1. Teil Raub im alten Bahnhof

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Nach all der Aufregung in den vergangenen Wochen taten mir die paar Tage an der Ostsee richtig gut. Auch ein Meisterdieb muss dann und wann ein wenig seine Seele baumeln lassen. Man wird schließlich nicht jeden Tag Zeuge eines Mordes. Das schlug mir schon mächtig aufs Gemüt. Noch dazu, wo man mich eine Zeitlang zum Killer abstempelte. Eine unerträgliche Diskrimi-nierung, die ich keinesfalls so stehen lassen konnte. Was blieb mir also anderes übrig, als selber an der Aufklärung des Mordes mitzuarbeiten.

Die Sache entpuppte sich als ein Familiendrama aller boneur. Leider hatte der Killer für seine Tat ausgerechnet den Zeitpunkt gewählt, als ich dem Münzhandelshaus Koch einen, zugegebener Weise unangemeldeten Besuch abstattete. Da ich selber, schon aus pazifistischen Gründen, nicht nur während der Arbeit auf eine Schußwaffe verzichte, war es mir ein besonderes Bedürfnis, die Sache in die richtigen Bahnen zu lenken. Dabei erfreute es mich natürlich besonders, den Ermittlungsbeamten stets einen Schritt voraus gewesen zu sein *.

Vorsichtig nippte ich an meinem Capuccino. Obwohl er bereits seit einigen Minuten vor mir auf dem kleinen runden Bistrotisch stand und sein einzigartiges Aroma verströmte, war er immer noch zu heiß, um ihn

*Mike Winter, Teil 12 ‚Der Löwe‘

unbedarft zu trinken. Wie immer saß ich in der gemütlichen Nische, von der aus ich das gesamte Cafe überblicken konnte. Eine liebe Gewohnheit, die ich mir in all den Jahren, in denen ich im Braunschweiger Mövenpick bereits Stammgast bin, so angeeignet habe. Auf dem freien Stuhl neben mir hatte ich einige Papiere abgelegt, die ich studieren wollte. Wenn der Urlaub auch noch so schön war, irgendwann musste ich schließlich auch mal wieder daran denken, Geld zu verdienen. Immerhin habe auch ich meine Verpflichtungen und eine Tochter, die kurz vor dem Juraexamen steht.

Was ich gerade zwischen meinen Händen hielt, war die Kanalisationskarte der Braunschweiger City. Eine zu meiner Überraschung äußerst detailliert erstellte Zeichnung, die für jedermann frei aus dem Internet heruntergeladen werden kann. Es ist erschreckend, welche Möglichkeiten sich dort für unsereins bieten. Ob es nun Baupläne öffentlicher Gebäude, Hintergrundin-formationen über Prominente, oder spezifisches Wissen über den Bau von Bomben sind, mit ein wenig Übung lässt sich dies alles und noch erheblich mehr im World wide Web ermitteln.

Diese Karte also war gewissermaßen der Schlüssel zu meinem nächsten Coup, den ich wie immer, von langer Hand akribisch vorbereitete. Eigens dafür hatte ich mir während meines Urlaubs an der Ostsee eine Taucher-ausrüstung besorgt und in einer dort ansässigen Tauch-schule einen Kurs belegt. Also doch nicht einfach nur Urlaub, aber wie heißt es so schön: sich regen – bringt Segen. Das Besondere an dieser Karte aber war, dass sie aus den dreißiger Jahren stammte und somit Details eingezeichnet waren, die noch aus jener Zeit stammten, als der gesamte Gebäudekomplex noch als Bahnhof genutzt wurde. Wie erhofft, taten sich laut Plan Wege und Gänge auf, von denen heute niemand mehr etwas ahnte. Sie lagen zum Teil unter Wasser, waren eingestürzt oder zugemauert. An mir war es nun, genau diese Gegebenheiten zu überprüfen. Sicherlich waren die meisten dieser ehemaligen Abwassertunnel inzwischen unpassierbar, aber sie boten eine ideale Chance, ungesehen und relativ einfach in das Innere der Bank zu gelangen.

„Na, wieder fleißig am Pläne schmieden?“, ließ mich die vertraute Stimme des Kellners aufblicken. „Aber sicher,“ entgegnete ich. „Der Rubel muss schließlich rollen.“ Der Mann in der schwarzweißen Livree warf einen flüchtigen Blick auf das Pergament. „Diese technischen Zeichnungen erinnern mich immer an die Schnittmuster, mit denen sich mein Holder seine exzentrischen Kleider näht, aber verstehen würde ich weder das eine noch das andere.“ Ich lächelte mildtätig. „Ich würde sicherlich nur Tassen an die Tische bringen, die nur noch zur Hälfte gefüllt sind.“ Der Ober quittierte meine Worte mit einem dankbaren Blick und wandte sich dem Nebentisch zu.

Ich nahm den Stadtplan zur Hand und überlegte, an welcher Stelle ich ungesehen in das Wasser der Oker gleiten konnte. Der Fluß ist rund um den Bahnhof nicht gerade tief, fließt aber dafür recht gemächlich dahin. Mit Stromschnellen oder dergleichen brauchte ich also nicht zu rechnen. Der dunkle Neoprenanzug würde mich trotz des geringen Wasserstandes in der Dunkelheit ausreichend tarnen. Sorgen machten mir hingegen die an die Wasseroberfläche aufsteigenden Luftblasen. Des Rätsels Lösung war ein kleines Gerät, welches an die Atemmaske angeschlossen wird. Es zersetzt die verbrauchte Luft in Tausende kleiner Luftbläschen, die dann kaum sichtbar nach oben strömen.

Ich hatte mir das Gerät bereits vom Urlaubsort unter falschen Namen bestellt. Als Lieferadresse kam mir die Anschrift eines Mannes gerade recht, von dem ich durch einen Zufall wusste, dass er zur Zeit auf einer Studienreise in Südamerika weilt. Da ich die Sendung zu einem festen Liefertermin und per Barzahlung, anstatt auf Rechnung, geordert hatte, vermied ich somit alles Schriftliche, was mich bei eventuellen Nach-forschungen der Polizei überführen könnte. Lässt man die Barzahlung weg, ist dies übrigens eine bequeme und äußerst günstige Art des Einkaufs. Eine Art des Trickbetrugs, den ich allerdings ablehne, da es oftmals Menschen trifft, die es weniger dicke haben.

Für den Coup, der am letzten Sonnabend im August über die Bühne gehen sollte, brauchte ich ein Wohnmobil. Schließlich konnte ich mich nicht in voller Tauchermonteur an das Steuer eines Autos setzen. Das Risiko, in eine Polizeikontrolle zu geraten, war einfach zu groß. Überdies brauchte ich für meine Ausrüstung ein Fahrzeug, in dem ich alles problemlos transportieren konnte. Am geeignetsten, um unbemerkt ins Wasser zu gelangen, erschien mir der Parkplatz an der Echternstraße, der sich vis-a-vis des Staatshochbau-amtes befand. Dort würde ich ohne Aufsehen parken können und über den Neustadtmühlengraben in die Oker gelangen.

Ich bestellte mir eine weitere Tasse Capuccino und bat den Kellner um die Braunschweiger Zeitung. Mit etwas Glück würde ich darin ein geeignetes Wohnmobil finden. Hierbei galt der Grundsatz: weniger ist mehr. Soll heißen, dass ein feudales Nobelgefährt nur unnütz Aufsehen erregt hätte. Da ich das Wohnmobil nicht irgendwo entwenden wollte, hätte ein solches Fahrzeug darüber hinaus mein angegriffenes Budget sicherlich bei weitem überschritten. Stehlen kam deshalb nicht in Frage, weil man bei der Vorbereitung eines großen Coups alles vermeiden sollte, was einem im Nachhinein den Hals brechen könnte.

Die Bedienung brachte den bestellten Capuccino und setzte ihn freundlich nickend vor mir auf dem Tisch ab. Unter seinem Arm klemmte die BZ. Er räumte die leere Tasse ab und verschwand so wortlos wie er gekommen war. Sein gekonnter Augenaufschlag entging mir auch dieses Mal nicht. Obwohl ich ihm schon mehrfach dezent zu verstehen gegeben hatte, dass ich nicht auf seiner Seite des Flusses fische, zeigte er nach wie vor Ausdauer. Gott weiß, was ihn an meiner Erscheinung derart reizte.

