Detektei Lessing

 

Band 42

 

Discgolf

 

-1-

 

Ella parkte ihren Wagen in der Nähe des Gutsparks. Sie schnappte sich ihre Sporttasche mit den Frisbeescheiben, drückte auf die Fernbedienung der Zentralverriegelung und machte sich auf den Weg. Am Eingang zum Gutspark begegnete ihr Sophia. „Hi“, begrüßten sich die Spielerinnen. „Willst du schon los?“ „Ja, ich habe eine Verabredung.“ „So, so, kenne ich ihn?“ „Nee, nicht was du schon wieder denkst“, entgegnete Sophia lächelnd. „Ich sehe mir in ‚Klein Denkte‘ eine Wohnung an. Du weißt doch, dass ich schon länger eine neue Bleibe suche.“ „Na, dann wünsche ich dir viel Erfolg.“ „Danke schön. Ich halte dich auf dem Laufenden“, versprach Sophia und setzte ihren Weg fort.

Ella sah ihr noch einen Augenblick nach. ‚Klein Denkte‘ , dachte sie grüblerisch. Als Altenpflegerin konnte sie vielleicht sogar in dem dort ansässigen Seniorenheim arbeiten. Sie war gespannt, ob sie die Wohnung bekommen würde. Wie auch immer, es war schade, dass sie den Parcours nicht gemeinsam spielen konnten. Ella mochte Sophia, war sie doch ebenso wie sie selbst bei der Auswahl ihrer Partner sehr wählerisch. Auch wenn sie drei Jahre jünger als Ella war, hatte ihr ebenfalls ein Mann das Herz gebrochen.

Obwohl die Sonne schien und nur ein mäßiger Wind durch den Gutspark wehte, war sie offenbar die einzige Discgolf – Spielerin auf der Anlage. Ella sah zur Uhr. Sie stutzte. Nachmittags war sonst mehr los. Sie zuckte mit den Achseln und begab sich zum Tee, dem ersten Abwurfpunkt. Von hier aus sollte der Frisbee bis dicht an den ersten Korb fliegen. Das Ziel befand sich in unmittelbarer Nähe zu einem Teich. Da sie der Frisbee mit dem ersten Drive schon so nah am Korb platzierte, dass sie auf eine weitere Annäherung verzichten und bereits mit dem zweiten Drive putten konnte, hatte sie die erste Bahn mit einem Wurf unter Par beendet.

Ella notierte das Ergebnis in ihrem Trainingsplan und positionierte sich am zweiten Tee, von dem aus der Frisbee über den Teich hinweg bis zum zweiten Korb, direkt vor das Gutshaus, fliegen sollte. Kein einfacher Kurs, weil der Frisbee eine Strecke von mehr als 90 Metern zurücklegen und dabei eine Rechtskurve fliegen musste. Eine Bahn, für die drei Würfe angesetzt waren. Das sogenannte Par.

Ella hatte einen guten Nachmittag, denn auch für diese schwierige Bahn benötigte sie lediglich zwei Abwürfe. Für den ersten Drive wählte sie eine Weitwurfscheibe aus, den sogenannten Driver. Die Frisbee kippte erst bei knapp 80 Metern zur Seite und landete günstig zum Korb. Als nächstes wählte sie die Midrange, die entgegen ihrer Erwartung, durch eine Windböe direkt bis ins Ziel flog. Ella konnte ihr Glück kaum fassen. Dementsprechend happy fiel ihre Reaktion aus. Hochzufrieden trug sie auch dieses Ergebnis in den Spielbogen ein.

Der dritte Tee befand sie nördlich von ihr auf einem Weg, der von Ost nach West verlief. Der Korb war hinter einem Baum aufgestellt. Auch für diese Bahn waren drei Abwürfe vorgesehen. Also ein Par drei. Um den Baum nach links zu umspielen, warf sie mit der Vorhand den Side-Arm. Als Linkshänderin war dieser Wurf von Vorteil. Die Frisbee landete etwa zehn Meter vom Korb entfernt. Alles sah nach einem weiteren Put aus und somit der dritten Bahn mit einem Wurf unter Par. Doch es kam anders als erwartet.

Gerade als Ella zum Put ansetzen wollte, wurde ihr rücklings ein Lappen mit einer stark riechenden Substanz über Mund und Nase gepresst. Sie versuchte sich mit aller Kraft zu wehren, verlor aber wenige Atemzüge später das Bewusstsein.

-2-

„Hallo Sophia, hier ist Stephan.“ „Hi, wie geht's dir?“, entgegnete die Altenpflegerin. „Danke, ganz gut. Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du Lust auf einen Parcours im Gutspark hast.“ Sophia stutzte. „Das ist echt putzig“, lachte sie ins Telefon. „In den vergangenen Wochen hat sich keiner von euch bei mir gemeldet und heute, wo ich mir gleich eine Wohnung ansehen will, hätte ich schon zweimal die Gelegenheit gehabt.“ „Wieso, wer hat dich denn noch gefragt?“, erkundigte sich Stephan neugierig. „Vor gerade mal einer Stunde traf ich Ella vor dem Gutspark“, erzählte Sophia. „Vielleicht hast du ja Glück und sie ist noch dort.“ „Okay, na dann viel Erfolg für die neue Wohnung und nichts für ungut, wenn ich mich jetzt spute“, hatte es Stephan plötzlich eilig. „Ja klar, danke und melde dich mal wieder.“

Zehn Minuten später parkte der Elektroniker seinen Wagen auf dem Parkplatz vor dem alten Gutshaus. Er griff nach seiner Sporttasche und machte sich auf den Weg in den Park. Seinen Berechnungen zufolge vermutete er Ella ungefähr am siebten Korb. Er eilte den Weg, über dem die dritte Bahn gespielt wurde, und ging über die Wegkreuzung nach links. Vom hier aus konnte er die große Wiese überblicken. Doch weit und breit war nichts von Ella zu sehen.

Er griff zum Handy, rief ihre eingespeicherte Telefonnummer auf und hoffte darauf, dass sie ihr Smartphone bei sich hatte. Was er hörte, war jedoch nur die Stimme ihrer Mailbox. Hatte sie das Gerät in ihrem Wagen zurückgelassen, um beim Spiel Ruhe zu haben? Da sonst niemand im Park unterwegs war, rief er nach ihr, während er den gesamten Parcours absuchte. Letztlich ärgerte er sich, weil er offenbar zu spät gekommen war. Wahrscheinlich hatte sie nur einen Durchgang, also nur neun Körbe, gespielt und danach abgebrochen. Eine Entscheidung, die er trotz aller Liebe zum Spiel nachvollziehen konnte. Auch er spielte lieber in Begleitung. Doch jetzt, wo er schon mal hier war, wollte er nicht unverrichteter Dinge wieder abziehen. Also begab er sich zum Abwurfpunkt der ersten Bahn.

Zu seinem Leidwesen lief es nicht so besonders. Die ersten beiden Bahnen hatte er jeweils mit einem Wurf über Par beendet und auf der dritten lief es auch nicht besser. Die Disc war auf dem Weg zum dritten Korb von einer Windböe erfasst worden und in das Dickicht mehrerer Sträucher getragen worden. „Ich hätte auch wieder nach Hause fahren sollen“, haderte er mit sich selbst, als er sich an den Zweigen eines Dornenbusches vorbei zwängte.

