Detektei Lessing

 

Band 40

 

Kollateralschäden

 

-1-

 

„Nehmen Sie bitte Platz, Herr Faßbender.“ Der Prokurist der Firma Wolf kam der Bitte seines Chefs nach. „Ich habe bezüglich Ihres Anliegens mit der Geschäftsleitung gesprochen und kann Sie insofern beruhigen, dass die übergangsweise bestellte Ware aus China unseren höchsten Anforderungen gerecht wird. Unser Auftraggeber ist über den kurzzeitigen Komponentenwechsel informiert. Insofern können Sie sich also entspannt zurücklehnen und sich über den Bonus freuen, den Sie sich nach Meinung der Geschäftsleitung redlich verdient haben.“

Erich Faßbender glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Konnte es tatsächlich sein, dass man ihn für dumm verkaufen wollte? Es gab Beweise, mit denen er den Betrug belegen konnte. Hier ging es um mehrere hunderttausend Euro. Mehr noch, im schlimmsten Fall ging es um Menschenleben. Er war sich sicher, dass der Auftraggeber die Veränderung des Produkts keinesfalls hinnehmen würde.

Norman Weiß zog ein Kuvert aus der obersten Schublade seines Schreibtisches und überreichte ihn festlich lächelnd an Erich Faßbender. „Sie haben doch heute Geburtstag“, bemühte sich sein Chef um Nähe. „Ich glaube, die Kollegen haben da eine kleine Überraschung für Sie vorbereitet.“ Der Prokurist nahm das Kuvert an sich und wollte aufstehen. „Da wäre noch eine Kleinigkeit“, hielt ihn Weiß zurück. „Nur eine Formalität. Sie müssten mir nur noch diese Verschwiegenheitserklärung unterschreiben.“

Das festliche Lächeln wechselte in ein berechnendes Grinsen. „Wir wollen ja schließlich nicht, dass etwas über unseren kleinen Lieferengpass bekannt wird.“ Erich sah in den Umschlag und überflog die Anzahl der darin befindlichen Geldscheine. „Halten sie mich tatsächlich für so dämlich? Was soll ich mit tausend Euro?“ „Nun ja“, entgegnete Weiß verschmitzt. „Für den Fall, dass Sie sich noch etwas zieren, bin ich ermächtigt, die gleiche Summe noch mal oben drauf zu legen.“ Faßbender erhob sich und warf das Kuvert auf den Schreibtisch. „Richten Sie der Geschäftsleitung meinen besten Dank aus, aber ich bin nicht dumm und schon gar nicht käuflich!“ „Bitte überlegen Sie sich die Sache noch mal und machen Sie vor allem keinen Blödsinn. Es geht hier um mehr als nur Ihren Arbeitsplatz“, drohte sein Vorgesetzter. „Da gibt es nichts zu überlegen!“

Als Erich kurz darauf an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte, empfingen ihn die Kollegen mit einer Torte und einem Ständchen. Es gelang ihm nur mühsam, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, aber letztlich konnten die Kollegen ja nichts dafür. Er bedankte sich bei ihnen und nahm zögerlich einen weiteren Umschlag entgegen. „Wir haben alle zusammengelegt“, erklärte Marina, mit der er sich das Büro teilte. „Sogar der Weiß gab was dazu.“ Als der nun Vierzigjährige das Kuvert öffnete, war er mehr als überrascht.

„Ihr seid ja vollkommen verrückt“, freute sich der Prokurist. „Wir wissen ja, wie gern du unsere kleine Welt mal von ganz oben sehen möchtest“, erinnerte Marina an eine Äußerung, die er erst vor kurzem ihr gegenüber gemacht hatte. „Eine Ballonfahrt und dann auch noch für zwei Personen“, freute sich Erich aufrichtig. „Ihr seid verrückt. Das muss doch ein Vermögen gekostet haben.“ „Du wirst nur einmal vierzig!“

„Dann habt vielen lieben Dank“, freute sich Erich und verschwand in der angrenzenden Kaffeeküche. „Eine kleine Überraschung habe ich dann auch noch für euch“, lächelte er, während er zwei Platten mit Kuchen und Mettbrötchen auf seinem Schreibtisch absetzte. Es folgten allerlei Getränke, Knabbereien und eine gesellige Stunde, in der er die Sauerei für einen Moment vergessen konnte.

„Stell dir vor, Schatz. Die Kollegen haben mir zum Geburtstag eine Ballonfahrt für zwei Personen geschenkt. Nun wird sich zeigen, ob du dabei bist, oder ob du den Mund zu voll genommen hast.“ Erich sah seine Frau herausfordernd an. „Du glaubst doch wohl nicht, dass ich dich davonfliegen lasse.“ „Also bist du dabei?“ „Was sonst?“, entgegnete Tina achselzuckend. „Dann solltest du allerdings wissen, dass man in einem Ballon fährt und nicht fliegt“, berichtigte Erich. „Klugscheißer“, rümpfte Tina die Nase. „Es ist ja nur, dass es teuer werden kann, wenn du das während der Fahrt sagst.“

Tina schüttelte verständnislos den Kopf. „Wieso fährt man eigentlich mit einem Ballon, obwohl doch jeder sehen kann, wie er fliegt?“ Erich schürzte nachdenklich die Lippen. „Ich schätze, das hat noch etwas mit der Zeppelinluftfahrt zu tun.“ Tinas Stirn krauste sich. Wirklich anfreunden konnte sie sich mit seiner Erklärung nicht. „Ich glaube, ich sollte da noch mal im Internet nachforschen.“ „Es gab Zeiten, in denen du mir blind vertraut hast“, beschwerte sich Erich. „Ach Schatz, das tue ich doch immer noch. Würde ich sonst mit dir in einen Korb steigen und der Sonne entgegenfli… fahren?“

Je näher der angesetzte Termin rückte, um so nervöser wurde Tina. Auch wenn sie sich genau dies nicht vor ihrem Göttergatten anmerken lassen wollte, hatte dieser es schon seit Tagen bemerkt. Sie waren lange genug miteinander verheiratet, um zu wissen, wie der jeweils andere tickte. Erich vermied es daher, seine Frau darauf anzusprechen oder sogar mit ihrer Angst aufzuziehen. Sie hätte ihre Bedenken ohnehin nicht zugegeben.

Einen Tag bevor es losgehen sollte, fanden sich bei Familie Faßbender die Kinder und sogar Oma und Opa zum Kaffee ein. Was sonst nur sonntags vorkam, wurde von Tina um zwei Tage vorverlegt. Warum es zu diesem Treffen kam, wusste eigentlich keiner so genau.