Ich schüttelte verlegen den Kopf und richtete mein Augenmerk auf die Zeitung. Der Teil, in dem die Redaktion die Anzeigen untergebracht hatte, fiel an diesem Donnerstag recht mager aus. Außer einigen PKW, Motorrädern und einem Pferdeanhänger fand sich nichts. Was nicht weiter tragisch war, weil ich noch das Wochenende und die gesamte nächste Woche Zeit hatte, um das richtige Fahrzeug zu finden. Notfalls blieb mir ja auch noch das Internet.

„Hallo Paps,“ riss mich eine wohlbekannte Stimme aus meinen Gedanken. Sie gehörte zu Claudia, meiner Tochter. Ich tat einen überraschten Blick auf die Uhr über dem Eingang. „Die Vorlesungen schon zu Ende?“ „Ja, ja und ich habe brav aufgepasst und jede Menge gelernt,“ grinste sie schief. „Du solltest allmählich wissen, das ich mein Studium sehr ernst nehme,“ sagte sie vorwurfsvoll. Ich verzog beschämt das Gesicht. Natürlich hatte sie recht, manchmal nahm ich es mit meinen Vaterpflichten ein wenig zu genau, aber seit dem Tode von Claudias Mutter fühlte ich mich um so mehr in der Verantwortung. Sie ahnte nichts von meinem Doppelleben. Für sie war ich nach wie vor als freier Mitarbeiter eines großen Braunschweiger Architektenbüros angestellt. Ich hatte ihr nie gebeichtet, dass ich nach Astrids Tod nicht nur meinen Lebensmut, sondern auch meinen Job verloren hatte. Wie hätte ich ihr gestehen sollen, dass ich ihr Studium inzwischen mit Einbrüchen verdiente? Eine Welt wäre für sie zusammengebrochen! Und genau deshalb durfte sie auch nie erfahren, was ich des Nachts trieb!

„Schläfst du heute zu Hause, oder übernachtest du wieder bei deinem Lover?“ Claudia stierte mich vorwurfsvoll an. „Du weißt, dass ich es nicht leiden kann, wenn du derart abwertend von Alexander sprichst!“ „Entschuldige,“ verdrehte ich die Augen. „Er ist natürlich nur ein guter Freund,“ fügte ich verschmitzt hinzu. „Alex ist mehr als nur ein Freund,“ widersprach Claudia energisch. „Also ist er doch dein Lover?“ „Vater!“, empörte sie sich so energisch, dass die Leute an den Nachbartischen auf uns aufmerksam wurden.

Ich liebte es, wenn ich sie aus der Reserve locken konnte, denn immer dann war sie ihrer Mutter besonders ähnlich. Ihre Wimpern flatterten dann vor Erregung und das kleine Grübchen an ihrem Kinn wurde ebenso rosa wie das von Astritt. „Du schaffst es immer wieder, mich mit deinen kleinen Spielchen auf die Palme zu bringen.“ Ich grinste breit. „So lange du noch merkst, dass ich nur Spaß mache, ist es doch in Ordnung – oder?“ Claudia seufzte. „Warum falle ich nur jedes Mal wieder darauf herein?“ Ich ergriff ihre Hand und strich über die schlanken Finger. „Weil du genauso liebenswert bist wie deine Mutter es war.“ Unsere wehmütigen Blicke trafen sich. „Du vermisst sie sehr,“ sinnierte das blauäugige, hübsche Mädchen, dass nicht nur wie ihre Mutter reagierte, sondern dieser auch noch verdammt ähnlich sah. Ich lächelte versonnen, kaum merklich dabei nickend.

„Fragst du aus einem bestimmten Grund?“, kam sie auf meine ursprüngliche Frage zurück. „Eigentlich nicht,“ druckste ich herum. „Ich dachte nur, wir könnten mal wieder etwas zusammen unternehmen.“ „Oh, das tut mir leid, aber heute Abend wollten wir uns eigentlich mit einigen Freunden treffen.“ Ich bemühte mich, meine Enttäuschung nicht zu zeigen. „Das macht doch nichts, war nur so eine Idee von mir.“ „Sei nicht traurig, wir können den Abend ja bei Gelegenheit nachholen,“ versprach Claudia. „Ja, ja, mach dir keine Gedanken, ich werde mich schon nicht langweilen.“ „Wirklich nicht?“ „Ganz bestimmt!“

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Ich langweilte mich nicht. Es gab noch genügend Vorbereitungen, die vor allem in Hinsicht auf das technische Equipment getroffen werden mussten. Eines war klar, wenn ich auch einen ungewöhnlichen Einstiegsort gewählt hatte, um in die Bank zu gelangen, so konnte ich trotzdem nicht damit rechnen, dass es ein Spaziergang werden würde. Ich musste damit rechnen, dass die Sicherheitsexperten modernstes Know-how aufgeboten hatten, um jede nur erdenkliche Möglichkeit eines eventuellen Einbruchs auszuschließen.

Bei all dem technischen Schnickschnack durfte ich meine Assistentin nicht vergessen. Ohne sie wäre dieser Coup, genau wie viele andere zuvor, nicht durchführbar gewesen. Und dessen war sich die liebe Charlett durchaus bewusst. Als ich das kleine Rhesusäffchen vor einigen Jahren von einem Leierkastenspieler übernom-men hatte, wusste ich nicht, auf was ich mich einließ. Der Mann mit der Drehorgel war mein Freund und der Ort, an dem ich mein Versprechen gegeben hatte, war sein Sterbebett. Was also blieb mir anderes übrig, als zu meinem Wort zu stehen. Davon ab, inzwischen sind Charlett und ich ein Superteam. Wenn da nur nicht immer ihre verdammte Eifersucht wäre.

Nichtsdestotrotz fühlte ich mich Mitte der folgenden Woche bestens vorbereitet. Was nun noch fehlte, war das bereits erwähnte Wohnmobil. Zwei in Frage kommende Fahrzeuge hatte ich mir bereits am Wochenende angesehen. Leider erwiesen sich beide für meine Zwecke ungeeignet. Während mir das eine Mobil als zu protzig erschien, war das andere in einem derart schlechten Zustand, dass ich mir damit nach erfolgreichen Coup wahrscheinlich den Hals abgefahren hätte. Ich fragte mich, wie um alles in der Welt der Besitzer die nagelneue Tüvplakette bekommen hatte. Mit rechten Dingen konnte es dabei wohl kaum zugegangen sein.

Die Sonne stand bereits so tief, dass sie mich zwischen den Silos der Hafenentladung hindurch blendete. Ich steuerte meinen kupfermetallic farbenen Mazda ZX auf der A391 stadtauswärts in Richtung Gifhorn. Das nächste Dorf nach Meine war Ausbüttel. In der Töpfergasse 32 wollte ich mir ein weiteres Wohnmobil ansehen. Die Besitzerin schien eine Frau mittleren Alters zu sein. Zumindest klang ihre Telefonstimme dementsprechend. In ihrer Annonce hatte sie keinen Preis genannt und auch während unseres Gespräches vertröstete sie mich mit den Worten, man werde sich schon einigen. Meine Erwartungen waren nicht allzu groß, aber warum sollte ich mir das Fahrzeug nicht zumindest ansehen?

Die Töpfergasse befand sich in unmittelbarer Nähe zur Kirche. Bislang war mir der Ort nur von einigen Durchfahrten bekannt, wenn ich die alte Salzstraße in nördlicher Richtung befuhr. Ich musste eine Weile suchen, bis ich das Haus mit der angegebenen Nummer entdeckte. In der offenen Garage sah ich schließlich das Objekt meiner Begierde, einen VW Bulli älteren Baujahrs, umgebaut zu einem Campingbus. Wenn der Wagen technisch auch nur noch halb so gut in Schuss war, wie sein Äußeres den Anschein gab, war er genau das richtige für mich.

Während ich den Wagen interessiert betrachtete, kam eine freundlich lächelnde Dame auf mich zu. Es handelte sich um eine durchaus attraktive Erscheinung,

die meinem Dafürhalten nicht älter als Mitte Vierzig sein konnte. Langes blondes Haar wallte verspielt über ihre schmalen Schultern. Ihre schlanken Beine steckten in einer hautengen schwarzen Markenjeans. Rotblaue Turnschuhe betonten ihr sportliches Äußere.