Plötzlich hielt er inne. Unmittelbar vor ihm lag eine Frisbeescheibe. Als er sie aufhob, entdeckte er Ellas Initialen darauf. Jeder Discgolfspieler verwendet ausschließlich seine eigenen Frisbees. Damit sie im Spiel mit anderen Spielern nicht vertauscht wird, werden die Scheiben gekennzeichnet. Kein Spieler würde eine verunglückte Disc auf dem Parcours zurücklassen. Auch Ella nicht, da war sich Stephan sicher. Irgendetwas war hier nicht in Ordnung, das spürte er.

Nachdem er das Gebüsch und auch alle weiteren ergebnislos abgesucht hatte, kam ihm eine Idee. Er wusste, dass Ella einen schwarzen Mini Cooper mit weißem Dach fuhr und er wusste, wo sie den Wagen gewöhnlich parkte. Er brauchte nur nachsehen, ob das Fahrzeug noch da war. Kurze Zeit später entdeckte er den Mini Cooper, der ihre Initialen im Kennzeichen trug. Kein Zweifel, wenn der Wagen noch da war, musste auch Ella noch da sein.

Da er selber schon zweimal den Park nach Ella abgesucht hatte und es schon bald dunkel werden würde, brauchte er dringend Hilfe. Er entschloss sich schließlich, bei der Polizei anzurufen. Nachdem er den Sachverhalt geschildert hatte, versprach man ihm einen Streifenwagen zu schicken. Das Gefühl, nicht wirklich ernst genommen zu werden, bestätigte sich, als die Beamten schon nach kurzer Suche seine Sorge zu zerstreuen versuchten. Ein eingehender Funkspruch setzte sie zudem unter Zugzwang.

„Wahrscheinlich hat Ihre Bekannte einen Freund oder eine Freundin getroffen und ist mit ihm oder ihr in dessen Auto unterwegs. Sie werden sehen, in ein paar Stunden taucht sie wieder auf und amüsiert sich darüber.“ „Ein solches Verhalten passt nicht zu Frau Neumann“, beharrte Stephan. „Nein, nein, da muss etwas passiert sein. Selbst wenn Ella ihren Wagen stehen ließe, würde sie ganz sicher nicht ihre Frisbee auf dem Parcours zurücklassen.“ Die Polizisten sahen sich vielsagend an. „Ihre Bekannte ist kein Kind mehr. So lange kein hinreichender Verdacht auf eine Straftat vorliegt, können wir nicht aktiv werden.“ „Muss sie erst ihren Kopf unter dem Arm tragen?“, entgegnete Stephan wütend. „Wie gesagt, uns sind da leider die Hände gebunden.“

Stephan war sich sicher, dass seiner Bekannten etwas Schlimmes zugestoßen sein musste. Er war fassungslos und fühlte sich in seiner Sorge alleingelassen. Er konnte doch nicht einfach so nach Hause fahren und so tun, als würde sich alles von allein erledigen? Was war, wenn Ella etwas zugestoßen war? Wenn sie irgendwo verletzt lag und Hilfe benötigte? Von der Polizei war er maßlos enttäuscht. Einen erneuten Hilferuf unter der Notrufnummer konnte er sich sparen. Der Gedanke, jemand von den Tee-Timers konnte ihm helfen, weil der Verein für den Parcours zuständig war, verflog ebenso schnell, wie er gekommen war.

Schließlich fiel ihm ein Bekannter ein, der ihm erst kürzlich einen Privatdetektiv empfahl. Nur der Name der Detektei wollte ihm einfach nicht einfallen. Auf dem Weg zu seinem Wagen erregte ein Plakat seine Aufmerksamkeit. Es hing in einem Schaukasten, der vor dem Gutshaus stand. Darauf warb die Lessingstadt Wolfenbüttel für eine kulturelle Veranstaltung. Er stutzte, blieb stehen und las noch einmal die Überschrift. Dann tippte er sich an die Stirn, weil ihm der Name Lessing wieder einfiel. Kurz darauf betrat er meine Detektei.

„Guten Tag, mein Name ist Unger. Ich müsste Herrn Lessing in einer wirklich dringenden Angelegenheit sprechen.“ „Sie haben Glück“, lächelte Leonie. „Der Chef ist gerade von einem Außeneinsatz zurück. Ich will mal sehen, ob er schon Zeit für Sie hat.“ „Es ist wirklich sehr dringend“, betonte Stephan noch einmal die Brisanz seines Ansinnens. Während sich Leonie erhob und in meinem Büro verschwand, bot ihm Trude einen Platz und einen Kaffee an.

„Sie waren noch nicht bei uns“, sagte sie zielsicher. „Darf ich fragen, wie Sie auf die Detektei Lessing kamen?“ „Ein Freund war sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit“, entgegnete Stephan. „Das hört man gern“, freute sich Trude. „Sie können jetzt hineingehen“, deutete Leonie auf die Tür zu meinem Büro. „Ich bringe den Kaffee nach“, versprach Trude.

„Guten Tag, Herr Unger“, empfing ich den Mann vor meinem Schreibtisch. „Nehmen Sie doch bitte Platz.“ „Danke.“ „Wo drückt denn der Schuh?“ „Es geht um eine gute Bekannte, die heute Nachmittag spurlos verschwand“, erklärte der Mann mit dem Kinnbart und der hohen Stirn sichtlich in Sorge. „Ich bin mir sicher, dass Ella etwas zugestoßen ist.“ „Dann erzählen Sie mal, wie Sie darauf kommen“, bat ich um den Grund für seine Befürchtung.

Nachdem mir Stephan Unger von dem Discgolf-Parcours im Lindener Gutspark und den Umständen erzählt hatte, war auch für mich klar, dass der jungen Frau möglicherweise etwas zugestoßen war. Was auch immer im Gutspark geschehen war, es war Eile geboten. „Versuchen Sie Ella Neumann bitte noch einmal anzurufen“, bat ich den Klienten, bevor ich mich der Sache annahm. Sein Anruf endete in der Mobilbox ihres Handys. „Sie geht nicht ran“, seufzte er verzweifelt. „Okay, dann fahren wir jetzt dorthin, wo Sie den Wagen Ihrer Bekannten fanden“, ergriff ich die Initiative.

Kurze Zeit später standen wir in der ‚Wiesenstraße‘ vor dem Wagen der Vermissten. „Sie lässt doch ihren Wagen hier nicht stehen“, zweifelte Stephan Unger. „Wo wohnt Frau Neumann eigentlich?“, erkundigte ich mich. „In der ‚Kreuzstraße‘. Die Nummer weiß ich nicht.“ „Es ist zwar bald dunkel, aber wir sollten noch einmal im Gutspark nachsehen. Ich würde gern die Stelle sehen, wo Sie die Frisbeescheibe von Frau Neumann fanden.“

Meinem Auftraggeber war deutlich anzumerken, wie erleichtert er war, dass ich die Initiative übernahm. Als wir die von dichtem Buschwerk umgebene Stelle erreichten, war es bereits so dunkel geworden, dass ich die Lampe in meinem Handy aktivieren musste, um bis auf den Boden sehen zu können.

