Detektei Lessing

 

Der Fluch des Delinquenten

 

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Das alte Fachwerkhaus an der Ecke zum Holzmarkt war erbärmlich anzuschauen. Es war zu einer Zeit errichtet worden, als die Stadt noch von einem Herzog regiert wurde und hatte somit vieles kommen und gehen sehen. Der alte Besitzer konnte schon seit Jahren nicht mehr die nötigen Reparaturen an seinem Haus durchführen lassen. Dementsprechend schlecht war der Zustand des Hauses. Er hatte sein ganzes Leben in diesem Gebäude zugebracht, hatte seine Kinder darin großgezogen und so manch schwere Zeit darin überstanden. Hierzu gehörte vor allem der Tod der Tochter, die an Keuchhusten verstarb. Nachdem nun auch noch die Ehefrau von ihm ging, ließ sich der ehemalige Postbote nur noch gehen, aß und trank nicht mehr regelmäßig und folgte seiner einzigen Liebe nach nicht einmal einem halben Jahr auf dem letzten Weg.

Erst jetzt kehrte der Sohn aus der Fremde zurück und auch nur, weil er den Nachlass seiner Eltern verkaufen wollte, denn in seinem Herzen trug er schlimme Erinnerungen, die in ihm eine böse Kindheit wachhielten. Hinzu kam, dass er so schnell wie möglich zurück nach Spanien wollte. So konnte es niemanden wundern, dass er bereits das erste, wenngleich schlechte Angebot annahm. Auf diese Weise erbrachte das alte Gebäude bei weitem nicht, was sich der Erbe erhofft hatte.

Der neue Besitzer der alten Immobilie war der gebürtige Wolfenbütteler Industriekaufmann Sven Sandfort. Der Sohn einer bekannten und alteingesessenen Kaufmannsfamilie beauftragte einen befreundeten Bauunternehmer, das alte Haus grundlegend zu sanieren, denn er trug sich mit dem Gedanken, nach dem Einzug mit seiner Braut dort eine Familie zu gründen. Er hatte das historische Fachwerkhaus aus gutem Grund gewählt. Es war klein und es lag sehr zentral. Hinzu kam der ganz besondere Flair, der von diesem Gebäude ausging. Mehr noch, es war, als weckte es eine Sehnsucht in ihm, ein Begehren, genau dieses und kein anderes Haus zu kaufen.

 

2.

 

„Für das, was die Sanierung dieses Hauses kosten wird, kannst du dir einen schicken Neubau hinstellen“, erklärte Bruno dem Auszubildenden. „Für mich ist es kaum nachvollziehbar, weshalb jemand so viel Geld in ein so altes Haus steckt“, entgegnete der Azubi. Der Polier zuckte mit den Schultern. „Uns kann es egal sein, wie der Alte das Geld für unseren Lohn zusammenbringt. Hauptsache, die Kohle ist pünktlich auf dem Konto.“ „Das ist wohl wahr“, nickte Tobias. „Und weil das so ist, wirst du als nächstes die Ziegelwand im Keller einreißen.“ Der Stift verzog kritisch das Gesicht. „Ich würde zu gern wissen, weshalb die mal gemauert wurde.“ Die Stirn des Poliers krauste sich. „Statisch macht sie zumindest keinen Sinn. Wie auch immer, wir werden es wohl nicht mehr erfahren.“

Tobias traute dem Braten nicht so recht. Wenn er eines bislang gelernt hatte, so war es die Tatsache, dass sich die alten Baumeister bei allem, was sie taten, etwas dachten. Bevor er sich an die Arbeit machte, sah er noch einmal ganz genau hin, doch der Polier schien Recht zu haben. Auch er konnte keinen Sinn in der etwa zwei Meter hohen und einen Meter breiten Mauer erkennen. Wenigstens boten die sandigen Fugen zwischen den alten gebrannten Ziegelsteinen seinem Meißel nicht viel entgegenzusetzen und so hatte er bereits nach kurzer Zeit die obersten Steinreihen abgetragen.

Als einer der Steine plötzlich in einem Hohlraum hinter der Mauer verschwand, griff er sich die Arbeitslampe, stieg die Leiter bis ganz nach oben und leuchtete in das schwarze Loch, welches sich ihm nun auftat. Als der Lichtschein das etwa dreißig Zentimeter tiefe Loch hinter der Wand erhellte, blickte er geradewegs in die leeren Augenhöhlen eines Schädels und erschrak bis ins Mark. Während er entsetzt zurückwich, verlor er das Gleichgewicht und stürzte von der Leiter.

Die herbeigeeilten Kollegen reagierten mehr als erleichtert, als sich der Lehrling mit ihrer Hilfe wieder aufrappelte. „Ja sag mal, Junge, musst du uns einen solchen Schrecken einjagen? Wir dachten schon, dein letztes Stündlein habe geschlagen.“ „Das dachte ich auch, als ich in diese toten Augen sah“, erwiderte der Azubi. Bruno schüttelte den Kopf und tippte sich mit einer verständnislosen Geste an die Stirn. „Er muss bei dem Sturz auf den Kopf gefallen sein.“ Als Tobias die ungläubige Reaktion des Poliers mitbekam, bekräftigte er, was er gerade gesehen hatte. „So glauben Sie mir doch, hinter der Wand steht ein Skelett!“ „Das muss der Wächter des Bernsteinzimmers sein“, lachte der Polier, „...das haben sie bis heute nicht gefunden.“ „Dann sehen Sie doch selber nach!“, beharrte Tobias auf das, was er gesehen hatte. „Wie denn, die Lampe ist bei dem Sturz ja wohl mit kaputt gegangen.“

„Ich habe eine Taschenlampe!“, rief Kevin, der bereits im letzten Lehrjahr war und sprang auf die Sprossen. Nachdem er ebenfalls in das Loch geschaut hatte, stieg er wortlos von der Leiter. „Was ist denn nun?“, erkundigte sich Bruno. Kevin war inzwischen kreidebleich um die Nase. „Tobi hat Recht“, erwiderte er knapp. Der Polier schien den Aussagen seiner Auszubildenden auch jetzt noch mehr als skeptisch gegenüberzustehen. „Ihr wollt mich doch verarschen“, entgegnete er, griff nach der Taschenlampe und stieg nun seinerseits auf die Leiter, um sich zu vergewissern.

Wenig später standen Sven Sandfort, dessen befreundeter Bauunternehmer, Max Kraft, zwei Kriminalbeamte, ein Herr vom Bauamt und ein Vertreter des Denkmalamtes im Keller des alten Gemäuers. Nachdem sich der Polier von dem ersten Schreck erholt hatte, war ihm klar, dass er die Arbeiten am Haus sofort einstellen und seinen Chef informieren musste. Was auch immer in diesem Keller geschehen war, es bedurfte der Klärung durch die anwesenden Fachleute, denn aufgrund der Auffindesituation lag ein Verbrechen nahe.

Während der Polier die rote Ziegelwand persönlich weiter abtrug, achteten die Kriminologen darauf, dass dies mit äußerster Vorsicht geschah. Die Leute der Spurensicherung dokumentierten den Fortgang der Arbeiten, indem Fotos gemacht und eine detailgetreue Skizze anfertigt wurde. Der ebenfalls hinzugerufene Rechtsmediziner barg die nach und nach freigelegten Knochen und ordnete sie auf einer ausgelegten Plane gemäß ihrer Auffindesituation. Hierbei kam dem Mediziner der Umstand zugute, dass der Hohlraum, während des Einmauerns der Leiche, offensichtlich immer wieder mit Sand aufgefüllt worden war.

„Wie alt ist das Gebäude?“, erkundigte sich Oberkommissar Sinner bei dem Herrn vom Denkmalamt. „Die meisten Häuser auf dem Holzmarkt, der ehemals Kaiserplatz genannt wurde, wurden im 16. Jahrhundert erbaut.“ Der Sachverständige sah sich prüfend um. „Ich müsste in den Unterlagen nachschlagen, aber aufgrund der Bausubstanz könnte es durchaus sein, dass dieses Fachwerkhaus über vierhundert Jahre alt ist.“ „Lässt sich noch herausfinden, wer die Besitzer dieses Hauses waren?“, hakte der Oberkommissar nach. „Nun, bei manchen Häusern lässt sich dies anhand von alten Kirchenbüchern nachvollziehen. Oftmals gibt es aber auch alte Aufzeichnungen, die von Stadtschreibern und Steuereintreibern im Dienste der Wolfenbütteler Herzöge gemacht wurden. Nicht zuletzt gibt es einige Historiker, die sich mit der Geschichte unserer Stadt beschäftigt haben.“

Sinner rieb sich nachdenklich das Kinn. „Bevor Sie sich der Sache annehmen, sollte die Untersuchung des Rechtsmediziners abgewartet werden. Vielleicht ist das Skelett ja gar nicht so alt, wie es jetzt wirkt.“ „Möglicherweise liegt ja gar kein Verbrechen vor“, zuckte der Beamte mit den Achseln. Sinner verkniff nachdenklich das Gesicht. „Und weshalb wurde der oder die Tote dann eingemauert?“ „Auch wieder wahr.“ „Wann können meine Männer ihre Arbeit wieder aufnehmen?“, mischte sich Max Kraft in die Unterhaltung. Der Bauunternehmer sah den eng gesteckten Zeitplan bis zur angestrebten Schlüsselübergabe des Hauses in Gefahr. „Wenn die Kollegen die Spuren so weit gesichert haben und von anderer Seite nichts dagegen spricht, können Sie nach meinem Dafürhalten die Arbeiten ab morgen fortführen.“ Im Gesicht des Bauunternehmers spiegelte sich Erleichterung wider. „Na, dann findet die Sache ja wenigstens noch ein versöhnliches Ende.“ „Wer weiß, was noch kommt“, unkte der Oberkommissar.

