Detektei Lessing

 

Abgeschoben

 

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Regen, Nebel, Kälte. Seit Tagen schon frustrierendes Wetter. Eine ganze Armada schwarzer Schirme näherte sich über den geteerten Hauptweg des Zentralfriedhofes. Elisabeth und ihre drei erwachsenen Stiefsöhne warteten vor der Kapelle, begrüßten die Kondolanten, nahmen ihre Beileidsbekundun-gen entgegen und wussten doch, dass ihre Worte oftmals nichts als Phrasen waren. Die schwarz gekleideten Trauergäste schoben sich über die kleine Marmortreppe in das Gotteshaus. Sie trugen sich in das ausliegende Kondolenzbuch ein und reichten der Dame vom Beerdigungsinstitut ihre Umschläge und die mitgebrachten Blumen oder Kränze. Dann schritten sie weiter durch den Mittelgang bis ganz nach vorn, wo der schwarz gebeizte Zedernholzsarg aufgebart war. Einer nach dem anderen stellte sich in gebührendem Abstand davor, deutete eine Verbeugung an und hielt einige Momente lang inne, um sich dann in eine der mit trauerschwarzen Stuhlkissen belegten Holzbänke zu setzen. Nicht in die ersten beiden Reihen, die waren den Familienangehörigen und der weitläufigen Verwandtschaft vorbehalten. Denn selbst im Tod musste alles seine Ordnung haben.

Ein langer, kalter Winter hatte die Baubranche auf eine harte Probe gestellt. Nur die wirtschaftlich gesunden Unternehmen gingen gestärkt aus der wetterbedingten Flaute hervor. Mittelständler, die keinerlei Rücklagen gebildet hatten, blieben auf der Strecke, wurden abgewickelt oder von den Großen geschluckt. Nichts Ungewöhnliches, im Grunde die ganz natürliche Auslese. Nur die Starken überleben! Klar, dass mit diesen Pleiten Schicksale verknüpft waren, die für die Leidtragenden nicht selten Not und Elend verhieß. Wer oben mitschwimmen wollte, durfte sich keine Gefühle leisten, musste zuschlagen, wenn es dem Mitbewerber am meisten schadete.

Heinz Rommerskirch hatte die Plan und Bau GmbH mit viel kaufmännischem Geschick, aber auch mit genauso viel Fleiß und mit eben jener Skrupellosigkeit zu einem der regional führenden Firmen geformt. So plötzlich sein Ableben für seine Söhne und alle Außenstehenden auch kam, so vorhersehbar war es für seine Ärzte und auch für Elisabeth.

Der Unternehmer, der in der Branche auch der Eiserne genannt wurde, war alles andere als ein einfach zu nehmender Mann. Als Vater hatte er nicht immer ein glückliches Händchen bewiesen. Mit derselben Härte mit der er sich selbst unerbittliche Disziplin abverlangte, forderte er diese auch von seinen Söhnen. Besonders nach dem Tod seiner ersten Frau, der Mutter seiner Kinder, war es diese unumstößliche Ordnung, die ihn am Leben hielt. Nun war er also zum Opfer seiner eigenen Unnachgiebigkeit geworden und zum ersten Mal seit langer Zeit schienen seine Gesichtszüge, zumindest für Elisabeth, ein zufriedenes, vielleicht sogar ein Verschmitztes Lächeln in sich zu tragen. Es war ihr so, als verberge er in diesem Ausdruck eine letzte Botschaft für sie: „Nun seht mal zu, wie ihr ohne mich klar kommt, ich habe es hinter mir.“

Irgendwann war die Kapelle bis auf den letzten Platz gefüllt. Musik erklang. Musik, die Elisabeth zusammen mit dem Geistlichen ausgewählt hatte. Da es jedoch keine gab, entschied sich Elisabeth für irgendwelche Klänge, die sie dem Anlass entsprechend für angemessen hielt. Ihr Blick hing starr an dem Sarg, so, als wäre er daran festgenagelt. Ihre Gedanken spulten zum hundertsten, tausendsten Mal die Bilder vor ihrem geistigen Auge ab, die sie für die schönsten ihrer gemeinsamen Jahre hielt. Eine nicht enden wollende Videoaufnahme in 3D.

Wie in Trance erhob sie sich mit all den anderen zum Gebet, setzte sich wieder, bewegte eher die Lippen als sie die Texte sang, die sie von dem Zettel in ihrer Hand ablas und hoffte, dass bald alles vorbei sei.

Irgendwann traten sechs uniformierte Männer an den Sarg, verbeugten sich, hoben ihn an und trugen ihn an der Trauergemeinde vorbei ins Freie. Elisabeth, ihre Stiefsöhne und all die anderen folgten dem Verblichenen bis zur schwarzen Limousine, mit der der Eiserne ins Krematorium gebracht werden sollte. Lange noch sah Elisabeth dem Wagen nach, sah wie er am Ende des geteerten Weges durch das geschmiedete Tor auf die Straße rollte und nach rechts abbog, um in dem fließenden Strom vorbeifahrender Fahrzeuge abzutauchen. Kira, die Verlobte von Ernst und Elisabeths Schwiegertochter Anette hatten sich bei ihr eingehakt und schoben sie nun behutsam zur Seite. Keine Zeit für Tränen, keine Zeit zum Abschied nehmen.

Thomas und Anette waren seit drei Jahren verheiratet. Kinder gab es keine, obwohl sich Heinz immer Enkel gewünscht hatte. Für den sechsunddreißigjährigen Thomas war dies allerdings noch keine Option. Eins nach dem anderen, vertröstete er seinen Vater stets, ohne viele Worte. Für Kira hingegen, die seit knapp zwei Jahren zu dem zwei Jahre jüngeren Ernst gehörte, gab es da kein Vertun. Sie wollte Kinder, viele und die so bald wie möglich. Warum es nicht so recht klappte, war ein offenes Geheimnis, an welches sie ihren Verlobten nur allzu gern erinnerte.