„Da lag die Disc“, deutete er auf eine relativ freie Stelle. Ich sah mich genauer um. „Wenn die Frisbee so wichtig für Ihre Bekannte war, wie Sie mir sagten, hätte sie sicher danach gesucht und dann wäre sie sicherlich auch fündig geworden.“ „Sie glauben, Ella hat gar nicht nachgesehen?“, begriff mein Klient, worauf ich hinauswollte. „Irgendetwas oder irgendwer hat sie ganz offensichtlich davon abgehalten“, reflektierte ich die Situation. Die Stirn meines Begleiters legte sich in Falten. „Sie glauben, Ella wurde beobachtet?“ Ich nickte ihm wortlos zu, während ich mich weiter umsah.

„Eine weitere Suche macht jetzt nicht mehr viel Sinn“, räumte ich ein. „Wir sollten zur Wohnung Ihrer Bekannten fahren. Falls ihr wider Erwarten nichts zugestoßen sein sollte, wird sie früher oder später dort auftauchen.“ „Und wenn nicht?“, unkte mein Klient. „...könnte sie auch bei jemand anderen übernachtet haben“, brachte ich nicht ohne Grund eine weitere Variante ins Spiel. Ich wollte anhand seiner Reaktion sehen, was ihm die junge Frau tatsächlich bedeutete.

„In diesem Fall hätte ich mich wohl ziemlich zum Affen gemacht, nicht wahr?“ „Wer sich um einen anderen Menschen sorgt, verdient Respekt“, trat ich seiner Befürchtung entgegen. „Bevor wir jetzt zur Wohnung von Frau Neumann fahren, sollten Sie noch einmal versuchen, sie anzurufen. Vielleicht meldet sie sich ja jetzt.“

„Nichts, nur wieder die Mailbox“, seufzte er und brach den Anruf ab. „Moment mal, ich glaube, da hat gerade irgendwo ein Handy geklingelt“, hielt ich inne. „Versuchen Sie es doch bitte noch einmal.“ Wir hielten den Atem an. Ich hatte Recht. Irgendwo in der Nähe ertönte eine Melodie. „Ich glaube, es kommt aus der Richtung“, deutete ich in westliche Richtung auf den Tee der neunten Bahn. „Sie haben Recht, jetzt höre ich es auch“, bestätigte mein Auftraggeber meine Wahrnehmung.

„Jetzt ist es wieder ruhig.“ „Rufen Sie nochmal an“, bat ich, während ich in die Richtung lief, aus der nun wieder das Klingelzeichen ertönte. Kurz darauf fanden wir das Telefon inmitten eines Strauches. Ganz offensichtlich war es von jemandem an dieser Stelle weggeworfen worden. „Das ist Ellas Handy“, erkannte Stephan das Gerät. „Ich habe es schon öfter bei ihr gesehen.“ „Daran dürfte wohl kein Zweifel bestehen“, schlussfolgerte ich. „Das ist der Beweis, dass Ella etwas passiert sein muss“, argumentierte mein Auftraggeber in spe.

Ich sah mir das Telefon genauer an, konnte allerdings keinerlei Spuren daran feststellen, die auf Gewaltanwendung hindeuteten. „Es könnte ihrer Bekannten während des Spiels aus der Tasche gerutscht sein“, bremste ich seine Hoffnung, die Polizei mit dem Fund des Handys von einer Straftat überzeugen zu können. „So zumindest wird die Polizei den Fund beurteilen.“ „Aber zusammen mit der Disc und dem Wagen müssen die doch endlich kapieren, dass Ella etwas zugestoßen sein muss.“ „Tut mir leid, aber noch gibt es zu wenig Beweise, die auf eine Straftat hindeuten“, erklärte ich. „Dann fahren wir jetzt zur Wohnung Ihrer Bekannten.“

Laut Klingelschild bewohnte die Frau eine Wohnung im Parterre eines Fachwerkhauses. Helle Rollos verhinderten den direkten Blick ins Innere. Dennoch war zu erkennen, dass in der Wohnung kein Licht brannte. Offenbar war also niemand daheim. Folglich setzten wir uns in meinen Wagen und warteten.

„Was passiert als nächstes?“ „Ich gehe mal davon aus, dass Sie nicht im Besitz eines Schlüssels sind, der uns Zutritt zur Wohnung Ihrer Bekannten verschafft?“, fragte ich ihn etwas gestelzt. „Nein, so gut bekannt sind Ella und ich leider nicht“, gab mein Klient zu. „Immerhin so gut, dass Sie einen Detektiv engagieren“, entgegnete ich nicht ohne Grund. Der Mann auf dem Sitz an meiner Seite schluckte trocken.

„Arbeiten Sie eigentlich auf Stundenlohn?“, fragte er nach einer Weile angespannten Wartens. Ich verdrückte mir ein Schmunzeln. „Mein Honorar berechnet sich nach den allgemein üblichen Tagessätzen.“ „Und wie hoch sind diese Sätze?“, erkundigte er sich. „Meine Taxe liegt bei 350 Euro zuzüglich Spesen und Auslagen. Für jede Mitarbeiterin, die sich mit dem Fall beschäftigt, kommen noch einmal 150 Euro dazu.“

Eine gewisse Starre legte sich über seine Mimik. „Das ist eine ganze Menge Geld“, befand er, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. „Glauben Sie mir, ich bin jeden Cent davon wert. Aber wenn Ihnen das zu teuer ist, können Sie an dieser Stelle auch die Reißleine ziehen und ich berechne Ihnen nichts.“ Mein Klient überlegte einen Augenblick, ehe er mir zunickte. „Die Sache läuft. Finden Sie Ella.“

-3-

Nachdem sich mein Auftraggeber verabschiedet hatte, konnte ich den Fall endlich auf meine eigene Weise angehen. Da diese in der gegebenen Situation nicht so ganz regelkonform war, musste ich warten, bis auch im Rest des Hauses das Licht ausgegangen war. Als ich davon ausgehen konnte, dass alles schlief, musste ich nur noch darauf achten, dass mich niemand dabei beobachtete, wie ich eines der alten Fenster mit einem kräftigen Schraubendreher aufdrückte und in die Wohnung einstieg.

Im Lichtkegel meiner Taschenlampe sah ich einige Sachen auf dem Fußboden herumliegen. Auf einem Tisch standen etliche Gläser und Flaschen. Ich entschloss mich, das normale Licht einzuschalten. Wenn ein Passant zufällig den Lichtreflex meiner Taschenlampe sehen würde, konnte er annehmen, dass gerade ein Einbruch stattfinden würde. Das normale Licht hingegen würde niemandem auffallen und abgesehen davon erleichterte es mir meine Arbeit.

Offensichtlich war mir jemand zuvorgekommen. Ich fragte mich, wonach dieser Jemand gesucht hatte. Mehrere Schubladen waren halb aus den Schränken gezogen und durchwühlt. Im Schlafzimmer lagen etliche Kleidungsstücke über dem ungemachten Bett und in der Küche standen einige Schränke offen. In der Spüle türmte sich der Abwasch und in einem Topf, der auf dem Herd stand, trockneten undefinierbare Essensreste vor sich hin. Da ich keine weiteren Einbruchsspuren fand, musste sich der Unbekannte mit dem Türschlüssel der Vermissten Zugang verschafft haben.

Die ordentlichste war Ella Neumann nicht, aber mit ihren Dokumenten war sie umso genauer. Alles war fein säuberlich in drei Ordnungsmappen einsortiert. Unter anderem fiel mir ein Schreiben der Deutschen Bundesbahn vom November 2017 in die Hände. Darin war von einem Busunglück in Bayern die Rede und von einem niedrigen fünfstelligen Geldbetrag, der Ella in den nächsten Tagen zur Verfügung gestellt werden sollte. Es war also länger als drei Jahre her, dass die junge Frau ihre Eltern auf tragische Weise verloren hatte.