„Wie weit sind Sie mit der C 14, Professor Keuting?“ „Ich bitte Sie, Herr Doktor Wohlfahrt. Gut Ding braucht Weile.“ „Es ist ja nur, weil mir der Oberkommissar im Nacken sitzt“, schob der Rechtsmediziner den Ermittler vor. Eigentlich hatte ihn selbst die Neugier gepackt. Ein so gut erhaltenes Skelett hatte der Mediziner schließlich nicht jeden Tag auf seinem Seziertisch. „Die Radiokohlenstoffdatierung läuft. Bei der Kalibrierung der Messwerte muss der von Ihnen geschilderte Verweilort des Leichnams berücksichtigt werden. Umso länger wir messen, umso genauer kann das Alter bestimmt werden. Die Berechnung der Kohlenstoff-Isotopen ist eine exakte Wissenschaft, die nur dann zuverlässige Ergebnisse bringt, wenn sie mit äußerster Sorgfalt angewandt wird.“ „Können Sie mir wenigstens einen Schätzwert geben?“, ließ der Rechtsmediziner auch jetzt nicht locker. Hätten sich die Gesprächspartner gegenüber gestanden, hätte Wohlfahrt sehen können, wie sich die wenigen Nackenhaare des Professors zu einer Art Hahnenkamm emporschwangen.

„Verehrter Herr Kollege, bei allem Verständnis, aber wenn es Ihnen um Mutmaßungen geht, hätten Sie jedes Hinterhoflabor beauftragen können. Von mir erhalten Sie präzise Resultate oder gar keine Angaben. Mein Institut hat schließlich einen Ruf zu verlieren.“ „Ist ja schon gut, Professor Keuting, Sie haben natürlich Recht. Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie für die Messungen brauchen“, lenkte Wohlfahrt ein. „Sobald mir die Zahlen auf dem Tisch liegen, werde ich mich bei Ihnen melden“, versprach der Physiker, ohne seinen Prinzipien untreu zu werden. „Vielen Dank. Ich erwarte dann also Ihren Anruf.“

Unterdessen hatte sich der Leiter des Denkmalamtes bei Sinner gemeldet. Der Mann, der seine Koteletten wie Elvis Presley trug, hatte es sich nicht nehmen lassen und persönlich die alten Archive der Stadtgeschichte durchforstet. Es war ihm gelungen, die Besitzverhältnisse bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zu rekonstruieren. Dabei hatte er erstaunliches herausgefunden.

„Was um alles in der Welt ist denn nun so brisant, um es mir nicht auch am Telefon sagen zu können?“, erkundigte sich der Oberkommissar, nachdem er das Büro des Beamten betreten hatte. „Schließen Sie bitte die Tür, Herr Sinner“, tat dieser geheimnisvoll. Der Ermittler tat, was der Denkmalpfleger von ihm verlangte und ließ sich vor dessen Schreibtisch nieder. „Na, dann bin ich ja mal gespannt, was Sie ausgegraben haben.“ „Bis zum 14. Oktober 1853 gehörte das Haus dem Perückenmacher Dombrowsky“, begann der Beamte. „Wieso gibt es ein so präzises Datum?“, hakte Sinner nach. „Weil Dombrowsky an diesem Tag im Hof der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel als Giftmörder seiner beiden Ehefrauen durch das Fallbeil hingerichtet wurde. Noch auf dem Schafott sagte er zu dem verantwortlichen Staatsanwalt Görtze, dass man sich irgendwann wiedersehen würde.“

Sinner lehnte sich entspannt zurück. „Ist das alles?“ „Nicht ganz. Schon damals bestand der Verdacht, Dombrowsky habe neben seinen beiden Frauen auch einen im Hause zur Untermiete wohnenden Schulpräparande 1 umgebracht“, erläuterte der Beamte. „Und nun glauben Sie, bei unserem Skelett könnte es sich um diesen besagten Herrn handeln?“, schlussfolgerte der Ermittler. „Zumindest heißt es, der besagte junge Mann sei eines Tages spurlos verschwunden.“ Sinner wurde nachdenklich. „Wann soll sich die Geschichte zugetragen haben?“ „Im Jahre 1853“, erklärte der Denkmalpfleger. „Dann bin ich gespannt, was unser Rechtsmediziner zum Geschlecht und bezüglich des Alters des Skeletts herausfindet.“ „Das wäre der Hammer!“, schlug der Beamte euphorisch mit der Faust auf seinen Schreibtisch. „Der Geschichte nach soll die Mutter Dombrowskys erst auf dem Sterbebett den Mord an der zweiten Schwiegertochter zugegeben haben. Wer weiß, ob sie die erste Frau ihres Sohnes nicht auch auf dem Gewissen hat.“ „Eine reizende Dame“, stutzte Sinner. „Wenn dem tatsächlich so war, hat die Frau ihren eigenen Sohn auf das Schafott gebracht“, bekräftigte der Denkmalpfleger.

1 Referendar

„Wenn es sich bei dem Skelett tatsächlich um diesen Schul…, wie nannten Sie den Untermieter?“ „Schulpräparande.“ „Also, sollte es sich wirklich um diesen Herrn handeln, wette ich, dass er der Geliebte von Dombrowskys zweiter Frau war und ihnen der gehörnte Ehemann auf die Schliche kam. Somit hatte er allerdings ebenfalls ein Motiv.“ „Stimmt“, nickte der Denkmalpfleger zustimmend. „Selbst wenn die Mutter des Hingerichteten auch diesen Schulprä… Dingsda ermordete, kann ich mir nicht so recht vorstellen, dass sie ihn auch einmauerte“, schlussfolgerte Sinner. „Wie wir alle sehen konnten, war die Mauer zwar nicht unbedingt fachgerecht errichtet worden, aber auf Grund meiner Erfahrungen als Denkmalpfleger möchte ich Ihnen beipflichten, verehrter Herr Oberkommissar.“

„Wie dem auch sei, bislang bewegen wir uns im Rahmen von Spekulationen und selbst wenn sich herausstellt, dass es sich bei unserem Skelett tatsächlich um diesen Dingsda handelt und dass er ermordet wurde, kann Justitia für diesen Mord niemanden mehr zur Rechenschaft ziehen.“ „Man könnte Dombrowsky postum rehabilitieren“, überlegte der Denkmalpfleger. „Man könnte die Sache auch auf sich beruhen lassen. Wem nutzt es schon, wenn man eine so alte Geschichte wieder aufrollen würde?“ Der Mann mit den Elviskoteletten nickte zustimmend.

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Während die Arbeiten in dem historischen Fachwerkhaus auf dem Holzmarkt wie geplant fortgesetzt werden konnten, waren Sven Sandfort und seine Verlobte mit der Planung ihrer Hochzeit beschäftigt. Es sollte naturgemäß der schönste Tag im Leben des jungen Paares werden. Bislang bewohnten sie eine kleine Wohnung in der Jägermeisterstraße. In dem mehrstöckigen Mietshaus, welches von den Wolfenbüttelern in Anlehnung an den Gründer der benachbarten Likörfabrik auch als Masttower bezeichnet wurde, befand sich auch die Wohnung meiner geliebten Staatsanwältin.

„Guten Tag Frau Herz“, begrüßte Maria ihre Nachbarin. „Hallo Frau Görtze, schön, Sie mal wieder zu treffen. Wie geht es Ihnen und Ihrem Verlobten?“ „Danke der Nachfrage“, strahlte die junge Frau. „Sven und mir geht es gut, sehr gut sogar und deswegen wollen wir auch im Herbst heiraten.“ „Oh wie schön“, freute sich Miriam aufrichtig. „Sven und ich würden uns sehr freuen, wenn wir Sie und Ihren Partner auf unserer Hochzeitsfeier begrüßen könnten. Eine formelle Einladung folgt natürlich noch, sobald wir den genauen Termin wissen.“ „Selbstverständlich, Leopold und ich kommen gern.“

Hätte Miriam zu diesem Zeitpunkt nur im Mindesten geahnt, was auf uns zukommen würde, hätte sie niemals zugesagt. So nahm das Schicksal jedoch seinen unausweichlichen Lauf und Miriam und ich befanden uns mitten in einer haarsträubenden Geschichte.

„Ich habe gerade Frau Herz im Treppenhaus getroffen“, erzählte Maria ihrem Liebsten, nachdem sie ihre Einkäufe in der Küche abgestellt hatte und das vollgestopfte Arbeitszimmer ihres Liebsten betrat. „Schön.“ Maria griff den Drehstuhl an der Lehne und drehte ihn samt ihrem Verlobten zu sich. „Vielleicht schenkst du mir bitte einen Augenblick deiner kurz bemessenen Zeit?“ „Entschuldige, aber ich stecke wirklich bis über beide Ohren in Arbeit.“ „Was du nicht sagst. Das ist ja mal etwas ganz Neues.“ Sven verdrehte die Augen. „Na, nun erzähl schon.“ „Wir hatten doch darüber gesprochen, die Herz zu unserer Hochzeit einzuladen. Stell dir vor, sie hat zugesagt.“ „Gut“, nickte Sven Sandfort zufrieden. „Eine erfolgreiche Staatsanwältin, die im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, kann uns nur von Nutzen sein.“ Maria schüttelte den Kopf. „Kannst du deine Karriere nicht wenigstens im Zusammenhang mit unserer Hochzeit zurückstellen?“ „Du hast Recht, Schatz. Entschuldige.“

Sven wandte sich wieder seinem Computer zu und rief den Ordner auf, in dem er all die Daten gespeichert hatte, die für die anstehende Hochzeit von Relevanz waren. „Ich werde sie gleich in die Gästeliste eintragen“, erklärte er, während er den Namen meiner Liebsten in die Tastatur hämmerte. „Dann solltest du aber auch ihren Begleiter nicht vergessen“, erinnerte ihn Maria. Sven sah seine Verlobte ungläubig an. „Nun sag nur noch, dieser Cowboy für Arme ist mit von der Partie.“ „Wieso nicht? Der Typ ist doch ganz nett“, hielt Maria dagegen. „Hauptsache, der Kerl lässt seinen albernen Hut zu Hause.“ „Ich finde, er steht ihm. Ist der nicht sogar Privatdetektiv?“ Sven winkte ab. „Keine Ahnung, ich trage ihn ein und damit ist es gut.“ Bereits im nächsten Moment widmete sich der Kaufmann wieder seiner Arbeit.

Die folgenden Wochen vergingen wie im Flug. Marias Aufmerksamkeit galt zu einem großen Teil der stetig näher rückenden Hochzeit und Sven ging wie immer erfolgreich seinen Geschäften nach. Quasi nebenbei kümmerte er sich um das neue Haus und die Umsetzung seiner Pläne. Von all dem durfte die Braut nichts erfahren, denn ihr neues Heim sollte sein Hochzeitsgeschenk für Maria werden.

