drehte den Schlüssel im Zündschloss und wollte gerade den Motor starten, als ein Nissan Primera vor der Villa vorfuhr. Ich war mir nicht sicher, aber irgendwo hatte ich den Wagen erst kürzlich gesehen.

Als die Fahrertür geöffnet wurde, ging die Innenraumbeleuchtung ging an und warf ein diffuses Licht auf die aussteigende Person. Ich meinte eine Frau zu erkennen. „Hast du die schon mal gesehen?“, fragte Isabelle, die offenbar den- selben Eindruck hatte. „Von der Statur und den Haaren her..., aber ich bin mir nicht sicher.“ „Ich schätze, wir sollten noch ein wenig bleiben,“ befand meine Beifahrerin. „Die Sache könnte nun doch noch interessant werden.“

Die Frau wandte uns den Rücken zu, während sie sich der Villa näherte und schließlich in der Dunkelheit verschwand. Keine Sekunde länger hielt es mich auf meinem Sitz. Isabelle ging es da nicht anders. Vorsichtig pirschten wir uns an. Im Haus war nach wie vor alles ruhig. Wir schlichen uns durch den Vorgarten auf die Rückseite des Gebäudes. Ein Bewegungsmelder hatte uns erfasst und schaltete die Außenbeleuchtung ein. Wir gingen in Deckung, verharrten der Dinge, die geschahen, doch es blieb ruhig. Keine Spur mehr von der Frau, der wir gefolgt waren.

„Sie muss irgendwo ins Haus gekommen sein,“ mutmaßte ich. „Vielleicht über die Terrasse?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Wir werden es gleich wissen.“ Als das Licht erlosch, wagten wir uns weiter, umgingen den Bereich, den der Bewegungsmelder meines Erachtens nach überwachte und näherten uns dem Pool. Der Lichtkegel meiner Taschenlampe erfasste die Terrassentür. Sie war zu, besaß kein Schloss, ließ sich nur von innen öffnen. Wo auch immer, hier war die Frau nicht ins Haus gelangt. „Vielleicht ist sie gar nicht im Haus?“, flüsterte Isabelle. „Vielleicht wollte sie nur ein...“ Der Schatten an meiner Seite sprach nicht weiter, denn im Haus fielen Schüsse.

„Mist, ich habe meine Dienstwaffe nicht dabei,“ ärgerte sich die Kommissarin. Ich griff mir an die Wade und zog meine Reservepistole aus der Kletthalterung. Isabelle sah mich skeptisch an. „Eine Astra, schießt die auch?“ „Klein, aber fein,“ erwiderte ich grinsend, während ich nach etwas Passendem suchte, um ein Fenster neben der Terrassentür einzuschlagen. „Lauf du nach vorn, falls jemand stiften gehen will.“ Deutlich vernehmbare Schreie, die jetzt aus dem Inneren der Villa drangen, mahnten uns zu noch mehr Eile.

Ich entdeckte einen kleinen schmiedeeisernen Beistelltisch, wie ich ihn für den Wartebereich meiner Detektei suchte. Schade drum , dachte ich und schwang ihn gegen das Fenster. Ein Knall, Glas splitterte, zerbarst und flog klirrend ins Haus. Ich griff durch die zerstörte Scheibe und öffnete den Riegel. Der Lichtkegel meiner ultramodernen LED-Lampe suchte das Innere des Raumes ab. Als ich sicher sein konnte, nicht in einen Hinterhalt zu geraten, schwang ich mich durch das Fenster. Glas knirschte unter meinen Schuhen. Ich entdeckte eine Tür, bewegte mich darauf zu und öffnete sie zögerlich. Auch der riesige Flur und das repräsentative Treppenhaus lagen im Dunkel. Ich schaltete das Licht an, sondierte die Örtlichkeit und näherte mich, jede Möglichkeit der Deckung nutzend, der Haustür, vor der ich Isabelle vermutete. Der Schlüssel steckte. Ich ließ sie ins Haus. Gemeinsam, uns immer wieder gegenseitig sichernd, durchsuchten wir zunächst die Räume in dem Parterre. Bislang konnte ich nur erahnen, was im Haus geschehen war.

Die Waffe im beidhändigen Anschlag, von Isabelle gesichert, stürmte ich kontrolliert die Treppe nach oben. Ein leises Wimmern war zu hören. Ich hielt den Atem an, um den Ort auszumachen, von wo es kam. Indes schlug vor dem Haus eine Autotür zu. Durch das aufgeklappte Flurfenster sah ich den Nissan Primera davonbrausen. Isabelle rannte hinter dem Wagen her, bis auf die Straße, wo sie die Waffe anlegte und dann doch nicht schoss. Sie rannte zu meinem Astra, tauchte kurz ab, kam wieder zum Vorschein und blickte wütend zu mir herauf. Ich fühlte meine Hosentasche und bemerkte den Autoschlüssel. Isabelle griff zum Handy und telefonierte. Der Himmel weiß wie, aber die geheimnisvolle Frau war uns entwischt.

Alles Fluchen half jetzt wenig, nun ging es darum herauszufinden, was geschehen war und eventuell Verletzten zu helfen. Ich staunte nicht schlecht, als ich die Tür zum Schlafzimmer öffnete. Die junge Frau, die sich angeblich Karla nannte, hockte zusammengekauert in einer Ecke des Raums und zitterte wie Espenlaub. Gerd von Aust lag, wie ihn Gott erschaffen hatte, bäuchlings auf dem Bett und rührte sich nicht. Unterhalb seines linken Schulterblattes sickerte ein feiner Faden Blut, der sich seinen Weg über die Taille in das Bettzeug suchte. Karla schien mich überhaupt nicht wahrzunehmen. Sie hatte offensichtlich einen schweren Schock erlitten. Ihr Blick richtete sich unverwandt auf ihren leblosen Liebhaber. Ich griff mir eine Wolldecke, die ich neben dem Bett entdeckte und verhüllte ihren nackten Körper.

Da sich die junge Frau von mir helfen ließ, lud ich sie auf meine Arme und trug sie in einen Nebenraum. Während ich Karla dort auf ein Sofa legte, hörte ich Isabelles Schritte auf dem Gang. „Was ist geschehen?“, fragte sie, nachdem sie mich mit der Blondine sah. Ich bedeutete ihr, dass sie im Nabenraum nachsehen sollte. Als ich ihr schließlich nachging, beugte sie sich gerade über das Bett, auf dem Gerd von Aust lag und fühlte ihm den Puls. Ihr Kopfschütteln bestätigte, was eigentlich längst offensichtlich war. Wortlos verließen wir den wahrscheinlichen Tatort, um eventuell vorhandene Spuren nicht zu verwischen.

„Hast du das Nummernschild erkennen können?“, fragte ich Isabelle. Sie nickte. „Ich habe es sofort an die Kollegen weitergegeben. Notarzt und Spurensicherung müssten jeden Moment eintreffen.“ Ich sah zu der jungen Frau auf dem Sofa hinüber. Sie lag noch genau so, wie ich sie niedergelegt hatte. „Sie muss die Mörderin gesehen haben,“ mutmaßte Isabelle, „...und wenn ich recht darüber nachdenke, werde ich das Gefühl nicht los, dass du zumindest einen Verdacht hast, wer die ominöse Frau war.“ „Ich fürchte, du hast recht.“

 

-10-

 

„Der Wagen, zu dem das von Ihnen durchgegebene Kennzeichen passt, ist auf Kira Ruppold zugelassen,“ informierte uns Kommissar Kleinschmidt. Isabelle sah mich forschend an. „Hieß deine Klientin nicht so?“ Ich nickte betreten. „Sieht so aus, als sei Ihre Auftraggeberin jetzt endgültig durchgeknallt,“ grinste Kleinschmidt. Am liebsten hätte ich ihm die passende Antwort gegeben, aber im Augenblick sprach tatsächlich alles gegen meine Klientin. „Haben Sie die Frau erkannt, die in dem Fluchtwagen saß?“, fragte mich der Kommissar eindringlich. „Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen, die Lichtverhältnisse...“ „Hören Sie doch auf!“, unterbrach mich Kleinschmidt wütend. „Sie wollen Ihre Klientin doch nur nicht ans Messer liefern. Aber seien Sie versichert, Lessing, ich werde die Dame auch ohne Ihre Mithilfe überführen! Meine Mitarbeiter sind bereits auf dem Weg zu der uns bekannten Adresse, Am Meyenberg 8.“ Der dickliche Kommissar sah auf seine Armbanduhr. „Wenn der Kollege Schneider die Dame zu Hause angetroffen hat, ist er mit ihr sicherlich schon auf dem Weg zur Dienststelle an der Lindener Straße.“

Ich konnte verstehen, dass Kleinschmidt sauer auf meine ausweichende Antwort reagierte. Wie sollte er auch wissen, dass ich die vermeintliche Täterin eben nicht deutlich erkennen konnte? Gut, der Schatten, den ich von ihr sah, hatte die gleichen Konturen und das Haar der geheimnisvollen Frau hatte dieselbe Farbe und ebenso die Länge, wie meine Klientin es trug, aber ihr Gesicht hatte ich in der Dunkelheit nicht erkennen können.

Der Kommissar wandte sich Isabelle zu. „Sie haben die Frau doch auch gesehen.“ Bevor sie Kleinschmidt antwortete, sah sie mich einen Augenblick an. In ihren Augen lag ein Zweifeln. „Stimmt, ich habe eine Frau gesehen, aber mir geht es nicht viel anders als Leo. Ich weiß wirklich nicht, ob ich sie wiedererkennen würde.“ „Also schön,“ sagte der Kommissar gedehnt. „Wenn möglich, würde ich Sie beide gern mit auf die Dienststelle nehmen, um Ihre Aussagen zum Tathergang, so wie er sich aus Ihrer Sicht ereignete, zu protokollieren.“ Angesichts der späten Stunde war die Bitte des Kommissars sicherlich eine Zumutung, doch Kleinschmidt wusste aus seiner langen Berufserfahrung nur zu genau, dass die Erinnerungen der Zeugen mit jeder Stunde, die vergeht, unschärfer wird. Auch dann, wenn es sich bei den Zeugen um Menschen handelt, die sehr genau wussten, worauf es ankam. Jede Kleinigkeit könnte am Ende der entscheidende Hinweis sein.