Nachdem, was mir Stephan Unger erzählt hatte, war sie seitdem auf sich allein gestellt. Abgesehen von einer unglücklichen Liebe gab es in dieser Zeit keine Männerbekanntschaften. Einmal abgesehen von ihren Arbeitskollegen in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel gab es nur noch einige vage Freunde vom Disc-Golf, die sie vermissen würden. Unter diesen Umständen konnten Tage vergehen, bis ihr Verschwinden überhaupt auffiel.

Ich fragte mich, ob der Täter nicht genau diesen Umstand mit ins Kalkül gezogen hatte. Meine Befürchtung ging daher in die Richtung, dass ein Vergewaltiger genau diesen Zeitraum nutzen würde, um seine kranken Fantasien mehrfach an der jungen Frau auszuleben. Möglicherweise blieb mir genau diese Zeitspanne, um Ella lebend zu finden. Die Fotos von ihr, die ich inzwischen in ihrer Wohnung entdeckt hatte, deuteten auf eine attraktive lebensbejahende Frau.

Bei der weiteren Inspektion ihrer Wohnung fiel mir ein Router auf, zu dem es jedoch keinen Rechner oder einen Laptop gab. Dennoch stieß ich in ihren Unterlagen auf einen Beleg, der den Kauf eines Laptops dokumentierte. War es das, wonach der Unbekannte gesucht hatte? Ich machte einige Fotos vom Zustand der Wohnung und nahm eine der Ordnungsmappen an mich. Im Schlafzimmer packte ich zwei bereits getragene Wäschestücke in eine Tüte. Sie sollten Bea zur Fährtenaufnahme bei einer umfassenden Suche im Gutspark dienen.

Während ich nach der Tüte suchte, fand ich in einer Schublade ihres Nachtschranks den Ersatzschlüssel ihres Autos und einen zweiten Haustürschlüssel. Somit konnte ich das von mir zuvor eingedrückte Fenster verriegeln und die Wohnung auf dem normalen Weg verlassen.

Nichts in der Wohnung deutete auf einen geplanten Besuch bei einem Freund oder Bekannten hin. Die Gläser und Flaschen auf dem Tisch im Wohnzimmer ließen eher das Gegenteil vermuten. Selbst ich hätte meine Wohnung nicht so zurückgelassen, wenn ich für längere Zeit wegbleiben wollte. Überdies deutete alles darauf hin, dass die Wohnung durchsucht worden war. Noch wusste ich zu wenig von Ella Neumann, um einen Grund für ihr Verschwinden zu sehen. Aber dies ließ sich ja ändern.

-4-

„Wir haben einen neuen Fall, meine Damen“, begrüßte ich Trude und Leonie, als ich nach einem leckeren Frühstück mit Ramona und Miriam die Detektei betrat. „Wird auch Zeit, dass es mal wieder ordentlich in der Kasse klingelt“, freute sich Trude. Bei dem Gedanken an die Reaktion unseres neuen Auftraggebers, als er von meinem Tagessatz erfuhr, fiel das Klingeln eher leise aus. „Wir suchen nach einer gewissen Ella Neumann“, erklärte ich. „Die junge Frau ist spurlos verschwunden.“ Ich reichte meiner Putzsekretärin das Handy der Vermissten. „Recherchieren Sie bitte im Internet alles, was es über Frau Neumann gibt. Kleiner Tipp, die Frau spielt Disc-Golf.“ „Was ist das denn?“ „Sie werden es ja sehen. Das Handy der Vermissten fanden wir an dem Ort, wo sie wahrscheinlich verschwand.“

„Und was mache ich?“, meldete sich Leonie zu Wort. Ich griff nach der Tüte mit der Wäsche. „Wir fahren zur Twelkenmühle und holen Bea. Sie soll bei einer erweiterten Suche im Gutspark die Fährte von Frau Neumann aufnehmen.“ „Bea?“, wunderte sich Leonie. „Ist sie denn als Fährtenhund ausgebildet?“ Ich winkte ab. „Das wird auch so klappen. Bea ist ein Naturtalent.“ Meine Azubine runzelte die Stirn. „Na da bin ich aber gespannt, Chef.“ „Ich auch.“

Axel und Bea warteten bereits auf uns. Ich hatte meinen Freund und Mitarbeiter von unterwegs angerufen und um seine Unterstützung bei der Suche gebeten. Als ehemaliger Obdachloser kannte er den Gutspark besser als jeder andere.

„Wusstest du, dass dort Disc-Golf gespielt wird?“, fragte ich Axel auf der Rückfahrt nach Wolfenbüttel. „Ja sicher, der Verein, der den Parcours betreibt ist einer der ältesten in Deutschland.“ „Bis gestern hatte ich keine Ahnung, dass es eine solche Sportart überhaupt gibt“, räumte ich ein. „Das geht mir genauso“, gab Leonie zu. „Ich weiß nur, dass sich die Spielregeln im Wesentlichen nach denen des Golfsports richten“, glänzte Axel. „Der Verein heißt Tee-Timers und das hat nichts mit dem Trinken von Tee zu tun.“ „Hab ich mir gedacht“, ließ sich Leonie nicht so leicht beeindrucken.

„Hoffentlich finden wir weitere Anhaltspunkte, die uns bei der Suche nach Frau Neumann weiterhelfen“, lenkte ich das Gespräch wieder auf den Grund unseres Besuchs im Gutspark. „Am besten beginnen wir mit Beas Einsatz an der Stelle, an der unser Auftraggeber die Disc der Vermissten fand“, schlug ich vor. „Hoffentlich liegt die Frau nicht schwer verletzt irgendwo herum“, befürchtete Axel. „So zügellos diese kranken Hirne heutzutage mit der Gewalt umgehen, muss man auf alles gefasst sein.“ „Stimmt“, gab ihm Leonie Recht. „Es reicht längst nicht mehr aus, wenn die Opfer wehrlos am Boden liegen.“

Wenig später parkte ich meinen Wagen auf dem Parkplatz am Gutshaus. Von hier aus gingen wir auf einem breiten Weg in südliche Richtung, vorbei an einem kleinen Teich, den ich bereits vom Vortag kannte. Kurz darauf bogen wir nach links auf eine große Wiese. So früh am Vormittag waren außer uns keine Leute im Park, was Beas Einsatz zugutekam. Andere Hunde hätten sie garantiert von ihrer Aufgabe abgelenkt.

Am Korb der dritten Bahn angelangt, wie ich von unserem Klienten gelernt hatte, öffnete ich die Tüte mit den Wäschestücken und hielt sie Bea direkt unter die Nase. Sie nahm eine ordentliche Dröhnung und zog Axel sofort zu den Sträuchern, in denen der Klient die Disc gefunden hatte. Demnach hatte sich Frau Neumann mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt des mutmaßlichen Überfalls am Tee zur vierten Bahn befunden. Meine Rekonstruktion des möglichen Szenarios ergab, dass sich der Angreifer zwischen dem Abwurfpunkt und dem Auffindeort der Disc im Dickicht versteckt haben muss und auf einen geeigneten Moment lauerte.