„Sie sind sicher der Herr, mit dem ich vorhin telefoniert habe,“ mutmaßte sie, während sie mir die Hand entgegenstreckte. „Reuter,“ log ich. „Das ist dann wohl das gute Stück, von dem Sie sich trennen wollen?“, deutete ich kopfnickend auf den Bulli. „So ist es,“ seufzte sie. „Leicht trenne ich mich nicht, es stecken so viele schöne Erinnerungen darin, aber davon, dass er hier herumsteht, wird er sicher nicht besser.“ „Das ganz sicher nicht,“ bekräftigte ich ihren Standpunkt. „Seit dem Tod meines Mannes ist der Wagen nicht mehr von der Stelle bewegt worden. Ich weiß nicht mal, ob er noch läuft.“

So sehr sich die adrette Frau auch bemühte, ihren Seelenschmerz zu überspielen, so blieb er mir doch nicht verborgen. „Wenn ich Ihnen im Nachhinein noch mein Beileid aussprechen darf?“ Sie sah mich innerlich tief berührt an und nickte kurz. Schließlich streckte sie mir die Wagenschlüssel entgegen. „Starten Sie ihn!“ „Wie lange stand der Wagen?“, fragte ich, um auf diesem Wege auch meine Interesse am Tod ihres Mannes zu stillen. „Nächste Woche werden es fünf Monate,“ bekundete sie schwermütig. Obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass die Batterie nach solch langer Zeit auch nur einen einzigen Mucks abgeben würde, schloss ich die Fahrertür auf und klemmte mich hinter das Lenkrad. Sitze und Armaturen waren in tadellosem Zustand. Als ich den Schlüssel im Zündschloss drehte, bestätigte sich meine Befürchtung. Die Batterie vermochte gerade noch die Kontrolllampen zum Glimmen zu bringen. Vom Anlasser war nicht einmal mehr ein müdes Schnurren zu vernehmen. „Tja, da ist auf diese Weise nichts mehr zu machen.“ „Und nun?“, fragte sie entgeistert. „Nun werde ich meinen Wagen dicht hinter die Motorklappe fahren und Ihnen Starthilfe geben.“ Aus ihren Augen schlug mir hilfloses Entsetzen entgegen. „Keine Angst, Sie brauchen nichts weiter zu tun, als den Wagen auf mein Kommando hin zu starten.“

Nach anfänglichen Zögern konnte ich sie schließlich überreden. Beim dritten Versuch, der gleichzeitig der letzte sein sollte, lief der Motor an. Zunächst noch etwas unrund, aber schließlich ohne jegliches Murren. Über den Preis waren wir uns schnell einig. Er bewegte sich in dem Rahmen, den ich mir zuvor gesetzt hatte. Ich bezahlte die Summe selbstverständlich in bar und versprach den noch angemeldeten Wagen baldmöglichst umzumelden, was die Sache wesentlich vereinfachte. Für die paar Tage bis zum geplanten Coup konnte ich, ohne dass irgend jemand Verdacht schöpfen würde, den Bulli unter dem Namen des Verkäufers weiter fahren. Der ebenfalls noch bestehende Versicherungsschutz war dabei die Sahne obenauf.

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„Ich weiß, mein Schatz, ich habe dich sehr lange warten lassen, aber manchmal geht es halt nicht anders.“ Charlett machte ein angefressenes Gesicht und strafte mich mit Ignoranz. Wenn ich meiner Assistentin inzwischen auch beigebracht hatte, dass sie nicht auf jeder Affenhochzeit mitfeiern konnte, wenn sie zu lange in ihrem Zimmer allein bleiben musste, fand sie es, trotz Fernseher und Stereoanlage, unerträglich langweilig. Selbst die mitgebrachten Bananen konnten da nicht für einen Stimmungsumschwung sorgen. Überdies konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Charlett mit jeder neuen Übung, die sie erlernte, zickiger wurde. Ein Phänomen, welches ich bislang nur von frühreifen Girlies kannte. Wer will da noch bestreiten, dass der Mensch vom Affen abstammt?

Nach dem wir zusammen Abendbrot gegessen hatten, hatte sich auch ihr Schmollmund verzogen und Charlett war wieder so lieb wie sie es eigentlich meistens ist. So ein Äffchen will beschäftigt werden. Was liegt da also näher, ihren angeborenen Spiel- und Wissenstrieb für meine Zwecke auszunutzen? Rhesusaffen sind von Natur aus kleinwüchsig. Sie werden in der Regel zwischen 45 und 65 Zentimeter groß. Ihr Gewicht überschreitet selten die 10 Kilogramm Marke. Was Charlett betraf, verstieß sie natürlich auch gegen diese Regel. Sie war gerade mal 38 Zentimeter und wog ganze 4,5 Kilogramm. Ein Umstand, der unserer Sache natürlich mehr als gelegen kam.

„Hast du Lust auf unser neues Spiel?“, fragte ich Charlett augenzwinkernd. Ich wusste genau, dass sie nichts lieber tat, aber wenn ich es gewagt hätte, über ihren Kopf hinweg zu entscheiden, wäre sie stur und beleidigt gewesen. Hundskopfaffen wollen eben gefragt werden. Man kann sich vorstellen, wie lange ich gebraucht hatte, um dieses Verhaltensmuster in die richtigen Bahnen zu lenken. Es ist nicht viel anders als die Erziehung eines Kindes. Nur mit dem Unterschied, dass so ein Affe zwar ebenfalls schlauer, aber nie erwachsen wird.

Charlett und ich spielten also unser Spiel. Dieses Mal bestand es darin, durch ein 9 Zentimeter breites Loch zu schlüpfen, einige Regale zu erklimmen und kleine Bündel aus zugeschnittenen Zeitungspapier durch das Loch zu stecken, hinter dem ich mit einer Tasche wartete. Es ist wohl nicht schwer zu erraten, um was für Bündel es sich dabei handelte. Erschwerend dabei kam hinzu, dass der von mir nachgebaute Tresorraum, so realitätsnah wie möglich von Lichtschranken durch-schnitten war. In dem dunklen Raum waren die Strahlen gut sichtbar, ihre Anordnung erforderte dennoch Charletts volle Aufmerksamkeit. Sie machte ihre Sache diesmal ausgezeichnet, bewegte sich zwischen den Lichtlinien so elegant und behände, dass man glauben konnte, sie schwinge sich ganz wie in ihrer indischen Heimat zwischen Baumästen und Lianen.

Nach 20 Minuten hatte ich die Tasche voll und damit genug Zeitungsbündel zusammen, um an den Rückweg zu denken. Ein besonderes Problem blieb bislang allerdings noch ungelöst. Es ging um Charletts Transport. Wie um alles in der Welt sollte ich mit ihr durch die Oker tauchen? Ich konnte ihr schließlich keinen Taucheranzug anlegen. Wenngleich die Vorstellung, den kleinen Affen mit Schwimmflossen vor mir zu sehen, ein leichtes Schmunzeln in mir hervorrief. Ein wasserdichter Behälter war leicht zu besorgen, doch woher sollte ich wissen wie viel Atemluft sie während unseres Tauchgangs benötigte? Dazu kam es, dass die mit Sauerstoff gefüllte Box das Bestreben hatte, an die Wasseroberfläche zu gelangen. Es half nichts, ich musste auch dies durch vorsichtige Tests ausprobieren.

Tags darauf traf ich meine letzten Vorbereitungen für den bevorstehenden ersten Tauchgang. Um die örtlichen Gegebenheiten unter Wasser und in den alten Kanälen unterhalb der Bank optimal auszukundschaften, war es unabdingbar bereits in den verbleibenden beiden Nächten, vor dem Tag X, einige Tauchgänge zu unternehmen. Dabei wollte ich auch Charletts neue Tauchbox ausprobieren. Nur so konnte ich mögliche Hindernisse frühzeitig erkennen und aus dem Weg räumen. Überdies war es von größter Wichtigkeit, einen Zeitkorridor zu bekommen, der so realistisch wie möglich war, denn vom Abschalten der ersten Alarmanlage bis zum Check durch den eingebauten Sicherheitsmechanismus der zentralen Computeranlage blieben mir im Idealfall nicht mehr als 58 Minuten.