Während Kira Ruppold und ihr Ehemann getrennt von- einander vernommen wurden, saßen Isabelle und ich auf dem Gang vor Kleinschmidts Büro. „Seit einer geschlagenen Stunde drehen die meine Klientin da drinnen nun schon durch die Mangel. Diese Frau kann keiner Fliege etwas zu Leide tun. Du hättest erleben sollen, wie sehr sie sich um ihre vermisste Schwester sorgt. Die setzt sich doch nicht ins Auto und fährt mal eben durch die halbe Stadt, um ihren Schwager zu töten.“ „Kannst du wirklich deine Hand für diese Frau ins Feuer legen? Du kennst sie doch gar nicht. Vielleicht ist sie durchgedreht, als du ihr die Bilder ihres Schwagers gezeigt hast, auf denen er mit einer anderen Frau zu sehen ist.“ „Okay, sie war in diesem Moment sehr aufgeregt, aber wer wäre das nicht?“

„Nun geben Sie schon zu, Ihren Schwager erschossen zu haben, Frau Ruppold. Die Motorhaube ihres Wagens war noch warm. Sie wurden darin am Tatort gesehen und wir haben im Handschuhfach eine Waffe sichergestellt, aus der erst kürzlich geschossen wurde. Bis morgen Früh wird der Rechtsmediziner die Obduktion abgeschlossen haben und unsere Ballistiker werden zweifelsfrei feststellen können, ob Gerd von Aust mit dieser Pistole erschossen wurde. Überdies werden wir die von der Waffe abgenommenen Prints mit ihren Fingerabdrücken vergleichen und wenn es eine Übereinstimmung gibt, wird Ihnen alles Leugnen nichts nutzen. Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß. Erleichtern Sie Ihr Gewissen und gestehen Sie!“

Kira Ruppold sah den Kommissar beschwörend an. Sie wusste nicht mehr, wie oft sie ihre Unschuld bereits beteuert hatte und sie wusste ebenso wenig, wie sie den Kriminalbeamten von der Wahrheit ihrer Aussage überzeugen konnte. „Ich sage es Ihnen jetzt zum allerletzten Mal, ich habe meinen Schwager nicht getötet und ich weiß schon gar nicht, wie die Waffe in das Handschuhfach meines Wagens kommen konnte. Glauben Sie denn allen Ernstes, dass ich so dämlich wäre und die Mordwaffe an einem Ort deponiere, wo Sie zuallererst nachsehen?“ „Ach, wissen Sie, Frau Ruppold, da haben wir schon ganz andere Ungereimtheiten erlebt. Wahrscheinlich hatten Sie auf Ihrer Flucht nur keine Gelegenheit, die Waffe anderweitig zu entsorgen.“

Die Vernehmung wurde durch das Erscheinen von Harry Schneider für einen Augenblick unterbrochen. Kira Ruppold lehnte sich müde gegen die Rückenlehne des Besucherstuhls. Die Beschuldigungen gegen sie hatten tiefe Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Sie beobachtete die beiden Kommissare, wie sie miteinander tuschelten, konnte aber nicht verstehen, um was es in ihrem Gespräch ging. Sie war müde und sie wollte nach Hause. Ein Blick auf die Uhr über der Bürotür ließ sie darüber nachdenken, wer in nicht einmal zwei Stunden ihre Kinder wecken sollte, falls dieser Spuk bis dahin kein Ende gefunden hatte.

„Also, noch mal von vorn, Frau Ruppold. Erzählen Sie mir, wie Sie den gestrigen Abend verbracht haben, wann Sie ins Bett gegangen sind und wie Sie sich aus dem Haus geschlichen haben.“ „So hören Sie doch, Herr Kommissar. Mein Mann kann Ihnen bestätigen, dass ich die ganze Nacht an seiner Seite geschlafen habe. Das heißt, natürlich nur, bis uns Ihre Leute aus dem Schlaf gerissen haben.“ „Genau das kann Ihr Mann eben nicht bezeugen.“ Kira Ruppold glaubte einen Moment lang, sich verhört zu haben. Sie starrte Kleinschmidt ungläubig an. „Was kann Rüdiger nicht?“ „Ihr Mann hat meinem Kollegen gegenüber eingeräumt, gestern Abend eine Schlaftablette genommen zu haben. Als er zwischendurch erwachte, um auf die Toilette zu gehen, lagen Sie nicht neben ihm.“ Die Beschuldigte schüttelte verwirrt mit dem Kopf. „Das kann doch alles nicht wahr sein! Ich sage jetzt gar nichts mehr! Ich will erst mit meinem Anwalt sprechen.“ „Das ist Ihr gutes Recht.“

 

Isabelle lag schlafend in meinem Schoß und ich saß stocksteif auf der Bank und bewegte mich nicht. Mein Rücken schmerzte und die Augen brannten und doch war es ein angenehmes Gefühl, ihr beim Schlafen zuzusehen. Ich dachte an die Zeit zurück, in der wir zwei ein Paar waren, eine turbulente Zeit, die aber durchaus ihre Reize hatte. Isabelle war kein Heimchen am Herd, ganz gewiss nicht. Sie war auch keine Frau, die sich ein X für ein U vor machen ließ. Sie war eine moderne Frau, mit einem starken Charakter und einem ausgeprägten Geltungsbewusstsein. Ihre Karriere stand stets an erster Stelle. Genau daran war unsere Beziehung gescheitert.

Kommissar Kleinschmidt störte die Melancholie, in die ich einstweilen verfallen war, in rüder Weise. „Wenn die Dame ausgeschlafen hat, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie für einen Augenblick hereinkommen würden.“ Isabelle fuhr erschrocken hoch. „Was ist?“, stammelte sie, sich nach allen Seiten umsehend. „Der große Zampano war gerade hier. Wir sollen reinkommen.“ Isabelle seufzte. „Lange genug hat's ja gedauert.“

„Mein Gott, Herr Lessing, gut dass Sie da sind. Der Kommissar glaubt allen Ernstes, ich hätte meinen Schwager erschossen. Sie müssen mir helfen.“ „Bitte, gnädige Frau, beruhigen Sie sich erst einmal. Ich hoffe, Sie haben Ihren Anwalt bereits verständigt?“ „Ich konnte Doktor Schröter leider noch nicht erreichen, aber ich habe ihm auf Band gesprochen.“ „Gut. Im Augenblick spricht leider einiges gegen Sie. Es wird sich nicht vermeiden lassen, einige Stunden hier zu bleiben.“ Meine Klientin starrte mich entsetzt an. „Ich bin sicher, dass der Haftrichter Sie bald wieder auf freien Fuß setzen wird. Bis dahin allerdings müssen Sie sich mit den Gegebenheiten abfinden.“

Während sich Isabelle im Hintergrund hielt, betrat eine Polizeibeamtin den Raum. „Wenn Sie mir versprechen, keine Dummheiten zu machen, können wir auf Handschellen verzichten,“ zeigte sich Kleinschmidt gönnerhaft. „Noch nie in meinem ganzen Leben bin ich derart behandelt worden,“ beschwerte sich Kira Ruppold. „Ich hoffe, Sie sind sich über die Konsequenzen bewusst, Kommissar Kleinschmidt.“ „Das lassen Sie mal getrost meine Sorge sein. Die vorläufige Festnahme wurde Ihnen bereits erklärt. Sie werden morgen Früh dem Haftrichter vorgeführt. Bis dahin bleiben Sie in Gewahrsam. Abführen!“

Kleinschmidt goss sich einen Becher Kaffee ein. „Und, Frau Kollegin, ist sie die Frau, die sie gesehen haben?“ „Tut mir Leid, aber beim besten Willen...“ „Macht nichts, wir haben zwar an den Händen der Tatverdächtigen keine Schmauchspuren sicher stellen können, aber die Kollegen der Spurensicherung sind gerade dabei, im Haus der Ruppolds nach ihrer Kleidung zu suchen. Auch wenn sie ihre Hände nach der Tat gründlich gereinigt hat, denke ich, dass sie bis zum Eintreffen des Kollegen Schneider nicht ausreichend Gelegenheit hatte, die Kleidung zu waschen, die sie bei der Tat trug. Folglich müssten Rückstände von Schwarzpulver daran haften,“ kombinierte Kleinschmidt zuversichtlich. „Da war der Staatsanwalt aber sehr fix mit dem Durchsuchungsbeschluss,“ merkte ich an. „Das war nicht nötig, Herr Ruppold zeigte sich sehr kooperativ.“

„Alles schön und gut. Ich gebe zu, dass momentan einiges gegen meine Klientin spricht, aber welchen Grund sollte Kira Ruppold haben, ihren Schwager zu töten? Okay, sie war nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen. Immerhin hat er ihre Schwester schamlos betrogen, aber deswegen geht sie doch nicht gleich bis zum Äußersten!“ Kleinschmidt wog nachdenklich den Kopf. „Ich gebe zu, ihr Motiv ist etwas dürftig, aber ich bin sicher, wenn wir tief genug bohren, werden wir auch einiges ans Tageslicht fördern.“

 


-11-

 

„Wenn die Waffe, die im Wagen deiner Klientin gefunden wurde, tatsächlich die Tatwaffe ist und sich darüber hinaus auch noch ihre Fingerabdrücke darauf befinden, sehe ich ziemlich schwarz für die Dame.“ Isabelle setzte die Tasse Kaffee ab und biss in das Marmeladenbrötchen. „Die Motorhaube war noch warm, als die Kollegen bei ihr zu Hause eintrafen. Der Wagen musste also kurz zuvor bewegt worden sein,“ fasste sie nachdenklich zusammen. „Ganz zu Schweigen von der Übereinstimmung des Kennzeichens.“ Irgendetwas passte nicht zusammen. Es war mehr so ein Gefühl, welches in mir keinen richtigen Appetit aufkommen lassen wollte. Ich legte mein Wurstbrötchen nun schon zum dritten Mal zurück auf den Teller. „Schmeckt es dir nicht?“, fragte Isabelle fürsorglich. „Ist doch ganz nett hier.“