„Im Namen meiner Familie möchte ich Sie nun noch auf einen kleinen Snack im Kaffeehaus einladen“, verkündete Thomas all jenen, die bereits darauf gewartet hatten. Fell versaufen, nannte Heinz diese Sitte zu Lebzeiten verächtlich. „Wir würden uns freuen, wenn Sie diese kleine Geste unserer Dankbarkeit annehmen würden“, fügte Thomas überzeugend hinzu. Eine Gabe, die er von seinem Vater geerbt hatte. Sonst allerdings war er hinter dessen Erwartungen zurückgeblieben. Der Tross der Hungrigen setzte sich in Bewegung, schob sich langsam dem Ausgang mit dem geschmiedeten Tor entgegen. Wann fand dieser entsetzliche Traum sein Ende? Elisabeth hätte alles darum gegeben, dieses Drama hinter sich zu lassen, aufzuwachen und alles so vorzufinden, wie es noch vor wenigen Tagen war, doch dieser Alb würde erst enden, wenn sie denselben Weg wie Heinz gegangen war.

Wie nach Beerdigungen gemeinhin üblich, wurden bei der anschließenden Trauerfeier alte Geschichten und lustige Anekdoten aus dem Leben des Verstorbenen erzählt. Nach jedem dieser Historien wurde auf den Verblichenen angestoßen. Die Devise lautete die Gesellschaft aufzuheitern, koste es auch den letzten Anstand.

Irgendwann konnte es Elisabeth nicht mehr ertragen. „Würdest du mich bitte nach Hause bringen, Peer?“, bat sie den jüngsten Sohn des Verstorbenen. „Gern. Ich hatte mich schon gefragt, wie lange du dieses Theater noch aushältst.“ Ihre Antwort lag in dem Blick begründet, den sie Peer zuwarf. „Ich hasse diese Heuchler“, ereiferte sich Peer. „Hier tun sie so, als seien sie Vaters beste Freunde gewesen, aber zu seinen Lebzeiten hätten sie ihm am liebsten das Fell über die Ohren gezogen.“ „Dieser Tag gehört allein deinem Vater und nicht denen, die am lautesten nach ihm schreien.“

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23:45 Uhr, Abbruch Observation, Zielperson begibt sich zu Bett, schrieb ich in mein schlaues Büchlein. Wie groß das Misstrauen mancher Menschen sein muss, um den daheim zurückgelassenen Gatten von einem Detektiv bespitzeln zu lassen. Sei es drum, im Moment waren es genau diese Fälle, die einen Großteil meiner Aufträge ausmachten. Nicht gerade das, was ich mir bei der Gründung meiner Detektei vorstellte, aber mittlerweile mein tägliches Brot. Abgesehen davon war alles besser, als weiterhin in den engen Grenzen arbeiten zu müssen, die einem Kriminalhauptkommissar auferlegt werden. Insofern hatte ich meinen Entschluss, die sichere Pension an den Nagel zu hängen nicht bereut.

Bevor ich meinen Posten aufgab, musste ich sicher sein, dass mich meine Zielperson nicht täuschte. Ich ließ also den Motor meines Wagens an und fuhr davon. Natürlich nur bis zur nächsten Ecke, wo ich meinen Skoda wieder parkte und mit eiligen Schritten vor das Haus der Zielperson zurückkehrte. Hinter den Fenstern blieb nach wie vor alles dunkel und auch sonst schien sich nichts im Haus zu rühren. Ich verharrte noch einige Zeit in meinem Versteck und wartete ab. Just in dem Moment in dem ich mich auf den Weg zu meinem Wagen machen wollte, näherten sich zwei Scheinwerfer. Ein quittegelber Sportwagen stoppte vor dem Haus und so als hätte ich geahnt, was nun kommen musste, eilte der Mustergatte meiner Auftraggeberin aus dem Haus. Ich hielt meine Nikon im Anschlag, feuerte eine ganze Serie von der wie ein Gigolo ausstaffierten Zielperson und nahm den Finger erst dann wieder vom Auslöser, als der Gute auf dem Beifahrersitz des Sportwagens verschwand.

Trotz der Dunkelheit hatte ich, dank Restlichtverstärker, einige eindeutige Fotos geschossen. Auch wenn ich dem davonbrausenden Paar nicht folgen konnte, rechtfertigten die Bilder allein schon das Misstrauen meiner Auftraggeberin. Geduld und Zähigkeit hatten sich also wieder einmal als recht nützliche Eigenschaften erwiesen. Da ich den ganzen Tag auf den Beinen war, spürte ich wie die Müdigkeit allmählich in meine Knochen kroch. Zufrieden mit der Ausbeute des Abends lenkte ich meinen Wagen heimwärts. Die Vorfreude auf ein heißes Bad und ein anschließendes weiches Bett verlieh meinem Skoda Flügel. Nur noch die Treppe hinauf, den Schlüssel im Schloss gedreht und dann die Mühen des Tages hinter mir lassen, dachte ich, doch was zum Henker war das?