Es war mein zweiter nächtlicher Tauchgang. Anders als am Abend zuvor, steuerte ich den Parkplatz an der Echternstraße erst sehr spät an. Die nahegelegene Diskothek lockte mit Beginn des Wochenendes, wie erwartet, mehr Nachtschwärmer an. Da ich das Wohnmobil etwas abgelegen und so dicht wie möglich am Wasser parkte, war es von der vorderen Seite des Platzes nur schemenhaft auszumachen. Die in der Nähe befindliche Laterne hatte ich bereits am Vorabend außer Betrieb gesetzt. Da ich, während ich mich umzog, gänzlich auf eine Beleuchtung verzichten musste, kamen mir die vielen Male, in denen ich das Anlegen der Tauchausrüstung geübt hatte, jetzt zu statten.

Bevor ich den Bulli verließ, sondierte ich den Parkplatz mit einem Infrarotfernglas. Erst als ich sicher sein konnte, dass sich niemand in der Nähe aufhielt, begab ich mich an den Seitenarm der Oker und tauchte in das kalte Nass. Umgeben von nichts als Dunkelheit war es alles andere als einfach, die Orientierung zu behalten. So geräuschlos wie möglich glitt ich durch das ruhig dahin plätschernde Wasser. Jeder Lichtschein hätte mich bis zum Erreichen der Unterführung am Kalenwall verraten können. Da die Sicht annähernd Null war, musste ich äußerst vorsichtig zu Werke gehen. Übertriebene Eile war hier fehl am Platze.

Es waren die Beinschläge, die ich gedanklich mitzählte, um wenigstens auf diese Weise zu so etwas wie Anhaltspunkten zu kommen. Die Beschwerung der Transportkiste, mit der ich Charlett in die Bank bringen wollte, bewährte sich gut. Anstelle des Affen hatte ich ein mit 4,5 Kilogramm Sand gefülltes Säckchen mitgenommen. Fünfzehn, sechzehn, siebzehn Züge, dann etwa um 15 Grad nach links. Weitere zwanzig Beinschläge mit den Flossen und ich tauchte ein, in die totale Finsternis der Unterführung, die mich bis direkt an den Schacht brachte, durch den ich unter die Bank gelangen würde. Hier unten war ein Vorankommen ohne Licht nicht mehr möglich, aber hier verlor sich der Schein meiner Unterwasserlampe an den glitschigen Wänden des Kalenwalls.

Um problemlos in das etwa einen Meter über der Wasseroberfläche befindliche Betonrohr zu gelangen, hatte ich in der vorangegangenen Nacht an dieser Stelle eine Steckleiter angebracht. Mit der schweren Ausrüstung, die ich in dieser Nacht mit mir führte, wäre ich ohne diese Hilfe sicher nicht hinauf gelangt. Nach einigen Minuten hatte ich die Stelle erreicht, hinter der sich nach meinen Berechnungen der alte Regenwasser-schacht befinden musste. Er stammte noch aus der Zeit, in der das jetzige Tagungs- und Ausstellungsgebäude der Norddeutschen Landesbank ein Bahnhof war.

In den historischen Aufzeichnungen des Ottmerbaus, die in der Wolfenbüttler Herzog August Bibliothek eingesehen werden konnten, war mit einiger Phantasie zu sehen, dass er bis unter die jetzigen Tresorräume der Bank führte. Da es sich um denkmalgeschützte Bausubstanz handelte, mussten sich die Architekten der Neuzeit darauf beschränken, besagten Schacht an eben dieser Stelle zuzumauern und mit einigen Alarmanlagen zu versehen. Genau dies war die Schwachstelle, an der ich ansetzen wollte.

Das mit gerade mal 80 Zentimeter im Durchmesser, äußerst enge Rohr, machte genaues Messen nach herkömmlicher Art, mit Zollstock und Kreide, beinahe unmöglich. Um auf der sicheren Seite zu sein, nutzte ich einmal mehr ein kleines technisches Hilfsmittel, was mir schon des öfteren gute Dienste geleistet hatte. Ein am Einstieg zur Röhre angebrachter Empfänger warf den von mir mittels eines Senders abgegebenen Laserstrahl zurück und ließ somit eine auf den Millimeter genaue Messung zu. Nach den alten Plänen sollte sich der Mittelpunkt des Schachtes bei exakt 19,80 Meter befinden, gerechnet vom Einstieg. Dass sich das Ende des Blindschachtes auch noch oberhalb des Abwasserrohres befand, machte die Sache nicht einfacher.

Ein Presslufthammer oder gar Sprengstoff verbot sich schon auf Grund des Lärms, den beides verursacht hätte. Die gute alte Art mit Hammer und Meißel schied wegen des hohen Zeitaufwandes aus. Die kleine, durch einen Akku angetriebene Allroundmaschine, die ich vor einigen Jahren auf der Harz und Heide Messe erstanden hatte, war für diese Arbeit das am besten geeignetste Werkzeug. Natürlich konnte der kleine Trennjäger nicht mit Drehzahlen aufwarten, die eine herkömmliche Flex bot, doch die spezialgehärtete Trennscheibe machte dieses Manko schnell vergessen. Es war erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit sich das Gerät in den Beton fraß. Die aufgesetzte Tauchermaske schützte mich während der Arbeit vor dem ungeheuren Staub und versorgte mich gleichzeitig mit Sauerstoff.

Nach etwas mehr als einer halben Stunde stieß ich auf eine Ziegelsteinmauer aus gebranntem Ton. Ich hatte mein nächstes Etappenziel erreicht. Noch wusste ich nicht, wie dick die Mauer sein würde, die mich von dem alten Schacht trennte, aber allein die Gewissheit, dass der Schacht tatsächlich vorhanden war und dass ich ihn an der genau berechneten Stelle gefunden hatte, ließ mein Herz schneller schlagen. Ich wechselte den Schneidvorsatz gegen einen Bohrkopf und machte mich erneut ans Werk. Diesmal begnügte ich mich allerdings mit einem 13 Millimeter starken Loch, welches ich vorsichtig durch die Wand trieb. Als ich keinen Widerstand mehr spürte, zeigte der Tiefenanschlag 36 Zentimeter. Nachdem ich den Bohrer zurückgezogen hatte, kam eine Videosonde zum Einsatz. Warum sollte sich nicht auch ein Dieb die Errungenschaften der Mikrochirurgie zu nutze machen?

Dank des kleinen LCD Bildschirms auf meinem Handy konnte ich jede Einzelheit erkennen, die sich jenseits der Mauer befand. Die Videoaufnahme speicherte ich, um sie später ausführlich und in Ruhe zu analysieren. Für diese Nacht hatte ich genug gesehen. Den größten Teil meiner Ausrüstung deponierte ich so in dem herausgebrochenen Teil der Röhre, dass sie auch bei einem Anstieg des Wasserstandes in der Röhre nicht fortgerissen werden konnte. Auch wenn laut Wetterbericht in den kommenden Tagen nicht mit nennenswerten Regenfällen zu rechnen war, konnte ich diesen Umstand in meinen Planungen nicht einfach unberücksichtigt lassen.

Auf meinem Weg zurück zum Einstieg unter dem Kalenwall begegnete mir ein weiterer nächtlicher Besucher. Eine Bisamratte, die sich trotz meines Näherkommen nur sehr zögerlich zurückzog. Irgendwie wirkte das Tierchen wie mein ehemaliger Chef auf mich. Nichts gegen den armen Nager, aber die pfeifenden Geräusche, die der Nachtschwärmer bei seinem Rückzug abgab, ähnelten den wütenden Lauten, die ich von meinem Vorgesetzten in gewissen Situationen gewohnt war. Wobei sich die vierbeinige Ratte aus meinem Sichtfeld entfernte.

Auch ich entfernte mich zusehends von der Steckleiter, die ich am Einstieg zum Regenwasserrohr zurückließ. Es war nicht damit zu rechnen, dass sie irgend jemand entdecken würde. Mit Angestellten der Stadtwerke oder Arbeitern, die am Wochenende an genau dieser Stelle der Kanalisation zu tun hatten, musste ich nicht rechnen. Noch im Bereich unterhalb der Straße schob ich mir die Tauchermaske über Mund und Nase und tauchte ab. Der verbliebene Sauerstoff würde gerade noch ausreichen, um die Strecke zum Parkplatz zurückzulegen.