Nein, es war nicht das gute Frühstück in der Bäckerei Rossmann, was mir auf den Magen schlug, es war die Frage, weshalb Rüdiger Ruppold meiner Klientin kein Alibi gab. War er dem Gesetz wirklich so sehr ergeben, dass er sogar gegen seine eigene Frau aussagte, oder steckte mehr dahinter? Ich nahm mir fest vor, gleich nach meinem Besuch bei Kira Ruppold mit ihrem Ehemann zu sprechen. „Sei mir nicht böse, Isabelle, aber ich schätze, ich brauche erst mal eine Mütze Schlaf.“ „Schon klar, war ein harter Tag für dich. Ich werde von dir aus direkt ins Präsidium fahren und meine Fühler ein wenig ausstrecken. Vielleicht erfahre ich bei der Rechtsmedizin etwas Neues.“ „Wäre echt lieb von dir. Ich rufe dich an, sowie ich wieder fit bin.“

Kurz darauf trennten wir uns vor meiner Detektei. Mein erster Fall hatte eine eigentümliche Wendung genommen. Die paar Stunden, in denen ich mich auf der Luftmatratze in meinem Büro herumgesielt hatte, waren von Überlegungen geprägt, die mich keinen Schritt weiter brachten. Bislang wurde ich weder aus Kira Ruppold noch aus ihrem Ehemann schlau. Fragen über Fragen, auf die es keine Antworten zu geben schien. Ich rief mir die Situation ins Gedächtnis, mit der meine Klientin ihren Schwager bedachte, als ich ihr die Fotos zeigte, die ich erst kurz zuvor auf dem Anwesen ihrer Schwester geschossen hatte. War sie wirklich derart von der Rolle gewesen, um sich zu einer solchen Tat hinreißen zu lassen? Warum hatte sie ihr eigener Ehemann ans Messer geliefert?

„Es sieht nicht gut aus für Sie, Frau Ruppold,“ erklärte ich meiner Klientin, nachdem wir uns im Besprechungszimmer gegenübersaßen. „Dasselbe hat mir Doktor Schröter vorhin auch schon gesagt.“ Tränen kullerten über ihr gezeichnetes Gesicht. „Bitte glauben Sie mir, Herr Lessing, ich habe Gerd nicht erschossen!“ Es hielt mich nicht länger auf dem weiß lackierten Holzstuhl. „Es spricht zwar alles gegen Sie, aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass hier etwas ganz gewaltig stinkt.“ „Sie glauben mir also?“, fragte Kira Ruppold erleichtert. „Mein Gefühl hat mich noch nie betrogen.“ „Ich habe kein Auge zu gemacht,“ sagte sie mit bedrückter Stimme. „Was wird nur aus meinen Kindern?“ „Wenn doch nur Rebecca da wäre, sie weiß immer, was zu tun ist.“

„Wir müssen nun erst einmal einen kühlen Kopf bewahren. Was will Ihr Anwalt unternehmen, um Ihnen zunächst einmal die U-Haft zu ersparen?“ „Der Haftprüfungstermin ist am frühen Nachmittag. Bis dahin will er Einblick in die Akten nehmen.“ „Verstehen Sie mich nicht falsch, der Mann mag ja eine Kapazität sein, aber sehr vielversprechend hört sich das nicht gerade an.“ „Ich habe vollstes Vertrauen in die Fähigkeiten von Doktor Schröter. Mein Vater wurde schon von ihm vertreten.“ Ich dachte mir meinen Teil. „Nun gut, Sie haben sich wieder angefunden. Damit hat sich mein ursprünglicher Auftrag im Grunde erledigt, trotzdem kann es nicht schaden, wenn ich unabhängig von der Verteidigung auf meine Weise aktiv werde.“ „Darum hätte ich Sie ohnehin gebeten.“

Während ich nachdachte, durchmaß ich ein ums andere Mal den kleinen Raum. „Dann komme ich gleich zu meiner ersten Frage. Wie ich inzwischen aus zuverlässiger Quelle weiß, handelt es sich bei der Schusswaffe, die in Ihrem Auto gefunden wurde, zweifelsfrei um die Tatwaffe. Überdies wurden Ihre Fingerabdrücke darauf sicher-gestellt.“ Kira Ruppold starrte mich fassungslos an. „Können Sie mir erklären, wie die Pistole in Ihr Auto kam und vor allem, wieso Ihre Prints darauf gefunden wurden?“

Meine Klientin holte tief Luft. „Es ist ungefähr eine Woche her, Rüdiger war auf einer Geschäftsreise und deshalb über Nacht nicht zu Hause. Ich hatte Angst wegen Rebeccas Verschwinden – Sie verstehen?“ Ich nickte. „Sie wissen ja, ich war völlig fertig deswegen. Ich hatte es Ihnen doch erzählt – oder?“ „Ja,“ bestätigte ich. „Sie haben es mir erzählt.“ Sie brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu sammeln. „Na, jedenfalls hatte mir Rüdiger die Pistole auf den Nachtschrank gelegt. Nur so, für alle Fälle und um mich zu beruhigen, nehme ich an.“ Sie schnappte nach Luft. Es fiel ihr sichtlich schwer, über die Vorkommnisse zu sprechen. „Mitten in der Nacht vernahm ich plötzlich Geräusche. Ich griff nach der Waffe und ging nach unten, aber da war nichts. Berni schlief ganz ruhig in seinem Körbchen. Wenn irgendetwas nicht in Ordnung gewesen wäre, hätte er sicher angeschlagen. Aber daran hatte ich im ersten Moment nicht gedacht.“

„Sie haben die Pistole also wieder auf Ihren Nachtschrank zurückgelegt?“ „So ist es,“ bestätigte sie. „Und von dort hat Ihr Mann die Waffe wieder an sich genommen?“ „Ja.“ „Wo bewahrt Ihr Mann die Pistole auf?“ „Im Tresor in seinem Büro.“ Ich merkte auf. „Besitzen Sie Zugang zum Safe?“ „Ja selbstverständlich!“ „Womit auch dieser Hoffnungsschimmer erlosch.“ Kira Ruppold begann zu begreifen. Die Hoffnung, die sich für einen Augenblick in ihr einstellte, ließ ihren Körper mit dem nächsten Wimpernschlag in sich zusammensinken. „Es ist wie verhext, am Ende gehe ich für einen Mord ins Gefängnis, den ich nie begangen habe.“

Ich strich meiner Klientin tröstend über die Schulter. „Noch ist nicht aller Tage Abend, ich lasse Sie nicht im Stich, das verspreche ich Ihnen. „Abschließend noch eine Frage, wissen Sie, wohin die Geschäftsreise Ihres Mannes ging?“ „Oh, leider, da muss ich passen, aber das kann Ihnen sicherlich seine Sekretärin Anita sagen.“ „Wie lange sind Sie und Ihr Mann verheiratet?“ „Sieben Jahre,“ erwiderte Kira Ruppold gedehnt. „Wenn Sie glauben, dass mein Mann irgendetwas mit der Sache zu tun hat, liegen Sie völlig falsch,“ ereiferte sie sich erbost. „Rüdiger und ich führen eine glückliche Ehe. Da müssen Sie schon woanders suchen.“ Ich legte meine Handflächen offen. „Nicht, dass Sie mich missverstehen, Frau Ruppold. „Auch wenn ich das Verhalten Ihres Mannes, sagen wir mal etwas ungewöhnlich finde, so ging es mir nicht darum, Ihn zu diskreditieren, aber wenn der vermeintliche Einbrecher von dieser Reise wusste, war ihm bekannt, dass Sie allein im Haus waren.“

Die Frau am Tisch merkte auf. „Ach, jetzt verstehe ich, worauf Sie hinaus wollen. Aber wer um Himmels Willen hasst mich so sehr, dass er einen Menschen tötet, um mich hinter Gitter zu bringen?“ „Genau das ist die Frage. Bitte gehen Sie in sich. Nehmen Sie sich die Zeit und durchkämmen Sie Ihr Leben von unten nach oben und wenn nötig wieder zurück. Gibt es einen dunklen Fleck auf Ihrer Weste, haben Sie sich Feinde gemacht oder gibt es einen Menschen, dem Sie einmal sehr weh getan haben? Bitte, lassen Sie sich mit der Antwort Zeit. Sie werden genug davon haben, denn ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass der Haftrichter ein Auge zudrücken wird.“ Meine Klientin sah mich entsetzt an. „Hier geht es nicht um einen kleinen Diebstahl. Es geht um Mord!“

 

-12-

 

Ich sollte Recht behalten, der Haftprüfungstermin lief wie von mir befürchtet. Kira Ruppold wurde nach Braunschweig überstellt. Die Beweislage ließ dem Untersuchungsrichter keine andere Wahl als die Untersuchungshaft anzuordnen. Das Gespräch mit Rüdiger Ruppold hätte ich mir sparen können. Er gab an, vor dem Zubettgehen ein Schlafmittel zu sich genommen zu haben. Aber damit nicht genug. Als er auch noch aussagte, seine Frau bei einem Gang auf die Toilette im Bett vermisst zu haben, hatte er ihr endgültig das Genick gebrochen. Ob er dies absichtlich oder nicht tat, sei an dieser Stelle dahingestellt, Fakt war, dass die Tatverdächtige nun erklären konnte, was sie wollte, Glauben schenkte ihr nun keiner mehr.