„Dort wurde die Disc gefunden!“, rief ich Axel zu, der quasi im selben Moment von Bea ins Gestrüpp gezogen wurde. „Am besten durchsuchen wir die Büsche vom Tee aus bis zu der Stelle, an der Axel und Bea gerade verschwanden. Pass bitte auf, wohin du trittst, achte auf Schuhabdrucke und alles, was nicht dort hingehört.“ In Leonies Gesicht zeichnete sich ein Fragezeichen ab. „Papiertaschentücher…“ „Ach so“, unterbrach sie mich. „Schon verstanden.“ Im selben Moment stiefelte sie auch schon los.

Ich frage mich, weshalb der vermeintliche Täter der jungen Frau überhaupt aufgelauert haben sollte. Er hätte ebenso gut direkt auf sie zugehen können. Ein möglicher Grund konnte darin liegen, dass sich Opfer und Täter kannten. Meine Gedanken wurden abrupt durch Leonies aufgeregte Rufe beendet. „Ich hab was gefunden“, deutete sie auf den Boden hinter einem Baum. „Zwar kein Tempo, aber schwarze Kippen. Solche habe ich auch noch nicht gesehen.“

„Nicht anfassen!“, unterband ich Leonies Absicht, sich danach zu bücken. „Du hast die möglichen DNS-Träger doch wohl hoffentlich noch nicht angefasst?“, legte ich meine Stirn in Falten. „Aber nein, wo denken Sie denn hin?“, zerstreute Leonie meine Befürchtungen, während ich ein Tütchen zur Beweismittelsicherung auf links drehte und die beiden Zigarettenkippen eintütete.

„Leopold!“, rief mich Axel im nächsten Moment aus einer Richtung, in der ich ihn überhaupt nicht vermutet hätte. Dies war der Augenblick, in dem sich die Ereignisse geradezu überschlugen. Als ich die Stelle erreichte, von der aus mich mein Freund gerufen hatte, begann Bea aufgeregt zu bellen. Die Dogge hatte auf einem in südliche Richtung verlaufenden Weg einige Tropfen Blut entdeckt. Ella Neumann oder der Täter hatten sich offenbar bei dem Überfall verletzt.

Da Bea immer noch sehr aufgeregt war und so stark zog, dass Axel sie kaum halten konnte, wies ich ihn und Leonie an, ihr weiter zu folgen. Ich nahm eine Probe von dem Blut und eilte ihnen nach. Keine fünfzig Meter weiter fanden die drei den nächsten Blutstropfen und kurz darauf einen weiteren. An einer Wegkreuzung bog Bea nach links auf einen Weg, der parallel zur Altenau verlief. Ein Flüsschen, welches ein Stück weiter in die Oker mündet.

Wir liefen nun in nördliche Richtung, bis der Bach seine Richtung änderte und sich nun nach Osten schlängelte. Bea stoppte genau an dieser Stelle. Am Ufer waren einige Schuhabdrucke zu sehen. „Sie müssen hier durch den Bach sein“, schlussfolgerte ich. „Dahinten stehen ein Müllcontainer und ein paar Kisten. Hinter den Bäumen“, zeigte Leonie auf die andere Seite des schmalen Baches. „Es nutzt nichts, wir müssen auf die andere Seite“, stellte ich klar. „Am besten gehen wir ein Stück weiter, den Bach entlang. Ich glaube da ist eine Brücke, die zur ‚Neindorfer Straße‘ führt.“

Ich hatte kaum ausgesprochen, als Leonie auch schon Anlauf nahm und auf den Bach zu rannte. Im nächsten Moment sprang sie ab und landete auf der anderen Uferseite. Das in mir aufkommende Gefühl wankte zwischen Übermut, Unvernunft und dem Wissen, nicht mehr der Jüngste und schon gar nicht mehr der Sportlichste zu sein. Blöd war es schon, als ich Axel bedeutete, lieber den Weg über die Brücke nehmen zu wollen, aber zumindest schien mir mein Freund angesichts der Entscheidung dankbar zu sein. „Warte aber vor dem Container auf uns!“, rief ich meiner Auszubildenden vorsichtshalber zu. Es war nur so ein Gedanke, aber ich wollte nicht, dass sie in den Müllbehälter sah, ehe ich es getan hatte. Ich wusste aus meinen ersten Jahren bei der Kripo, wie belastend das Bild von einem Toten sein konnte.

„Glauben Sie wirklich, die Vermisste könnte in dem Container liegen?“, fragte mich Leonie bei unserer Ankunft mit einem beklemmenden Unterton. „Ich könnte mir nur noch einen weiteren Grund dafür vorstellen, weshalb der Täter das Opfer ausgerechnet hierhergeschleppt hat“, antwortete ich nicht weniger bedrückt als sie und Axel es waren. Als ich den Deckel des Containers öffnete, schlug mir das Herz bis an den Hals. Auch nach all den Jahren, in denen ich bereits mit dem Tod konfrontiert war, kostet eine solche Situation Überwindung. Es gibt einfach keine Regel, mit der es sich weniger schlimm anfühlt, wenn man dem Tod begegnet.

Einige Sekunden später atmeten wir erleichtert durch. Es bestand nach wie vor Hoffnung, Ella Neumann lebend zu finden. Nichtsdestotrotz gab es nun einige Indizien, die vermuten ließen, dass die Sorge von Stephan Unger nicht unbegründet war. Somit war es an der Zeit, Oberkommissar Sinner in meinen Fall einzubeziehen. Ich brachte Bea und Axel zurück zur ‚Twelkenmühle‘ und Leonie in die Detektei. Sie konnte Trude bei der Internetrecherche unterstützen, während ich meinen Auftraggeber informierte, um gemeinsam mit ihm in die Dienststelle der Polizei an der ‚Lindener Straße‘ zu fahren. Letztlich war er es, der den Stein ins Rollen gebracht hatte und Sinner viel mehr zu Ella Neumann sagen konnte als ich.

-5-

„Seit wann vermissen Sie denn Frau Neumann?“, erkundigte sich Oberkommissar Sinner bei meinem Klienten. „Ich habe so um 15 Uhr den Notruf gewählt“, entgegnete Stephan Unger. „So gegen 16 Uhr brachen die Beamten die Suche im Park mit der Begründung ab, dass eine liegengebliebene Disc kein hinreichender Grund sei, um ein Unglück oder gar ein Verbrechen anzunehmen.“ Sinner verzog das Gesicht. „So leid es mir tut, Herr Unger, aber da hatten die Beamten sicher recht. Frau Neumann ist eine erwachsene Frau, die niemandem sagen muss, wohin sie geht.“ „Darum geht es doch gar nicht“, erwiderte mein Klient kopfschüttelnd. „Ich fürchte, das hat hier keinen Zweck.“

„Wir sind nicht hier, weil sich Herr Unger über das Verhalten der Polizisten beklagen will“, machte ich Sinner klar. „Wir fanden weitere Indizien, die darauf schließen lassen, dass Frau Neumann das Opfer einer Entführung wurde“, erklärte ich. Womit ich die Beweismitteltüten übergab. „Die Zigarettenkippen fanden wir in der Nähe der Stelle, an der Herr Unger die Frisbee entdeckte.“ „Schwarze Kippen“, stutzte Sinner. „Die habe ich auch noch nicht gesehen.“ „In dieser Tüte ist so eine Art Schotter, den wir auf einem der Wege fanden.“ „Sieht aus wie Blut“, sah sich der Oberkommissar die Probe prüfend an.