Während die Familienangehörigen also gemeinsam um den Kaffeetisch saßen und einmal mehr Tinas Backkünste lobten, war es wie so oft der Junior, der aussprach, was jeden Einzelnen dazu bewogen hatte, an dieser Zusammenkunft teilzunehmen. „Dann wollen wir mal hoffen, dass dies nicht unser letzter gemeinsamer Kaffeeklatsch ist.“ „Wie kannst du nur so etwas sagen, Freddy?“, schimpfte Oma Gerlinde. Seine ältere Schwester Kathrin sah seinen ironisch gemeinten Spruch ebenso kritisch. „Du weißt ganz genau, wie schwer es Mutti fällt, sich zu einer Ballonfahrt zu überwinden. Da musst du mit deinem Spruch nicht noch Öl ins Feuer gießen.“ „Wieso, es ist doch wichtig, dass der Brenner nicht ausgeht.“ „Freddy!“, sprach Erich ein Machtwort. „Es ist gut. Du hast deinen Spaß gehabt.“

„Kann denn wirklich nichts dabei passieren?“, fragte Tina verunsichert nach. „Natürlich kann etwas passieren“, entgegnete Erich ehrlich. „Aber dir kann auch etwas geschehen, wenn du auf der Leiter stehst und die Fenster putzt.“ „Die meisten Unfälle geschehen übrigens daheim bei der Hausarbeit“, befeuerte Freddy das Thema. Kathrin verdrehte genervt die Augen. „Du brauchst keine Angst zu haben. Der technische Zustand eines Heißluftballons wird in regelmäßigen Abständen durch den TÜV überprüft. Abgesehen davon wird der Ballon vor jedem Start von dem Ballonführer ebenso akribisch überprüft, wie es der Flugkapitän eines Jumbojets tut.“

Seine Worte beruhigten Tina etwas. Eine gewisse Restangst blieb dennoch. „Glaub mir, wenn wir erst einmal aufgestiegen sind und du die Welt von oben siehst, wird es dir gefallen“, bekundete Arthur. „Du redest so, als wärst du selber ein alter Hase“, merkte Gerlinde auf. „Ach, du weißt doch, wie gern ich früher auch so etwas unternommen hätte.“ „Du Opa?“, wunderte sich Freddy. „Das wundert mich jetzt aber auch“, verzog Gerlinde das Gesicht. „Dir wird doch schon schwindelig, wenn du auf eine Leiter steigst.“

Arthur rümpfte die Nase. „Deswegen ging es ja nicht!“ „Wenn ich von deinem Interesse fürs Fliegen gewusst hätte, wärst du mit mir gefahren.“ „So weit käme es noch“, entgegnete Gerlinde, ehe Arthur etwas dazu sagen konnte. „Wir sind in einem Alter, wo es sicher vernünftiger ist, mit beiden Beinen auf der Erde zu bleiben. Nein, nein, das macht ihr jungen Leute besser mal allein.“ Arthur seufzte. „Ich fürchte, Gerlinde hat recht. So ein Ballonkorb kann bei der Landung auch schon mal hart aufsetzen und sogar umkippen. Das ist nichts mehr für meine morschen Knochen.“ „Opa!“, riefen Freddy und die anderen im Gleichklang.

-2-

Der Tag, an dem das große Ereignis standfinden sollte, war gekommen. Treffpunkt war eine Wiese am ‚Exer‘. „Da vorn muss es sein“, deutete Erich auf ein Fahrzeug mit Anhänger, welches er auf der Zufahrt zu einer großen Wiese entdeckte. Er stoppte und ließ auf der Beifahrerseite das Fenster hinunter. „Wir suchen den Startplatz für den Heißluftballon“, erklärte Tina. „Ihr habt ihn gefunden. Schön, dass ihr schon da seid. Am besten folgt ihr mir“, wurden sie durch den Piloten aufgefordert.

Kurz darauf hatten sie offenbar den Startplatz erreicht. Der Pilot verließ seinen Wagen und kam auf sie zu. „Am besten parkt ihr dicht am Zaun, dort wo die Büsche sind.“ Er deutete auf eine Stelle in etwa vierzig Metern Entfernung. Während Erich den Wagen abstellte, kamen zwei weitere Fahrzeuge hinzu. Sie parkten direkt neben ihnen. Tina biss sich auf die Lippen. Sie war nervös. „Ehrlich gesagt bin ich ziemlich aufgeregt“, gestand sie ihrem Mann. „Ich auch“, gab Erich zu. „Noch können wir die Sache abblasen“, baute er ihr eine Brücke. „Ich bin dir auch nicht böse.“ Tina gab ihrem Mann einen Kuss. „Lieb von dir, aber da müssen wir jetzt durch!“ „Es wird bestimmt sehr schön.“

„So Leute, kommt bitte zu mir rüber!“, rief der Mann ihnen zu, mit dem sie kurz zuvor gesprochen hatten. Die Anwesenden bauten sich im Halbkreis vor dem Mann auf. „Mein Name ist Nikolaus Sonntag, ich bin der Pilot und heiße Sie auf das herzlichte bei der Lessing Luftfahrt Gesellschaft LLG willkommen. Zum Team gehören Michael und Pascal , die uns beim Aufbau des Ballons behilflich sein werden. Nach dem Start werden sie uns mit dem Wagen verfolgen und bei der Landung erwarten. Wir werden ungefähr eineinhalb Stunden unterwegs sein und da der Wind heute aus nordöstlicher Richtung kommt, werden wir zunächst über das Stadtgebiet und im weiteren Verlauf über den Oderwald und eventuell bis Salzgitter Bad fahren.“

Unter den Passagieren machte sich eine gewisse Vorfreude breit. „Bevor es jedoch so weit ist, heißt es erst einmal in die Hände gespuckt und den Korb aufgestellt. Ich hoffe, ihr habt alle festes Schuhwerk an, damit ihr ordentlich zupacken könnt. Ich darf euch also bitten, an den Anhänger heranzutreten und als erstes den Korb mit abzuladen.“

Während das Team der LLG den Anhänger öffnete und die Abdeckung zur Seite rollte, machten sich Erich und Tina mit den übrigen Mitfahrern bekannt. Olaf Schimmelpfennig und seine Frau Rita hatten die Ballonfahrt in einem Preisausschreiben gewonnen. Die vier verstanden sich auf Anhieb. „An jede Seite zwei Mann“, ordnete Nikolaus Sonntag an. Dann deutete er auf einen mit weißer Kreide kenntlich gemachten Kreis. „Von dort aus wollen wir starten.“

Da wirklich alle mit zufassten, war die Aufgabe innerhalb kürzester Zeit erledigt. Der Korb lag nun auf der Seite und zeigte mit dem Brenner in die Richtung Wiesenmitte. „Als nächstes müssen wir den Ballon abladen und ausrollen. Drei von euch unterstützen bitte Michael und Pascal. Ich brauche einen, der mir unterdessen dabei hilft, zwei Pflöcke einzuschlagen, um den Ballon mit Seilen zu sichern.“ Eine Viertelstunde später waren auch diese Arbeiten erledigt. Es folgte der Moment, in dem der Brenner eingeschaltet wurde und die erhitzte Luft in die Ballonhülle strömte. Indem sich der Ballon füllte, richtete er sich mehr und mehr auf, bis er schließlich sogar den Korb aufrichtete. Ein wirklich spannender Moment, der mit Beifall begleitet wurde.

Es war gegen 17:30 Uhr als der Ballon schließlich abhob und in den frühabendlichen Himmel über der Lessingstadt emporschwebte. Tina hielt den Atem an. Nicht aus Angst, sondern weil sie aus Begeisterung einfach zu atmen vergaß. „Es ist gar nicht so windig, wie ich dachte“, sagte sie überrascht und gleichzeitig irgendwie beruhigt. „Bei starkem Wind dürfen wir gar nicht aufsteigen“, erklärte der Pilot, während sie immer höher stiegen und dabei hoch über der Jahnstraße in Richtung Stadtmitte schwebten.