Wieder zählte ich die Beinschwünge, mit denen mich die Taucherflossen lautlos durch den Graben gleiten ließen. Als ich meinte, die richtige Stelle zum Auftauchen erreicht zu haben, regte ich vorsichtig den Kopf aus dem Wasser. Der alte Bootsanleger und die Eisensprossen, über die ich zuvor ins Wasser gelangt war, lagen etwa fünf, sechs Meter hinter mir. Beim Zählen meiner Beinschwünge hatte ich nicht berücksichtigt, dass ich durch die zurückgelassene Ausrüstung auf dem Rückweg leichter war und somit etwas schneller durch das Wasser glitt.

In diesem Falle kein Beinbruch, da ich weit und breit keine Menschenseele ausmachen konnte. Ich schwamm das kurze Stück also relativ zufrieden zurück und schob mich an den Sprossen nach oben. Als ich die Tauchermaske abzog, war mir, als vernahm ich ein Geräusch. Ich hielt inne, zwang meine Atmung zur Ruhe und lauschte. Nichts! Ich musste mich geirrt haben, denn außer dem Bulli war hier bis zu einer Entfernung von fünfzig Metern kein anderes Fahrzeug abgestellt. Ich schüttelte irritiert den Kopf und konzentrierte mich darauf, die schwere Sauerstoff-flasche von meinem Rücken zu laden.

In diesem Moment vernahm ich es wieder. Dasselbe merkwürdige Geräusch, welches ich auch schon zuvor bemerkt hatte. Dieses Mal jedoch schien es um einiges lauter gewesen zu sein. Ich hielt die Ohren in den Wind, lauschte und hörte plötzlich lautes, tierisches Gegrunze, das zweifelsohne aus dem Inneren meines Wohnmobils kam. Aber ich hatte doch abgeschlossen, schoss es mir durch den Kopf. Ich griff in die Tasche, in der ich den Wagenschlüssel wähnte und erschrak. Die Tasche war leer. Schnell überprüfte ich auch die anderen Taschen meiner Montur. Hatte ich den Schlüssel verloren, oder womöglich in der Wagentür stecken gelassen? Es war müßig, sich jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen. Fakt war, dass ihn irgend jemand gefunden hatte und nun dort war, wo ich hin wollte. Wer auch immer sich meinen Wagen ausgesucht hatte, um darin irgendwelche Spielchen zu betreiben, konnte später ein Zeuge gegen mich sein.

Vorsichtig blickte ich in das Wageninnere, aber außer den in der Dunkelheit nur vage erkennbaren Konturen diverser Einbauschränke war nichts auszumachen. Das rhythmisch auftretende Grunzen jedoch riss nicht ab. Fast glaubte ich an ein Tier, doch welches Wildschwein hätte sich mit einem Schlüssel Einlass verschaffen können? Entsprechend meiner Aufmachung wäre an dieser Stelle eine Harpune oder irgendeine andere Waffe nicht schlecht gewesen, doch dann hätte ich gegen meinen obersten Grundsatz verstoßen müssen: keine Waffen.

Wenn ich nicht als Froschmann in den Knast wandern wollte, blieb mir also nichts anderes übrig, als der Sache auf den Grund zu gehen. Um nicht gleich erkannt zu werden, setzte ich die Tauchermaske wieder auf. Da ich nicht wusste, was mich im Inneren des Wohnmobils erwarten würde, versuchte ich so lautlos wie möglich vorzugehen. Behutsam öffnete ich die Fahrertür. Das diffuse Licht der Innenraumbeleuchtung schaltete sich ein. Ich schwang mich, so gut wie es eben in einem Taucheranzug möglich ist, hinter das Steuer. Dabei löste ich durch eine Unachtsamkeit die Hupe aus. Ich drehte mich in den Gang , der zwischen den Vordersitzen nach hinten in den Wohnbereich führte und richtete mich so gut es ging auf.

Es dauerte einige Sekunden, bis ich eine dunkle Gestalt ausmachte. Und hätte die Person nicht panikartig geschrien, als sie mich erblickte, wäre sie mir wohl noch um einige Zeit länger verborgen geblieben. Dem Schrei folgte ein lautes Scheppern, eine Flasche rollte über den Fußboden, ein herber Geruch von billigem Fusel schlug mir entgegen. „Um Himmels Willen, es gibt euch also doch!“, stellte er fest, während er noch immer wie festgenagelt auf dem Bett kauerte. „Lasst mich gehen, sucht euch einen anderen, den ihr entführen könnt!“, ereiferte sich der völlig verstörte Mann. „Bitte, lass mich gehen, ich verspreche auch, nie wieder einen Schluck anzurühren.“

Offensichtlich wollte der Penner ausgerechnet in meinem Wagen seinen Rausch ausschlafen. Wohl immer noch unter dem Einfluss einer nicht unerheb-lichen Menge Alkohols und meines, zugegebenerweise skurrilen Erscheinungsbildes, wähnte er wohl einen Außerirdischen vor sich, der ihn zum Zwecke der Forschung entführen wollte. Als ich ihn mit meiner Taschenlampe anstrahlte, um zu sehen, ob er in irgend - einer Weise bewaffnet war, rastete er völlig aus. Seine schreckgeweiteten Augen flatterten vor Erregung, sein aschfahles Gesicht wechselte in tiefstes Rot und mit seinen Händen fuchtelte er wild um sich.

Mit dem Mute der Verzweiflung stürzte er sich plötzlich auf mich, schubste mich nach hinten und riss die Schiebetür des Bullis zur Seite hin auf. Ehe ich auch nur ein einziges Wort sagen konnte, verschwand er schreiend in der Dunkelheit der Nacht. Einen Moment lang sah ich ihn noch in dem Licht einer Laterne, dann war er gänzlich verschwunden. Niemand würde ihm seine Geschichte glauben. Jetzt kam es mir zu Gute, dass ich sicherheitshalber die Zulassungskennzeichen verfälscht hatte. Von dieser Seite brauchte ich mir keine Gedanken machen, doch mit jeder Minute, die ich hier draußen in Tauchermonteur herumstehen musste, wurde es für mich gefährlicher. Besorgt blickte ich mich um, doch in den Häusern rings um den Parkplatz war alles ruhig geblieben. Trotzdem mahnte ich mich zur Eile, aber wo nur hatte der Penner den Schlüssel gelassen? Womöglich trug er ihn noch bei sich. Egal, um lange danach zu suchen, war nun wirklich nicht die Zeit. Ich entschloss mich den Wagen einstweilen kurz zu schließen. Man soll sein Glück nicht überstrapazieren. Das Resümee dieser Sache war, dass man die Unwillen des Schicksals nie ganz ausschließen kann.

 

Teil 2 Wenn der Rubel rollt

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Bereits seit einigen Wochen bereitete ich mich auf meinen nächsten Beutezug vor. Unter anderem ging es darum, einen Mann zu beobachten, und zwar einen ganz bestimmten Mann, dessen Gewohnheiten mir in Fleisch und Blut übergehen mussten. Die kleine Videokamera, mit der ich quasi jede seiner Bewegungen auf Super 8 festhielt, erleichterte mir diese Arbeit kolossal. Eigentlich war Hans – Georg Kaschinski ein ganz normaler Mensch mit all seinen Vorlieben, Lastern und auch guten Seiten. Vor allem aber legte er größten Wert auf ein gepflegtes Äußeres.

Er hatte ein feingeschnittenes Gesicht. Sein dunkles, von grauen Strähnen durchzogenes Haar war trotz seines Alters immer noch dicht. Die Statur wurde vom Fettansatz an der Taille geprägt. Trotz des warmen Sommerwetters verzichtete er weder auf ein Jackett noch auf eine ordentlich gebundene Krawatte. Unter einer dazu passenden Hose in einem beigen Pastellton traten braune Lederschuhe eines italienischen Mode-designers hervor. Das Parfüm, das er benutzte, duftete wie eine frisch gemähte Frühlingswiese. Er war Mitte Vierzig und aus Überzeugung Junggeselle, was nicht hieß, dass er den weiblichen Reizen nicht gern Tribut zollte.