Tatsächlich war meine Klientin aufgestanden, weil sie nicht schlafen konnte und in die Küche hinuntergegangen, um ihren Ehemann nicht zu stören. Hätte sich ihr Mann die Mühe gemacht und nicht nur das neben dem Schlafzimmer gelegene Bad aufgesucht, sondern nach seiner Frau gesucht, hätte er sie in der Küche vorgefunden. Nun gut, er tat es nicht. Vielleicht, weil ihm die ewigen Gefühlsausbrüche auf die Nerven gingen. Kira Ruppold war nicht umsonst psychisch behandelt worden. Konnte man ihm aus seinem Verhalten einen Vorwurf machen? Meine Klientin wusste, wie sie dieser Tage auf ihren Ehemann wirkte. Fakt war, dass sie nicht beweisen konnte, wo sie sich zur Tatzeit befand. Ein weiteres, schwerwiegendes Indiz, welches am Ende einer langen Beweiskette stand. Eine Kette, deren schwächstes Glied ich finden und letztendlich sprengen musste.

Auf meiner Suche fuhr ich zunächst in das Städtische Krankenhaus. Von Isabelle wusste ich, dass Karla die einzige Augenzeugin des Mordes an Gerd von Aust, mit Nachnamen Niedlich hieß. Nach ihrem Schock war sie in der neurologischen Abteilung der Klinik aufgenommen worden. Der Chefarzt, Professor Schmücker, kümmerte sich persönlich um die Patientin. Als ich mich nach der jungen Frau erkundigte, wurde ich sofort an ihn verwiesen, was mir im Grunde recht merkwürdig erschien.

Der Professor begrüßte mich in seinem Büro. Ein kauziger Typ mit einer Lesebrille, die er mit viel Geschick auf der Nasenspitze jonglierte. Eben der klassische Typ eines Psychologen. Genau so, wie man sich einen solchen Mann vorstellt. „Ich höre, Sie möchten Frau Niedlich besuchen? Darf ich fragen, in wie weit Sie mit meiner Patientin bekannt sind?“ „Ich muss Sie enttäuschen, Herr Professor, ich kenne die Dame nicht persönlich. Ich bin Privatdetektiv und habe Frau Niedlich heute Nacht neben dem Toten angetroffen.“ „Ah, schreckliche Geschichte, nicht wahr?“ „Sagen Sie bitte, kümmern Sie sich um alle Ihre Patienten persönlich?“ Der Neurologe lachte kurz auf. „Leider ist das nicht möglich. Der Vater von Frau Niedlich ist ein Studienfreund von mir – Sie verstehen?“ Ich verstand. „Da gäbe es einige äußerst wichtige Fragen, die ich Ihrer Patientin gern stellen würde.“ Im Grunde war ich mir seiner Antwort bereits sicher, bevor ich meine Frage gestellt hatte. Um so überraschter war ich, als mir der Professor ganze fünf Minuten mit Karla Niedlich zubilligte.

 

„Sie können sich an mich erinnern?“, fragte ich behutsam. Die junge Frau am Fenster nickte kaum merklich. „Ich möchte Ihnen mein Mitgefühl aussprechen.“ „Danke.“ „Darf ich fragen, wie lange Sie mit Gerd von Aust liiert waren?“ „Fast ein halbes Jahr. Gerd wollte sich von seiner Frau trennen, um frei für mich zu sein.“ „Wusste seine Frau davon?“ „Gerd hat es ihr vor zwei Wochen gesagt.“ „Also kurz vor ihrem Verschwinden?“ Karla nickte. „Ist Ihnen bekannt, wie Rebecca von Aust auf die Ankündigung ihres Mannes reagierte?“ „Es gab mächtig Theater. So viel ich weiß, ging es um eine Abfindung, die Rebecca nicht zahlen wollte, auf die Gerd aber ebenso wenig verzichten konnte.“ Dann stand es wohl mit der Ehe der beiden nicht zum Besten.“ Karla lachte hysterisch auf. „Na, Sie sind gut. Gerd durchlitt an der Seite dieser Frau die Hölle! Sie hat ihn bei jeder Gelegenheit tyrannisiert, ihn vor seinen Freunden nieder gemacht, ihn sogar als Schlappschwanz betitelt. Und das war er nun wirklich nicht, das können Sie mir glauben.“

„Es heißt, die von Aust´ lebten in einer offenen Beziehung.“ „Soweit es Rebecca betrifft, ist das wohl wahr. Die hat doch mit jedem rumgemacht, der nicht bei drei auf dem Baum war. Sogar in Gerds Firma hat sie sich den Kerlen an den Hals geworfen.“ Nun, da gab es wohl einiges, was der teure Verblichene seiner Angebeteten in einem nicht ganz so hellen Lichtlein erzählt hatte. Mir war's egal, warum sollte ich ihr Andenken an den Toten trüben? Offensichtlich hatte ihr Gerd von Aust tatsächlich viel bedeutet. „Eine letzte Frage noch: Haben Sie die Frau erkannt, die Gerd von Aust erschoss?“ „Ja, es war seine Schwägerin. Ich habe sie auf den Fotos erkannt, die mir der Kommissar heute morgen vorgelegt hat.“ Ich muss gestehen, dass mir in diesem Augenblick erste Zweifel an der Unschuld meiner Klientin kamen. Ich bedankte mich bei Karla Niedlich und wünschte ihr für die Zukunft alles Gute.

Der nächste auf meiner Liste war Alexander Mahler. Er war ein Jugendfreund, den Rebecca von Aust etwa zur gleichen Zeit in die Firma holte, als das Verhältnis zwischen Karla und ihrem Ehemann begann. War dieser zeitliche Zusammenhang wirklich nur Zufall? Rüdiger Ruppold hatte mir bei unserem ersten Treffen von Rebeccas Affäre erzählt. Ich war sehr auf den Herren gespannt. Die freundliche Empfangsdame im Eingangsbereich der Firma Braun teilte mir mit, dass sich Mahler krank gemeldet hatte. Versorgt mit seiner Adresse machte ich mich auf den Weg nach Halchter, einem Stadtteil Wolfenbüttels, wo er in der Siedlerstraße 9 bei seinen Eltern leben sollte.

Das Haus der Familie Mahler war eines dieser Siedlungshäuschen, wie sie in den ersten Nachkriegsjahren zu Tausenden aus dem Boden gestampft worden war. Inzwischen mehrfach an und umgebaut, präsentierte sich das Einfamilienhaus von einer sehr gepflegten Seite. Ich legte meinen Finger auf den Klingeldrücker und wartete. Aus dem inneren des Hauses drang laute Opernmusik. Puccini, wenn mich nicht alles täuschte.

Die Haustür öffnete sich einen Spalt breit und eine ältere Frau musterte mich. „Ja bitte?“ „Mein Name ist Lessing,“ stellte ich mich vor. „Ich bin Privatdetektiv und ermittle im Todesfall von Aust.“ „Ich komm nicht aus dem Haus und eine Zeitung will ich auch nicht!“ Damit knallte die resolute Dame die Tür auch schon wieder zu. Offensichtlich hatte mich die Gute falsch verstanden. Nun, ich versuchte es weiter. Nach wiederholtem Läuten und mindestens fünf weiteren Minuten hartnäckigen Wartens, öffnete mir schließlich ein Mann Ende dreißig. „Meine Mutter hat Ihnen doch schon gesagt, dass wir nichts kaufen,“ ereiferte er sich und wollte seinerseits die Tür ins Schloss werfen. Langsam bekam ich eine Ader. Niemals in meinem Leben würde ich einen Vertreterjob annehmen, so viel war in diesem Augenblick klar. Ziemlich angefressen setzte ich den Fuß in die Türschwelle. „Mein Name ist Lessing. Ich möchte Ihnen nichts verkaufen!“, stellte ich gerade noch klar. „Nicht, ja was wollen Sie denn dann?“ 21 – 22 – 23, zählte ich innerlich. „Sind Sie Alexander Mahler?“ Der Mann in der Tür nickte. „Ich bin Privatdetektiv und ermittle im Todesfall von Aust.“ „Warum haben Sie denn das nicht gleich gesagt? Bitte, treten Sie näher.“

Haus und Inneneinrichtung der Mahlers ließen nicht gerade auf das große Geld schließen. Ich schloss daraus, dass der Jugendfreund von Rebecca von Aust bis zu seiner Anstellung in der Firma Braun ohne Arbeit, oder zumindest ohne festen Job war. „Habe ich Sie eben richtig verstanden, Gerd von Aust ist tot?“ Ich nahm meinen Schlapphut ab und folgte Mahler ins Wohnzimmer. „Sie wissen also noch nichts davon.“ „Ich habe mich heute morgen krank gemeldet. Wie ist es denn passiert?“ „Seien Sie mir nicht böse, aber im Grunde machen Sie einen recht gesunden Eindruck auf mich.“ Mahler versuchte sich mit einem hilflosen Lächeln. „Nehmen Sie doch bitte Platz. Sie müssen entschuldigen, aber meine Mutter vergisst immer ihr Hörgerät einzuschalten.“ „Das macht doch nichts,“ erwiderte ich verständnisvoll. „Es ist schon richtig, eigentlich fehlt mir nichts. Es geht um meinen Vater. Der Arzt musste vergangene Nacht kommen. Schweres Asthma, es geht wohl allmählich zu Ende.“ „Tut mir wirklich sehr Leid für Sie.“ „Meine Mutter tut sich sehr schwer, aber im Grunde ist es wohl der Weg, den wir alle gehen müssen, wenn unser Herrgott die Zeit für gekommen sieht.“

„Das ist wohl wahr,“ seufzte ich. „Leider war diese Zeit für Gerd von Aust bereits in der vergangenen Nacht gekommen. Er wurde in seinem Haus erschossen.“ „Gütiger Himmel, ein solches Schicksal hat niemand verdient.“ Mahler faltete seine Hände „Herr erbarme dich seiner.“ „Erst die wahrscheinliche Entführung der Rebecca von Aust und nun auch noch der Mord an ihren Mann... Die Polizei geht mittlerweile davon aus, dass beide Fälle miteinander zusammenhängen.“ Ich beobachtete die Reaktion des Mannes. Er schien recht nervös. „Wieso Entführung? Rebecca ist nicht entführt worden!“ Mahler sprang auf, lief aufgeregt durch das Zimmer. „Sie hat doch bei Ihrer Schwester angerufen, als dieses Gerücht durch die Firma ging,“ erklärte Alexander Mahler. „So viel ich weiß, stellte die Polizei doch daraufhin ihre Ermittlungen ein.“ „Wenn Ihnen der Aufenthaltsort von Frau von Aust bekannt ist, müssen Sie dafür sorgen, dass sie so schnell wie möglich nach Wolfenbüttel kommt.“ Mahler rieb sich aufgeregt das Kinn. „Sie haben recht, es geht nicht mehr, Rebecca muss nach Hause kommen!“

„Das Essen ist aufgetragen, Alexander. Zeigst du deinem Gast bitte das Bad? Sie bleiben doch zum Essen?“ Bevor ich dankend ablehnen konnte, erklärte mit Mahler, dass es eine Beleidigung für seine Mutter wäre, wenn ich ihre Einladung ausschlagen würde.