„Seht euch nur die Leute an“, witzelte Olaf. „Die sind so klein wie Playmobil-Figuren.“ „Schaut mal, wie sie uns zuwinken“, freute sich Rita und grüßte zurück. „Das ist etwas völlig anderes, als wenn man aus einem Flugzeug auf die Erde hinuntersieht“, stellte Erich fest. „Ich meine, es war ja klar, dass man alles viel genauer erkennen kann, weil wir ja nicht so hoch wie in einem Flugzeug sind“, bemühte sich Erich seiner Feststellung eine Begründung folgen zu lassen. „Aber diese Perspektive ist einfach großartig.“

Sie sahen die Likörfabrik der Jägermeister AG und konnten hinter die Mauern der Justizvollzugsanstalt sehen. „Weshalb ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, mit einem Heißluftballon jemanden aus dem Knast zu befreien?“, fragte Olaf in die Runde. „Oh, auch das wurde bereits versucht“, entgegnete Nikolaus Sonntag“, während der Ballon über die Grund- und Hauptschule Wallstraße und weiter auf die Trinitatiskirche zusteuerte.

Gerade, als sie sich über den Dächern der Häuser an der ‚Wallstraße‘ befanden, und er den Passagieren mehr über den Ausbruch mit Ballon erzählen wollte, gab es einen heftigen Ruck und der Ballon sackte um einige Meter ab. Die Fahrgäste kreischten vor Schreck. Auch Nikolaus Sonntag stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. „Wir haben einen Riss im Ballon!“, rief er. „Schnell, wir müssen Ballast abwerfen! Ich kann hier nirgends landen! Wir müssen es bis zu einem freien Platz schaffen!“

Der Pilot wusste nur zu genau, dass es zu einem Desaster kommen musste, wenn er versuchen würde, zwischen den Häusern zu landen. Er drehte das Ventil des Brenners weiter auf, um mehr heiße Luft in den Ballon zu pumpen. Für einen Moment schien er mit dieser Maßnahme Erfolg zu haben. Der Korb sackte nicht weiter ab und stieg sogar etwas, während er weiter über die ‚Enge Straße‘ schwebte.

„Ich versuche auf der Rasenfläche vor der Trinitatiskirche runter zu gehen!“, rief der Pilot. „Setzt euch auf den Boden und haltet euch an den Seilen fest!“, forderte er seine Passagiere auf. Im Begleitwagen hatte man längst bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Immer wieder sahen Michael und Pascal nach oben, beobachteten die Bemühungen des erfahrenen Piloten, konnten aber aus ihrer Sicht auf den Ballon den Riss nicht erkennen. Zu allem Überfluss war eine Verfolgung an dieser Stelle nicht weiter in Sichtweite möglich, da die ‚Enge Straße‘ vor der Trinitatiskirche durch Pfosten gesperrt war. Sie bogen folglich in die ‚Kreuzstraße‘ ein, um dann über die ‚Breite Herzogstraße‘ zum ‚Holzmarkt‘ zu gelangen. Starker Fahrzeugverkehr hielt sie jedoch einige Zeit lang auf.

In der Zwischenzeit überwand der Ballon die letzten Häuserdächer und schwebte auf den freien Platz vor der Kirche zu. Nikolaus Sonntag atmete erleichtert auf. Er schien das Schlimmste verhindern zu können. Im selben Moment sah er, dass sich der Riss in der Ballonhülle weiter vergrößerte. Zunächst eher langsam, was zur Folge hatte, dass sie moderat an Höhe verloren. Plötzlich jedoch vergrößerte sich das durch den Riss entstandene Loch schlagartig und das Tempo, mit dem der Korb zu Boden stürzte, wurde schneller und schneller.

Tina klammerte sich an ihren Mann, während Erich seine Frau mit seinem Körper zu schützen versuchte. „Ich liebe dich“, waren ihre letzten Worte, dann ging alles sehr schnell. Der Korb schlug hart auf dem Boden auf, kippte zur Seite und wurde vom Ballon quer über die Rasenfläche in Richtung Straße gezogen. Die Seile des Korbs verhedderten sich im Gärtnerdenkmal, welches ihn zumindest für einen Augenblick stoppte, ehe er sich mit einem heftigen Ruck löste und genau vor einen fahrenden Bus geschleudert wurde. Gleichzeitig explodierte durch die Wucht des Aufpralls die Gasflasche, die den Brenner betrieb.

-3-

Ich war gerade mit meinem Wagen auf dem Weg in die Kanzlei Börner, als ich im Radio von dem Unglück hörte.

„Wir unterbrechen unser Programm für eine Liveschaltung zu unserem Reporter Florian König, der in der Innenstadt von Wolfenbüttel soeben Zeuge einer Katastrophe wird. Florian, was kannst du unseren Zuhörern berichten?“ „Ich stehe hier in Höhe der ‚Okerstraße‘ und wurde gerade Zeuge, wie auf dem ‚Holzmarkt‘, keine hundert Meter von mir entfernt, ein Heißluftballon abstürzte und quasi im nächsten Moment mit einem Bus kollidierte. Daraufhin gab es eine gewaltige Explosion, die den vorderen Teil des Busses in Brand setzte.“

Der Reporter schien fassungslos und doch kommentierte er die Situation, als hinge sein eigenes Leben davon ab. Ich bog inzwischen vom Bahnhof kommend in die ‚Harzstraße‘ ein. Von hier aus war es nicht mehr weit bis zum ‚Holzmarkt‘. Vielleicht konnte ich helfen. Doch schon nach wenigen Metern stand ich im Stau. Es ging weder vor noch zurück. Als ich die Scheibe der Fahrertür hinunterließ, hörte ich von überall her Sirenen von Feuerwehr, Polizei und Rettungswagen.

„Im Augenblick verlassen schreiende Menschen den Bus und laufen panisch über den Platz. Zufällig anwesende Passanten und Autofahrer, die ihre Fahrzeuge zur Seite gefahren haben, versuchen verzweifelt mit ihren Feuerlöschern den brennenden Korb des Heißluftballons und den Bus zu löschen.“, kommentierte der Reporter weiter. „Es ist unfassbar, liebe Zuhörer. Jetzt endlich treffen auch die ersten Rettungswagen und die Polizei ein. Nun sehe ich auch zwei Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr.“

Vor und hinter mir im Stau stehende Menschen verließen ihre Fahrzeuge und sahen mit Entsetzen die ‚Harzstraße‘ hinunter. Offenbar hatten einige von ihnen ebenfalls Radio 'Harz und Heide' gehört. Sie begannen sich gegenseitig zu informieren. Ich drückte auf die Kurzwaltaste meines Handys und rief Miriam an. Sie wollte mit Ramona einkaufen fahren. Ich hielt es für besser, wenn sie erst einmal mit der Kleinen daheimblieb.

Das Wetter war schön, also musste man davon ausgehen, dass zahlreiche Menschen auf dem ‚Holzmarkt‘ unterwegs waren, auf dem Weg zur Bank oder vor dem Café saßen, welches sich in unmittelbarer Nähe zum Unglücksort befindet. Ich war mir sicher, dass es vor allem durch die Explosion zahlreiche Betroffene gab. Ich hatte die bösen Verletzungen gesehen, die durch berstende Schaufensterscheiben hervorgerufen wurden.