Bis etwa einen Monat vor dem angesetzten Hochzeitstermin lief alles wie am Schnürchen. Die Arbeiten am Haus blieben im Zeitplan und das komplett entkernte Fachwerkhaus nahm wieder Gestalt an. Die Gefache waren neu ausgemauert, die neuen Fußböden waren gelegt und die Decken geschlossen, als etwas Unvorhersehbares geschah. Der neue Heizkessel wurde gerade über einen Lastenzug in den Keller gehievt, als eines der Trägerseile riss und aus drei Metern Höhe abstürzte. Als die Monteure der Heizungsbaufirma in den Keller hinabgestiegen waren, bot sich ihnen ein grausiges Bild.

Der Polier lag, von dem gusseisernen Kessel erschlagen genau an der Stelle, an der sich wenige Monate zuvor die Mauer befand, hinter der, wie inzwischen erwiesen war, über zweihundert Jahre lang vom Rest der Welt verborgen, der Leichnam eines Schulpräparanden eingemauert war. Ein Umstand, der bei allen Beteiligten Unbehagen verursachte.

„Du solltest zusehen, dass du das Haus wieder loswirst“, riet Max Kraft seinem Freund Sven Sandfort. „Ich habe irgendwie ein schlechtes Gefühl, wenn ich mir vorstelle, dass du und Maria hier schon bald einziehen werdet“, unkte der Bauunternehmer. Sven sah seinen langjährigen Freund ungläubig an. „So kenne ich dich ja gar nicht. Bist wohl selbst scharf drauf?“ „Ich weiß auch nicht, aber irgendetwas in diesem alten Gemäuer jagt mir einen eiskalten Schauer über den Rücken.“ „Ich kann dir sagen, was es ist“, lachte der Kaufmann. „Es ist die Feuchtigkeit, die noch in den frisch verputzten Wänden steckt. Wenn die Heizung erst einmal läuft, die Maler mit ihrer Arbeit fertig sind und die Räume mit den neuen Möbeln ausgestattet sind, wirst du schon sehen, wie gemütlich es hier sein wird.“ Max Kraft verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht, aber vielleicht hast du ja Recht und der Tod meines Poliers steckt mir einfach noch in den Knochen.“ „So wird es sein. Der Unfall war ja auch eine schlimme Sache. Du musst mir versprechen, dass Maria weder von dem Fund des Skeletts noch etwas von dem Unfall erfährt.“ „Na hör mal, für wen hältst du mich?“ „Für einen guten Freund, der sich einmal mehr viel zu viele unbegründete Gedanken macht.“

„Und du bist dir sicher, dass Maria nichts von dem Haus mitbekommen hat?“ „Darauf kannst du wetten“, war sich Sven Sandfort sicher. „Sie wäre viel zu aufgeregt, um eine solche Neuigkeit für sich zu behalten.“ „Hoffentlich wird ihr das Haus gefallen“, rieb sich Max Kraft nachdenklich das Kinn. „Sie wird es lieben, da bin ich mir ganz sicher. Schon die fantastische Lage des Gebäudes, mitten im Herzen der Stadt. Du weißt, wie sehr sie es liebt, durch die urigen Straßen und Gassen zu schlendern, in einem der gemütlichen Cafés die Seele baumeln zu lassen, oder in einem der zahlreichen kleinen Geschäfte zu stöbern. Abgesehen davon träumte sie schon immer davon, einmal in einem Fachwerkhaus zu leben. Nein, nein, ich bin mir sicher, dass sich Maria in diesem Haus sehr wohl fühlen wird. Abgesehen davon ist es ihr Hochzeitsgeschenk, was soll da schon schief gehen?“

„Das Gebäude ist nicht sonderlich groß und der Garten eher klein, für einen Stall voller Kinder wird der Platz wohl eher nicht ausreichen“, merkte der Bauunternehmer an. Sven Sandfort winkte ab. „Bislang denken wir an zwei Kinder und dafür sollte es schon reichen. Abgesehen davon wollen wir uns noch etwas Zeit lassen.“ „Na dann...“ „Aber weil wir gerade dabei sind, wir hätten dich und Marita gern als Trauzeugen. Wie sieht es aus, interessiert?“ „Es ist mir eine Ehre“, freute sich Max über die Bitte seines Freundes. „Ich kann zwar nicht für Marita sprechen, aber ich gehe fest davon aus, dass sie sich ebenso über eure Anfrage freuen wird wie ich.“ „Schön, dann wäre dies auch geklärt“, freute sich der Bräutigam in spe.

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„Na, Frau Görtze, schon aufgeregt?“, erkundigte sich Miriam, nachdem sich die beiden Frauen wieder einmal im Treppenhaus begegneten. „Ja, so allmählich geht es in die heiße Phase. Sie glauben ja gar nicht, wie viele Dinge es gibt, die zu beachten sind.“ „Das kann ich mir lebhaft vorstellen“, nickte Miriam mitfühlend. „Ein Grund mehr für mich, diesen Weg nicht zu beschreiten.“ „Es ist ja nicht so, dass die Hochzeitsvorbereitungen nur Stress hervorbringen, es bringt ja auch viel Spaß. Aber wissen Sie was, wie wäre es mit einem Cappuccino?“ Die Staatsanwältin sah auf die teure Armbanduhr, die ich ihr zu ihrem letzten Geburtstag beim Aldi erstanden hatte. „Viel Zeit habe ich nicht, aber... Warum eigentlich nicht?“

Wenig später saßen sich die Nachbarinnen in der Sofaecke des jungen Brautpaares gegenüber und setzten ihre Unterhaltung fort, welche sie im Treppenhaus abgebrochen hatten.

„Jetzt wohnen wir schon so lange Tür an Tür, ohne uns richtig kennengelernt zu haben“, stellte Maria fest. „Dann ist es höchste Zeit, dies zu ändern“, pflichtete ihr meine Liebste bei. „Ich bin Miriam und ich finde, wir sollten uns duzen.“ „Maria“, entgegnete ihre Nachbarin. „Ich wollte dich schon längst auf einen Kaffee einladen, aber irgendwie wusste ich nicht so recht wie.“ „Miriam hob beschwörend die Hände. „Das Problem ist, alles viel zu kompliziert zu handhaben. Kinder sind uns da weit voraus.“ „Ja, aber auch nur so lange sie Kinder sind.“ „Stimmt! Also, was hält uns dann davon ab, Kind zu bleiben?“ Maria sah ihren Gast nachdenklich an. „Sicher die Pflichten, die uns mit zunehmendem Alter übertragen werden.“ „Da kannst du Recht haben. Wo wir schon mal bei Kindern sind...“, stellte Miriam die Frage, die sie bereits seit einigen Tagen bewegte, auf eine eher dezente Weise. „Falls du wissen möchtest, ob ich schwanger bin, muss ich dies leider verneinen, aber sie sind zumindest in der Planung.“ „Wie schön“, freute sich Miriam.

„Ich möchte nicht indiskret sein...“ „Quatsch!“, fiel ihr Miriam ins Wort. „Wer etwas wissen möchte, muss Fragen stellen.“ „Du hast keine Kinder, oder?“ „Ehrlich gesagt, bin ich noch nicht dazu gekommen. Die Karriere stand immer an erster Stelle. Abgesehen davon gab es auch nie den richtigen Mann dafür. Ich muss allerdings gestehen, dass mir gerade in jüngster Zeit immer häufiger der Gedanke in den Sinn kommt. Wenn ich mein Leben in dieser Hinsicht noch verändern möchte, wird es Zeit. Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Ich denke, mein Partner wäre ein vorzeigbarer Papa und vermutlich ein brauchbarer Ehemann.“ „So ein Leben ist nicht viel. Ehe du dich versiehst, ist es vorüber ohne dass du wirklich gelebt hast“, philosophierte Maria.

Noch während des Nachmittags waren es Marias Worte, die Miriam nicht loslassen wollten. Und auch am Abend, als wir uns wie verabredet in der Schlossschenke trafen, merkte ich meiner Liebsten an, dass es da etwas gab, was sie bedrückte. Anders als sonst üblich setzten wir uns an einen etwas abseits stehenden Tisch.

„So, dann mal raus mit der Sprache, was ist los?“ Miriam druckste zögerlich herum. „Hast du einen Prozess verloren?“ „Ach“, seufzte sie, „...wenn es das nur wäre.“ Oh je, wenn ein beruflicher Misserfolg weniger schwer wog als das, was sie bedrückte, musste es sich um ein wahrlich großes Problem handeln. „Ist etwas mit deiner Familie?“, stocherte ich im Nebel herum. „Nein.“ Mit einem Mal viel es mir wie Schuppen von den Augen. Miriam war am Tag zuvor zu einer Untersuchung bei ihrer Frauenärztin. „Bist du irgendwie krank?“ Miriam schüttelte wortlos den Kopf. „Tja, dann bin ich mit meinem Latein nun auch am Ende.“

Während ich mir weiterhin das Hirn zermarterte, fragte sie mich plötzlich, ob ich mir jemals Gedanken über eigene Kinder gemacht hätte. Fast hätte vor Entsetzen ich in das Weizenbierglas gebissen aus dem ich gerade trank. Meine Hände zitterten, als ich das Glas auf dem vor mir liegenden Bierdeckel absetzte. Jetzt nur nichts Falsches sagen , dachte ich mir. „Natürlich. Ich schätze, jeder denkt irgendwann im Laufe seines Lebens über eigene Kinder nach.“ „Und?“ „Was und?“ „Na, zu welchem Ergebnis bist du gekommen?“ Es war eigentlich von vornherein klar, dass ich einer Staatsanwältin nicht mit Ausflüchten kommen brauchte. Meine Antwort wollte dennoch gut überlegt sein, denn an dieser Stelle konnte sich mein Leben womöglich in eine bislang unvorhersehbare Richtung entwickeln.