„Überraschung!“, grölte eine wildgewordene Rasselbande. Ich stand vor ihnen wie jemand, dem man gerade den Boden unter den Füßen wegzog. „Hallo“, sagte ich nicht so recht wissend, wie mir geschah. Dementsprechend dämlich schaute ich offensichtlich aus der Wäsche. „Hast du schon mal auf die Uhr gesehen?“, kam Miriam lachend auf mich zu. „Ich fürchte, ich kann dir nicht ganz folgen.“ „Ja, hast du denn dein Geburtstag vergessen?“ „Es sieht ganz so aus“, erwiderte ich perplex. „Leute, stellt euch vor“, rief meine Lebensabschnittsgefährtin in die Runde, „…er hat tatsächlich seinen Geburtstag vergessen.“

„Gib es zu, Miriam, dass alles hier habe ich doch sicher dir zu verdanken?“ „Ich bekenne mich schuldig“, lachte meine Staatsanwältin beschwipst. „Und das im Sinne der Anklage“, fügte meine extrovertierte Putzsekretärin lallend hinzu. „Ihr scheint ja bereits seit einiger Zeit zu feiern“, stellte ich amüsiert fest. „Ich freue mich über die tolle Überraschung, die ihr mir mit eurem Kommen bereitet habt“, bedankte ich mich gerührt. „Wie habt ihr es nur angestellt, dass sich Trude nicht bei mir verplappert hat?“ „War nicht leicht“, rief eine Stimme aus dem Hintergrund. Klar, dass sie zu meinem Freund Jogi gehörte. Erst nach und nach stellte ich fest, wer alles unter den Gratulanten war. Rechtsanwalt Börner war ebenso gekommen, wie Jogis Kollegin Gesine Hoffmeister, Rechtsmediziner Ruprecht Ramsauer, Hauptkommissar Kleinschmidt und sein Kollege Tim Sinner. Ganz besonders freute ich mich über Monikas erscheinen. Die ehemalige Caféhausbedienung und liebe Freundin war mit ihrer inzwischen noch hübscher gewordenen Tochter Suhela gekommen. Gernot Räuber und Marlies Knoop von der Spurensicherung waren natürlich ebenfalls mit von der Partie.

All die Müdigkeit und der Wunsch nach Entspannung waren wie weggeblasen. All die kleinen Geschichten, die mich bislang durch mein Leben begleitet hatten, waren wieder so präsent als seien sie gerade erst geschehen. All die brenzligen Fälle, die ich mittlerweile als Detektiv bearbeitet hatte. Und dann waren da ja noch die kleinen absonderlich Abenteuer mit meinen vierbeinigen Freunden, die Jogi ganz besonders heiter zu erzählen vermochte. Heute machte es mir nichts aus, wenn sich meine Freunde darüber amüsierten, denn heute konnte ich selber darüber lachen. Die Sonne war längst aufgegangen, als der letzte Gast meine Wohnung verließ. Es war die schönste Geburtstagsfeier, die ich je hatte.

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Der Familiensitz an Rande von Mascherode war ein spätgotischer Kalksandsteinbau aus der Gründerzeit. Bereits seit Genrationen im Besitz der Rommerskirchs hatte das alte Gemäuer eine recht wechselhafte Vergangenheit hinter sich. Herrliche Bälle, rauschende Feste, bittersüße Intrigen und die Beschlagnahmung durch alliierte Truppen. Zum Kriegsende folgte die Einquartierung von Soldaten, später die von Flüchtlingen aus den verlorenen Gebieten im Osten. Dies waren nur einige Stationen einer bewegten Geschichte.

„Bist du soweit, Elisabeth?“, erkundigte sich Anette. „Der Termin bei Doktor Bernadi ist in einer Stunde.“ „Ja, ja, mach dir keine Sorgen, ich brauche nur noch meinen Mantel.“ Kurz darauf hatte Thomas den Wagen vorgefahren. Ernst und Kira saßen bereits auf im Fond. Sie führten eine lebhafte Unterhaltung, so wie meistens, wenn sie länger als eine Stunde beisammen waren. Als Anette die Tür der Beifahrerseite öffnete, um Elisabeth beim Einstieg behilflich zu sein, erstarb das Streitgespräch.

„Hoffentlich ist unser werter Herr Bruder heute mal pünktlich“, gab Thomas sein Bedenken zum Ausdruck. „Peer weiß um was es geht“, sprang ihm Elisabeth zur Seite. „War ja klar, dass du ihn wieder in Schutz nimmst“, ereiferte sich Ernst. „Nun wartet doch erst einmal ab!“, fuhr Anette genervt dazwischen. „Wenn er nicht kommt, können wir uns immer noch Gedanken machen.“

Die Kanzlei von Familienanwalt und Notar Doktor Bernadi befand sich nur wenige Autominuten von der Villa der Rommerskirchs entfernt auf dem Bohlweg gegenüber den Schlossarkaden. Die Plan und Bau GmbH hatte maßgeblich am Bau des Einkaufsparadieses im Herzen der Braunschweiger City mitgewirkt. Ein Privileg, der dem Renommee des Unternehmens mehr als dienlich war. Heinz hatte einmal mehr eine gute Nase bewiesen, als er das Angebot in seiner Ausschreibung so tief angesetzt hatte, dass für die Firma unter dem Strich kaum etwas hängen blieb. Es waren die Folgeaufträge, auf die er es von vornherein abgesehen hatte.

„Und, seht ihr Peer hier vielleicht irgendwo?“, fühlte sich Kira in ihrer Einschätzung bestätigt. „Nun lass uns erst einmal einen Parkplatz finden und den Wagen abstellen“, beschwichtigte Thomas. „Vielleicht trifft er ja bis dahin ein.“ „Das glaubst du doch wohl selber nicht“, beharrte Kira. „Sag du doch auch mal was, Ernst!“ „Von deinem ewigen Gezeter wird's auch nicht besser.“ „Pah!“, reagierte Kira in der für sie üblichen Weise. „Ich stehe mir jedenfalls vor der Kanzlei nicht die Beine in den Bauch.“ Elisabeth verdrehte seufzend die Augen. „Er ist sicherlich schon hineingegangen.“