„Während ich Ihnen von dieser Stelle aus hautnah die Ereignisse schildere, ist es den Feuerwehrleuten gelungen, die Brände zu löschen. Auch wenn ich Augenzeuge dieses Unglücks wurde, kann ich Ihnen nicht sagen, was aus den Leuten wurde, die mit dem Ballon abstürzten, aber eines ist jetzt schon klar, sie müssen durch den doch sehr erheblichen Aufprall schwer verletzt worden sein. Was den Busfahrer angeht, wird dieser in diesem Moment geborgen und in einen der Rettungswagen gebracht.“

„Können Sie uns etwas zur Verkehrssituation sagen, Herr König?“, erkundigte sich eine Moderatorin aus dem Studio. „Hier geht nichts mehr, Gundula. Der Platz ist komplett gesperrt und daran wird sich ganz sicher auch so bald nichts ändern. Damit gebe ich zunächst zurück ins Funkhaus.“ „Vielen Dank, Florian. Falls wir neue Informationen für Sie haben, liebe Hörer, wird sich unser Reporter Florian König natürlich sofort wieder vom Ort des Geschehens melden. Bis dahin setzen wir unser gewohntes Programm fort.“

Aufgrund der Ereignisse war die Fortdauer des Staus nur allzu logisch. In einer schmalen Straße wie der ‚Harzstraße‘, die lediglich in eine Richtung befahrbar ist, liegt es daher nahe, sich auf eine längere Wartezeit einzustellen. Leider sind nicht alle Mitmenschen zu einer solchen Einsicht fähig. Einer dieser Unbelehrbaren stand mit seinem Wagen einige Plätze vor mir im Stau. Zunächst lief er aufgeregt vor seinem Wagen auf und ab. Selbst wenn der Mann unter Zeitdruck stand, änderte es nichts an der Tatsache, dass er wie alle anderen warten musste.

Leider sah es der Mann anders. Nach einer Weile pöbelte er die Autofahrer an, die vor ihm standen. Als er merkte, dass niemand darauf reagierte, setzte er sich in seinen Wagen und begann mit der Hupe zu provozieren. Dabei ließ er immer wieder den Motor seines Audis laut aufheulen. Der Abstand zum Wagen vor ihm verkürzte sich währenddessen stätig. Irgendwann wurde es einem der vor ihm Wartenden zu bunt.

„Was für ein verdammtes Problem hast du Penner?“, schrie er den Fahrer des Audis an und riss die Autotür auf, um ihn am Schlafittchen aus dem Wagen zu zerren. Ich kam hinzu, als sich der Provokant bereits die erste Moppe eingefangen hatte. Möglicherweise hatte ich es auch nicht ganz so eilig damit, dies zu verhindern.

Ich frage mich schon seit längerem, wo einige Leute ihren Verstand und somit auch ihre Manieren gelassen haben. Sei es die Respektlosigkeit vor der Obrigkeit oder die Tatsache, dass selbst Ärzte und Sanitäter aber auch Feuerwehrleute immer häufiger von auf Krawall gebürsteten Idioten angegangen werden. So, wie es erst kürzlich eine Straße weiter geschah, als es bei einem Löscheinsatz der Feuerwehr zu einer Körperverletzung kam.

Es gelang mir gottlob die beiden Kampfhähne ohne viel Aufwand auseinanderzubringen. „Reicht es nicht, dass keine fünfhundert Meter von hier entfernt Menschen um ihr Leben ringen?“, fauchte ich die beiden an. „Sagen Sie dem das!“, rechtfertigte sich der Schläger. „Der war es doch, der hier ausflippt!“ „Ich habe einen existenziell wichtigen Termin!“, verteidigte der Audi-Fahrer sein Verhalten. „Kein Grund, hier so eine Welle zu machen!“, pflichtete ich dem Schläger bei. „Sag ich ja.“ „Rufen Sie Ihren Termin an und erklären Sie die Situation“, schlug ich vor. „Man wird sicherlich Verständnis haben.“

Selbst wenn der Grund für ein solches Verhalten noch so wichtig sein mag, er ändert zum einen nichts an der Situation, zum anderen rechtfertigt er das Benehmen nicht. Zu viel Freiheit und Demokratie tut so manchem offenbar nicht gut. Aus diesem Grund würde ich mir wünschen, dass die Zügel hier und dort etwas mehr angezogen würden.

-4-

Als ich am Tag darauf in meinem Stamm-Café saß und die Zeitung aufschlug, bestätigten sich die Infos, die ich bereits aus Funk und Fernsehen hatte. Alle fünf Insassen des Heißluftballons waren bei dem Absturz ums Leben gekommen. Bei diesem Unglück ging offenbar alles schief, was schiefgehen konnte. Nachdem der Korb hart auf der Rasenfläche aufgeschlagen war, zog ihn der Ballon bis auf die Straße, wo er zu allem Überfluss auch noch mit einem Bus zusammenstieß und explodierte.

Das Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig hatte die Ermittlungen zur Absturzursache, wie es in solchen Fällen üblich war, bereits aufgenommen. Es lief mir eiskalt über den Rücken, als ich an meine eigene Ballonfahrt zurückdachte. So schön es auch war, so wenig hatte ich mir im Vorfeld Gedanken über ein mögliches Unglück gemacht. Als herzoglicher Luftbeobachter im Sommerwind zu Wolfenbüttel hatte ich die Fahrt damals beendet. Ein Erlebnis, welches ich nicht missen wollte und doch brachte es mich heute zum Nachdenken.

„Einfach nur schrecklich“, drückte Heinz-Rainer seine Emotionen aus, als er mich beim Lesen des Artikels sah. „Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte der stellvertretende Bürgermeister. „Gern“, begrüßte ich meinen väterlichen Freund. „Wie geht es dir?“ „Frag nicht, Leopold. Irgendwie stehe ich immer noch ganz unter dem Eindruck der Geschehnisse.“ Ich nickte ihm verständnisvoll zu. „Ich war gerade mit dem Wagen in der Stadt unterwegs, als ich im Radio den Livekommentar hörte“, schilderte ich. „Es war so, als wäre ich selbst dabei gewesen.“ „So ging es mir auch“, pflichtete mir Heinz-Rainer bei.

„Weißt du schon Näheres zur Absturzursache?“, fragte ich meinen Freund. „Ich habe gerade gelesen, dass sich das Luftfahrt-Bundesamt der Sache angenommen hat.“ Heinz-Rainer bestellte sich bei Anne einen Cappuccino. „Dann dürfte dir klar sein, wie akribisch die jede Einzelheit rekonstruieren“, entgegnete der stellvertretende Bürgermeister. „Das Ergebnis wird also sicherlich noch auf sich warten lassen.“ Ich dachte an die Angehörigen, die ein Recht auf die Wahrheit hatten. „In der Zeitung steht, dass der Ballon größtenteils verbrannte. Das macht die Ermittlungen sicherlich nicht einfacher.“

„Tu mir den Gefallen, Leopold, und lass uns das Thema wechseln“, bat Heinz-Rainer plötzlich. „Ich kannte Nikolaus Sonntag von klein auf.“ „Sorry, ja natürlich, ich wusste ja nicht…“ „Wie geht es denn Miriam? Habt Ihr euch im neuen Haus gut eingelebt?“ „Na klar, stell dir vor, Miriam entdeckt gerade ihren grünen Daumen. Du musst uns unbedingt schon bald besuchen.“ „Wenn du den Grill anschmeißt“, zwinkerte er mir zu.