„Nun ja, so ein Stammhalter wäre schon nicht schlecht“, versuchte ich mich so vage wie möglich auszudrücken. „Bei meinem nicht ungefährlichen Beruf hatte ich dieses Ansinnen jedoch immer wieder zurückgestellt“, führte ich einen wirklich guten Grund für den bislang nicht geplanten Familienzuwachs ins Feld. „Aber warum fragst du, mein Schatz?“ „Wie dir vielleicht nicht entgangen ist, nähert sich meine biologische Uhr einem Punkt, an dem ich mich entscheiden sollte, ob ich noch Mutter werden sollte oder nicht.“

Achtung, höchste Gefahr! Nun nur nicht die falsche Antwort geben. In ihrem Satz steckte mehr als nur eine Fußangel. „Also Schatz wirklich, wie kommst du nur darauf, dass dir nicht mehr viel Zeit für eine Schwangerschaft bliebe? Da sehe ich für die nächsten fünfzehn, zwanzig Jahre überhaupt keine Probleme.“ Miriam sah mich an, als sei ich ein Alien und soeben von einem fernen Planeten mitten in die Schlossschenke gebeamt worden. „Spinnst du? Ich will doch nicht, dass mein Kind Oma zu mir sagt!“ Bei Licht betrachtet konnte eine Antwort auf ihre Frage nur in die Hose gehen, daher vermied ich es, meinen Worten eine Erklärung folgen zu lassen.

„Also, was ist nun?“, ließ sie dennoch nicht locker. „Was ist was?“ Miriam verdrehte ihre hübschen Augen und tippte mit dem Mittelfinger immer wieder lauernd auf die Tischplatte. Ein ganz schlechtes Zeichen. Gefahr war im Verzug. „Willst du nun ein Kind mit mir oder nicht?”, brachte sie die Sache nun in aller nötigen Klarheit auf den Kneipentisch. Ich war geschockt. Natürlich hatte ich mit so manchem gerechnet, aber damit gewiss nicht. „Doch sicher, natürlich hätte ich gern ein Kind mit dir“, entgegnete ich noch völlig unter Schock stehend. „Na also, dann ist die Sache ja geklärt.“

Von diesem Moment an hatte sich das Stimmungsbild komplett gewandelt. Während sich Miriams Gefühlslage von einer zur anderen Minute aus einer manisch depressiven Schwermut in eine emotionale Euphorie verwandelt hatte, entwickelte sich in mir während der gleichen Zeitspanne eine gewisse Verwirrung. Es lag auf der Hand, dass es sich bei Miriams Frage nicht um meine grundsätzlich Einstellung in dieser Sache ging, sondern um eine gezielte Anfrage, an dessen Ende ein etwa acht Pfund schweres, quäkendes Etwas stand. Mit meiner Antwort hatte ich ihr, ohne dessen Tragweite in diesem Moment zu durchschauen, einen Freibrief ausgestellt. Offenbar beschränkt sich die sogenannte Midlifecrisis nicht ausschließlich auf Männer. Ich fragte mich, wie weit Miriam mit ihrem plötzlichen Kinderwunsch gehen würde.

„Eigentlich könnten wir es uns doch auch zu Hause gemütlich machen“, zwinkerte mir meine Liebste bereits im nächsten Moment verführerisch zu. Mir stockte der Atem. „Oh äh, hatte ich noch nicht erwähnt, dass ich noch mal los muss?“ Miriams Blick hing eher skeptisch an meinen Lippen. „Nein, das hast du nicht.“ „Ja, wie auch“, lächelte ich verlegen. „Wir sprachen ja auch die ganze Zeit über dein Problem.“ „Was für ein Problem?“, reagierte sie in einer Stimmlage, die um einiges härter klang. „Sorry, ich habe mich wohl gerade etwas dumm ausgedrückt.“ „Allerdings!“

Mein Weizenbierglas leerte sich in einem beachtlichen Tempo. „Ich muss dann auch los. Bist du mit deinem Wagen hier, oder soll ich dich noch heimfahren?“ „Mach dir keine Umstände, ich bestelle mir ein Taxi.“ Es war offensichtlich, dass ich Miriam etwas verärgert hatte, aber in Anbetracht der Situation musste ich dies in Kauf nehmen. Was ich jetzt brauchte, waren einige Momente, in denen ich in Ruhe nachdenken konnte und keine Nacht, die ich möglicherweise eines Tages bereuen würde. „Sei mir bitte nicht böse, aber Job ist eben Job.“ „Wie du meinst“, entgegnete sie knapp, während sie sich erhob und zur Theke hinüberging. Ich konnte ihr ihre Reaktion nicht verübeln.

Da ich ein alkoholfreies Weizenbier gewählt hatte, konnte ich mich bedenkenlos hinter das Steuer meines Skodas klemmen. Meine Wohnung erschien mir in diesem Moment nicht der richtige Ort zu sein, an dem ich in Ruhe nachdenken konnte. Ich fuhr daher ziellos durch die Stadt und stellte mir eine Fülle von Fragen, deren Antworten, soweit ich sie mir geben konnte, in meinem Kopf wild durcheinander purzelten. Ich sah zur Uhr. Ob Jogi noch wach war? Mein Freund ging eigentlich nie vor Mitternacht zu Bett, doch an diesem Abend meldete sich nur der Anrufbeantworter. Plötzlich fiel mir auf, wie wenige Freunde ich eigentlich hatte und ebenso plötzlich stand ich, ohne dass ich den Weg bewusst eingeschlagen hätte, vor der Einfahrt zur Twelkenmühle.

Als rational denkender Mensch fällt es mir schwer, an Fügung und höheren Mächten zu glauben, aber wenn mich mein Unterbewusstsein an diesen Ort geführt hatte, an dem ich den besten Freund des Menschen, meinen Hund, in die gütigen Hände von Edeltraut Stahl gegeben hatte, so war dies sicherlich Schicksal. Ich verließ meinen Wagen und griff mit den Händen an die Gitterstäbe des Tores. Seit meinem letzten Besuch bei Edeltraut Stahl und Bea lagen mindestens vier Wochen. Ich stieß einen tiefen Seufzer aus. Eigentlich waren diese Besuche häufiger geplant. Frau Stahl und ich hatten einen Deal, bei dem sich die fast blinde Frau um meinen Hund kümmerte und ich sie dafür mit dem Futter für Bea versorgte. Überdies hatte ich der alten Dame angeboten, diese Visiten zu nutzen, um mit ihr einkaufen zu fahren. Die Tatsache, dieser Verpflichtung nun schon so lange nicht mehr nachgekommen zu sein, löste ein schlechtes Gewissen in mir aus.

Während ich in diesen Gedanken versunken am Tor lehnte, riss mich Beas Bellen schlagartig aus der Lethargie. „Ja hallo, meine Große“, begrüßte ich meine Lebensretterin.2„Wo kommst du denn her?“ „Hallo, ist da jemand?“, schallte die Stimme von Edeltraut Stahl vom Wohnhaus herüber. „Ich bin es, Leopold Lessing“, meldete ich mich, um die alte Dame nicht unnötig in Schrecken zu versetzen. „Ich bin zufällig vorbeigek...“ „Komm herein, Leopold“, unterbrach sie meinen gänzlich untauglichen Erklärungsversuch. „Ist es nicht schon zu spät für einen Besuch?“ „Ach was, Papperlapapp“, entgegnete sie, keinen Widerspruch duldend.

2 Detektei Lessing, Band 13 - Lessing lebt

Die resolute Dame war trotz ihres fortgeschrittenen Alters und vielleicht gerade wegen ihrer Behinderung eine unglaublich starke Persönlichkeit. Von weiteren Ausflüchten war schon deswegen abzusehen. „Schön, dass du mal wieder da bist“, empfing sie mich an der Haustür. „Ich wäre schon längst...“ „Das ist unwichtig, du bist jetzt da, das ist das einzige, was zählt!“ „Lieb von dir“, schob ich dennoch ein schlechtes Gewissen. „Geh schon mal ins Wohnzimmer rüber, ich koche uns noch einen Kaffee.“

Wenig später saßen wir uns in der alten Sofaecke gegenüber und Edeltraut erzählte mir von den vergangenen Wochen, die wie üblich von Beas Streichen ausgefüllt waren. Wie immer gab es dabei einiges zu lachen. „So und nun zu dir. Wir wissen beide, dass du nicht so zufällig hier bist, wie du mir glauben machen wolltest.“ „Irgendwie war mir schon klar, dir nichts vormachen zu können“, fühlte ich mich ertappt. „Wo drückt denn der Schuh?“ „Miriam will mit mir eine Familie gründen“, seufzte ich. „Aber das ist doch wunderbar. Wo ist dein Problem?“ „Ich bin das Problem“, entgegnete ich betreten. „Ich bin mit meinem Leben, so wie es ist, eigentlich ganz zufrieden“, erklärte ich. „Mit Frau und Kind würde sich alles verändern.“ „Das ist sicher richtig, aber ich sehe keinen Nachteil darin, wenn dein ruheloser Geist endlich in einem sicheren Hafen einläuft.“ „Ich weiß nicht so recht“, entgegnete ich zerknirscht.

Edeltraut griff nach meiner Hand. „Oder ist es nicht viel mehr so, dass du Angst vor der Verantwortung hast?“, durchschaute mich die gute Seele. „Ich weiß einfach nicht, ob ich schon dazu bereit bin?“ „Schon?“, erwiderte Edeltraut belustigt. „Du bist über vierzig, mit sechzig brauchst du auch keine Familie mehr gründen.“ „Woher weißt du, wie alt ich bin?“ „Ich sehe schlecht, nachdenken kann ich noch.“ „Du hast ja recht, wahrscheinlich ist es die Angst davor, was meiner Familie geschieht, wenn mir im Job etwas zustößt.“

Edeltraut hob beschwörend die Hände. „Himmel, glaubst du wirklich, Miriam würde ihre Karriere beenden, um nur noch Hausfrau und Mutter zu sein? Wo lebst du denn? Heutzutage teilen sich erfolgreiche Eltern die Erziehung und die Betreuung ihrer Kinder. Die Zeiten, zu denen nur Papa das Geld nach Hause brachte, sind vorbei. Diese Bedenken kannst du getrost auf den Müllhaufen der Geschichte werfen.“ „Ja aber…“ „Soll ich dir sagen, was wirklich hinter deinem Zaudern steckt?“, lächelte die alte Dame herausfordernd. „Du hast Angst, dich von deinem vermeintlich freien Junggesellendasein zu verabschieden.“ Ich fühlte mich einmal mehr von Edeltraut ertappt. „Merkst du denn gar nicht, dass du dies mit der Beziehung zu Miriam längst getan hast?“

Ich brauchte einige Atemzüge, um ihre Worte sacken zu lassen. „Ihr Männer tut zuweilen so, als wäre mit der Gründung einer Familie euer Leben vorbei“, fuhr Edeltraut fort. „Das Gegenteil ist der Fall! Ein gemeinsames Kind ist nicht nur der Ausdruck eurer Liebe, es vermittelt vielmehr den eigentlichen Sinn des Lebens.“ „Es stellt sich allerdings die Frage, ob es richtig ist, ein Kind in diese von Kriegen und Leid gepeinigte Zeit zu setzen“, gab ich zu bedenken. „Wenn die Nachkriegsgeneration so feige gedacht hätte, würdest du mir heute nicht gegenübersitzen.“ Womit die gute Seele zweifelsohne Recht hatte. „Ich glaube, du wärst ein guter Vater, Leopold.“ Ich sah mich im Geiste bereits an der Wickelkommode stehen. „Meinst du wirklich?“ „Irgendwann ist es auch für dich zu spät“, gab sie zu bedenken.