An diesem Abend war ich ihm in die ‚Tanztenne‘ am Ebertal gefolgt. Wie an jedem zweiten Abend befand er sich auch dieses mal auf Damenschau. Dabei hatte er seine eigene recht erfolgreiche Masche vom biederen Geschäftsmann entwickelt. Wobei es nicht selten geschah, dass er von einer Verflossenen auf ein Gläschen eingeladen wurde. Wenn sich im Laufe des Abends keine Alternative ergab, griff er nicht selten auf Altbewährtes zurück.

Sie fragen sich sicher, weshalb mich der Betreffende derart interessierte? Nun gut, ich will es Ihnen verraten – zumindest zum Teil. Es geht darum, dass ich zu gegebener Zeit seinen Platz einnehmen werde. Mehr möchte ich an dieser Stelle allerdings noch nicht verraten. Ach ja, ich habe mich Ihnen ja noch gar nicht vorgestellt. Ich bin der Löwe – zumindest werde ich von den Braunschweigern so genannt, weil ich bei jedem meiner Einbrüche die Kratzspuren einer Löwenpranke hinterlasse. Ich bin also ein Einbrecher, wie Sie ganz richtig erraten haben. Natürlich kein alltäglicher, wie Sie sich ebenfalls denken können. Ich bin ein Meisterdieb!

Waffen und übertriebene Gewalt sind mir ein Greuel. Eine gute Vorbereitung, Witz und Ideen sind meine Maxime. Ich bin sicher kein Robin Hood der Neuzeit, aber ich achte schon darauf, meine Beutezüge dorthin zu konzentrieren, wo ich niemanden schädige, der ohnehin nicht viel hat. Das bin ich mir selber schuldig, vor allem aber meiner Tochter, die im letzten Semester Jura studiert und der ich ansonsten sicher nicht in die Augen schauen könnte. Zumal Claudia seit dem Tod ihrer Mutter das einzige ist, was mir verblieb. Sie wollen wissen, wie ich zu einem Einbrecher wurde? Werden Sie mal mit 45 Jahren arbeitslos! Nach einem Jahr ohne Job und hunderten Bewerbungen blieb mir nur noch Hartz IV, was zu wenig zum Leben und zum Sterben zuviel war. Was blieb mir also anderes übrig, als meine ganz spezielle Ich AG zu eröffnen? Zumindest der Erfolg gibt mir recht. Als Ingenieur weiß man schließlich, was man kann.

Überhaupt, die richtige Ausbildung ist alles. So belegte ich extra für mein neuestes Vorhaben einen Abendkurs in kreativer Gestaltung. Der Schwerpunkt des Kurses lag auf das Bemalen von Masken und deren Herstellung aus Silikon. Wenn ich in die Haut eines anderen schlüpfen wollte, war dessen Äußeres schließlich ebenso wichtig wie sein Verhalten. Doch damit war noch nicht der aufwendigste Teil der Vorbereitungs-arbeiten erwähnt. Tagsüber war ich damit beschäftigt, Kaschinski und dessen Kollegen kreuz und quer durch Braunschweig zu folgen. Überall dort, wo die beiden Geldtransportfahrer ihre kostbare Fracht entgegen nahmen, musste ich die örtlichen Gegebenheiten überprüfen, um am Ende, das für mich am geeignetsten erscheinende Objekt auszuwählen.

Wenn mich dieser Job in den vergangenen Wochen somit auch völlig unter Beschlag genommen hatte, so konnte ich doch davon ausgehen, dass sich dieser Coup lohnen würde. Dass ich dieses Geld, genau wie die Beute aus vorangegangenen Arbeitseinsätzen , zu dem weitaus überwiegenden Teil für viele Jahre ruhen lassen musste, war zwar schmerzlich, aber wegen einer möglichen Registrierung der Banknoten unumgänglich. Darüber hinaus wäre es in meinem direkten Umfeld sicherlich aufgefallen, wenn ich plötzlich mit dem Geld um mich geworfen hätte. Was sprach also dagegen die Beute in die Schweiz zu schaffen und, die dort gewinnbringend anzulegen?

Über all die Arbeit war es Ende September geworden. Zum ersten Mal seit etlichen Tagen hatte ich mir an diesem Morgen endlich die Zeit genommen, mein Lieblingscafe am Welfenhof aufzusuchen. Den ganzen Sommer über und auch jetzt noch, da es die Witterung erlaubte, bestand im Mövenpick die Möglichkeit, vor dem Cafe in der Fußgängerzone zu frühstücken. Wann immer ich dazu Gelegenheit bekam, nutzte ich sie und verzichtete sogar auf meinen angestammten Platz in einer kleinen Nische.

„Oh, der Herr Architekt,“ begrüßte mich der Kellner hocherfreut. „Schön, Sie wieder einmal bei uns begrüßen zu dürfen.“ „Ich muss zugeben, Sie haben mir gefehlt,“ gestand ich lächelnd ein. „Ach, Sie Schlimmer, Sie reden doch sicher von unserem Cafe und nicht von mir – oder?“ „Nun ja,“ versuchte ich mich so diplomatisch wie möglich aus der Affäre zu ziehen. „Ihre stets zuvorkommende Bedienung hat mir natürlich genauso gefehlt, wie die anheimelnde Atmosphäre in diesem Cafe.“ Der Mann in der schwarzweißen Livree grinste verschmitzt. „Das haben Sie jetzt aber nett gesagt.“ Das fand ich auch.

„Einmal das Frühstück Speziale, wie immer?“, erkundigte er sich mit hochgezogener Braue. Ich nickte und bat ihn die Zeitung nicht zu vergessen. Trotz der relativ frühen Stunde waren bereits viele Leute auf den Beinen. Die Meisten hetzten an mir vorbei, waren in sich gekehrt, mit sich selbst beschäftigt, ohne den Blick auch nur für einen kleinen Augenmerk von ihrem Ziel abschweifen zu lassen. Die Wenigsten verweilten vor den Schaufensterscheiben, um sich die phantasievoll dekorierten Auslagen anzusehen, oder sich an einem der noch freien Tische neben mir niederzulassen. Schade , dachte ich, sie ahnen nicht, was ihnen entgeht. Nur bestrebt, ihren Zielen hinterherzujagen, merken sie nicht, wie das wahre Leben an ihnen vorüberzieht. Wenn sie aus ihrer Lethargie erwachen, ist es für die meisten zu spät.

„So, einmal Speziale,“ riss mich der Ober aus meinen Gedanken. „Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit.“ Er legte die Zeitung auf einen der freien Stühle und eilte an einen der Nebentische. Während ich es mir munden ließ, warf ich einen Blick in die Gazette. ‚Polizei tappt immer noch im Dunkeln. Geniestreich in der Norddeutschen Landesbank immer noch nicht aufgeklärt‘. Ein zufriedenes Schmunzeln glitt über meine Züge. Mein letzter Coup beschäftigte das Braunschweiger Einbruchsdezernat also immer noch. Eigentlich durchaus verständlich, hatte ich einen der Jungs doch ziemlich dreist an der Nase herumgeführt. * Der Artikel war vom selben Journalisten verfasst wie die ersten Zeilen, die nach dem Einbruch erschienen. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte er die Vermutung geäußert, dass dieser Coup nur auf mein Konto gehen konnte. Das er nun davon berichtete, dass sich die Kripo bei der Aufklärung dieses Falles einmal mehr nicht gerade mit Ruhm bekleckerte, erfüllte mich mit einem gewissen Stolz und auch ein wenig Schadenfreude.

„Dacht ich's mir doch,“ ließ mich eine vertraute Stimme von der Zeitung aufschauen. „Na sag mal, wo treibst du dich eigentlich den lieben langen Tag herum?“ Ich stutzte. Natürlich wusste ich, dass dort niemand anderes vor mir stand, als meine Tochter, doch in dem Tonfall und durch die hinter ihr blendende Sonne wirkte sie genau wie ihre, bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommene Mutter. Ich musste den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, erst einmal hinunter-schlucken, bevor ich zu einer Reaktion fähig war.