Nachdem wir in der kleinen Küche Platz genommen hatten, reichten sich Mutter und Sohn die Hände. Ich dachte an meine Kindheit zurück und an die Ferien, in denen ich bei den Großeltern zu Besuch war. Vor jeder Mahlzeit reichten wir uns die Hände und dankten Gott für das tägliche Brot. Eigentlich ein schöner Brauch für eine Sache, die heutzutage schon fast als selbstverständlich angesehen wird. Zu meiner Freude trug die resolute Dame mit dem Hörgerät eine Wurstsuppe auf, wie ich sie seit jener Zeit nicht mehr gegessen hatte. Weitere Fragen bezüglich der Mordsache verkniff ich mir bis nach dem Essen.

„In der Firma ist ihr Verhältnis mit Rebecca von Aust ein offenes Geheimnis. Wusste Gerd von Aust von dieser Liaison?“ „Das, was da zwischen Rebecca und mir läuft, ist alles andere als eine Affäre. Im Grunde habe ich nie aufgehört, diese Frau zu lieben und glauben Sie mir, Herr Lessing, Rebecca empfindet da nicht anders.“ Ich konnte mir einen gewissen Zynismus nicht verkneifen. „Unglücklicherweise hat sie dem Verkehrten das Jawort gegeben.“ Mahler kaute an seinen Fingernägeln. „Sind wir nicht alle zuweilen fehlgeleitet? Der Teufel selbst ist die personifizierte Versuchung. Ein Augenblick der Schwäche reicht aus, um den Pfad der Tugend zu verlassen. Rebecca hat dies erkannt und sie wollte sich von diesem Teufel trennen.“ Für mich hörte sich das Ganze reichlich durchgeknallt an, aber wie heißt es so schön, um es mit den Worten Mahlers zu sagen: jedem sein ganz persönliches Himmelreich.

„Sie mochten von Aust wohl nicht sonderlich?“ In seinen Augen zeichnete sich Unverständnis ab. „Dieser Mann hat die Ehe gebrochen.“ „Aber hat Frau von Aust das Gleiche nicht auch mit Ihnen getan?“ Zornesröte färbte sein Gesicht. „Sie haben nichts verstanden, gar nichts! „Die Gefühle zwischen Rebecca und mir sind eines tieferen Ursprungs. Unsere Liebe ist rein und von Grund auf ehrlich und das lasse ich durch niemanden besudeln.“ Ich schluckte einige Male trocken. Wenn ich in der vergangenen Nacht vor der Villa der Familie von Aust nicht mit eigenen Augen eine Frau gesehen hätte, hätte ich meinen Allerwertesten darauf verwettet, dass dieser Typ seinen Nebenbuhler kaltlächelnd abserviert hatte.

„Sie gestatten, dass ich kurz zusammenfasse. Rebecca von Aust hat sich gewissermaßen eine Auszeit genommen, um sich in aller Ruhe klar zu werden, ob sie sich von ihrem Ehemann trennt und zu Ihnen zurückkehrt.“ Alexander Mahler nickte zustimmend. „Verbessern Sie mich bitte, wenn ich irgendetwas falsch interpretiere.“ Wortloses Nicken. „Als Sie erfuhren, dass die Polizei diese Auszeit als Entführung behandelte, riefen Sie Ihre Freundin an und baten darum, die Sache aufzuklären.“ „Rebecca ist nicht einfach meine Freundin. Verstehen Sie denn nicht, dass wir zwei füreinander bestimmt sind?“ „Doch, doch,“ bekundete ich beschwichtigend. „Frau von Aust rief also daraufhin ihre Schwester an und erklärte ihr Verschwinden.“ „Genau so war es.“

Wenn es sich wirklich so abgespielt hatte, gab es nur eine Erklärung – meine Klientin war ein Fall für die Psychiatrie. Aber was war mit meinem Gefühl? Sollte es mich zum ersten Mal in die Irre geleitet haben? Eine Art Echo lag auf der Stimme von Rebecca von Aust, während sie ihre Schwester anrief. So sagte es zumindest Kira Ruppold, als sie mir von diesem Anruf erzählte. Ich war hin und her gerissen, saß mit meinem jämmerlichen Gefühl zwischen allen Stühlen. Warum konnte es nach all den Jahren aufwendiger Ermittlungsarbeit nicht mal einen schönen soliden Fall geben, bei dem alles klar und ordentlich abzuchecken war?

„Wo genau befindet sich Rebecca von Aust?“, fragte ich die neu entdeckte Jugendliebe. „Das darf ich Ihnen nicht sagen,“ erwiderte er standhaft. „Hören Sie, Mahler, hier geht es um Mord! Entweder Sie geben die Adresse mir oder der Polizei. Sie haben die freie Wahl.“ Er dachte angestrengt nach. Seine Augen rollten, seine Zunge leckte dabei die Lippen feucht und schließlich griff er zum Telefon. „Ich rufe sie einfach an,“ sagte er in einem melodischen Unterton, der mich an seinem Verstand zweifeln ließ. „Ich werde ihr sagen, dass sie sofort herkommen muss.“

Zwei Atemzüge darauf hatte er sie tatsächlich am Telefon. Vorsichtshalber hatte ich mir die Zahlenkombination gemerkt, die Mahler in das Tastenfeld seines Telefons hämmerte. Vielleicht würde sie mir noch von Nutzen sein. Ich hörte andächtig zu, als er Rebecca vom Tod ihres Ehemannes erzählte und ich spitzte die Ohren, als er ihr schwor, nichts mit dem Mord zu tun zu haben. Offenbar traute ihm seine Geliebte die Tat zu. Wenn er seine Finger im Spiel hatte, vermied er es zumindest außerordentlich gut, sogenanntes Täterwissen preiszugeben.

„Sie wird in spätestens drei Stunden hier sein,“ sagte er, während er den Hörer zurück auf die Gabel legte. Sein gehetzter Blick war einer gewissen Ruhe gewichen. Die Pupillen rollten nicht mehr, strahlten plötzlich eine Gelassenheit aus, die fast schon aufreizend wirkte. „Sie wird sich bei Ihnen melden. Bitte entschuldigen Sie mich jetzt. Ich habe zu tun.“ „Keine Angst, Sie sind mich gleich los. Eine Frage habe ich allerdings noch. Wo waren Sie in der vergangenen Nacht zwischen 2 bis 4 Uhr?“ „Wo werde ich wohl gewesen sein? Ich sagte doch, dass der Arzt bei uns war, weil es meinem Vater nicht gut geht." „Pardon, das hatte ich vergessen.“

 

-13-

 

Mit der Rückkehr der vermissten Rebecca von Aust war zwar mein ursprünglicher Auftrag erledigt, doch im Grunde begann der Fall jetzt erst. Ich war so gespannt auf diese Frau, wie man nur auf jemanden neugierig sein konnte. Was für ein Mensch war sie? Nach allem, was ich bislang von ihr wusste, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie die Auszeit genommen hatte, weil sie sich über ihre Liebe zu Alexander Mahler klar werden wollte. Irgendetwas stimmte hier nicht und ich war heiß darauf herauszufinden, was dies war.

„Was hältst du von einer Frau, die nur deshalb heiratet, weil ihr Zukünftiger einen angesehenen Namen trägt?“ Anne sah mich forschend an. „So etwas gibt es noch?“ „Offensichtlich.“ „Nun, ich würde diese Dame für reichlich durchtrieben halten.“ Damit traf sie exakt meine Meinung. „Bringst du mir bitte einen Latte Machiato?“ „Gern.“ Ich verkehre seit über zehn Jahren in diesem Cafe, gehöre gewissermaßen zum Inventar. Auch wenn der Besitzer in dieser Zeit gewechselt hatte, so blieben die Qualität und der Service in all den Jahren auf dem gleichen guten Niveau. Das Cafe Klatsch war zum Treffpunkt für Jung und Alt geworden. Es hatte den Wandel der Zeit gut überdauert und geblieben, was es schon immer war – ein Markenzeichen der Stadt.

Anne brachte den Milchkaffee und setzte sich zu mir. „Wie geht es dir inzwischen?“ Ich schürzte die Lippen. „Na ja, so lala. Du weißt ja, dass ich den Job an den Nagel gehängt habe. Mal sehen, wie die Detektei anläuft. Zumindest arbeite ich zur Zeit an meinen ersten Fall.“ „Die Lady mit dem guten Namen?“ „...hat zumindest etwas damit zu tun.“ „Du weißt, wenn ich dir bei irgendetwas behilflich sein kann?“ Ich druckste herum. „Also, da gibt es tatsächlich eine Kleinigkeit.“ „Na, dann raus damit,“ ermutigte mich die Inhaberin des Cafes. „Wäre es wohl möglich, dass ich hier ein paar Visitenkarten auslege?“ „Klar, ein bisschen Werbung hat noch nie geschadet. Aber dafür musst du deine Klienten zum Eisessen bei mir vorbei schicken.“ Wir schlugen uns in die Hände. „Also, der Deal gilt!“

 

-14-

 

Alexander Mahler hatte Wort gehalten. Die verlorene Schwester war heimgekehrt und sie rief mich wie abgesprochen in der Detektei an. Ich konnte nur allzu gut verstehen, dass es nun eine Menge Dinge gab, die auf sie einströmten, umso mehr begrüßte ich ihre Bereitschaft, mich noch am selben Abend zu empfangen.