Irgendwie war ich von Edeltrauts Worten hin und hergerissen. Sie hatte es nicht geschafft, meine Bedenken zu zerstreuen, aber sie hatte ein Gefühl in mir ausgelöst, welches bislang an mir vorbeigegangen war, eine Art Torschlusspanik. Wurde die Zeit für eine Familiengründung wirklich knapp? War es nicht so, dass ich schon immer irgendwann eine Familie gründen wollte? Vielleicht war dieser Moment tatsächlich nun gekommen? Bea schien mir meine innere Unruhe anzumerken. Sie trat plötzlich seitlich an den Sessel, in dem ich saß, und legte ihre Schnauze auf meine Knie. Ich streichelte sie und nickte innerlich.

Immerhin war ich zu einem ersten Entschluss gekommen. „Ich werde in aller Ruhe mit Miriam darüber reden.“ „Das ist sicher das Vernünftigste“, pflichtete mir Edeltraut bei. „Denke daran, dass eine Beziehung nur dann von Dauer sein kann, wenn man sich gegenseitig respektiert und eine getroffene Entscheidung auch gemeinsam trägt.“ An diesem Abend gewann ich noch eine weitere Erkenntnis. Ohne es zu wissen, hatte ich in Edeltraut einen Menschen gefunden, der mir, nachdem meine Eltern viel zu früh von mir gegangen waren, ihr Ohr und ihre Zeit lieh, um für mich da zu sein. Ich nahm mir vor, sie und Bea in Zukunft wieder häufiger zu besuchen.

-5-

Es war alles andere als einfach für Sven Sandfort, den Fortgang der Bauarbeiten vor Maria geheim zu halten. Als eine der Firmen bei ihm zu Hause anrief, um einen Liefertermin für die sanitären Objekte auf einen anderen Tag umzulegen, wäre um ein Haar alles herausgekommen. Nur eine geschickte Notlüge verhinderte das Schlimmste. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn Maria in diesem Moment nicht durch die Hochzeitsvorbereitungen abgelenkt gewesen wäre? Beinahe Katastrophen wie dieser folgten weitere. Sie brachten Sven einige graue Haare ein, doch irgendwie gelang es ihm dennoch, die Überraschung geheim zu halten.

Da Marita und Maria bereits seit Jahren beste Freundinnen waren, kannte die Frau des Bauunternehmers den Geschmack der Braut gut genug, um Marias Vorlieben soweit einschätzen zu können, dass sich die junge Frau in ihrem neuen Heim auch wohl fühlen würde. Gottlob kam es zu keinerlei weiteren Vorfällen, die die Sanierung und den Innenausbau des Hauses weiter verzögert hätten und so übergab Max Kraft zwei Tage vor dem angesetzten Hochzeitstermin seinem Freund den Haustürschlüssel.

„Ich hoffe, ihr beide werdet in diesem Haus glücklich werden und ich hoffe ebenso, dass dieses Haus mindestens noch einmal so alt wird, wie es bereits ist.“ „Wenn du und deine Leute gut gearbeitet haben, sollte sich dein Wunsch realisieren lassen. Wenn nicht, weiß ich ja, wo du wohnst.“ Sven steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Haustür. Dann wandte er sich an die umstehenden Handwerker. „Möge dieses Haus stets eine offene Tür für alle haben, die in Not sind und für alle, die das Glück hereintragen.“

Bevor sich alle an die gedeckte Tafel setzten, um die Übergabe des Hauses zu feiern, gedachten sie dem Polier Bruno, der bei einem tragischen Unfall im Keller des Hauses ums Leben gekommen war. Keiner der Anwesenden sprach an diesem Tag über das Skelett, welches hinter der Wand im Keller freigelegt worden war und obwohl dieses Thema tabu war, hing eine ganz eigentümliche, bedrückende Stimmung über der Feier. Eine so merkwürdige Atmosphäre, dass sich Sven Sandfort an die Worte seines Freundes erinnerte und er den Erwerb des Hauses zum ersten Mal in Frage stellte. Waren all die skurrilen Vorfälle, die während der Sanierungsphase aufgetreten waren, und der tragische Tod des Poliers wirklich nur Zufälle?

Am darauffolgenden Tag folgte die Junggesellenabschiedsfeier, zu der sich Max und einige weitere Freunde einige abgefahrene Überraschungen für Sven ausgedacht hatten. Die Freunde hatten die erste Etage einer Kneipe in der Wolfenbütteler Altstadt angemietet. Wie vereinbart wurde der Bräutigam gegen zwanzig Uhr bei seiner Wohnung in der Jägermeisterstraße abgeholt. Nachdem sie mit ihm auf der Rücksitzbank eines BMW Platz genommen hatten, wurden ihm die Augen verbunden.

„Was zum Henker habt ihr mit mir vor?“, nahm Sven die Aktion mit Humor. „Lass dich überraschen“, tat Gregor geheimnisvoll. Der Mitbetreiber des Café Klatsch war seit vielen Jahren mit Sven befreundet. „Ab heute weißt du nicht mehr, wohin dich der Weg führt“, erklärte er dem Bräutigam vielsagend. „Ab morgen stehst du unter der Fuchtel, heute lassen wir noch einmal die Sau raus“, mahnte Columbo, der Mann, der wegen seiner Vorliebe zu Trenchcoats so von seinen Freunden genannt wurde. „Du hast versprochen, keine Fragen zu stellen.“ Sven stieß einen tiefen Seufzer aus. „Wieso weiß ich jetzt schon, dass ich diesen Abend spätestens morgen früh bereuen werde?“

Als die Freunde mit ihrer wertvollen Fracht an der Kneipe ankamen, wurden sie bereits von einer johlenden Menge in Empfang genommen. „Kann ich die Binde jetzt herunterziehen?“, wollte Sven ungeduldig wissen. „Nichts da! Wenn es so weit ist, werden wir dich schon davon befreien.“ Sven blieb nichts anderes übrig, als gute Miene zum verrückten Spiel zu machen. Immerhin hatte er sein Wort gegeben, jeden Blödsinn mitzumachen. Dieser Abend gehörte nicht nur ihm, sondern ebenso seinen Freunden, die bemüht waren, diesen für Sven unvergesslich zu machen.

Dazu trug gewiss auch der Holzklotz bei, den ihm Max in dieser Sekunde am rechten Bein befestigte. Auf Zurufe einer hübschen Maid musste er sich anschließend über einen zuvor aufgebauten Parcours manövrieren lassen. Dieses Spiel sollte ihn auf das Leben in der Ehe vorbereiten. Ohne die helfende Hand der Maid hätte er auf seinem Weg ein ums andere Mal Schiffbruch erlitten. Auch dies sollte Sven klar machen, dass er in Zukunft nicht mehr allein auf sich gestellt war und Vertrauen in seine Partnerin haben sollte. Durch die irreführende Grölerei der übrigen Gäste gestaltete sich die gegebene Aufgabe um ein vielfaches schwieriger.

„Da du das erste Spiel erfolgreich gemeistert hast, werde ich dich nun von deiner Augenbinde befreien“, verkündete Max herzlich lachend. „Bevor wir in die Kneipe gehen können und du dich ausruhen kannst, musst du erst noch etwas Geld verdienen, um den Wirt zu bezahlen.“ Svens Gesicht glich einem Fragezeichen. Sein Freund reichte ihm eine Schere. „Was soll ich denn damit?“ „Du musst versuchen, so viele Etiketten wie möglich zu sammeln.“ „Was für Etiketten?“, hakte Sven stutzig nach. „Du musst sie den Passanten aus der Unterwäsche schneiden. Jedes Etikett, was du dem Wirt bringst, reduziert die Rechnung um zehn Euro“, erklärte Gregor. „Das ist nicht euer Ernst“, schüttelte Sven ungläubig den Kopf. Seine Freunde schwiegen, während sich in ihren Gesichtern ein breites Grinsen abzeichnete. „Oh doch“, erkannte der Bräutigam. „Es ist euer voller Ernst.“ „Und damit du nicht jedem einzeln erklären musst, dass du nicht aus einer Anstalt entsprungen bist, haben wir dir hier noch eine Kleinigkeit vorbereitet“, verkündete Max, während er seinem Freund zwei Schilder auf Brust und Rücken befestigte, auf denen die Worte ‚Junggesellenabschied‘ und ‚letzter Freigang‘ zu lesen waren. „Wie du die Leute letztendlich von ihrer Spende überzeugst, ist deine Sache.“ „Ach Max“, seufzte Sven. „Wer euch zum Freund hat, braucht gewiss keine Angst vor der Ehe zu haben.“

Nach einer guten Stunde Spaß, Spiel, Sport und noch mehr Überzeugungsarbeit hatte es der Kaufmann tatsächlich geschafft, ein Dutzend Etiketten zusammenzubringen. Der Tross, der ihn dabei begleitenden Freunde war währenddessen ebenso auf seine Kosten gekommen. Sie freuten sich bereits darauf, die vielen komischen Fotos, die sie bei dieser Gelegenheit geschossen hatten, in die vorbereitete Hochzeitszeitung einzubauen.

Natürlich durfte nach Absolvierung aller gestellten Aufgaben die obligatorische Belohnung in Form einer Stripteasetänzerin nicht fehlen. Der auf einem Ehrenplatz von seinen Freunden umringt sitzende Bräutigam genoss die Darbietung aufmerksam. Es versteht sich, dass währenddessen und auch im weiteren Verlauf des Abends reichlich Alkohol getrunken wurde. Kein Wunder also, dass die Stimmung immer ausgelassener wurde und schließlich irgendwer auf die Idee kam, das Lokal zu wechseln. Kurz vor Mitternacht machten sich daher die meisten Gäste auf den Weg. Hierzu wurden die auf dem Harztorplatz abgestellten Fahrzeuge genutzt.