Nach einiger Zeit des Suchens fand sich schließlich, ganz in der Nähe zur Kanzlei, ein freier Parkplatz. „Wollten wir uns nicht unten treffen?“, konnte Kira ihre Stichellein gegen Peer auch während des Eintretens nicht unterlassen. „Wenn ich es richtig sehe, habt ihr euch verspätet“, entgegnete Peer gelassen. „Wenn die Herrschaften jetzt vollzählig sind“, unterbrach eine der Bürokräfte des Notars die angespannte Atmosphäre, „…darf ich Sie nun in das Büro von Herrn Doktor Bernadi bitten.“

„Ich darf Ihnen zu aller erst mein aufrichtiges Mitgefühl aussprechen“, begrüßte der Notar die Hinterbliebenen. „Es tut mir ausgesprochen leid, Herr Rommerskirch war mehr als ein Mandant für mich.“ Elisabeth nickte dem Juristen dankbar zu. „Ich danke Ihnen, Doktor Bernadi.“ „Darf ich Ihnen etwas anbieten? Vielleicht einen Kaffee, einen Cognac oder etwas anderes?“ „Es wäre nett, wenn Sie endlich beginnen würden“, konnte Thomas seine Anspannung nicht länger verbergen. Bernadi versuchte sich sein Entsetzen nicht anmerken zu lassen, doch der Ausdruck in seinem Gesicht wechselte von freundlich distinguiert in gespannt pikiert.

„Sie müssen sich leider noch ein wenig gedulden, da wir noch nicht vollzählig sind“, erwiderte Bernadi geheimnisvoll. „Was soll das?“, ereiferte sich nun auch Ernst. „Die Familie ist vollzählig.“ „Das ist zwar korrekt, aber dennoch sind nicht alle Erben anwesend.“ Die Rommerskirchs sahen einander fragend an. „Weißt du etwas von einem weiteren Erben?“, erkundigte sich Anette bei ihrer Schwiegermutter. Die in diesem Augenblick eintretende Person machte eine Antwort überflüssig. Bernadi begrüßte die junge Frau freundlich lächelnd. „Schön, dass Sie es doch noch geschafft haben.“ „Es tut mir Leid, wenn Sie meinetwegen warten mussten“, entschuldigte sich die attraktive Rothaarige. „Mein Auto ist schon etwas betagt, da kann schon mal was kaputt gehen.“ „Können wir jetzt endlich anfangen?“, riss Thomas allmählich der Geduldsfaden. „Ich benötige nur noch den Ausweis von Frau Reitmeier.“

„Kommen wir nunmehr also zur Testamentseröffnung“, erklärte Bernadi feierlich, nach dem er alle Formalien erledigt hatte. „Hiermit verfüge ich, Heinz Rommerskirch, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, das meine geliebte Ehefrau, Elisabeth Rommerskirch, geborene Schneegans mein gesamtes Barvermögen, meine Anteile an den Bayrischen Motorenwerken und die Familienvilla erhalten soll.“ „Das kann nicht sein!“, unterbrach Thomas die Verlesung des Testaments. „Vater hatte immer davon gesprochen, dass ich die Aktien erhalten sollte.“ „Ha, dass ich nicht lache, er hat die Papiere mir versprochen!“, hielt es Ernst vor lauter Wut nicht mehr auf seinem Platz. „Ich darf Sie doch wohl sehr bitten!“, rief Bernadi zur Ruhe. „Nachdem ich das Testament verlesen habe, bekommt jeder von Ihnen eine Abschrift, um sich persönlich vom letzten Willen des Verstorbenen zu überzeugen, aber bis dahin, darf ich Sie um Zurückhaltung ersuchen.“

„Ferner erhält Frau Susanne Reitmeier eine monatliche Apanage, von zweitausend Euro, die von einem Konto mit gleichem Namen bei der Deutschen Bank getragen wird.“ Ein Raunen ging durch das Konferenzzimmer des Notars. Nur Elisabeth konnte sich ein gewisses Schmunzeln nicht verkneifen. „Kommen wir nun zu den Söhnen des Verblichenen“, fuhr Bernadi fort. „Meinen geliebten Söhnen, Thomas, Ernst und Peer vermache ich die Plan und Bau GmbH zu jeweils gleichen Teilen.“

Die Brüder sahen sich einen Moment lang sprachlos an. „Aber wie soll das funktionieren?“, fasste sich Thomas als erster. „Ganz einfach“, grinste Peer, „…ich mache den stillen Teilhaber und komme nur jeden Ersten im Monat vorbei, um meinen Check abzuholen.“ „Da muss ich Sie enttäuschen“, schaltete sich der Notar ein. „Es gibt eine Klausel, die besagt, dass nur derjenige von Ihnen erbt, der sich an der Führung des Unternehmens maßgeblich beteiligt.“

„Das kann doch alles nicht wahr sein“, schüttelte Kira fassungslos den Kopf. „Ich werde dieses Testament anfechten!“, drohte Thomas verbittert. „Der Alte kann doch nicht bei Sinnen gewesen sein, als er diesen Blödsinn zu Papier brachte.“ „Ich fürchte, auch da muss ich Sie enttäuschen“, hakte Bernadi entschlossen ein. „Als Ihr werter Herr Vater das Testament aufsetzte, waren zwei Zeugen zugegen. Zum einen Herr Doktor Michallik, ein angesehener Neurologe und Herr Doktor Fuchs, seines Zeichens Psychologe am Marien Stift.“

„Euer Vater war es einfach leid, zu sehen, dass ihr euch nicht wie Brüder sondern wie Feinde benahmt“, meldete sich Elisabeth zu Wort. „Entweder ihr werdet lernen, miteinander auszukommen, oder…“ Sie zögerte. „Oder?“, hing Kira an ihren Lippen. „Oder ihr geht mit samt der Firma in den Ruin.“ „Das wird ganz sicher nicht geschehen“, nahm Thomas die Herausforderung trotzig an. „Wir sind vielleicht nicht immer einer Meinung und haben auch sonst so unsere kleinen Differenzen, aber in der Sache sind wir Brüder.“ „Blut ist bekanntlich dicker als Wasser“, pflichtete ihm Ernst bei. „Steht sonst noch etwas im Testament?“, erkundigte sich Peer. „Allerdings“, fuhr der Notar fort. „Sollte einer meiner Söhne aufgeben, fällt dessen Anteil seinen im Unternehmen verbliebenen Brüdern zu.“