„Ist das nicht wirklich tragisch?“, seufzte Anne, als sie den bestellten Cappuccino brachte. „Was meinst du?“, erkundigte sich Heinz-Rainer. „Ach sorry, aber ich stehe noch immer irgendwie unter Schock.“ „Ich fürchte, das geht uns allen so“, beruhigte ich Anne. Womit wir doch wieder beim Thema des Tages waren. „Eines der beiden Paare, die gestern ums Leben kamen, hatten die Ballonfahrt in einem Preisausschreiben gewonnen.“ Ich musste trocken schlucken. „Das ist wirklich tragisch“, pflichtete ich ihr bei. „Schicksal“, brachte es Heinz-Rainer auf den Punkt.

„Die armen Angehörigen“, sagte Anne, während sie sich zu einem anderen Tisch aufmachte. „Ich bin wirklich gespannt, was das Luftfahrt-Bundesamt herausfinden wird“, ließ mich das Unglück ebenso wenig los. „Wie läuft es denn in deiner Detektei?“, wechselte Heinz-Rainer erneut das Thema. „Am Montag fängt eine Praktikantin bei uns an.“ Mein Freund sah mich erstaunt an. „Eine Praktikantin? Willst du die dann mit auf Verbrecherjagt nehmen?“ „Um Himmels Willen! Es geht mehr um Recherche am PC und dergleichen. Trude wird sich in erster Linie darum kümmern.“ „Wie kommst ausgerechnet du an eine Praktikantin?“ Ich stutzte. „Wieso ist das so verwunderlich?“ „Soviel ich weiß, ist der Job eines Detektivs kein Lehrberuf“, überlegte Heinz-Rainer.

„Für den Beruf des Detektivs gibt es in Deutschland zwar keine vorgeschriebene Ausbildung, aber es gibt bei der Industrie- und Handelskammer mehrere Kurse auf schulischer Basis mit einem Abschluss“, erklärte ich dem stellvertretenden Bürgermeister. „Bei der Erstellung des persönlichen Berufsbildes ist ein Praktikum, welches in einer Detektei gemacht wurde, natürlich hilfreich.“ Heinz-Rainer betrachtete mich argwöhnisch. „Ist sie hübsch?“ Meine Stirn krauste sich. „Jetzt bist du aber auf einem völlig falschen Dampfer. Leonie ist die kleine Schwester von Christoph Börners Lebensgefährten.“

Mein Freund nickte verschmitzt lächelnd. „Das Mädchen ist neunzehn Jahre alt“, entgegnete ich. „Ich hätte mich gar nicht darauf eingelassen, wenn mich Detlef nicht darum gebeten hätte.“ „Was sagt denn Miriam dazu?“ „Gottlob ist sie bisher nicht auf abwegige Ideen gekommen und findet es daher gut.“ „Na, dann bin ich ja mal gespannt, was die nächsten Wochen so passiert“, ließ sich Heinz-Rainer nicht von seiner fixen Idee abbringen.

Im Hinblick auf die bevorstehende Veränderung in der Detektei brauchte ich einen weiteren Bürostuhl. Dies war der Grund, weshalb ich eigentlich unterwegs war. Da mir Miriam auf die Finger gehauen hatte, als ich mir ihren für die zwei Wochen ausborgen wollte, musste ich folglich einen anderen anschaffen. Nachdem ich gezahlt und mich von Heinz-Rainer verabschiedet hatte, machte ich mich auf den Weg zum ‚Exer‘, wo es neben der Ostfalia einige Startups und die Diakonie gibt. Ich hoffte, in der Möbelwerkstatt etwas Geeignetes zu finden.

Als ich die Verkaufshalle betrat, waren zwei Kunden gerade mit der Verkäuferin im Gespräch. Um nicht zu stören, stöberte ich allein los. Die Unterhaltung war allerdings laut genug, um ihr auch in einiger Entfernung folgen zu können. Natürlich ging es auch hier um das Ballonunglück. Was ich bislang nicht wusste, weil es nicht in der Zeitung stand, war die Tatsache, dass der Heißluftballon nur wenige Meter von hier auf einer Wiese am ‚Exer‘ gestartet war. Die Verkäuferin schien den Tränen nahe, da auch sie den Piloten gut kannte.

Ich zwang mich, nicht weiter zuzuhören und konzentrierte mich stattdessen auf die Suche nach dem Drehstuhl. Versteckt hinter einem Schreibtisch fand ich schließlich ein geeignetes Exemplar, von dem das Neue noch nicht abgenutzt war. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“ „Können Sie. Was soll das olle Stück hier noch kosten?“ Da kein Preis daran zu finden war, sah sie in einer Liste nach, die sie in einem Ordner auf ihrem Verkaufstresen aufschlug. „Zwanzig Euro.“ Ich sah die Frau skeptisch an. „Nach der Staubschicht zu urteilen, die sich darauf angesammelt hat, handelt es sich doch wohl um einen Ladenhüter. Ich gebe Ihnen zehn.“ „Okay.“

Ihr schnelles Einlenken machte mich misstrauisch. „Einfach so?“, fragte ich daher verwundert. „Einfach so und weil ich in zwei Minuten Feierabend habe“, entgegnete sie lächelnd. „Vorausgesetzt, Sie wollen nicht, dass ich ihn für Sie einpacke.“ „Nicht nötig, aber vielleicht haben Sie ja noch einen Lappen da, damit ich das gute Stück wenigstens abwischen kann.“ „Einen Lappen nicht, aber diesen Staubmopp könnte ich Ihnen noch anbieten.“ „Na gut, besser als nichts“, lenkte ich ein. „Macht dann noch einen Euro extra.“ „Wie, für den Mopp?“, erkundigte ich mich entsetzt. „Nee, dann nehme ich das Ding so mit.“

Es war kein Problem, den Drehstuhl in den Kofferraum zu legen. Dass ich mir dabei die Klamotten etwas verschmutzte, war egal. Man muss im Leben Prioritäten setzen und dazu gehört es nun mal, kein Geld für Unnützlichkeiten auszugeben. Ich kaufe schließlich auch keine Plastiktüten.

Wo ich schon mal am ‚Exer‘ war, konnte ich mir auch die Wiese ansehen, von der aus der Ballon gestartet war. Schon von der Straße aus sah ich einige Fahrzeuge und mehrere Leute, die offenbar die gleiche Idee hatten wie ich. Als ich näher kam erkannte ich einen Ermittler vom Luftfahrt-Bundesamt und Oberstaatsanwalt van der Waldt. Es lag nahe, dass sie nach einem Hinweis suchten, der eine Antwort auf den Absturz gab. Dabei wollte ich natürlich nicht stören und brach mein Vorhaben ab.

-5-

„Endlich hatten wir mal wieder ein tolles Wochenende, Schatz“, hauchte mir meine Liebste dankbar ins Ohr. „Das finde ich auch“, bestätigte ich mich unter der Daunendecke räkelnd. „Allerdings bräuchte ich dringend einen lukrativen Auftrag, sonst kann ich unserer Praktikantin nicht mal ein Obolus für ihre Arbeit zahlen.“ „Nun lass das Mädchen doch erst mal anfangen“, schüttelte Miriam den Kopf. „Davon abgesehen wird ein Praktikum nicht bezahlt.“ „In diesem Fall schon“, widersprach ich. „Oder soll ich vor Detlef wie ein Geizkragen dastehen?“ „Wieso? Du bist doch einer“, brüskierte mich mein Schatz. Ich sah Miriam durchdringend an. „Ich bin möglicherweise sparsam, aber gewiss nicht geizig.