In einem aus fünf Wagen bestehenden Corso ging es dann in wilder Fahrt und laut hupend durch die Lessingstadt. Ganz dem Ausspruch 'Übermut tut selten gut' ließ die Quittung nicht lange auf sich warten. Aus Richtung Innenstadt kommend rasten die Fahrzeuge am Gefängnis vorbei auf den Kreisverkehr zu, über den sie den 'grüner Platz' erreichen und weiter stadtauswärts fahren wollten. Während es der erste Wagen trotz hoher Geschwindigkeit gerade noch durch den Kreisel schaffte, verlor Columbo aufgrund der viel zu hohen Geschwindigkeit die Kontrolle über seinen BMW und wurde aus der Kurve getragen. Rechts neben der Okerbrücke durchbrach der Wagen letztlich eine Mauer und stürzte über eine Böschung in den Fluss.

Wie durch ein Wunder wurde keiner der Insassen ernstlich verletzt. Dennoch bedeutete der Unfall natürlich das jähe Ende der ausgelassenen Feier. Nach einem durch die Polizei angeordneten Alkoholtest und einem Check im Krankenhaus konnten Columbo und Sven nach Hause. Da sie während des Unfalls vorn gesessen hatten, konnten die Airbags das Schlimmste verhindert. Anders als Tom, Melissa und Daniel waren sie lediglich mit einigen Prellungen davongekommen. Ihre Begleiter hingegen mussten zur Beobachtung im Wolfenbütteler Klinikum verbleiben.

„Meine Güte, was habt ihr euch bloß dabei gedacht?“, sparte Maria nicht mit Vorwürfen, als sie den Freunden trockene Sachen ins Krankenhaus brachte. „Sich betrunken hinter das Steuer zu setzen... Das hätte noch ganz anders ausgehen können.“ „Na, ich danke. Columbo ist sicherlich seinen Führerschein los und den Wagen kann er auch vergessen“, seufzte Sven. „Sei froh, dass keiner von euch schwer verletzt wurde. Den Wagen kann man ersetzen und den Führerschein kann er irgendwann neu machen, aber...“ „Ist ja gut“, wurde sie durch Sven unterbrochen, „…hast ja Recht.“ „Was ist eigentlich mit Max und den anderen?“, hakte Maria nach. „Was soll sein“, zuckte Sven mit den Achseln. „Nachdem klar war, dass wir alle mehr oder weniger unverletzt aus dem Wagen herausgekommen waren, haben sich Max und die anderen verdrückt.“

In diesem Moment wurde Columbo durch eine Krankenschwester auf den Flur begleitet. „Hallo Maria“, begrüßte der Werbetexter seine Schulfreundin. „Lieb, dass du mir trockene Sachen mitgebracht hast.“ „Ich hoffe, sie passen dir. Du hast ganz schön zugelegt.“ „Da ich während der nächsten Monate häufiger zu Fuß unterwegs sein werde, dürfte sich dies wohl bald erledigt haben.“ „Wenn du hier fertig bist, würden wir dich zumindest heute nach Hause fahren“, zwinkerte ihm Maria zu. „Habt ihr etwas von den anderen gehört? Da drinnen habe ich nichts Neues erfahren.“ „Ich habe mit Daniel geschrieben“, erklärte Sven. „Soweit ich weiß, müssen er und Melissa bis morgen zur Beobachtung hier bleiben. Sie erlitten wohl ein Schleudertrauma. Was mit Tom ist, weiß ich nicht, aber nachdem, was der Notarzt sagte, ging es ihm relativ gut.“ „Ihr macht aber auch einen Blödsinn“, konnte sich Maria den Vorwurf nicht verkneifen. „Was da alles hätte passieren können.“ „Ist es aber nicht“, lächelte Columbo gequält. „Weil ihr mehr Glück als Verstand hattet.“

Daran gab es keinen Zweifel. Während sich die Männer die trockenen Sachen anzogen und bedripst schwiegen, konnte sich Maria nur schwerlich beruhigen. „Was ist eigentlich mit der Polizei?“ „Wir sollen Montagvormittag auf die Wache in der 'Lindener Straße' kommen“, erklärte Sven. „Die Blutprobe wurde ja bereits hier genommen“, fügte Columbo an. „So braucht ihr wenigstens nicht im Gefängnis zu heiraten“, haute er einen seiner beliebten Sprüche raus, ohne so recht zu begreifen, weshalb Sven und Maria nicht darüber lachen konnten. „Kann es sein, dass du bei dem Unfall doch etwas mehr abbekommen hast?“, verstand Maria so gar keinen Spaß. „Ich schätze, wir sollten dich jetzt besser nach Hause bringen“, schlug Sven vor. „Dann aber los“, mahnte Maria zur Eile. „Falls du dich erinnerst, wollten wir morgen Vormittag heiraten.“

-6-

„Nun verehrtes Brautpaar, liebe Angehörige und Trauzeugen, wir haben uns heute hier in diesen historischen Räumen eingefunden, um Maria und Sven bei ihrem Entschluss zu begleiten, miteinander die Ehe einzugehen.“ Der Standesbeamte sah über den Rand seiner Brille und musterte das Brautpaar. „Ich gehe davon aus, dass Sie sich diese Entscheidung reiflich überlegt haben und er durch keinerlei äußere Einflüsse getragen wird.“ Prüfend sah er in die Gesichter der Trauzeugen, bevor er in der Zeremonie fortfuhr.

„Die Ehe stellt ein kostbares Gut und gleichzeitig einen gravierenden Einschnitt in Ihr beider Leben dar. Wenn ich Sie nun fragen werde, ob Sie sich diesen Schritt eingehend überlegt haben, so geschieht dies aus meiner langjährigen Erfahrung als Standesbeamter heraus und weil ich als dieser auch meiner Pflicht nachkommen muss, Sie auch auf die Probleme aufmerksam zu machen, die eine Ehe nun einmal mit sich bringt. Bedenken Sie, dass eine Scheidung mit enormen Kosten verbunden sein kann.“ Sven und Maria sahen sich schockiert an. Während Maria empört war, musste sich Sven das Lachen verkneifen. Ein Moment, in dem sie letztendlich jedoch beide das Gleiche zu denken schienen. Hatte der Standesbeamte möglicherweise gerade eine Scheidung hinter sich?

„Wenn Sie all diese Fragen positiv für sich beantworten können, werden wir nun in die Hochzeitszeremonie eintreten.“ „Ich bitte darum“, konnte Maria ihre Entrüstung nur mit Mühe zurückhalten. Als wenn ihre Bitte nicht genug war, sah der Beamte nun auch abwartend zu Sven herüber. Der war in diesem Moment nicht so ganz bei der Sache und so schwieg er. Zumindest bis er Marias Ellenbogen in seiner rechten Flanke spürte. „Ja, ja, natürlich“, fuhr er aus seinen Gedanken auf. „Also schön, dann bitte ich die Anwesenden nunmehr sich von ihren Plätzen zu erheben.“

Der Standesbeamte erhob sich ebenfalls. „Wollen Sie, Maria Görtze, den hier anwesenden Sven Sandfort zu Ihrem rechtmäßig angetrauten Ehemann nehmen, ihn ehren und ihm die Treue halten, in guten so wie in schlechten Zeiten? Dann antworten Sie bitte mit einem deutlichen und vernehmlichen ‚ja‘.“ Maria sah Sven so tief in dessen blaue Augen, dass ihn ein wohliges Glücksgefühl erwärmte. Gleichzeitig sprach sie das magische Wort: „Ja!“ „Wollen Sie, Sven Sandfort, die hier anwesende Maria Görtze zu Ihrer rechtmäßig angetrauten Ehefrau nehmen, sie ehren und ihr die Treue halten, in guten sowie in schlechten Zeiten? Dann antworten auch Sie mit einem deutlichen und vernehmlichen ‚ja‘.“ „Ja!“

„Dann darf ich nun um die Ringe bitten, die Sie als sichtbares Zeichen Ihrer Ehe von nun an tragen möchten.“ Max, der als Svens Trauzeuge neben ihm saß, reichte dem Standesbeamten die Ringe. Dieser gab den ersten Ring an den Bräutigam weiter, der ihn seiner Ehefrau aufsteckte. Maria tat es ihm gleich. „Wenn Sie dann hier noch unterschreiben wollen?“, forderte der Beamte zunächst die Eheleute und abschließend auch die Trauzeugen auf. „Dann erkläre ich Sie nunmehr nach dem Gesetz zu Mann und Frau.“ Es folgte die Gratulation des Standesbeamten, die eher verhalten ausfiel. Der anschließende Kuss des frisch gebackenen Ehepaares fiel dafür umso üppiger aus. Erst der Knall des Sektkorkens trennte das glückliche Paar.

„Lasst uns auf euch anstoßen und darauf, dass eure Liebe nur glückliche Tage erfahren möge und eure Ehe hundert Jahre währt“, verkündete Marita voller Zuversicht. Es ist müßig zu erwähnen, dass sich der Standesbeamte abseits hielt. „Vielen Dank, wir werden uns alle Mühe geben“, versprach Sven. Maria sah ihren Ehemann mit glänzenden Augen an. „Das werden wir.“

Vor der geöffneten Tür zum Stadtmarkt hatte sich eine nicht unerhebliche Menschentraube gebildet. Freunde, Bekannte und Schaulustige bereiteten ihnen einen freudigen Empfang. Bevor es zum geschmückten Hochzeitswagen ging, hatten Columbo und einige andere Freunde einige traditionelle Hindernisse aufgebaut, die von den frischgebackenen Eheleuten zunächst überwunden werden mussten.

Den Anfang machte ein Sägebock, auf dem ein dickes Kantholz lag. Dieser musste gemeinsam zersägt werden. Die stumpfe Säge machte die Sache nicht einfacher. Maria und Sven ließen sich jedoch nicht beeindrucken, und meisterten die Aufgabe unter dem Beifall der immer zahlreicher werdenden Schaulustigen bereits nach wenigen Minuten mit Bravour.