„Wie wäre es mit einer Laboruntersuchung, um auf Nummer sicher zu gehen?“, schlug ich vor. Sinner wog nachdenklich den Kopf. „Naja, schaden kann es ja nicht“, reagierte der Ermittler, den ich gerade in letzter Zeit ganz anders erlebt hatte, eher verhalten. „Aber selbst wenn es sich um das Blut Ihrer Bekannten handeln sollte, könnte es ebenso gut sein, dass sie sich beim Spiel leicht verletzte und deshalb blutete.“ „Das erklärt aber nicht, weshalb sie durch einen Bach läuft“, wartete ich mit der nächsten Ungereimtheit auf.

„Wie kommst du darauf, dass die Bekannte von Herrn Unger durch einen Bach gelaufen wäre“, löste sich Sinners Blick wieder von den Zigarettenkippen. „Bea hat die Spur der Vermissten bis an einen Bach verfolgt“, erklärte ich. „Bea?“, hakte Kommissar Schubert ungläubig nach. Sinners Kollege hatte sich bislang aus der Sache herausgehalten. „Sie haben wohl alles aufgefahren, was Beine hat“, konnte er sich seinen ironischen Kommentar nicht verkneifen. „Immerhin fand sie eine Spur. Die Polizisten waren ja nicht in der Lage dazu“, entgegnete ich bissig.

„So kommen wir nicht weiter“, versuchte Sinner die angespannte Situation zu entschärfen. „Das sind Fotos aus der Wohnung von Frau Neumann“, holte ich mein Smartphone heraus. „Wie du deutlich erkennen kannst, herrscht überall Unordnung. Es ist also davon auszugehen, dass die Wohnung von einer unbekannten Person durchsucht wurde.“ „Ich frage wohl besser nicht, wie du an die Fotos gelangt bist“, entgegnete Sinner. „Zu deiner Beruhigung. Als ich gestern Abend zur Adresse von Frau Neumann fuhr, stand die Wohnung bereits auf. Natürlich ging ich hinein, um eventuell Hilfe zu leisten.“ Mein Klient starrte mich fragend an. Ich hoffte, er würde meine kleine Notlüge unkommentiert lassen.

„Ist das die Wohnung Ihrer Bekannten?“, hielt ihm Sinner mein Smartphone vor die Nase. „Ja, kein Zweifel, das ist sie, aber so sieht es dort eigentlich immer aus.“ Ich verdrehte die Augen. Das war es dann mit den polizeilichen Ermittlungen. „Tja, ein Vorschlag zur Güte“, zeigte sich Sinner großherzig. „Ich gebe die Proben zur Auswertung in das Labor. Aber ich sage euch gleich, dass es ein paar Tage dauern kann, bis es Ergebnisse gibt. Die KTU ist wegen einiger brisanter Fälle momentan ziemlich ausgelastet.

„Wahrscheinlich hat sich Ihre Bekannte bis dahin längst wiederangefunden“, konnte sich Schubert eine letzte Breitseite nicht verkneifen. „Es wäre lieb, wenn Sie uns in diesem Fall so schnell wie möglich unterrichten würden“, setzte Sinner noch einen drauf. „Wir sind leider angehalten, unnütze Kosten zu vermeiden.“ Unglaublich. Was war hier nur los?

„Was war das denn gerade da drinnen?“, fragte mein Auftraggeber kopfschüttelnd. „Das kann ich Ihnen auch nicht sagen“, entgegnete ich ebenfalls mit Unverständnis. „Es ist zwar richtig, dass nicht wegen jeder erwachsenen Person, die vermisst wird, eine großangelegte Fahndung veranlasst werden kann, aber so wie es Indizien gibt, die auf eine Straftat hindeuten, sollte die Polizei aktiv werden“, fasste ich enttäuscht zusammen. „Genauso sollte es zumindest sein“, gab mir mein Klient recht.

„Vielleicht hätte er sich anders entschieden, wenn Sie die Fotos nicht in dieser Weise kommentiert hätten“, warf ich meinen Klienten vor. „Ich habe es bemerkt, aber da hatte ich es leider schon heraus geplappert“, entschuldigtes er sich. „Danach war natürlich nichts mehr zu retten“, seufzte ich.

„Da dem leider nicht so ist, müssen wir sehen, wie es in der Sache weitergehen soll.“ „Sie müssen natürlich weiterhin nach Ella suchen“, beschwor mich mein Klient. „Okay, wie Sie wollen, aber dann benötige ich einen Abschlag. Drei Tagessätze im Voraus sind üblich.“ „Eintausend Euro?“ „Zwei“, widersprach ich. Mein Auftraggeber schluckte und nickte. „Zweitausend. Ich werde Ihnen das Geld in den nächsten Tagen überweisen.“ „Heute“, erwiderte ich kompromisslos. „Gut, dann also heute.“ „Ich habe leider schon schlechte Erfahrungen gemacht.“

„Schon gut, aber wie geht es denn nun weiter?“, machte sich Stephan Unger die richtigen Gedanken. „Als erstes höre ich mich im Verein um, spreche mit den anderen Spielern und versuche mehr über Ella Neumanns Chancen bei den diesjährigen deutschen Meisterschaften herauszufinden.“ „Das kann ich Ihnen auch sagen“, bekundete mein Klient. Ellas Aussichten, in diesem Jahr endlich die deutschen Meisterschaften zu gewinnen, stehen sehr gut. Auch wenn ihre ärgste Rivalin etwas anderes behauptet.“ „Ist das so?“, hakte ich nach. „Ilse Michels kämpft mit allen Mitteln.“

Ich wurde hellhörig. Lag darin eventuell bereits ein Motiv? „Würden Sie dieser Dame zutrauen, dass sie Ella wegen der bevorstehenden Meisterschaft entführt hat, um sich der unliebsamen Konkurrenz zu entledigen?“ Mein Klient griff sich nachdenklich an den Kopf. „Wie gesagt, sie kämpft mit allen Mitteln und ich traue ihr Einiges zu, aber ich weiß nicht, ob sie so weit gehen würde, andererseits kenne ich Ilse auch nicht so gut.“ „Auf jeden Fall gibt es einen ersten Ansatz“, resümierte ich. „Nach dem Verein werde ich mich in der JVA bei Ellas Kollegen und Vorgesetzten erkundigen. Sie wäre nicht die erste Angestellte in einer Vollzugsanstalt, der man auf Grund ihres Berufes etwas angetan hätte.“

„Das hört sich schon recht vielversprechend an“, räumte mein Auftraggeber ein. „Hauptsache wir unternehmen etwas und warten nicht, bis die Polizei irgendwann mal aktiv wird.“ „So ist es“, bestätigte ich. „Die ersten drei Tage können entscheidend sein. Es wäre fatal, wenn wir erst auf die Ergebnisse aus dem Labor warten würden.“ „Hoffentlich wurde Ella nicht so schwer verletzt“, bangte Stephan Unger. „Wenn ich doch bloß eher im Park gewesen wäre.“

-6-

„Wie geht es denn jetzt weiter, Chef?“, überfiel mich Leonie, kaum dass ich die Detektei betreten hatte. „Lass den Chef doch erst mal reinkommen“, mahnte Trude. Meine Putzsekretärin kannte mich lange genug, um zu sehen, dass mir eine Laus über die Leber gelaufen war. „Erstmal einen Kaffee?“ „Sie sind die Beste, Trude“, entgegnete ich, während ich in meinem Büro verschwand. Leonie sah ihre Kollegin fragend an. Als ich die Tür hinter mir schloss, sah ich, wie die gute Seele Leonie mit der flachen Hand zu mehr Gelassenheit aufforderte. Nach all den gemeinsamen Jahren wusste Trude halt, wie sie mit mir umgehen musste.