*Im Zeichen des Löwen 1.Teil ‚Raub im alten Bahnhof‘

„Du hast mir versprochen, Renate bei Gelegenheit vorzustellen,“ wetterte sie weiter. „Nun mach mal nicht so ne Welle, Kleines. Wer schläft denn kaum noch zu Hause? Hast du mir deinen Lover etwa schon vorgestellt?“ „Du sollst Alexander nicht immer Lover nennen,“

Damit war's mal wieder so weit. Claudia war stinkig und ich wegen Renate in der Bredouille. Sollte ich ihr einfach sagen, dass es zwischen der Frau, dessen Beziehung zu mir ich erfunden hatte, aus war, wo ich doch genau wusste, wie sehr sie sich eine neue Frau an meiner Seite wünschte? Ich konnte ihr so oft ich wollte versichern, dass ich mein Leben als Witwer keineswegs so unerträglich fand, wie sie es glaubte. Vielleicht wollte sie sich nicht eher binden, ehe sie mich in guten weiblichen Händen wusste. Auch wenn sie nur noch selten zu Hause schlief, so kümmerte sie sich doch immer noch, zumindest von Zeit zu Zeit, um meinen Haushalt. Dass man nicht im tiefsten Moloch versinkt, nur weil kein Deckchen auf dem Tisch liegt, war ihr einfach nicht beizubiegen.

„Renate ist in den nächsten Tagen innerhalb ihrer Familie sehr angebunden,“ log ich, dass sich die Balken bogen, während ich mit dem Schmieren meines zweiten Brötchens beschäftigt war. „Aber sowie sie etwas Luft hat, werde ich ein Treffen zwischen uns dreien arrangieren.“ Claudia merkte auf „Sie hat Familie?“ Allmählich wurde mir klar, weshalb sich meine Tochter zu einem Jurastudium entschieden hatte. Ich dagegen plauderte unüberlegt drauf los und manövrierte mich von einer Patsche in die nächste. „Ehrlich gesagt haben wir noch gar nicht darüber gesprochen.“ Claudia stemmte ihre Fäuste in die Hüften. „Du hast mich doch nicht etwa verheimlicht?“ Mir wäre fast das Brötchen aus der Hand gefallen. Ich tat einen tiefen Seufzer. „Nein, natürlich nicht. Ich meinte, wir haben noch nicht weiter über ihre Familie gesprochen.“

Hinter der Stirn der angehenden Juristin arbeitete es auf Hochtouren. Ich nutzte den Moment, um von meinen Kaffee zu trinken. „Dann hast du ja endlich wieder Zeit, um etwas mit mir zu unternehmen.“ Der Schreck ließ mich in der Bewegung erstarren. Ich verschluckte mich, ohne einen Schluck getrunken zu haben. Mit dieser Wendung der Dinge hatte ich ebenso wenig gerechnet. Claudia schlug mir auf den Rücken. Kalter Schweiß trieb mir auf die Stirn. „Sorry, Kleines,“ prustete ich, „aber in den nächsten Tagen bin ich beruflich sehr viel unterwegs.“ Claudia machte ein betretenes Gesicht. „Tut mir wirklich sehr Leid, aber wenn ich wieder Luft habe, werde ich mich bei dir melden. Versprochen!“ Sie seufzte. „Ist schon gut.“

-2-

Das Wetter war mir mehr als gewogen. Dicke, dunkle Wolken hatten sich vor den Mond geschoben. Das wenige Licht, welches von den Peitschenmasten der Straßenbeleuchtung herüberschien, störte mich nicht. Im Gegenteil, es ließ mich gerade noch genug erkennen, um auf die eigene Taschenlampe verzichten zu können. Ich hatte mir eine schwer einsehbare Stelle ausgesucht, um den Drahtzaun zu überwinden, der das Firmengelän-de umgab. Büsche verbargen das Loch, welches ich gerade hineingeschnitten hatte, auf ideale Weise. Über dem Garagenhof glimmte eine einsame Funzel. Sie warf mehr Schatten, als sie Licht spendete.

Hinter dem Rolltor mussten die Geldtransporter über Nacht abgestellt sein. Mein Interesse galt jedoch dem Neubau, der sich an die Halle lehnte. Die Bewachungs-firma war erst seit einigen Jahren in dieser Gegend ansässig. Sie hatte ihren Hauptsitz in Hannover, doch mit der Einführung des Euro brauchte man auch in Braunschweig einen Stützpunkt, der die weiten und somit gefährlichen Anfahrtswege verkürzte. Dieser Umstand war natürlich auch für mich von Vorteil. Hier in heimischen Gefilden kannte ich mich besser aus, als in der Landeshauptstadt.

Der Grund für meinen nächtlichen Besuch war in meiner Vorbereitung begründet. Nur hier, höchstwahr-scheinlich im Tresor der Werttransportfirma lagen die Kuverts, in denen die Routen der Geldtransporter für die kommende Woche festgelegt waren. Sie wurden erst am Morgen des betreffenden Tages geöffnet. Selbst die Fahrer wurden erst kurz vor ihrer Abfahrt über die Reihenfolge der Geschäfte und über die genauen Zeiten informiert, zu denen sie die Kontrollanrufe in die Zentrale tätigen sollten. Sogar die Straßen, die sie auf diesen Touren befahren mussten, wurden erst darin festgelegt.

Um in das Gebäude zu gelangen, hatte ich mich zu einer Kletterpartie über das Flachdach entschieden. Keine große Sache, da es sich bei dem Anbau um eine Art Bungalow handelte. Da ich nicht ausschließen konnte, dass das Firmengelände Video überwacht wurde, nutzte ich die vielen Lichtschatten, um mich dem Gebäude zu nähern. In dem schwarzen Jogginganzug und der über den Kopf gezogenen Motorradhaube war ich so gut wie unsichtbar. Der Rucksack auf meinem Rücken enthielt alles, was ich für meine Arbeit brauchte. Das hoffte ich zumindest.

Auf der rückwärtigen Seite des Bungalows stieß ich zu meiner Überraschung auf die unvorhergesehene Klei-nigkeit von mindestens 40 Kilogramm Lebendgewicht. Das knurrende Etwas, was sich mir da entgegenwarf, hatte allem Anschein nach nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet, um seine Speisekarte mit einem appetitlichen Happen zu erweitern. Ich war derart überrascht, dass ich mir eine Schrecksekunde gönnte und wie angewurzelt stehen blieb. Zeit genug für die Bestie, um mich mit einem gewaltigen Satz umzuwerfen. Irgendwie hatte ich es geschafft, meine Hände nach oben zu reißen, um Hals und Gesicht zu schützen. Während ich den Schäferhund im Genick packte und von mir weg drückte, schnappte sein mörderisches Gebiss immer wieder dicht über meiner Nasenspitze zusammen.

Mir wurde mit jeder Sekunde klarer, dass ich diesem unbändigen Hass bald nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Wenn mich seine scharfen Zähne nicht erwischen würden, wären mir, Angesichts des penetranten Gestanks, der mir aus dem Maul der Bestie entgegenschlug, sicherlich in absehbarer Zeit die Sinne geschwunden. Nur wie sollte ich mich aus dieser fatalen Situation befreien? Mit nur einer Hand konnte ich den Hund nicht halten. Das Fläschchen mit Chloroform befand sich in meinem Rucksack. Selbst wenn ich herangekommen wäre, bezweifelte ich, dem Vieh ein so getränktes Tuch lange genug über die Nase halten zu können. Also, was sollte ich tun, um mein nächstes Frühstück im Welfenhof nicht zu gefährden?

Es gibt Momente im Leben, da muss man seine Grundsätze überdenken. Diese Situation trug sicherlich dazu bei, meine gefasste Entscheidung auf Gewalt jeglicher Art zu verzichten, zumindest so lange auszusetzen, wie es erforderlich war, um aus dieser, zugegeben reichlich dämlichen Situation, heil heraus-zukommen.

Ich lag also immer noch auf dem Rücken und der auf dem Rucksack. Über mir verströmte die Bestie nach wie vor ihren giftigen Atem. Das einzige, was mir blieb, waren meine Beine. Was also lag da näher, als kräftig auszuholen und mit aller Kraft dorthin zu treten, wo ich selbst am empfindlichsten war. Doch was war, wenn es sich bei der Kampfmaschine über mir nicht um einen Rüden handelte? Nun, ich hatte weder Zeit noch Muße, um lange nachzuschauen. Ich holte aus, spannte alle Muskeln und Sehnen, die mir im rechten Bein zur Verfügung standen und trat zu.