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„Es ist wirklich nett von Ihnen, dass ich so lange hier bleiben kann, bis mein Auto repariert ist.“ „Aber das ist doch selbstverständlich, Frau Reitmeier.“ „Sie können aber ruhig Susanne zu mir sagen, Frau Rommerskirch.“ „Gern, aber dann nennen Sie mich bitte Elisabeth.“ „Kein Problem“, freute sich die Rothaarige. „Setzen wir uns doch in den Wintergarten“, schlug Elisabeth vor, „…und dann erzählen Sie, ich meine, dann erzählst du mir ein wenig von dir.“

Ludmilla stand seit etwa drei Jahren in den Diensten der Familie Rommerskirch. Sie hielt die gemeinschaftlich genutzten Räume in der Villa sauber, kochte das Essen und umsorgte Elisabeth ein wenig. Während sich die beiden Frauen im Wintergarten unterhielten, servierte ihnen die Vierundvierzigjährige Kaffee und frisch gebackenen russischen Zupfkuchen.

„Seit wann weist du von meiner Existenz?“, brachte es Susanne ohne Umschweife auf den Punkt. „Dein Vater hat es mir noch vor unserer Heirat gebeichtet.“ „Ich weiß leider erst seit dem Brief vom Notar von meinem Vater. Meine Mutter hat mich all die Jahre belogen. Ich war immer der Annahme, dass er bei einem Unfall ums Leben kam, als ich noch sehr klein war.“ „Das war die Bedingung, die er deiner Mutter stellte. Du musst wissen, dass du bei einem Seitensprung gezeugt wurdest, von dem seine Söhne nichts wissen sollten.“

„Ehrlich gesagt, habe ich lange mit mir gerungen, ob ich überhaupt nach Braunschweig zur Testamentseröffnung kommen sollte. Letztendlich habe ich mich gefragt, wer mein Vater eigentlich war, wie er lebte und weshalb er mir etwas hinterließ. Ablehnen kann ich das Erbe letztendlich immer noch.“ „Was du dir gut überlegen solltest“, gab Elisabeth zu bedenken. „Schließlich steht dir das Erbe zu.“ „Nun ja, ich könnte das Geld wirklich gut gebrauchen. Mein Studium wäre um einiges entspannter zum Abschluss zu bringen.“ „Du studierst also“, griff Elisabeth den Faden auf. „Verrätst du mir, in welche Fachrichtung du gehst?“ „Klar“, zuckte Susanne mit den Schultern, „…ist ja kein Geheimnis. Ich studiere Ägyptologie.“ „Oh, alle Achtung, Respekt! Wie kommst du ausgerechnet auf ein so spezielles Studium?“ „Zum bestandenen Abi bekam ich von meiner Mutter eine Reise nach Ägypten geschenkt. Ich habe mich sofort in dieses Land und in seine Geschichte verliebt.“ „Es ist schön, wenn das Leben sein Schicksal selbst bestimmt.“

„Was will die denn noch hier?“, platzte Thomas in die Unterhaltung. „Reicht es nicht, dass sie sich von einem Toten aushalten lässt?“ „Ich verbiete dir in diesem Ton von Susanne zu sprechen. Immerhin seid ihr Geschwister!“ „Bestenfalls Halbgeschwister!“, erwiderte der drahtige Mitdreißiger mit abfälliger Geste. „Lass nur, Elisabeth, ich kann ihn sogar ein Stück weit verstehen.“ „Ach, die Damen sind bereits beim Du“, stellte Thomas nun noch ärgerlicher fest. Fühlte er sich doch durch Susannes verständnisvolle Art geradezu brüskiert. „Deine Halbschwester wird solange mein Gast sein, bis ihr Auto repariert ist und wenn sie mag, auch länger!“, erklärte Elisabeth ihrem Stiefsohn unmissverständlich. „Wie du weißt, gehört dieses Haus nun mir“, schob sie mit einem gewissen Schmunzeln nach. „Das wird sich erst noch erweisen müssen“, entgegnete Thomas trotzig, während er wütend den Wintergarten verließ.

„War das Verhältnis zwischen euch schon immer so frostig?“, erkundigte sich Susanne besorgt. „Eigentlich nicht. Natürlich konnte ich niemals die Rolle ihrer Mutter ausfüllen, dafür waren die Jungs bei unserer Hochzeit sicherlich schon zu alt, aber diese Absicht hatte ich auch nie. Ich wollte ihnen immer nur eine gute Freundin und Vertraute sein.“ „Was dir offensichtlich nur bedingt gelang“, brachte es Susanne auf den Punkt. „Zumindest was Ernst und Thomas betrifft“, räumte Elisabeth schweren Herzens ein. „Darf ich dir nachschenken?“ „Ja, gern. Eine Tasse nehme ich noch.“ „Peer hat mich zumindest als die Frau an der Seite seines Vaters akzeptiert“, fuhr Elisabeth fort. „Er ist ohnehin völlig aus der Art geschlagen.“ „Wie meinst du das?“, hakte Susanne gespannt nach. „Nun ja, während sich seine Brüder voll und ganz auf das Materielle konzentrieren und damit ihrem Vater nacheiferten, interessiert sich Peer für die Kunst.“ „Aha“, reagierte die Studentin überrascht. „Er baut Skulpturen aus so ziemlich allem was er im Schrott findet, malt Aquarelle und Ölbilder. Bislang zwar noch ohne großen Erfolg, aber ich traue ihm irgendwann den Durchbruch zu.“