„Was ist passiert, Chef?“, fragte sie vorsichtig nach, als sie den Kaffee hereintrug. Ich nahm einen guten Schluck und holte tief Luft. „Ich verstehe Sinner nicht“, begann ich zu erzählen. „Mal ist er super aufgeschlossen und kommunikativ und dann wieder benimmt er sich wie der letzte Arsch.“ „Aber das kennen wir doch schon von dem Oberkommissar“, bekundete Trude. „Aber nicht so“, entgegnete ich mürrisch. „Es gibt ja nun eindeutige Indizien, die auf eine Straftat hindeuten.“ „Also ermittelt die Polizei nicht!“, stürmte Leonie in mein Büro. In ihrer Hand befanden sich einige Zettel. „So ist es“, bestätigte ich.

„Aber das ist doch prima, dann können wir weiter ermitteln“, platzte es aus ihr heraus. Trude und ich sahen uns mit verzogener Mimik wortlos an. Was Leonie natürlich nicht verborgen blieb. „Das stimmt doch, oder nicht?“ „Ja sicher, aber das Opfer hätte erheblich größere Chancen, wenn auch die Polizei nach ihr suchen würde.“ „So habe ich es noch gar nicht gesehen“, gab meine Auszubildende kleinlaut zu. „Das Wohl der Opfer hat stets höchste Priorität“, erklärte ich. „Ja natürlich.“

„Was hast du denn da?“, spielte ich auf die Papiere an, die sie in der Hand hielt. „Das sind die Ergebnisse der Recherche von Trude und die Auswertung des Handys.“ „Ella Neumann stand ziemlich allein da“, berichtete meine Putzsekretärin. „Nachdem ihre Eltern vor drei Jahren bei einem Busunglück in der Nähe von Landshut ums Leben kamen, gibt es nur noch die Schwester ihrer Mutter, die sie damals in Bayern besuchten. Zu ihr hat die Vermisste allerdings keinen Kontakt mehr.“

„Zumindest war der Kontakt nicht in ihrem Handy gespeichert“, fügte Leonie an. „In letzten Jahr war sie deutsche Vizemeisterin im Disc-Golf“, fuhr Trude fort. „Bei Facebook fand ich nichts, aber dafür war Ella Neumann häufig auf Twitter und auf Instagram unterwegs. Dabei ging es ausschließlich um Disc-Golf. Private Inhalte waren keine von ihr gepostet.“ „Gab es Sprachnachrichten?“ „Nur von unserem Auftraggeber“, entgegnete Leonie. „Sonst gab es nur noch einige WhatsApp Kontakte. Ich habe die Namen und den interessantesten Verlauf ausgedruckt.“ „Sehr gut.“

„Es gibt einige Zeitungsberichte über die deutschen Meisterschaften. Dort wird Ella immer wieder mal genannt, aber die ganz große Anerkennung für ihren Sport blieb bislang aus“, erklärte Trude. „Bei einer Reportage über die Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel war sie auf einem Foto neben der Guillotine zu sehen.“ „Nicht unbedingt ein Foto, um das man sich reißt“, bemerkte ich nachdenklich.

„Keine Fotos von Weihnachts- oder Betriebsfeiern? Keine Posts von irgendwelchen Peinlichkeiten?“, hakte ich nach. „Bis letztes Jahr gab es da nicht das Geringste. Aber in den vergangenen Monaten dafür umso mehr“, bestätigte Trude, was unser Klient bereits angedeutet hatte. „Alles Posts, mit denen Ella verunglimpft werden sollte.“

Natürlich fiel mir sofort Ilse Michels ein. Ich sah mir die betreffenden Ausdrucke an. Das war ganz sicher kein Spaß mehr. Neben Fotos, die Ella bei kleineren Peinlichkeiten auf dem Disc-Golf-Parcours zeigte, gab es auch ein Foto, das sie beispielsweise beim Toilettengang zeigte. „Konnten Sie nachvollziehen, wer der Urheber war?“ „Ich bin noch dran“, zeigte sich Trude zuversichtlich. „Das könnte eventuell noch sehr bedeutsam werden“, machte ich meiner Putzsekretärin Dampf. „Noch ein Tipp. Suchen Sie nach einer Ilse Michels.“ „Okay.“ „Aber zuerst machen Sie uns einen Termin beim Vorsitzenden der Tee-Timers. Ich bin gespannt, was uns der Mann über Ella Neumann und zu den Fotos sagen kann.“

„Ach, Chef, fast hätte ich es vergessen. Sie sollen noch zu Ihrer Frau kommen“, erinnerte sich Trude. „Gut, dann fahren wir zuerst beim Gericht vorbei.“ „Nee, nee, Ihre Frau ist oben.“ „Na sagen Sie das doch gleich.“ „Soll ich am Auto auf Sie warten?“, erkundigte sich Leonie. „Ja, ja, es wird nicht lange dauern“, erwiderte ich zuversichtlich, während ich über die Treppe nach oben stakste.

„Schön, dass du dich endlich blicken lässt“, empfing mich Miriam. „Was ist denn los?“ „Du weißt, ich habe viel Verständnis für deine Arbeit, Leo, aber eigentlich hast du mir versprochen, bis heute die Küche zu streichen.“ Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. „Ja und sowie ich Zeit habe, mache ich das auch noch“, versuchte ich die Wogen zu glätten. „Immer dasselbe Lied von der Zeit“, entgegnete mein Schatz ziemlich angefressen. „Wenn ich von der Befragung zurückkomme, fange ich an.“ „Dein Wort in Gottes Ohr“, traute Miriam meinem Versprechen nicht so recht. „Ich gebe dir mein Wort.“ Miriam sah mich scharf an. „Na, da bin ich ja mal gespannt.“

„Hat das mit dem Termin geklappt?“ „Der erste Vorsitzende war nicht zu erreichen, aber Trude hat uns bei seinem Stellvertreter angemeldet. Wir müssen zum Rathaus fahren. Der Mann ist beim Stadtmarketing angestellt.“ Ich horchte auf. Der Leiter des Stadtmarketings war mir gut bekannt. „Handelt es sich um einen Herrn Dauerwell?“ Meine Azubine sah auf den Zettel, den ihr Trude gegeben hatte. „Nee, der Mann heißt Zaungiebel.“ „Na, dann lassen wir uns mal überraschen.“

Da ich das Rathaus von einem meiner Fälle her gut kannte , in dem ich das von Dieben gestohlene goldene Buch der Stadt wiederbeschaffen sollte, nahm ich an, dass es mir relativ leichtfallen würde, das Stadtmarketing in dem verwinkelten Rathaus zu finden. Nach zehn Treppen und etlichen Fluren überwand ich meinen Stolz und fragte jemanden. Zu meiner Schande musste ich mir sagen lassen, dass sich das Stadtmarketing in einer Außenstelle in der ‚Kanzleistraße‘ befindet. Natürlich kamen wir nun zu spät zu unserem eigenen Termin. Peinlich, aber nicht zu ändern.