Die Augen meines Widersachers schienen ein Stück weit aus ihren Höhlen hervorzutreten. Schnodderiger Geifer sabberte mir entgegen. Allem Anschein nach hatte ich einen Volltreffer gelandet. Das Maul der Bestie erschlaffte und noch ehe sich der Köter erholen konnte, traf ihn mein Fuß zum zweiten Mal. Jetzt jaulte er auf, ließ von mir ab und trollte sich, seine Rute zwischen den Hinterläufen eingeklemmt. Im ersten Moment war ich erleichtert, doch gleich darauf ärgerte ich mich über meine Unachtsamkeit. Das hätte auch anders enden können.

Da nichts mehr von der Bestie zu sehen war, konzentrierte ich mich wieder auf mein ursprüngliches Vorhaben. Ich löste die Schnallen an meinem Rucksack und zog das Nylonseil hervor. An einem Ende hatte ich eine Kralle befestigt, die es mir ermöglichte, das Seil durch einen gezielten Wurf, beispielsweise an einer Dachrinne, so zu verankern, das ich problemlos daran hinaufklettern konnte. Zu diesem Zweck, schob ich auf das bei mir verbliebene Ende des Seils zwei Klemm-griffe und zwei Klemmstützen, die ich selbst entwickelt hatte. Auf Zug wurde das Seil von einer Öse derart eingequetscht, dass der Griff nicht abrutschen konnte. Andererseits ließ er sich durch Kippen problemlos nach oben verschieben. Das gleiche geschah mit den Klemmstützen, die mittels eines Klettbandes an den Schuhen befestigt waren. Auf diese Weise hatte ich eine einfache, aber effektive und vor allem platzsparende Leiter, die ich gleichzeitig zum Abseilen benutzen konnte.

Ich schwang das Seil also in gekonnter Wildwestmanier auf das Dach der angrenzenden Halle, deren hinterer Gebäudeteil in einem rechten Winkel zum Bungalow stand und zog Seil und Anker vorsichtig zurück. Wie erhofft verfing sich die Kralle irgendwo dort oben. Eine kräftige Zugprobe bestätigte mir, dass ich den Aufstieg wagen konnte. Da das Dach der Fahrzeughalle den Bürotrakt um mindestens ein Stockwerk überragte, hatte ich keine Mühe auf das Flachdach des Bungalows zu gelangen.

Der grobkörnige Kies auf dem Flachdach knirschte mit jedem Schritt unter meinen Schuhen. Es waren einige kuppelförmige Dachluken aus Plexiglas, die meine Aufmerksamkeit erregten. Natürlich musste ich davon ausgehen, dass sie mit einer Alarmanlage gesichert waren. Da mein nächtlicher Besuch unentdeckt bleiben sollte, durfte ich auf keinen Fall irgendwelche Einbruchsspuren hinterlassen. Mit den passgenauen Latexhandschuhen vermied ich es, verräterische Fingerabdrücke zu hinterlassen. Das milchtrübe Plexiglas ließ keinen Blick in das Innere zu, so blieb mir nichts anderes, als am Rand der Luke ein kleines Loch für meine Videosonde zu bohren.

Es war meist die gleiche Machart mit der derartige Dachfenster gesichert waren. Nicht sehr aufwendig, daher kostengünstig und doch zuverlässig und effektiv. Jedoch einfach zu überwinden, wenn man über das notwendige Know-how verfügt. Die Entschärfung der Alarmvorrichtung dauerte nicht länger als 5 Minuten und sie hinterließ nicht die geringste Spur, wenn ich auf meinem Rückweg daran dachte, sie wieder scharf zu schalten. Ich klappte also die Dachluke zurück und leuchtete in das Innere des Büros.

Neben zwei Schreibtischen, die sich gegenüberstanden, waren einige Aktenschränke und ein Gardeobenständer zu sehen. Keine Spur von einem Geldschrank. An den Wänden kein Bild, hinter dem sich ein Safe verstecken konnte. Etwas stutzig machte mich das schon, aber es gab ja noch weitere Räume, in denen sich ein Tresor befinden konnte. Ich schwang mir den Rucksack also wieder auf den Rücken, und ließ mich an meinem noch vertäuten Spezialseil in das Büro hinabgleiten.

Bevor ich mich den Nebenräumen widmete, sah ich mir die Aktenschränke etwas genauer an. Für eine Sicherheitsfirma ziemlich nachlässig , befand ich, als ich die offenen Schränke bemerkte. In einem steckte sogar ein Schlüsselbund. Nun gut, mir sollte es recht sein. Vielleicht passte einer der Schlüssel in den einzig verschlossenen Schrank, den ich neben der Tür vorfand. Von der Größe her bot er ausreichend Platz, um einen kleinen Geldschrank aufzunehmen.

Bingo! Einer der Schlüssel passte tatsächlich. Doppel-bingo! Hinter der Tür kam der erhoffte Tresor zum Vorschein. Ein älteres Model der Marke Schlosswäch-ter. Ein solider Stahlschrank mit Doppelsicherungs-system der nur mit Zahlencode und Schlüssel zu öffnen war. Es war schon eine Weile her, als ich ein solches Exemplar zu öffnen hatte. Hier war noch gute alte Arbeit mit Fingerspitzengefühl und gutem Gehör erforderlich. Eine Arbeit, die im Zeitalter der Elektronik von immer weniger Nachwuchsschränkern beherrscht wird.

Ich kramte also einen Doppelbartschlüssel und mein Stethoskop heraus. Der Spezialschlüssel ist mit einer weichen, aber formstabilen Andruckmasse versehen, die es ermöglicht den genauen Schließmechanismus des Zylinders durch einfaches Drehen des Schlüssels zu kopieren. Mit dieser Kopie ist es dann möglich, einen in einschlägigen Kreisen als weichen Dietrich bezeich-neten Nachschlüssel anzufertigen. 20 Minuten später ließ sich das Schloss bereits öffnen. Was nun noch fehlte, war die richtige Zahlenkombination. Diese wurde mittels einer früher üblichen Drehscheibe eingestellt. Hier kam nun mein Stethoskop zum Einsatz.

Ich presste den Ansaugnoppen, in dem sich ein hochempfindliches Mikrophon befindet, links neben die besagte Drehscheibe an. An dieser Stelle befand sich der zweite Schließmechanismus. Durch langsames nach links drehen der Scheibe suchte ich nach der ersten Zahl. Dabei war es äußerst wichtig, sich auf das richtige Klicken zu konzentrieren. Denn mit jeder Ziffer, um die das Rad weitergedreht wurde, erklang ein lautes Knacken, mit dem der Hersteller das Einrastgeräusch des Zylinders überdecken will. Durch wechselseitiges links und rechts drehen bekam ich somit den richtigen Code. Wäre nur eine einzige Zahl falsch gewesen, hätte sich das Spiel aufs neue wiederholt.

Dazu bestand jedoch kein Anlass. Die Tür ließ sich auf Anhieb öffnen. Ein Gefühl der Überlegenheit verwandelte meine ernste Miene in ein selbstzufriedenes Grinsen. Glückshormone werden freigesetzt, durchströ-men den Körper und gibt einem das Gefühl über den Dingen zu schweben. Dies sind die Momente, die diesen Job einzigartig, aber auch gleichzeitig so gefährlich machen. Allzu leicht schießt man in diesen Augenblick über das eigentliche Ziel hinaus und verliert den Überblick. In diesen Situationen rufe ich mir das mahnende Bildnis meiner verstorbenen Frau vor Augen – das hilft.

Nach kurzem Sichten der im Tresor befindlichen Papiere, hatte ich die erhofften Routenpläne entdeckt. Das Kuvert war nicht einmal versiegelt. Es war direkt schockierend, wie leicht man es mir machte. Ich fotografierte die Pläne mit meiner Digitalkamera ab und schob sie zurück in den Umschlag. Anschließend legte ich alles so an seinen Platz zurück, wie ich es vorgefunden hatte und schloss den Tresor. Ein letzter Rundumblick, mit dem ich mich vergewisserte, dass ich nichts übersehen oder zurückgelassen hatte und ich machte mich auf den Rückweg. Niemand würde bemerken, dass jemand hier gewesen war. Ich schloss die Dachluke, reaktivierte die Alarmvorrichtung und verschloss das Bohrloch in der Plexiglasabdekung mit einem Streifen Tesafilm. Bis ich meinen eigentlichen Coup gelandet hatte, würde er dem Regen standhalten. Danach war's mir egal.