Es folgte eine Schere, mit der Maria ein Herz aus einem gespannten Bettlaken herausschneiden sollte, während Sven unterdessen eine Puppe windeln musste. Mittlerweile war der gesamte Straßenbereich zwischen Standesamt und Wochenmarkt durch Neugierige verstopft. Sie jubelten, als das Brautpaar mit der Puppe auf dem Arm durch das in Herzform ausgeschnittene Bettlaken stiegen und von ihren Freunden mit Reis beworfen wurden. Andere bildeten ein Spalier bis zum Hochzeitsauto und beglückwünschten sie auf dem Weg dorthin.

Froh darüber den Wagen endlich erreicht zu haben, aber ebenso erfreut über die große Anteilnahme und glücklich, nun ein Paar zu sein, winkten sie ihren Freunden und allen anderen zu, als sich der Wagen in Richtung Fußgängerzone in Bewegung setzte. Ihre Familien und die engsten Freunde folgten ihnen zum Kaffeehaus, wo gemeinsam zu Mittag gegessen wurde. Bis zur kirchlichen Trauung am Nachmittag waren es lediglich zwei Stunden. Nicht viel Zeit, wenn man bedenkt, dass Maria bis dahin auch noch ihr Hochzeitskleid anziehen musste.

Gegen fünfzehn Uhr war es dann soweit. Sven wartete bereits voller Ungeduld, als Maria von ihrem Vater begleitet die Trinitatiskirche betrat. Als er sie erblickte, war er von ihrem Anblick überwältigt. Sie trug ein schulterfreies Hochzeitskleid in einem Hauch von Rosa. Ihre Haare waren zu einer Hochfrisur gesteckt und ein dünner Schleier verhüllte ihr Gesicht. Zwei Kinder streuten Blumen und die Orgel spielte einen Hochzeitsmarsch von Richard Wagner. Ein Moment für die Ewigkeit, ein Augenblick, den keiner der beiden jemals vergessen würde. Nicht zu vergleichen mit der formellen Zeremonie im Standesamt.

„Du siehst fantastisch aus“, empfing Sven seine Maria, während der Brautvater ihre Hand mit strengem Blick an ihn übergab. „Ist es nicht romantisch?“, flüsterte mir Miriam zu. Ich hatte ein ganz merkwürdiges Gefühl, während ich beobachtete, wie angetan meine Liebste von alledem war. „Ein wirklich sehr schönes Brautpaar“, pflichtete ich ihr bei. Miriam schmolz dahin. Sven hob den Schleier der Braut und sah in die glücklichsten Augen der Welt. Bevor sie sich dem Geistlichen zuwandten, flüsterte er ihr einige Worte zu, die Maria mit einem Augenaufschlag quittierte, der ihm einen wohligen Schauer über den Rücken trieb. Der Pfarrer hieß die Brautleute willkommen und begann mit der Zeremonie. Nachdem sich Sven und Maria das Jawort gegeben hatten, sollten die Ringe übergeben werden, doch diese befanden sich noch von der standesamtlichen Trauung an ihren Fingern. Da sie der Zeremonie entsprechend durch den Geistlichen gesegnet werden sollten, mussten sie zuvor wieder abgenommen werden, was gerade bei Maria nicht so einfach war.

Ob diese kleine Irritation nun als gutes oder schlechtes Omen gewertet werden musste, blieb dahingestellt. Fakt war, dass es sowohl der Pfarrer als auch das Brautpaar und alle Anwesenden mit Humor nahmen. „Somit erkläre ich euch kraft meines Amtes zu Mann und Frau. Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“ Die durch den Pfarrer geweihten Ringe ließen sich problemlos wiederaufstecken. „Sie dürfen die Braut nun küssen“, lächelte der Geistliche.

Vor dem Portal der Kirche warteten noch mehr Menschen als vor dem Standesamt. Unter ihnen entdeckte Maria auch Daniel und Melissa. Offensichtlich hatten sie das Krankenhaus bereits wieder verlassen dürfen. Sven war mehr als erleichtert, als ihn Maria auf die beiden Freunde aufmerksam machte. Zudem gab es keine guten Freunde, die sie mit allerlei Spielen und netten Scherzen überraschten. Dafür bekam Sven, noch während sie auf der obersten Treppenstufe standen, durch Max ein Jutesäckchen übergeben. Zahlreiche Kinder warteten bereits voller Ungeduld auf den zu erwartenden Geldsegen. Als Sven in das Säckchen griff und die ersten Münzen vor ihre Füße warf, gab es kein Halten mehr. „Viel Glück und viel Segen, auf all Ihren Wegen“, bedankte sich eines der älteren Kinder, nachdem keine einzige Münze mehr zu finden war. „Vielen Dank für die guten Wünsche“, entgegnete die Braut entsprechend der Tradition. Erst danach bestieg das Brautpaar den bereitstehenden, schneeweißen Hochzeitswagen und die Reihe der geschmückten Fahrzeuge der mit weißen Bändchen Hochzeitsgesellschaft setzte sich in Bewegung.

Bevor es jedoch zur eigentlichen Hochzeitsfeier in die Gaststätte des Männerturnvereins Wolfenbüttel ging, folgte ein Autocorso quer durch die Straßen der Stadt. Anders als in der Nacht zuvor, ging es jedoch wesentlich langsamer und gesitteter zu. Was nicht heißen soll, dass während der Fahrt nicht auch kräftig und ausgiebig gehupt wurde. Bei der anschließenden Hochzeitsfeier quollen die Gabentische von Geschenken nur so über. Zahlreiche Spiele und Anekdoten rund um die frisch Vermählten sorgten für eine ausgelassene Stimmung. Der Morgen dämmerte bereits, als sich das frisch gebackene Brautpaar mit einem Taxi aus dem Staub machte.

Maria war völlig erledigt, weshalb sie gar nicht mitbekam, welche Adresse Sven dem Fahrer nannte, während sie einstieg. Umso verwunderter sah sie aus dem Fenster, als das Taxi an der Ecke zum Holzmarkt stoppte. „Hallo, Sie haben da wohl etwas missverstanden?“, erkundigte sie sich beim Fahrer. „Nein, nein, es ist schon alles okay“, beschwichtigte Sven, ehe sich der Chauffeur rechtfertigen konnte, und verließ den Wagen. Dann reichte er seiner Frau die Hand. „Komm mein Schatz, wir sind zu Hause.“

Seine junge Frau sah sich verdutzt um. „Ich arbeite hier zwar, aber..." „Du musst zur anderen Seite schauen“, erklärte Sven, während er das Taxi zahlte. „Dies ist unser neues Heim“, sagte er und legte seinen Arm um Marias schmale Hüften. „Du spinnst.“ „Ich habe das Gebäude in den letzten Monaten von Max für uns restaurieren lassen.“ Er holte den Schlüssel aus der Tasche und überreichte ihn Maria. „Mein Hochzeitsgeschenk für dich.“ Maria war sprachlos. Einige Glückstränen bahnten sich ihren Weg über das hübsche Gesicht. „Ich kenne dieses Haus und ich habe die Arbeiten daran bemerkt. Manchmal habe ich aus einem der Fenster in der Schalterhalle gesehen und daran gedacht, wie toll es wäre, ein so altes Haus zu bewohnen und nun schenkst du mir meinen Traum. Ich liebe dich über alles, Sven Sandfort.“

-7-

Mein letzter Fall hatte nicht nur für reichlich Medienspektakel gesorgt und auch sonst einigen Wirbel verursacht, er war mir auch gehörig unter die Haut gegangen und so hatte ich mir eine kleine Auszeit gegönnt. Ja, ich war sogar ernsthaft am überlegen, ob es nicht allmählich an der Zeit wäre, meine Detektei um einen weiteren Angestellten zu erweitern. Auf diese Weise konnte ich mir meine Arbeitskraft besser einteilen und brauchte nicht auf jeder noch so kleinen Hundehochzeit mittanzen. Soll heißen, dass ich Eifersuchtsfälle und andere Kleinigkeiten in Zukunft durch eine angelernte Kraft erledigen lassen wollte. Einen adäquaten Beschäftigten hatte ich mit Axel auch schon im Auge. Es war klar, dass mir Trude dafür die Füße küssen würde, denn bislang hatte sich ihr Lebensgefährte, der sein Dasein bis ins letzte Jahr noch unter der Brücke gefristet hatte,3 nicht auf dem Arbeitsmarkt in Scene setzen können. So würde ich einmal mehr in meiner selbstlosen Art zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

3 Detektei Lessing Band 20 - Penner(un)glück

Bis es so weit war, war es jedoch noch ein weiter und steiniger Weg, zu dessen Beginn ich zunächst meinen Freund Axel von dessen neuen Traumjob überzeugen musste. Keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass er über eine lange Zeit keiner geregelten Arbeit nachging. Da waren seine Einsätze als lebende Werbesäule schon das Äußerste.

Abgesehen davon wäre Miriam begeistert, wenn ich ihr sagen würde, dass ich diesen Schritt nur deshalb eingeschlagen habe, um mehr Zeit für unsere kleine Familie zu haben. Ob es am Ende so kommen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Fakt war, dass ich mich nach meinem kleinen Fauxpas bezüglich ihrer Babyplanungen etwas mehr als üblich anstrengen musste, um verlorenen Boden bei ihr wieder gutzumachen. Im Grunde genommen konnte ich froh sein, dass sie meine Entschuldigung überhaupt angenommen hatte.

In der Zwischenzeit waren Miriams, oder sollte ich sagen 'unsere' Planungen weiter fortgeschritten. Weil das mit dem schwanger werden nun mal nicht anders geht, ließ meine Liebste nach kurzer Aktennotiz an meine Wenigkeit die Pille weg. Wer jemals in gleicher Situation war, weiß, wie sich Mann fühlt, wenn es nicht mehr allein um Sex und Erotik, also um Spaß, sondern um Fortpflanzung geht. Auf jeden Fall weiß ich nun, wie sich so ein Zuchthengst fühlen muss. Auf dem Nachtschränkchen lagen ab dato Tabellen, in die Miriam akribisch ihre zuvor gemessenen Körpertemperaturen eintrug. Besonders fruchtbare Tage wurden somit genauestens bestimmt und in idealer Weise vorbereitet.