Bis dahin war noch genug Zeit, um mich mit meiner Sekretärin zu einem klärenden Gespräch hinzusetzen. Ich wusste nicht, wie sie es angestellt hatte, aber all die schöne Ordnung, die noch am Vorabend in ihrem Vorzimmer herrschte, war wieder dahin. Akten lagen verstreut auf dem Fußboden herum und auf dem Schreibtisch gab es keinen Quadratzentimeter, auf dem nicht irgendetwas abgelegt war.

„Möchten Sie einen Kaffee, Herr Lessing?“ „Danke Trude, aber...“ „Ich habe ihn ganz frisch gekocht.“ „Also, dann in Gottes Namen, bitte.“ Zwei Minuten später trug sie das Tablett herein. Ich bediente mich, überlegte noch immer, wie ich beginnen sollte. „Tja, Trude,“ stammelte ich herum. „Wo drückt denn der Schuh, Chef?“ „Er drückt gewissermaßen im Vorzimmer. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, warum gestern Abend alles aufgeräumt war und es heute wieder so aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen.“ „Och,“ winkte Trude lässig ab. „Ich hatte den ganzen Kram in der Eile einfach in die Schränke gestopft, aber das geht ja nicht. Da muss ein System rein, wissen Sie? Eine gewisse Ordnung, in der ich mich ohne langes Suchen zurechtfinden kann.“ „Genau das ist meine Rede. Ich frage mich nur, was Sie da die ganze Zeit einordnen, bislang haben wir doch erst einen einzigen Klienten. Was um Himmels Willen gibt es da bitteschön einzuordnen?“ Trude bekam einen hochroten Kopf. „Also, es ist mehr das System, was mir Kopfzerbrechen macht. Bis jetzt habe ich nämlich noch keines.“

Ich schnappte nach Luft. Das konnte ja noch heiter werden. „Aber ich denke, Sie waren bereits in mehreren Büros tätig?“ „Oh, da ist wohl irgendetwas quer gelaufen. Ich habe denen auf dem Arbeitsamt zwar gesagt, dass ich Büroerfahrung hätte, aber doch nur als Putzfrau.“ Ich war drauf und dran mir die Haare zu raufen. Meine Sekretärin war eine Putze. Nichts gegen Reinigungskräfte, aber in der Funktion einer Sekretärin sind sie eindeutig überfordert. „Mensch Trude, warum haben Sie denn nichts gesagt?“ Die Ärmste sah betreten zu Boden. „Dann hätten Sie mich doch gar nicht erst genommen.“ Womit sie sicher einen Volltreffer gelandet hatte. „Ich brauche doch diesen Job. Was glauben Sie wohl, wie viele noch bereit sind, eine über Fünfzigjährige einzustellen?“ „Ich befürchte, die Nachfrage übersteigt das Angebot.“ „Darauf können Sie wetten.“ „Tja, was machen wir denn nun mit Ihnen?“ „Na, was schon? Ich packe meinen Krempel und verschwinde.“ Trude erhob sich von dem Stuhl vor meinem Schreibtisch. Ich hielt sie am Arm zurück. Sie bleiben, mich jetzt im Stich zu lassen, wäre ziemlich feige. Finden Sie nicht auch?“ „Heißt das, ich darf bleiben?“ „Ich würde sagen, wir versuchen es gemeinsam. Haben Sie denn wenigstens schon mit einem Computer gearbeitet? Und bitte, damit meine ich nicht, ob Sie schon mal einen sauber geputzt haben.“ „Ich fürchte nein.“ Ich schluckte trocken. „ich fürchte, dann haben wir noch einen langen Weg vor uns.“

 

-15-

Sie hatte rassiges rotes Haar, welches sich über ihren nackten Schultern kringelte. Das schwarze Kleid ließ nicht im mindesten die Tragik vermuten, die hinter dem Grund lag, den Rebecca von Aust bewogen hatte, es zu tragen. Im Gegenteil, der enge Schnitt brachte ihre atemberaubende Figur erst so richtig zum Ausdruck.

„Sie sind also der Detektiv, den meine große Schwester engagiert hat, um mich zu finden.“ „Sieht ganz so aus. Bevor ich Ihnen einige Fragen stelle, möchte ich Ihnen mein Mitgefühl ausdrücken.“ „Das können Sie sich sparen. Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Herr Lessing. Wer auch immer meinen Mann getötet hat, er hat mir damit einen Gefallen getan.“ Mir war in den Jahren als Kommissar schon so einiges an Sprüchen untergekommen, aber mit einer derartigen Offenheit hatte ich nicht gerechnet. „Ihnen ist schon klar, dass Sie sich mit dieser Aussage in die Liste der potentiell Tatverdächtigen katapultieren?“ Die Lady in Black lächelte gelassen. „Weil ich ausspreche, was ohnehin jeder wusste. Dieser Hurenbock hat mich seit dem zweiten Tag unserer Ehe hintergangen und gedemütigt. Ich war nur dazu da, überall seine Schulden zu begleichen. Nein, ich weine diesem Scheißkerl nicht eine Träne nach!“

„Sie hätten die Ehe annullieren lassen können.“ Ein bitteres Lachen schlug mir entgegen. „Als ich merkte, was gespielt wurde, war es dafür zu spät.“ „Wusste Ihre Schwester, unter welchem Druck Sie in Ihrer Ehe standen?“ Rebecca schüttelte den Kopf. „Kira war immer die Vernünftigere von uns beiden. Sie stellte sich immer schützend vor mich. Ich war so etwas wie das schwarze Schaf der Familie. Sie war diejenige, auf die alle Stolz waren. Dann kam ich eines Tages mit Gerd nach Hause, einem Freiherrn von Aust. Plötzlich war ich die Vorzeigetochter, die das Unternehmen einmal übernehmen sollte. Wie hätte ich da den Ast absägen können, auf dem ich saß? Nein, für Kira und für all die anderen Interessierten führten Gerd und ich eine moderne, offene Ehe.

Die Witwe in Schwarz erhob sich, oder war Rebecca eine schwarze Witwe? Wie auch immer, sie ging zur Bar hinüber, einem halbrunden Tresen, der ausschließlich aus Glas und Messing bestand. Eine indirekte Beleuchtung sorgte für stimmungsvolles Licht. „Möchten Sie auch etwas zum Hinunterspülen?“ „Warum nicht?“ Ich erhob mich ebenfalls und folgte ihr. „Was haben Sie denn anzubieten?“ „Wonach steht Ihnen denn der Sinn?“, zwinkerte sie mir zu. Ich schluckte trocken. „Waren Sie schon bei Ihrer Schwester?“, lenkte ich das Interesse wieder auf den eigentlichen Grund meines Besuches. „Ja, das war ich und bei diesem Kommissar Kleinschmidt waren wir auch.“ „Wir?“ „Ich war mit unserem Familienanwalt dort. Wir habe diesem Kleinschmidt gesagt, wie lächerlich seine Unterstellungen sind.“ „Nun, Sie wissen, dass Ihre Schwester bei der Tat von einer Zeugin erkannt wurde.“ „Sie meinen doch wohl nicht diese Schlampe? Die kann man doch nicht für voll nehmen. Wahrscheinlich war dieses Miststück wieder bis unter die Haarspitzen zugekifft!“ „Selbstverständlich wird erst eine genaue Untersuchung der örtlichen Gegebenheiten Aufschluss geben können, wie viel Gewicht dieser Aussage beigemessen werden kann.“ Die Witwe schob mir einen Whisky über die Glasplatte. „Ich hoffe, Sie schätzen einen guten Dimple.“ Ich prostete ihr zu und ließ mir das edle Gesöff genussvoll durch die Kehle rinnen.

„So viel mir bekannt ist, war die Spurensicherung noch den gesamten Vormittag in Ihrem Haus zugange.“ „Wie lange bleibt eigentlich dieses Siegel an der Tür? Ich möchte den Raum komplett renovieren und umgestalten lassen.“ War diese Frau so kalt, oder spielte sie mir nur etwas vor? Noch wurde ich nicht schlau aus ihr. „Der Tatort darf so lange nicht betreten werden, wie die Untersuchungen laufen.“ „Wenn es nach dieser Pappnase von einem Kommissar ginge, wären die doch bereits abgeschlossen. Der hat doch schon seinen Schuldigen!“ Ich verzog das Gesicht. „Sie müssen zugeben, dass die Beweislage erdrückend ist. Wenn wir nichts finden, was Ihre Schwester entlasten könnte, wird es verdammt eng für sie.“ „Wenn wenigstens Rüdiger zu ihr gehalten hätte, aber dieser Idiot war schon immer so verdammt spießig.“