„Guten Tag Herr Zaungiebel, sorry wegen unserer Verspätung. Wir haben zunächst im Rathaus nach Ihnen gesucht.“ „Da sind Sie wahrlich nicht die Ersten und sicherlich auch nicht die Letzten.“, zeigte Zaungiebel Verständnis. „Ihre Sekretärin sagte, es ginge um Ella Neumann, die seit gestern vermisst wird.“ „So ist es.“ „Ich kenne Ella vom Sport her.“ „Genau deshalb wollten wir mit Ihnen sprechen“, erklärte ich. „Sie ist beim Disc-Golf Training im Gutspark verschwunden. Unser Klient wollte sie dort treffen. Als er dort lediglich ihre Disc fand, begann er sich zu sorgen.“ „Das ist allerdings ungewöhnlich für Ella. Top-Spieler wie Ella hüten ihre Discs wie ihren Augapfel. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihre Disc einfach so zurücklässt.“ „Es gibt inzwischen weitere Indizien, die eine Straftat wahrscheinlich machen“, führte ich weiter aus. „Das ist ja entsetzlich“, zeigte sich Zaungiebel betroffen“, während er uns einen Platz vor seinem Schreibtisch anbot. „Sie sehen mich geradezu erschüttert.“ „Bislang steht, wie gesagt, nicht fest, ob eine Straftat vorliegt“, unterstrich ich.

„Ein Unfall ist ausgeschlossen? Nicht, dass sie dort noch irgendwo hilflos herumliegt.“ „Das war natürlich auch unser erster Gedanke“, stellte ich klar. „Selbstverständlich wurde der Gutspark ausgiebig abgesucht. Das Auto von Frau Neumann ist nach wie vor in der Wiesenstraße geparkt. Weshalb sollte sie ihren Wagen dort zurücklassen?" „Stimmt“, pflichtete mir der sportlich erscheinende Mann bei. „Uns würde interessieren, was für ein Mensch Frau Neumann war. Wie weit gingen ihre sportlichen Ambitionen und wie war ihr Verhältnis zu ihren Mitspielern im Verein.“

„Gut“, entgegnete der Mann hinter dem Schreibtisch knapp. Zu knapp, wie ihm im nächsten Moment selber bewusstwurde. „Ella hat eigentlich zu allen ein gutes Verhältnis.“ „Eigentlich?“, hakte ich nach. „Wenn jemand erfolgreich ist, weckt dies natürlich auch Begehrlichkeiten. Zuweilen hat sie ihre Klasse auch schon mal durchblicken lassen.“ „Wie meinen sie das?“, fragte Leonie nach. „Na ja, wenn sie sich von ihren Mitspielern unterfordert fühlte, stichelte sie auch schon mal.“ „Gegen jemand Bestimmten?“ „Nee, da bekam jeder sein Fett weg“, erklärte er. „Also doch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen“, resümierte Leonie. „Ach was, alles ganz normal. Ella hatte eben eine Menge Ehrgeiz und der Erfolg gab ihr schließlich ja auch Recht.“

„Sie wurde im vergangenen Jahr in Salzgitter zweite der deutschen Meisterschaften, nicht wahr?“, glänzte ich. „So ist es“, bestätigte Zaungiebel. „Es ist also nur verständlich, wenn Frau Neumann die nächsten Meisterschaften gewinnen will.“ „Gibt es jemanden, mit dem sich die Vermisste besonders gut verstanden hat?“, schob Leonie eine weitere Frage nach. Der stellvertretende Vereinsvorsitzende legte nachdenklich seine Stirn in Falten. „Vielleicht die Sophia. Die beiden Frauen trainierten zumindest öfter zusammen.“ „Sophia“, wiederholte Leonie. „...und wie weiter?“ „Schilling.“ Zaungiebel zog einer der Schreibtischschubladen auf. „Moment, ich kann Ihnen die Telefonnummer geben.“

„Es gibt da in den sozialen Netzwerken einige Posts, mit denen Ella Neumann ziemlich heftig angegriffen wird“, sprach ich ein Thema an, welches mir auch persönlich am Herzen liegt. „Wie gesagt, Erfolg weckt auch Missgunst. Leider kämpfen nicht alle Konkurrenten mit fairen Mitteln um die kommende Meisterschaft.“ „Was, außer dem sportlichen Erfolg, könnte denn jemanden zu solchen Gemeinheiten antreiben?“, fragte ich naiv nach. „Dem deutschen Meister winken Sponsorenverträge und nicht selten beträchtliche Werbeeinnahmen.“ „Über welche Summen sprechen wir hier?“, hakte ich nach. Der Angesprochene wog den Kopf. „Zwanzigtausend und mehr. Je nachdem.“

Ein Pfiff entfleuchte Leonies Lippen. „Ich dachte, wir sind noch im Amateurbereich“, reagierte ich überrascht. „Sind wir, aber die Besten können sogar davon leben. Da gibt es Leute, die mit Wohnmobil oder Caravan durch die Lande ziehen und von den Prämien leben.“ „Das hätte ich jetzt nicht unbedingt erwartet“, gab ich zu. „Vielleicht wäre das ja auch was für mich“, schien Leonie angetan von der Vorstellung von Geld und Freiheit. „Ich bin gespannt, wie dein Onkel darauf reagieren würde“, konnte ich mir die kleine Spitze nicht verkneifen.

„Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ermittelt die Polizei bislang noch nicht, oder?“, erkundigte sich der stellvertretende Vereinsvorsitzende. „Deswegen bin ich hier“, erklärte ich. „Sie sind Detektiv, Sie ermitteln, wenn Sie von jemandem dafür bezahlt werden“, sinnierte der Mann. „So ist das Geschäftsmodell“, lächelte ich, seine nächste Frage bereits erahnend. „Darf ich fragen, wer Sie bezahlt?“ „Sicher dürfen Sie das“, entgegnete ich. „Allerdings werde ich Ihre Frage nicht beantworten.“

„Aber Sie könnten mir Ihre Karte geben, damit ich weiß, an wen ich mich wenden kann, falls ich mal ein Problem habe.“ „Das kann ich gerne tun.“ „Bitte halten Sie mich in der Sache auf dem Laufenden“, bat Zaungiebel. „Das gilt aber auch für Sie“, nickte ich ihm zu. „Falls Ihnen noch etwas einfällt, haben Sie ja jetzt meine Karte.“ „Selbstverständlich.“ Ich hielt inne. „Eine letzte Frage noch. Wer ist denn die größte Konkurrentin von Frau Neumann?“ Der Mann hinter dem Schreibtisch zögerte. „Ich erfahre es sowieso“, schob ich ihn an. „Er zuckte mit den Achseln. Es ist ja kein Geheimnis, dass Ilse Michels nach Ella die größten Siegeschancen hat.“ „Danke.“ „Denken Sie an Ihr Versprechen.“ Ich nickte.

„Merkwürdiger Typ“, sagte Leonie stirnrunzelnd, kaum dass wir das Gebäude in der Kanzleistraße wieder verlassen hatten. „Du hast Recht, er ist zwar freundlich, aber er verrät uns nur so viel, wie er unbedingt muss.“ „Das ist mir auch aufgefallen“, stimmte mir Leonie zu. „Wo wollen Sie eigentlich hin, Chef?“ Ich stoppte, sah mich irritiert um, griff mich an die Stirn und musste lachen. „Ich war auf dem Weg zu den Krambuden.“ „War da nicht mal die Detektei?“ „Eben.“

Detektei Lessing Band 19 'Der Hasardeur',