Susanne setzte ihre Kaffeetasse ab und lehnte sich zurück. „Nimm dir doch noch etwas von dem Kuchen. Ludmilla würde sich darüber freuen. Die gute Seele verwöhnt mich nur allzu gern.“ Die Rothaarige hob abwehrend die Hände. „Beim besten Willen, aber wenn ich noch ein Stück von diesem leckeren Zupfkuchen esse, platze ich.“ „Ach, übertreib mal nicht, bei deiner Figur kannst du es dir doch locker leisten.“ „Och, die ist mir eh egal, ich bin einfach nur satt.“ Elisabeth klatschte vergnügt in die Hände. Sie mochte die lässige Art, in der sich Susanne ausdrückte und sie mochte ihre Offenheit.

„Du lebst und studierst also in Berlin, wenn ich Doktor Bernadi vorhin richtig verstanden habe.“ „So ist es. Ich wohne in einer WG und das Studium finanziere ich mir mit einem Job in einem Bistro.“ „Na ja, das brauchst du nun nicht mehr.“ Susanne wog den Kopf skeptisch hin und her. „Über die Brücke gehe ich erst, wenn ich das Geld tatsächlich auf meinem Konto weiß. Außerdem kann ich Matze nicht hängen lassen.“ „Matze ist der Wirt?“, erkundigte sich Elisabeth. „Wirt?“, amüsierte sich Susanne. „Ich glaube, das hat er auch noch nicht gehört.“

„Ich finde es gut, dass du deinen Pflichten nachkommen willst, aber denk bitte auch an dich. Wenn du nicht mehr arbeiten musst, kannst du dich viel besser auf dein Studium konzentrieren und mich ab und an besuchen.“ „Warum nicht“, freute sich die Studentin über die Einladung. „Allzu weit weg ist Berlin ja nicht.“ „Wenn ich mich recht erinnere, lebst du doch eigentlich mit deiner Mutter in Regensburg.“ „Stimmt“, bestätigte Susanne. „Ich nehme an, du musstest wegen deines Studiums nach Berlin ziehen?“ „In München gab es leider keinen Platz mehr, da blieb mir nichts anderes übrig.“ „Du vermisst sie sicherlich sehr“, vermutete Elisabeth. „Na ja, es hält sich eher in Grenzen“, relativierte Susanne. „Seit sie ihren neuen Typen hat, gibt es oft Stress. So gesehen, bin ich gar nicht so traurig in Berlin zu studieren.“ Elisabeth zeigte sich sichtlich betroffen. „Das tut mir wirklich sehr leid.“ Susanne winkte ab. „Das braucht es nicht, wir hatten ohnehin nicht die beste Beziehung. Für meine Mutter war ich nie mehr als der Goldesel.“ „Ich verstehe“, seufzte Elisabeth betrübt, während sie die Hand ihrer Stieftochter ergriff. „Hier bei mir bist du immer willkommen.“

Natürlich hatte Heinz all die Jahre Unterhalt für seine uneheliche Tochter gezahlt. Das hörte auch mit Susannes Volljährigkeit nicht auf. Offensichtlich war jedoch das wenigste von dem Geld dem eigentlichen Zweck seiner Bestimmung zugeführt worden. Elisabeth spürte, dass sie einiges von dem was Heinz all die Jahre versäumt hatte, in der Zukunft auf andere Weise wieder gut machen musste.

„Erzähl mir von dir“, bat sie Susanne wissbegierig. „Hast du einen festen Freund?“ Die Rothaarige lachte überrascht. „Na, du bist ja gar nicht bange.“ „Oh entschuldige“, erschrak Elisabeth über sich selbst. „Ich wollte dir nicht zu nahe treten.“ „Ach Quatsch“, winkte die vierundzwanzigjährige ab. „Ich bin es nur nicht gewohnt, dass sich jemand so sehr für mich interessiert. Bis jetzt gab es noch niemand von dem ich hätte sagen können, dass er der richtige ist.“ „Vielleicht bist du ja auch etwas zu anspruchsvoll. Männer muss man formen, sie sind wie ein Paar Schuhe, die noch eingelaufen werden müssen.“

Susanne verschluckte sich an dem Kaffee, den sie gerade trank. „Elisabeth du bist klasse!“, lachte sie so herzlich wie schon lange nicht mehr. „Ich werde dich ganz sicher öfter besuchen.“ „Ich würde mich sehr darüber freuen, mein Kind.“

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„Seit wann weißt du von diesem Fräulein Reitmeier?“, stellte Thomas seine Stiefmutter zur Rede. „Bitte nicht so laut, Susanne könnte dich hören.“ „Das ist mir gelinde gesagt scheißegal!“, erregte sich der älteste der Brüder. „Dein Vater hat es mir bereits vor unserer Hochzeit gesagt. Wir wollten keine Geheimnisse voreinander haben.“ „Ach ja, aber meine Mutter, die konnte er belügen und betrügen!“ „Er wollte eurer Mutter nicht wehtun“, versuchte Elisabeth zu erklären. „Du weißt selbst wie krank sie war.“ Thomas schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf. „Wie konnte er uns nur so hintergehen?“ „Dein Vater hatte Angst, dass ihr ihn für diesen Seitensprung verachten würdet.“ „Und ich sah immer zu ihm auf, bewunderte ihn für seine Stärke“, lachte Thomas bitter, „…und in Wirklichkeit war er nichts als ein erbärmlicher Waschlappen.“ „Ich verbiete dir, in dieser Weise von deinem Vater zu sprechen!“, erregte sich Elisabeth. „Er hat sicherlich nicht alles richtig gemacht, aber eine solche Reaktion hat er gewiss nicht verdient. Euer Vater hat sowohl euch als auch eure Mutter geliebt.“ „Das sehe ich“, erwiderte Thomas zynisch. „Wer weiß schon wie viele Bastarde da draußen noch herumlaufen?“

Elisabeth rang fassungslos nach Luft. Auch wenn sie die Haltung ihres verstorbenen Mannes nicht guthieß, so respektierte sie diese. Niemals hatte sie eine so heftige Reaktion von Thomas erwartet. Offensichtlich war Heinz gut beraten, sein Geheimnis mit ins Grab zu nehmen.