Damit beendete ich die Diskussion und verließ das gemeinsame Bett. „Ach, jetzt ist der Herr wohl auch noch beleidigt?“ „Nee, nur die Wahrheit tut weh, aber davon abgesehen solltest du vielleicht mal auf den Wecker sehen.“ „Ach du Scheiße“, entfleuchte meiner Liebsten ein Fäkalausdruck, was nur äußerst selten geschah. „Ich wollte in einer viertel Stunde im Gericht sein.“ Die Staatsanwältin hüpfte wie ein Flummi durchs Schlafzimmer. „Wo ist denn Tanja? Unser Kindermädchen wollte doch schon längst hier sein.“ „Beruhige dich, ich glaube, ich habe sie gerade mit Trude sprechen hören.“

„Guten Morgen, Trude. Hallo Tanja. Schön, dass Sie schon da sind.“ „Gut, dass ich einen Schlüssel habe, sonst hätte ich Sie stören müssen“, zwinkerte sie mir zu. „Ich sehe dann schon mal nach Ramona, wenn es recht ist.“ „Gehen Sie ruhig, Tanja, Sie kennen sich ja aus.“

Im nächsten Moment ertönte die Klingel, die Miriam für die Detektei ausgesucht hatte. Während Trude sofort darauf reagierte, musste ich mich noch daran gewöhnen. Wie erwartet hatte sie bei ihrer Rückkehr unsere neue Praktikantin im Schlepptau. „Guten Morgen, Chef“, begrüßte mich Leonie. „Schön, dass Sie pünktlich sind.“, zeigte ich mich erfreut. An das Gewusel zu nachtschlafender Zeit musste ich mich ebenfalls erst noch gewöhnen.

Nun gut, die Aufgaben waren verteilt. Es lag auf der Hand, dass ich Leonie nur dann mit rausnehmen konnte, wenn es um Recherchen ging, bei denen keinerlei gefährliche Situationen zu erwarten waren. Da sich dies nur in den seltensten Fällen abschätzen ließ, stand fest, dass sich Trude größtenteils um sie kümmern würde. Sicher nicht die schlechteste Option, wenn es darum geht, Internetrecherche von Grund auf zu erlernen. Sicherlich ist dies für eine junge Frau möglicherweise etwas langweilig, aber die Arbeit mit dem Computer bildet einen wichtigen Baustein beim Lösen eines Falles.

„Ihr Arbeitsplatz wird vorrangig neben Trude sein. Sie wird Ihnen zunächst alles rund um das Thema Recherche im Internet näherbringen. Natürlich nehme ich Sie, wann immer es möglich ist, auch mit auf Tour, aber zunächst ist es wichtig, dass Sie hier einen ersten Einblick bekommen.“ „Sie sind der Chef“, entgegnete sie und nahm bereitwillig ihren Platz ein. „Huch! Was ist das denn?“, hörte ich sie, während ich mich umdrehte, um in meinem Büro zu verschwinden. Als ich nach ihr sah, sah ich nichts.

Meine neue Praktikantin war unter dem Schreibtisch verschwunden. „Was ist passiert?“, fragte ich besorgt, um Trudes Schreibtisch eilend. „Ich weiß auch nicht“, lachte Leonie. „Das ist ja hier wie im Heidepark. Plötzlich gings rasant nach unten.“ Der neue Drehstuhl hatte seine erste Bewährungsprobe nicht bestanden. „Haben Sie sich was getan?“ „I wo, ich habe mich nur etwas erschrocken“, entgegnete sie, während sie aufstand. Ich verschwand im Büro und holte meinen Stuhl. „So, jetzt nehmen Sie erst einmal diesen hier. Den anderen muss ich zunächst überprüfen.“

Offensichtlich hatte ich am falschen Ende gespart. Auch wenn das gute Stück inzwischen wieder sauber war, hatte ich die Funktionskontrolle vollkommen vergessen. Nach einer halben Stunde konzentrierter Arbeit war ich wieder Herr der Lage. Der Drehstuhl hielt. Derart angetan von meiner Leistung beschloss ich, das gute Stück erst einmal selber zu nutzen. Es hätte ja auch a bissel blöd ausgesehen, wenn ich mir für das Teil zu schade gewesen wäre. Abgesehen davon verbringe ich ohnehin die meiste Zeit im Außeneinsatz.

Der Umzug mit der Detektei in unser neues Heim schlug leider auch mit einer schlechteren Auslastung zu Buche. Die Krambuden waren einfach zentraler gelegen und die Einträge in den Gelben Seiten bezogen sich noch immer auf die alte Adresse. Immerhin konnte ich die alte Telefonnummer mitnehmen, aber das war auch nur ein schwacher Trost. Auf einen Nenner gebracht sah es folglich alles andere als rosig aus. Somit war Christoph Börner wieder einmal meine letzte Hoffnung.

„Hallo mein Freund. Du kannst Detlef einen schönen Gruß bestellen und ihm mitteilen, dass seine kleine Schwester ihren Dienst heute Morgen pünktlich angetreten hat.“ „Das werde ich, Leopold. Da wird er sich sicherlich freuen.“ Ich zögerte mit der nächsten Frage. „Du hast doch noch etwas auf dem Herzen, oder?“, hatte Christoph einmal mehr eine gute Antenne. „Nun ja, wie soll ich sagen. Die Detektei ist unter der neuen Adresse noch nicht so gut ausgelastet. Du hast wohl nicht zufällig einen Fall, bei dem du etwas Unterstützung gebrauchen könntest?“ „Leider nicht, Leopold.“

„Schade, aber da kann man dann halt nichts machen“, seufzte ich. „Du solltest Werbung machen. Ich weiß von Bekannten, dass die auf Bussen sehr effektiv ist.“ Ich stutzte. „Was glaubst du wohl, wie teuer so etwas ist.“ „Keine Ahnung, aber ich kann ja mal mit der Firma Schmidt darüber sprechen. Das sind Klienten von mir.“ „Nee, lass mal“, entgegnete ich. „Das ist lieb gemeint, aber es werden auch so wieder bessere Zeiten kommen. Notfalls schicke ich Axel wieder als Litfaßsäule ins Rennen.“ „Na gut, dass musst du wissen. Ich melde mich, sowie ich etwas für dich habe.“ Ich bedankte mich bei meinem Freund und beendete das Gespräch.