Ich leerte mein Glas und setzte mich auf einen der vor der Bar stehenden Hocker. „Jede Kleinigkeit kann jetzt für Ihre Schwester von größter Bedeutung sein. Fangen wir doch gleich mit Ihnen an. Wo haben Sie sich eigentlich während der vergangenen Tage aufgehalten?“ „Sie kennen das schöne Havelland?“ „Ich bin nach der Wiedervereinigung mal dort gewesen.“ „Dann ist Ihnen Neuruppin ein Begriff? Eine Schulfreundin hat es dorthin verschlagen. Ich hatte ihr schon lange versprochen, sie einmal zu besuchen.“ Ich notierte mir die Adresse und forschte weiter. „Weshalb sind Sie verschwunden, ohne auch nur irgendjemanden ein Wort zu sagen.“ Die Rothaarige seufzte. „Ich befand mich in einer ziemlich miesen Stimmung. Irgendwie war mir die ganze Situation über den Kopf gewachsen. Verstehen Sie, Herr Lessing. Ich brauchte Abstand, um in Ruhe über alles nachzudenken. Außerdem hatte ich Alexander für den Notfall die Telefonnummer meiner Freundin hinterlassen.“ „Dann hat er Sie also davon unterrichtet, dass die Polizei wegen Ihrer angeblichen Entführung ermittelte.“ „Das hat er. Ich habe gleich bei meiner Schwester zurückgerufen, um alles klar zu stellen.“ „Verzeihen Sie, aber warum riefen Sie bei Ihrer Schwester und nicht bei Ihrem Ehemann an?“ „Der war nun wirklich der Letzte, mit dem ich sprechen wollte!“

Ich dachte an das Gespräch mit Karla Niedlich. „Weil er Ihnen vor Ihrer überstürzten Abreise mitgeteilt hat, dass er sich von Ihnen trennen wollte?“ Rebecca von Aust sah mich erstaunt an. „Sie wissen davon?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ist mein Job.“ „Ja, es stimmt, ich wollte mich von Gerd trennen.“ „Leider stand dem etwas entgegen,“ spannte ich den Bogen. Das Erstaunen in ihren Augen wurde größer. „So?“ „Das Wohl der Firma! Sie waren damals dumm genug auf einen Ehevertrag zu verzichten. Vielleicht schätzten Sie das Vermögen Ihres Ehemannes aber auch zu hoch ein. Da Sie selber meilenweit davon entfernt waren, in die Firma Ihrer Eltern einzusteigen, machten Sie sich wahrscheinlich keinerlei Gedanken darüber, als Sie Freiherrn von Aust in Las Vegas heirateten.“ „Alle Achtung, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.“ „Eins verstehe ich allerdings noch nicht. Im Falle einer Scheidung fällt doch eine während der Ehe gemachte Erbschaft aus dem Zugewinn heraus.“ Rebecca strich sich durch das lange Haar. „Normalerweise ist das wohl so, in diesem Fall lag es leider anders. Ich selbst hatte darauf bestanden, dass eine eventuelle Erbschaft in den Zugewinn einfließt. Die Firma war damals viel weiter weg, als die umfangreichen Länderein an der polnischen Grenze, die aller Wahrscheinlichkeit nach der Wiedervereinigung an die Familie meines Mannes zurückfallen sollten.“

Somit war auch dieser Punkt in meiner Liste erschöpfend abgearbeitet. So richtig schlau wurde ich dennoch nicht aus dieser Frau. Entweder war sie tatsächlich aufrichtig daran interessiert, ihre Schwester aus dem Gefängnis zu bekommen, oder aber sie sagte sich, dass ich ohnehin all das herausfinden würde. So konnte sie ihre Glaubwürdigkeit und die Loyalität ihrer Schwester gegenüber eindrucksvoll zum Ausdruck bringen und darüber hinaus weglassen, was ihr unter Umständen zum Nachteil gereichen könnte. Eines musste ihr klar sein, sie verfügte bei weitem über das beste Motiv, ihren Mann aus dem Weg zu räumen. Während unseres Gesprächs hatte ich mir stichpunkthaft Notizen gemacht. Eine Angewohnheit, die ich aus meiner Zeit bei der Kripo übernommen hatte. In diesem Fall war es sicherlich schon wegen der Komplexität der verschiedenen Aussagen ein probates Mittel, um nichts durcheinander zu bringen.

„Gestatten Sie mir noch drei Fragen, dann sind wir durch.“ „Gern,“ entgegnete sie geduldig. „Hat Ihre Schwester einen Schlüssel zum Kellereingang?“ „Ja, das Haus verfügt über eine Generalschließanlage. Ein einziger Schlüssel passt für alle Eingangstüren.“ Ich nickte, als hatte ich nichts anderes erwartet. „Die zweite Frage wäre die, von welchem Telefon aus Sie Ihre Schwester anriefen.“ „Ich habe vom Festnetzanschluss meiner Freundin aus telefoniert. Warum ist das von Bedeutung?“ „Wenn sie Kommissar Kleinschmidt noch nicht dazu befragt hat, wird er es sicherlich noch tun. Ich möchte dem guten Mann nur ein wenig voraus sein,“ log ich. Rebecca gab sich mit meiner Antwort zufrieden.

„Abschließend nur noch die Frage zu Ihrem Alibi. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber...“ „Nein, nein, es ist mir klar, dass Sie sich ein Bild machen müssen, das so umfassend ist wie nur möglich. Unser Anwalt erklärte mir, der Mord soll so gegen 1 Uhr heute Morgen geschehen sein.“ Ich nickte zustimmend. „Marie, ihr Mann und ich haben etwa bis 23 Uhr zusammen gesessen. Danach sind wir ins Bett. Ich war ziemlich angeschickert,“ lächelte sie verlegen. „Das macht doch nichts, Sie konnten ja nicht ahnen, was geschehen würde. Abschließend möchte ich Sie dann nur noch um die Telefonnummer Ihrer Freundin bitten.“ „Moment bitte, ich müsste sie noch in meinem Rucksack haben.“ Mir fiel auf, dass sie den gleichen Lederbeutel besaß wie ihn Ihre Schwester hatte. „So, hier ist sie schon.“ Ich notierte die Zahlenfolge und bedankte mich für das Gespräch.

 

-16-

 

„Hallo Trude, gab es in der Zwischenzeit Anrufe?“ Meine Sekretärin strahlte enthusiastisch, griff nach einem Notizblock und folgte mir in mein Büro. „Ein Herr Sonnenberg hat angerufen. Er wollte wissen, ob wir auch Familiensachen bearbeiten.“ „Was haben Sie ihm gesagt?“ „Natürlich das, was auf unserem Schild steht, ‚Ermittlungen aller Art‘. Er will in den nächsten Tagen persönlich vorbeikommen.“ Ich freute mich, lief es doch besser an, als erwartet. Scheinbar schien die Annonce in der Braunschweiger Zeitung erste Früchte zu tragen. „Sehr schön, war sonst noch etwas?“ Trude sah auf ihren Notizblock. „Ein Herr Schröter bittet um Rückruf.“ Ich hatte mich schon gefragt, wann sich Kira Ruppolds Anwalt bei mir melden würde.

Ich reichte Trude die Rufnummer der Firma Braun. „Lassen Sie sich bitte mit dem Sekretariat von Herrn Ruppold verbinden und stellen Sie das Gespräch dann zu mir durch.“ „Entschuldigen Sie, Herr Lessing, aber mit der Telefonanlage kenne ich mich noch nicht aus.“ „Klar, äh, vergessen Sie es. Lassen Sie sich Telefonnummer und Adresse des Hotels geben, in dem Rüdiger Ruppold auf seiner Geschäftsreise am 20. April diesen Jahres abgestiegen ist.“ Trude nickte und verließ das Büro. Ich nutzte die Zwischenzeit, um auf der anderen Leitung bei Doktor Schröter zurückzurufen.

„Sie hatten versucht mich zu erreichen?“, fragte ich ihn, nachdem die Rechtsanwaltsfachangestellte das Gespräch zu ihm durchgestellt hatte. „Richtig, wie Sie sich denken können, geht es um Kira Ruppold. Haben Sie inzwischen etwas herausgefunden?“ „Nichts, was uns einen Schritt weiter bringen könnte.“ „Das habe ich befürchtet. Ich komme gerade von meiner Mandantin. Meine Güte, ich weiß gar nicht, wie ich es Ihnen sagen soll, aber offensichtlich ist sie sich gar nicht mehr sicher, ob sie Gerd von Aust nicht doch umgebracht hat.“ “Ich glaubte mich verhört zu haben. „Wie soll ich das verstehen?“ „Es wird das Beste sein, wenn sich die Ärmste einer psychologischen Untersuchung unterzieht.“ „Sie wollen auf verminderte Schuldfähigkeit hinaus?“ Einen Moment lang war nur ein leises Knistern in der Leitung zu vernehmen. „Ich fürchte, mir wird nichts anderes übrig bleiben.“

Das sah ich anders. Offenbar war der Mann nicht von der Unschuld seiner Mandantin überzeugt. Verdenken konnte ich es ihm nicht, zumal meine Klientin seinen Worten zufolge selber nicht mehr davon überzeugt war. „Ich habe einige Anhaltspunkte, denen ich nachgehen werde,“ gab ich Schröter zu verstehen. „Eventuell wird sich nach dessen Klärung die Schuld, oder aber die Unschuld von Frau Ruppold erweisen. So oder so, die Gewissheit ist sicherlich für alle Beteiligten von Interesse.“ „Herr Lessing, ich höre von Ihnen?“ „So wie es etwas Neues gibt.“

Ich beendete das Gespräch, um bereits mit dem nächsten Wimpernschlag die Rufnummer von Renate Krummholz einzutippen. Was erwartete ich mir von diesem Anruf? Warum hätte mir Rebecca die Nummer geben sollen, wenn sie nicht bei ihrer Freundin gewesen wäre? „Krummholz,“ brummte eine derbe Männerstimme in den Hörer. „Mein Name ist Lessing, ist Renate Krummholz zu sprechen?“ „Worum geht es denn?“ „Das hätte ich ihr eigentlich gern selber gesagt,“ erwiderte ich nachdrücklich. „Hören Sie, mein Freund, ich bin ihr Ehemann und wenn Sie etwas auf dem Herzen haben, dann sagen Sie es mir, oder Sie scheren sich zum Teufel!“ Ich brauchte einen Augenblick, um die freundliche Art des Herren zu verdauen.“ „Gut, dann rufe ich halt später noch mal an.“ Mit demselben Atemzug war nur noch das Besetztzeichen zu hören. Was für ein netter Mensch, dachte ich sarkastisch und legte den Hörer auf.