„Ich verstehe nicht, wie er meiner Mutter so etwas antun konnte?“, wollte sich Thomas nicht beruhigen. „Wenn sie etwas von diesem Betrug wusste, brauche ich mich nicht wundern, weshalb sie keine Kraft hatte, gegen ihren Krebs anzukämpfen!“ Elisabeth merkte sehr schnell, auf was Thomas hinauswollte. „Glaube mir, sie ahnte nichts von diesem Ausrutscher.“ „Das sagst du doch nur, weil du meinen Vater in Schutz nimmst“, ließ sich der Bauunternehmer nicht von seiner Meinung abbringen. „Für mich ist klar, dass er meine Mutter auf dem Gewissen hat.“

Die Witwe erhob sich. „Diesen Blödsinn muss ich mir nicht länger anhören. Ich kann verstehen, dass du traurig bist, aber zunächst solltest du dich erst mal beruhigen und dann deine Gedanken wieder in Ordnung bringen. Bis dahin möchte ich in Ruhe um deinen Vater trauern können.“ Bevor Thomas weitere Worte folgen lassen konnte, verließ Elisabeth den Raum.

Der Zurechtgewiesene schnaufte einige Male tief durch, lehnte sich in seinem Sessel zurück und grinste zufrieden. „ Dies meine Liebe war des Dramas erster Akt. Fürs Erste ist der Vorhang gefallen, aber sei versichert, schon bald wird es eine Fortsetzung geben.“

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„Dieses Testament ist doch eine einzige Farce“, erregte sich Kira. „Ich hatte dem Alten ja so einiges zugetraut, aber dass er Elisabeth die gesamte Kohle und noch dazu die Villa hinterlässt, ist ein starkes Stück“, pflichtete ihr Ernst bei. „Ich habe mich bereits mit einem befreundeten Anwalt in Verbindung gesetzt und ihm den Fall geschildert“, erklärte Thomas. „Er prüft, ob es eine Möglichkeit gibt, das Testament anzufechten.“ „Glaubst du allen Ernstes, dein Vater hätte sich dahingehend nicht abgesichert?“, gab Anette zu bedenken. „Heinz war ein Fuchs, wenn es sich um Verträge und Dokumente handelte.“

Thomas schlug mit der Faust auf den Tisch. „Meinst du, das weiß ich nicht, aber willst du diese Schweinerei widerstandslos hinnehmen?“ „Ich fürchte, euch wird nichts anderes übrig bleiben“, relativierte Anette realistisch. „Ihr solltet eure Kraft auf die Dinge konzentrieren, die ihr beeinflussen könnt.“ „Ach, du sprichst wohl von dieser kleinen Erbschleicherin?“, besann sich Kira auf den unerwarteten Familienzuwachs.“ Anette winkte genervt ab. „Ich meinte eigentlich die Firma. Ihr solltet euch Gedanken machen, wie ihr sie zusammen führen wollt.“ „Ich denke, diese Angelegenheit solltest du besser deinem Mann und uns überlassen“, erregte sich Ernst. „Vielleicht gehst du lieber mit Kira ein wenig shoppen?“ „Na, das lassen wir uns ja wohl nicht zweimal sagen, nicht wahr Anettchen?“, griff Kira die Steilvorlage ihres Liebsten auf. „Was solls“, schüttelte Anette eingeschnappt den Kopf, „…wenn unsere Meinung hier nicht erwünscht ist…“

„So weit kommt es noch“, konnte sich Ernst nur allmählich wieder beruhigen. Die beiden Frauen hatten den Raum gerade verlassen. „Ehe du dich versiehst, werden wir zu Marionetten in ihren Händen.“ „Na, da gehören dann wohl immer noch zwei zu“, relativierte Thomas die Worte seines Bruders. „Ich schätze es, wenn Anette ihre Meinung hat.“ „Von mir aus kann Kira so viele Meinungen haben, wie sie will, wenn sie diese nur für sich behält.“ Thomas legte seine Hand auf die Schulter seines Bruders. „Sag mal, du bist ja ein richtiger Macho.“ Ernst grinste breit. „Man muss sich ja nun nicht alles bieten lassen.“

Thomas erhob sich, durchschritt den sonnendurchfluteten Raum und bediente sich an der Bar. „Wie auch immer, so ganz unrecht haben unsere Frauen nicht. Wir sollten uns wirklich allmählich Gedanken darüber machen, wie wir das Unternehmen in Zukunft gemeinsam führen wollen.“ „Na, wie schon? Du kümmerst dich wie bisher um die Baustellen und ich um das Kaufmännische und die Akquise .“ „Du vergisst unser Bruderherz. Ich glaube nicht, dass er auf seinen Anteil verzichtet.“ „Du weißt ebenso gut wie ich, dass er keinen blassen Dunst von dem hat, was in der Firma vor sich geht.“ „Du weißt, welche Bedingung der Alte in seinem Vermächtnis genannt hat“, erinnerte Thomas. „Wenn sich Peer nicht beteiligt, ist sein Erbe futsch.“ „Na und?“, grinste Ernst verschwörerisch. „Umso mehr bleibt für uns.“