Ich hatte kaum aufgelegt, als Trude mit dem Mobilteil ihres Telefons hereinstürmte. Ich sah, dass sie die Sprechmuschel mit ihrer Handfläche abdeckte. „Bei Ihnen ist die ganze Zeit besetzt. Ich habe eine Frau Sonntag in der Leitung. Sie scheint ziemlich aufgeregt zu sein.“ „Sonntag?“ Ich dachte sofort an den Piloten des Heißluftballons. „Geben Sie her“, bat ich der Einfachheit halber um das Mobilteil. „Lessing.“

Eine knappe Viertelstunde später stand ich nur drei Straßen weiter vor der Haustür eines Reihenhauses. „Das ging ja wirklich schnell“, begrüßte mich Simone Sonntag, die Frau des Ballonfahrers. „Bitte treten Sie näher.“ Als ich ihr gegenübersaß, fielen mir zuerst ihre entzündeten Augen auf. Sie hatte sicherlich das ganze Wochenende über geweint. „Zunächst mein herzlichstes Beileid.“ „Danke.“ „Als Sie mir eben von dem Anruf erzählten, konnte ich es gar nicht glauben“, erklärte ich fassungslos. „Wie gesagt, noch ist nichts offiziell, aber nachdem was mein Bekannter sagte, deuten die Untersuchungen darauf hin, dass die Ballonhülle schadhaft war.“

Ich lehnte mich zurück und überlegte. „Ich bin kein Fachmann, aber wenn der Ballon kaputt gewesen wäre, dann wäre es Ihrem Mann doch sicherlich aufgefallen.“ „Genau darauf läuft es hinaus“, bestätigte sie meine Einschätzung. „Nikolaus war immer sehr gewissenhaft. Spätestens unmittelbar vor dem Start, wenn sich der Ballon mit heißer Luft füllt und sich aufrichtet, wäre ein Riss aufgefallen. Die wollen meinem Mann eindeutig die Schuld für das Unglück in die Schuhe schieben. Tote können sich ja auch nicht wehren.“

Ich musste hilflos mitansehen, wie sie erneut in Tränen ausbrach. „Nun beruhigen Sie sich bitte erst einmal. Solange man Ihren Mann für den Absturz nicht offiziell verantwortlich macht, sollten Sie auch nichts unternehmen.“ „Ich lasse es nicht zu, dass man das Andenken meines Mannes in den Schmutz zieht!“, schniefte sie. „Das kann ich verstehen.“ „Ich will nicht warten, bis es so weit ist. Wenn die Beweise verschwunden sind, lässt sich seine Unschuld nicht mehr beweisen.“

„Das Luftfahrt-Bundesamt ist eine unabhängige und in aller Welt angesehene Prüfstelle“, beruhigte ich sie. „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dort Beweise verschwinden.“ „Was verstehen Sie eigentlich nicht? Es geht mir darum, dass Sie unabhängig für mich ermitteln.“ Natürlich konnte ich verstehen, dass sie nach dem Anruf ihres Bekannten niemandem traute. Falls am Ende der Untersuchungen das Ergebnis stand, dass ihr Mann eine Mitschuld trug, konnten mögliche Ansprüche der Opfer-Hinterbliebenen auch gegen ihr Erbe geltend gemacht werden. Insofern ging es nicht nur um die Reputation ihres Mannes, sondern auch um ihre finanzielle Zukunft.

„Also gut, wenn Sie wollen, dass ich für sie tätig werde, benötige ich einen Auftrag und eine Vollmacht von Ihnen. Mein Tagessatz liegt bei sechshundert Euro zuzüglich Spesen.“ Frau Sonntag schluckte. „Das ist in Ordnung.“ „Dann kommen Sie bitte heute Nachmittag in die Detektei, um die Papiere zu unterschreiben. Bitte bringen Sie gleich das Geld für die ersten drei Tage mit.“ „Wenn das so Usus ist...“, entgegnete sie emotionslos. „Ich werde inzwischen sehen, ob ich schon etwas herausfinden kann“, versprach ich. „Allerdings benötige ich auch einige Informationen von Ihnen, um mir ein erstes Bild machen zu können.“ „Stellen Sie Ihre Fragen, Herr Lessing.“

„Ich gehe zunächst einmal davon aus, dass sich die Information Ihres Bekannten bestätigt und es sich tatsächlich um Materialermüdung handelt, die Ihr Mann allerdings nicht bemerken konnte.“ Frau Sonntag nickte mir zu. Offenbar hatte ich den richtigen Ton getroffen. „Hatte Ihr Mann Feinde, Neider, oder gab es jemanden, der Ihrem Mann aus irgendeinem Grund etwas Böses wollte?“ „Nikolaus war der anständigste Mensch, den ich kannte. Er hatte ganz bestimmt keine Feinde“, schien bereits der Gedanke an eine solche Möglichkeit für die Witwe unerträglich.

„Mir ist bekannt, dass der Ballon vom ‚Exer‘ startete. Ein Lagerschuppen habe ich dort allerdings nicht gesehen“, stellte ich die nächste Frage. „Er hat auf dem ehemaligen Kasernengelände eine kleine Halle gemietet. Dort stellte er den Anhänger und alles andere unter. Für kleinere Reparaturen hatte er dort auch eine Werkstatt eingerichtet.“ „Haben Sie einen Schlüssel für die Halle?“, hakte ich nach. Sie nickte und erhob sich, um die Schublade einer Kommode aufzuziehen.

„Er war bei den persönlichen Gegenständen, die mir bereits ausgehändigt wurden.“ Ich wunderte mich, dass der Schlüssel nicht von der Polizei in Verwahrung genommen wurde und nahm ihn an mich. „Ihr Mann hatte doch sicherlich Mitarbeiter.“ „Michael und Pascal sind geringfügig Beschäftigte. Sie fahren den Begleitwagen und helfen beim Auf und Abbau.“ „Ich würde gern mit den beiden sprechen.“ Sie griff erneut in die Schublade, „Dann brauchen Sie sicherlich die Nachnamen und die Telefonnummern.“ „So ist es und wo Sie schon dabei sind, können Sie mir auch gleich den Namen Ihres Bekannten vom Luftfahrt-Bundesamt nennen.“ „Leider nicht. Ich musste ihm versprechen, dass ich niemandem sage, von wem ich die Information habe.“ Das war vorauszusehen.

Bevor ich mich von meiner Klientin verabschiedete, fragte ich nach einem persönlichen Gegenstand ihres Mannes von dem ich zumindest einen Teil seiner Fingerabdrücke abnehmen konnte. Als ich ging, hatte ich ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend. Einerseits war ich voller Bewunderung für die Kraft, mit der diese Frau ihr Schicksal ertrug, andererseits war ich voller Anerkennung für das Engagement, mit dem sie den Ruf ihres Mannes verteidigte. Die Frage war nur, ob sie mit ihrer Empörung über das vermeintliche Untersuchungsergebnis des LBA nicht über das Ziel hinausschoss. Da sie mir den Namen ihres Informanten nicht nennen wollte, fehlte mir auch jeder Ansatzpunkt, um die Quelle zu überprüfen.

Immerhin war ich im Besitz des Schlüssels für die Lagerhalle am ‚Exer‘. Da meine Auftraggeberin ihn bereits wieder zurückerhalten hatte, ging ich davon aus, dass die Polizei und die Mitarbeiter des LBA alle eventuell vorhandenen Spuren, die von Relevanz waren, über das Wochenende gesichtet und gesichert hatten. Ebenso ging ich davon aus, dass die Halle durch die Polizei versiegelt worden war. Ich machte mich trotzdem auf den Weg zum ‚Exer‘, weil ich ein unverbesserlicher Optimist bin und weil eine Vermutung kein Fakt ist.

Wie nah Zufall und Realität manchmal beieinander lagen, wurde wieder einmal deutlich, als ich feststellen musste, dass sich die Möbelhalle der Diakonie direkt neben der Halle meiner Klientin befand. Als ich meinen Wagen mit einigem Abstand parkte, sah ich, wie vor dem Möbelkontor gerade ein LKW ausgeladen wurde. Offenbar wurde neue Ware angeliefert. Die direkten Nachbarn waren also beschäftigt und würden mich eher beiläufig bemerken.