Es klopfte an der Tür. Trude trug ein Tablett herein. Unter ihrem Arm klemmte das Notizheft. „Sie mögen jetzt doch sicherlich eine gute Tasse Kaffee?“, fragte sie fürsorglich. „Können Sie Gedanken lesen?“ Trude lächelte zufrieden. Nachdem sie mir das herrlich duftende Gebräu eingeschenkt hatte, reichte sie mir die Adresse und die Telefonnummer des Berliner Hotel Adler. Eine Luxusherberge à la Boneur. „Danke Trude, gut gemacht.“ Meine Vorzimmerrose nickte verschämt. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“ „Im Augenblick nicht, wenn noch etwas sein sollte, melde ich mich.“ Wie wenig mitunter von Nöten war, einen Menschen glücklich zu machen, war in Trudes Gesicht abzulesen, als sie mein Büro verließ. Vielleicht wurden wir zwei ja doch noch ein gutes Team.

An der Rezeption des Hotel Adler begrüßte man mich nicht weniger freundlich, dafür allerdings um einiges aufgesetzter. Leider bekam ich auf meine Frage, ob Rüdiger Ruppold dort in der Nacht zum 20. April ein Zimmer gebucht hatte, nicht die erhoffte Antwort. Die Dame am Empfang erklärte mir, nicht gegen den obersten Grundsatz des Hotels verstoßen zu können. Die absolute Diskretion verpflichte sie keinerlei Auskünfte über ihre Gäste zu geben. Da half es auch nichts, dass ich mich als Privatdetektiv zu erkennen gab. Im Grunde hatte ich nichts anderes erwartet, trotzdem war es einen Versuch wert. Ziemlich frustriert beendete ich das Gespräch. Manchmal war das Leben als Kommissar eben doch leichter.

 

 

 

-17-

 

Kurzentschlossen und mit dem unbändigen Willen, meinen ersten Fall als Detektiv nicht in einer Sackgasse enden zu lassen, fasste ich einen Entschluss. „Trude, ich fahre nach Berlin!“, rief ich durch die Sprechanlage. „Halten Sie hier die Stellung. Wenn alles glatt läuft, bin ich morgen Mittag wieder zurück.“ „Das ist jetzt nicht ihr Ernst, Chef?“ Trude stand inzwischen im Türrahmen und musterte mich ungläubig. „Oh doch, ich bekomme weder im Hotel Adler, noch in Neuruppin über das Telefon eine Auskunft und meine Verbindungen zur Polizei möchte ich nicht schon bei meinem ersten Fall überstrapazieren. Wenn ich noch irgendetwas reißen will, dann muss ich endlich die Initiative ergreifen.“ Trude verstand wahrscheinlich kein Wort, sie zuckte nur mit der Schulter. „Wenn Sie meinen.“ „Sollte jemand nach mir fragen, wissen Sie nur, dass ich morgen Mittag zurück bin.“ „Wie Sie wünschen.“ Ich packte die wichtigsten Sachen zusammen, schnappte mir meinen Filzhut und drückte Trude einen Kuss auf die Stirn. „Wünschen Sie mir viel Glück!“

Ich fuhr über Helmstedt auf die A2 und war nur zwei Stunden später in Berlin. Das Navigationsgerät führte mich sicher zum Blochplatz, wo ich nahe der U-Bahnstation Gesundbrunnen das Hotel Adler entdeckte. Ein kleines, aber durchaus gepflegtes Haus, wie ich ein paar Minuten später an der Rezeption feststellte. Die Dame, mit der ich von Wolfenbüttel aus telefoniert hatte, war offenbar in den wohlverdienten Feierabend gegangen. Zumindest sah ich nur noch Herren im Empfang.

Ich beobachtete das Kommen und Gehen einige Minuten, bevor ich einen ruhigen Moment abpasste und den Portier ansprach, bei dem ich mir die größten Chancen ausrechnete. Sein Kollege war gerade im hinteren Bereich der Rezeption verschwunden. Die Gelegenheit war also günstig.

„Entschuldigen Sie, ich hätte da eine Frage. Ein Bekannter ist vor ein paar Wochen in Ihrem Hause abgestiegen, er hat so sehr von dem Zimmer geschwärmt. Wäre es wohl möglich, genau das gleiche Zimmer zu bekommen?“ Sein Blick musterte mich misstrauisch. „Wie heißt denn der Bekannte und wann genau soll denn das gewesen sein?“ Er hatte den Köder gerochen. „Rüdiger Ruppold, ich meine er hat in der Nacht zum 20. April hier übernachtet.“ Der Mann tippte die Angaben in den Computer. „Ah ja, da ist ja Ihr Bekannter. Aber sagen Sie, wollen Sie wirklich für sich allein ein Doppelzimmer mieten?“ Ich war einigermaßen überrascht. „Rüdiger war nicht allein in Berlin?“ Der Portier schürzte grinsend die Lippen. „Offensichtlich nicht und wenn ich recht darüber nachdenke, kann ich mich sogar ganz schwach an die Dame erinnern.“

Der Mann in der schwarzen Livree hatte mein Spiel durchschaut. Vorsichtig näherte er sich dem ausgeworfenen Köder. Jetzt kamen die Fotos ins Spiel, die ich vor meiner Abfahrt in Windeseile eingesteckt hatte. Zunächst legte ich ihm eine Aufnahme von Karla Niedlich vor. Sie hatte nach meinem Dafürhalten zwar nichts mit Rüdiger Ruppold zu tun, aber schließlich weiß man ja nie, was das Leben für Überraschungen bereit hält. „War es vielleicht diese Dame, die Sie in der Begleitung mit meinem Bekannten gesehen haben?“ „Ach wissen Sie, es ist alles so verschwommen.“ Ich machte ihm den Köder mit einem Zwanziger schmackhafter, den ich ihm verdeckt über den Tresen schob. „Wird es jetzt deutlicher?“ „Der Nebel lichtet sich etwas, aber erkennen kann ich leider noch nichts.“ Ich verdoppelte den Köder. „Na, wer sagt es denn? Jetzt sehe ich das Gesicht der Dame deutlich vor mir, aber die Frau auf Ihrem Foto war es leider nicht.“

Jetzt schob ich ihm das Foto von Karla Ruppold hinüber. „Tja, schwer zu sagen,“ zögerte er. Vielleicht war sie es ja, vielleicht aber auch nicht. Ich bin mir irgendwie nicht so ganz sicher. Wenn das Bild in meinem Gedächtnis nur noch ein wenig klarer würde.“ Der Kerl war wirklich ein harter Brocken. Meine Spesenrechnung erhöhte sich in schwindel-erregende Höhen. Nun gut, ich konnte nicht lange mit ihm herumfeilschen, wenn sein Kollege wieder nach vorne kam, würde er sicher kein einziges Wort mehr über seine Lippen bringen. Auch wenn ich mir sicher war, dass es nicht meine Auftraggeberin war, die er gesehen haben konnte, schob ich ihm den dritten Zwanziger in den gierigen Schlund..

„Jetzt kommt mir auch wieder die Erinnerung zurück,“ grinste er ölig. „Und?“, drängte ich ungeduldig. „Bingo!“ „Wie, wie jetzt? Sie sind sich absolut sicher, diese Frau in Begleitung meines Bekannten gesehen zu haben?“ „Hören Sie, Chef, ich lebe davon, zu sehen, was ich sehe. Glauben Sie es, oder glauben Sie es nicht. Mit genau dieser Lady ist Herr Ruppold auf seinem Zimmer verschwunden.“ In diesem Moment verstand ich gar nichts mehr. Weshalb sollte meine Klientin die Geschichte mit dem Einbruch erfinden, wenn sie in Wirklichkeit mit ihrem Mann auf einer Geschäftsreise war? Im Grunde konnte dies nur bedeuten, dass es gar keinen Einbruch gab und dass ihre Fingerabdrücke bei einer anderen Gelegenheit auf die Waffe kamen. Möglicherweise, als sie Gerd von Aust in dessen Schlafzimmer erschoss ?

„Bitte, sehen Sie sich das Foto noch einmal ganz genau an, es geht buchstäblich um Leben und Tod!“ „Ich will in nichts hineingezogen werden,“ wehrte der Portier plötzlich ab. „Das kann mich meinen Job kosten.“ „Keine Angst, ich halte Sie aus der Sache heraus.“ Er nahm das Polaroid noch einmal in die Hand, sah es lange an und bestätigte schließlich seine erste Aussage. „Sie ist es, da besteht kein Zweifel. Ich habe sie selbst bedient.“ „Okay, dann sagen Sie mir nun noch, unter welchem Namen sich die Dame bei Ihnen eingetragen hat.“ Er sah auf den Monitor. „Kira Ruppold.“

 

Wenig später saß ich in meinem Wagen und zermarterte mir das Hirn, um zu begreifen, was ich gerade erfahren hatte. Wenn es sich bei der Frau, mit der Ruppold im Hotel Adler übernachtet hat, tatsächlich um die eigene Ehefrau handelte, verstand ich das Drama nicht, was mir da von meiner Klientin vorgespielt wurde. Plötzlich kam mir ein Gedanke. Was war mit ihren Kindern? Kira Ruppold mochte momentan vielleicht etwas durchgeknallt wirken, aber sie war eine zu gute Mutter, als dass sie ihre Kinder allein zu Hause ließ, während sie sich mehr als zweihundert Kilometer von ihnen entfernt in einem Hotel vergnügte. Entweder es gab einen Babysitter für diese Nacht, oder der Portier musste sich irren.

 

 

 

 

 

Wenn Sie wissen möchten, wie die Geschichte weiter geht, senden Sie eine E-Mail an uwe_brackmann@online.de Gegen die Entrichtung einer Unkostenpauschale von 2,99€ sende ich Ihnen dann das komplette E – Book zu.