Thomas leerte nachdenklich sein Glas. „Wie gesagt, Peer wird nichts anderes übrig bleiben.“ „Na schön, wenn er sich unbedingt an der Unternehmensführung beteiligen will, geben wir ihm halt einen Job, an dem er sich die Zähne ausbeißt“, überlegte Ernst. „Was bist du nur für ein hinterhältiger Mistkerl, lieber Bruder.“ „Wenn ich mich recht erinnere, hasst unser verehrter Herr Bruder alles was mit Buchhaltung zu tun hat.“ „Dann trittst du am besten die Angebotsberechnung an ihn ab“, schlug Thomas seinem Bruder vor. „Du weißt schon, welches Risiko wir damit eingehen?“, gab Ernst zu bedenken. „Klar, deshalb werden wir Peer nur fingierte Aufträge zuschieben. Wir werden ihm derart schwierige Berechnungen aufhalsen, dass er sich so schnell als möglich in sein Atelier zurückwünscht. Schließlich soll er ja nicht auch noch Spaß an der Arbeit haben.“

Die Brüder besiegelten ihren Packt mit einem kräftigen Handschlag. „Und wie geht es weiter, wenn Peer die Segel gestrichen hat?“, wollte Ernst wissen, während er die Hand seines Bruders noch in der seinen hielt. „Werden wir uns dann ebenso bekriegen?“ „Wenn dir die Hälfte der Firma reicht, sollten wir kein Problem haben“, erwiderte Thomas selbstbewusst. „Was mich angeht, sehe ich da keine Schwierigkeit.“ Thomas zog seine Hand zurück. „Na, dann ist es ja gut.“

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„Wenn ich es Ihnen doch sage“, bekundete ich die Aufrichtigkeit meiner Worte. „Nachdem ich davon gefahren war, dauerte es nicht lange, bis der besagte Sportwagen vor Ihrem Haus vorfuhr und Ihr Mann auf dem Beifahrersitz Platz nahm.“ Ich legte die entsprechenden Fotos vor und erklärte sie. „Verstehen Sie mich richtig, Herr Lessing, aber aus diesen Fotos geht beim besten Willen nicht hervor, ob die Verabredung meines Mannes harmloser Natur war.“ Ich hatte befürchtet, dass die vorgelegten Bilder nicht ausreichend waren, um meine Auftraggeberin von der Untreue ihres Gatten zu überzeugen.

„Ich hätte Ihnen die folgenden Fotos gern erspart“, seufzte ich. „Ach, Herr Lessing, eine Frau wie mich kann nichts so leicht erschüttern.“ Als Besitzerin und Leiterin einer bekannten Werbeagentur gehörte meine Klientin sicher in die Kategorie sturmerprobter Karrierefrauen und war somit einiges gewohnt, aber menschliche Tiefschläge sind auch von starken Persönlichkeiten nicht mal eben so einfach wegzustecken. „Wie Sie meinen.“

Nach und nach breitete ich kommentarlos die Fotos aus, die ich am Tag meines Geburtstages heimlich im Haus meiner Auftraggeberin geschossen hatte. Selbst vor dem ehelichen Schlafzimmer hatte der muntere Gigolo nicht Halt gemacht. Genau dieser Umstand war es dann, der die taffe Unternehmerin nicht länger hart bleiben ließ. „Dieser verdammte Mistkerl!“, fluchte sie haltlos. „Und ich dachte, Piere wäre anders.“ Eine solche Situation erlebe ich nicht zum ersten Mal und doch ist sie für mich stets alles andere als angenehm. „Also wollte er doch nur mein Geld!“ „Vielleicht war es ja nur ein einmaliger Ausrutscher?“, versuchte ich die Situation zu entschärfen. „Sie sind sehr rücksichtsvoll, Herr Lessing“, entgegnete die Unternehmerin, „…aber einem Mann, der mich einmal betrogen hat, kann ich nie wieder vertrauen. Kennen Sie einen guten Scheidungsanwalt?“

Natürlich fiel mir sofort Christoph Börner ein. Ich konnte bereits gelegentlich für ihn arbeiten, was mir ein ums andere Mal aus finanziellen Engpässen half. Wenn ich ihm nun meine Klientin vermittelte, konnte ich mich zumindest ein wenig revanchieren. Ich schob ihr also seine Visitenkarte über den Schreibtisch und lobte meinen Freund in den höchsten Tönen. „Sie haben Ihre Sache ausgezeichnet gemacht, Herr Lessing. Ich bin mit Ihrer Arbeit sehr zufrieden.“ Meine Auftraggeberin erhob sich. Es schien ihr etwas wackelig auf den Beinen zu sein. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, griff sie nach ihrer Handtasche. „Schicken Sie mir bitte Ihre Rechnung.“ Ich bedankte mich und wünschte viel Glück für die Zukunft. „Wenn Sie mich brauchen, stehe ich Ihnen zu jeder Zeit gern zur Verfügung“, empfahl ich mich, während wir uns an der Tür zu meiner Detektei verabschiedeten. „Ich werde Sie weiter empfehlen.“

Trude staunte nicht schlecht, als ich die Tür hinter der Klientin schloss. „Na, wenn die nicht zufrieden war? Ich denke, Sie haben der Ärmsten den Fehltritt ihres Gatten verklickern müssen“, juckte sich meine Putzsekretärin nachdenklich den Hinterkopf. „Tja meine Liebe, das macht halt den Unterschied zwischen einer Putzfrau und einer Frau mit Fortüne. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie ich auch schon den Lappen am Kopf hatte, mit dem Trude gerade noch ihren Drucker abstaubte. „Ich weiß zwar nicht so genau, was Sie damit meinen, aber wie ich Sie kenne, ging dieser Scherz auf meine Kosten.“ „Aber Trude, wo denken Sie hin. Ich würde Sie doch nie…“

 

Kunden und Auftragsgewinnung