Als ich der Halle näherkam, bestätigte sich meine Annahme. Der Eingang im Haupttor war versiegelt. Durch die schmutzige Glasscheibe konnte ich zumindest einen Blick in das Innere der Halle werfen. Da ich den Anhänger, auf dem sich sonst der Ballon mit dem Korb befand, nirgends entdecken konnte, ging ich davon aus, dass dieser noch bei dem LBA auf Spuren untersucht wurde. Was sollte ich auch finden, was die Spezialisten nicht längst gesichert und ausgewertet hatten?

Nur wenn ich davon ausging, dass es sich nicht um eine Materialermüdung des Ballons handelte und die Option einer vorsätzlichen Tat ins Spiel brachte, konnte ich den Mann meiner Klientin entlasten. Dies setzte natürlich voraus, dass der Ballon vorher so gut manipuliert wurde, dass es für den Piloten nicht möglich war, dies zu erkennen. Falls es für diese Mutmaßung Beweise oder zumindest Anhaltspunkte gab, konnte ich sie vielleicht in dieser Halle finden. Wenn nicht, gab es nur noch den Weg über ein mögliches Motiv. Dieses bei fünf Todesopfern zu finden, kam einem Puzzle mit tausend Teilen nahe.

Bei meinem Blick in das Innere der Halle fiel mir eine Tür auf, die offenbar nicht genutzt wurde, da sie durch einen Mülleimer, Besen und andere Dinge blockiert war. Das Besondere daran war, dass sie sich in der Wand zur Möbelhalle befand. Sie war mir bereits aufgefallen, als ich auf der anderen Seite den Drehstuhl fand. Wieder so ein Wink des Schicksals.

Während ich mich dem LKW näherte, aus dem noch immer Möbel in das Kontor gebracht wurden, traute ich meinen Augen nicht. „Bist du das, Ralf?“ Der Fahrer unterbrach seine Arbeit und sah mich verwundert an. Ich nahm meinen Stetson ab. „Leo?“ „Na, wenn das kein Zufall ist“, begrüßte ich meinen ehemaligen Klassenkameraden aus der Wallstraße. „Wie lange ist das jetzt her?“, erkundigte ich mich. „Seit dem letzten Klassentreffen“, entgegnete er. „Wir müssen unbedingt mal wieder über die alten Zeiten quatschen“, schlug er vor. „Das machen wir.“ „Ich muss jetzt erst mal hier fertig machen, aber wie wäre es heute Abend in der Schlossschänke?“ „Gut, sagen wir um acht?“ „Super.“

Auch wenn ich jetzt mehr Aufsehen erregt hatte, als es gut war, sah ich keinen Grund, mein Vorhaben abzubrechen. „Hallo, suchen Sie einen zweiten Bürostuhl?“, erkannte mich die Verkäuferin auf Anhieb wieder. Was selbstverständlich an meiner Persönlichkeit und nicht an meinem Stetson lag. „Kann schon sein“, entgegnete ich vage. „Mal sehen, was ihr hier sonst noch so zu bieten habt.“ „Sie kommen allein zurecht?“, fragte sie auf den LKW deutend. „Aber nur, weil ich sehe, wie viel Arbeit Sie gerade haben“, schmeichelte ich ihr. Die Stirn der Verkäuferin färbte sich rot, bevor sie sich zum LKW drehte.

Nun hieß es keine Zeit mehr zu verlieren. Immerhin fand ich sofort die Stelle wieder, an der ich die Tür oder besser gesagt, einen kleinen Teil von ihr gesehen hatte. Zum Glück befand sich kein Siegel daran. Ich zwängte mich zwischen zwei Schränken hindurch und räumte die Gegenstände zur Seite, die vor ihr abgestellt waren. Da die Tür verschlossen war, kam einmal mehr mein Schlosserbesteck zum Einsatz.

Einmal auf konnte ich behaupten, dass ich die Tür so vorgefunden hatte und dachte, der Laden ginge dahinter weiter. Ich zog die Tür also vorsichtig in meine Richtung, damit die auf der anderen Seite abgestellten Gegenstände nicht umkippten und durch die dabei entstehenden Geräusche jemand auf mich aufmerksam wurde. Als ich sicher war, von niemanden beobachtet zu werden, schob ich mich in die andere Halle hinüber.

Da stand ich nun wie der Ochs vorm Scheunentor. Ich besitze einen Akkuschrauber und bezeichne mich im weitestgehenden Sinne als Heimwerker, aber ich habe von dem Equipment, welches nötig ist, um einen Heißluftballon zu warten, nicht den Hauch einer Ahnung. Ich legte mein Augenmerk daher auf die Türschlösser und auf die im rückwärtigen Bereich der Halle gelegenen Ausstellfenster. Hierbei kommen die als Kommissar gemachten Erfahrungen und das auf der Polizeischule erlernte Wissen immer wieder zum Einsatz.

Dabei lassen sich mit bloßem Auge so ziemlich alle Einbruchspuren erkennen. An einem Ausstellfenster entdeckte ich letztlich Spuren, die auf gewaltsames Öffnen hindeuteten. An dem Oxydationsgrad der Metallstrebe erkannte ich, dass sich dieser Einbruch erst vor kurzem ereignet hatte. Im Staub, der sich wohl schon seit Monaten an dieser Stelle abgesetzt hatte, entdeckte ich mehrere Fingerabdrücke, die noch recht gut erhalten waren. Es erstaunte mich nicht, dass diese von der Polizei übersehen wurden. Man findet nur, wonach man sucht.

Vereinfacht ausgedrückt, gab es für die Kripo zu diesem Zeitpunkt keinerlei Gründe, um das Unglück kriminaltechnisch zu untersuchen. Dies würde sich dann ändern, wenn das LBA bei ihrer Untersuchung zu dem Schluss kommt, dass an dem Ballon oder dem Equipment manipuliert wurde. Da ich nichts dabeihatte, um die Prints zu sichern, sah ich mich in der Werkstatt nach etwas Geeignetem um. Eine Rolle Tesafilm erfüllte diesen Zweck.

Bevor ich den ersten möglichen Beweis sicherte, schoss ich einige Sicherungsfotos, um die Herkunft zu dokumentieren, dann beeilte ich mich, da mich die Verkäuferin wahrscheinlich schon vermisste. Ich öffnete die Verbindungstür und kehrte zurück ins Möbelkontor.

„Und, haben Sie noch etwas Schönes gefunden?“, empfing sie mich vor der Schrankwand. Ich war aufgeflogen. „Sie glauben wohl, ich mache meine Hose mit der Kneifzange zu, wie?“ Jetzt hieß es Farbe bekennen, um zu retten, was noch zu retten war. „Ich ermittle im Zusammenhang mit dem Ballonabsturz“, erklärte ich. „Habe ich mir schon gedacht. Ralf erzählte mir, dass Sie bei der Kripo sind.“ Ich überlegte einen Moment, ob es sinnvoll war den Irrtum meines Klassenkameraden richtig zu stellen. „Aber er sagte auch, Sie seien bei der Mordkommission.“ Ich legte den Finger über meine Lippen. „Psst, Ich ermittle undercover. Sie haben nichts gehört und nichts gesehen.“ Sie schluckte trocken und nickte. „Gut.“