Nichts, aber auch gar nichts wurde dem Zufall überlassen. Wenn es Kaviar gab, dann nur deshalb, weil die Eier des Störs angeblich die Manneskraft steigern. Rettich hingegen steht in dem Ruf, die Beweglichkeit der männlichen Spermien zu verbessern. So wie diese gab es zahlreiche Hilfsmittel, die offenbar auf dem Weg zur Schwangerschaft von enormer Bedeutung waren. In der Schlossapotheke bekam Miriam schließlich sogar einen Rabatt auf Schwangerschaftstests. Da all das nichts nutzte und die ersehnte Mutterschaft ausblieb, schliff mich meine Liebste zu einem Urologen in der Bahnhofstraße.

Was der dann allerdings feststellte, war alles andere als optimal. Meine kleinen Helden paddelten alles andere als munter vor sich hin. Die weitaus größere Anzahl von ihnen ließ sich eher treiben und kam somit nie in den Hafen der Lüste. „Ein bei Männer Ihres Alters recht verbreitetes Problem, dem man mit Medikamenten nur sehr bedingt begegnen kann.“ „Aber es muss doch möglich sein, meinen Spermien etwas Dampf zu machen?“, wollte ich meine bedingte Zeugungsunfähigkeit nicht wahr haben. „Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass es nicht doch klappt.“ Der Arzt schrieb mir ein Mittelchen auf. „Versuchen Sie es damit und dann stellen Sie sich in drei Monaten noch mal bei mir vor.“

„Und nun?“, fragte ich meine Liebste, nachdem wir die Praxis verlassen hatten. Ich war geradezu am Boden zerstört. Binnen weniger Minuten waren aus meinen kleinen Helden große Verlierer geworden, die sich nur noch mit Rollator bewegen konnten. Eine solche Diagnose macht aus dem größten Macho einen Pantoffelhelden. „Bevor wir die Schlagzahl erhöhen, mache ich auch einen Termin bei meiner Frauenärztin. Schließlich wollen wir doch auf Nummer sicher gehen.“ Dummerweise versprach ich Miriam, sie genau dort abzuholen.

So hatte ich beim Eintritt in den Warteraum das Gefühl, von den Blicken der dort versammelten Frauenschar geradezu durchbohrt zu werden. Miriam war offenbar gerade im Behandlungszimmer. Ich setzte mich auf den letzten noch freien Stuhl und verbarg mich hinter einer Frauenzeitschrift. Backrezepte, Handarbeiten und die Frage nach der richtigen Folgemilch zogen mich in ihren Bann. „Ist es ihr erstes?“, erkundigte sich eine der reiferen Frauen nach meiner Intension. Ich tat so, als fühlte ich mich nicht angesprochen. „Man merkt es Ihnen an“, ließ sich die Dame nicht abwimmeln. Zwei weitere Frauen kicherten. „Woran?“, wollte ich der Sache nun doch auf den Grund gehen. „Es ist die Art, wie Sie sich geben“, erklärte die recht erfahren wirkende Dame. „Ich werde demnächst mein sechstes zur Welt bringen. Mir macht keiner so schnell etwas vor.“ „Nun, Sie haben auch diesmal ins Schwarze getroffen“, räumte ich unumwunden ein. „Na, dann ist es aber höchste Eisenbahn“, stellte sie fest. „So ganz taufrisch sind Sie ja nun auch nicht mehr.“ Ich sah sie durchdringend an. „Es ist wie mit dem guten Wein, er braucht seine Jahre, um seine Klasse entfalten zu können.“ „Man sollte allerdings auch nicht zu lange warten, sonst steht so ein gutes Tröpfchen womöglich ab.“

Die kichernden Grazien bogen sich vor Lachen. Nur gut, dass Miriams Rückkehr genau im richtigen Moment stattfand. Anders als ich nach meinem Arztbesuch war sie bestens gelaunt. „Wir können los“, hörte ich sie sagen. „Okay“ „Tschüss“, rief mir eine der Grazien nach. „Und warten Sie nicht zu lange“, hörte ich die andere kichern. „Und?“ „Es ist alles in Ordnung“, erklärte Miriam erleichtert. „Dann liegt es also an mir“, schlussfolgerte ich mehr als niedergeschlagen. „Unser Vorhaben ist ja nicht aussichtslos“, machte mir meine Liebste Mut. Jetzt nimmst du erst einmal das Medikament und dann sehen wir weiter. Du wirst schon sehen, mit etwas Geduld wird es schon noch klappen.“ „Lieb von dir“, nickte ich, ohne so richtig daran zu glauben. Insgeheim überlegte ich, ob es Sinn machen würde, wenn ich einen weiteren Urologen konsultieren würde. Immerhin stand hier einiges auf dem Spiel.

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Wie ein Flummi war Maria noch in der Nacht durch das Haus gehüpft, hatte sich jede Etage, jedes Zimmer und jeden Winkel angesehen, bevor sie endlich zu Sven ins Bett gekrochen kam. Der war so fertig, dass er inzwischen eingeschlafen war. Maria hingegen war auch jetzt noch bis zum Anschlag aufgezogen. Zu viele Eindrücke und Empfindungen waren an diesem Tag auf sie eingeströmt, hatten sie euphorisiert, in bislang unbekannte Sphären katapultiert. Die achtundzwanzigjährige Bankangestellte hatte bereits einige Enttäuschungen hinter sich, als sie auf Sven traf. Dementsprechend zurückhaltend hatte sie zunächst auf seine Avancen reagiert. Dass er ihr Herz dennoch erobern konnte, war seiner Hartnäckigkeit geschuldet.

Nun lag sie glücklich und mit sich und der Welt im Reinen auf ihrem Bett und beobachtete, wie die Lichter der vorbeifahrenden Autos an der Zimmerdecke miteinander tanzten. Sie sah zu Sven hinüber, betrachtete seine ruhige Art, so tief im Schlaf versunken und musste plötzlich lachen. Ob sie ihn auch eines Nachts, während er schlief, nach seinen Heimlichkeiten ausfragen würde? Nein, ihre Ehe sollte auf Vertrauen und gegenseitigem Respekt fußen. Sie sah sich zum wiederholten Mal im Schlafzimmer um und konnte im Grunde immer noch nicht so recht glauben, dass dies nun ihr eigenes Haus sein sollte. So schön ihr neues Heim auch war und so groß ihre Freude darüber, diese Alleingänge musste sie Sven abgewöhnen. Sie waren nun ein Ehepaar und als solches wollte sie alle wichtigen Entscheidungen an der Seite ihres Mannes mittragen.

Die folgenden Wochen und Monate vergingen wie im Fluge. Die Eheleute hatten sich schnell an die Vorzüge ihres neuen Lebens gewöhnt. Die unmittelbare Nähe zu Marias Arbeit und zur beliebten Fußgängerzone mit ihren vielen romantischen Café und urigen Kneipen eröffnete ihnen eine Lebensqualität, wie sie diese bislang nicht kannten. Obwohl sie wegen der Sanierungskosten und den Erwerb des Hauses auf eine Hochzeitsreise verzichten mussten, empfanden sie diese Wochen so, als befänden sie sich in einer Art Dauerurlaub. Um dieses Glück perfekt zu machen, fehlte im Grunde nur noch ein Kind. Ein Wunsch, der in Marias Augen schwerer wog als die Karriere.

„Seid ihr euch denn so weit einig?“, erkundigte sich Marita bei ihrer besten Freundin. „Na klar, wir wollen etwas von unserem Kind haben, solange wir noch jung sind.“ „Ich weiß, was du meinst, Maria. Max und ich sind auch dagegen, die Kariere vorweg zu stellen und dann irgendwann Kinder zu haben.“ „Wird ja immer moderner“, schüttelte Maria den Kopf. „Wie sich die armen Kinder wohl dabei fühlen, wenn ihre Freunde fragen, ob es sich um die Eltern oder um Oma und Opa handelt?“ „Nein, nein, ihr zwei macht das schon richtig.“ „Und wie ist es mit euch? Habt ihr immer noch keine Lust auf den eigenen Nachwuchs?“ Marita wiegelte ab. „Um Himmels Willen nein! Du kennst uns doch, wir lieben unser Leben wie es ist und da ist nun einmal kein Platz für schreiende Kinder und vollgekackte Windeln.“

„Ich war heute Nachmittag mit Marita im Café Klatsch“, erzählte Maria, während sie einige Stunden später mit Sven zu Abend aß. „Wie geht es Max?“, erkundigte sich Sven. „Wir müssen unbedingt mal wieder etwas mit den beiden unternehmen“, schlug er vor. „An mir soll es nicht liegen, du bist derjenige, der kaum noch Zeit hat.“ „Du weißt, dass ich gerade an dem Geschäft mit den Chinesen dran bin.“ „Weiß ich, aber dann wirf du keine Lippenbekenntnisse in den Raum.“ Sven fühlte sich ertappt. „Kann es sein, dass du mir gerade meine Arbeit zum Vorwurf machst?“ „Blödsinn, es ging nur darum,,,.“ Maria biss sich auf die Lippen. „Ach scheiß, ist ja auch egal.“

Es vergingen einige Minuten, in denen sich das junge Paar wortlos gegenüber saß, ohne sich auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen. Ein Zustand, der allerdings nicht lange wehrte, da beide etwa zeitgleich in Gelächter ausbrachen. So war es schon immer, wenn sie sich stritten. Keiner von beiden konnte dem anderen für länger als auch nur fünf Minuten böse sein. „Du hast ja recht“, räumte Sven ein. „Wie du weißt, muss ich in der nächsten Woche nach China. Ich werde versuchen, bis dahin so viel Zeit wie möglich für uns zu erübrigen“, versprach er. „Wenn es mit einem Stammhalter klappen soll, wirst du dir die Zeit nehmen müssen.“ „Von unbefleckter Empfängnis hältst du wohl nicht sonderlich viel?“, schmunzelte Sven. „Also, wenn du mich so fragst“, hauchte Maria erotisch und erhob sich von ihrem Platz. „Vielleicht kannst du mir ja mal zeigen, wie es auf traditionelle Weise funktioniert?“, säuselte sie weiter, während sie sich auf seinem Schoss niederließ. „Du bist ein schamloses Mädchen“, strich ihr Sven über den Allerwertesten. „Und genau das liebe ich so an dir.“

Zum ersten Mal seit Wochen war der Sex des jungen Paares nicht von dem Wunsch nach einem Kind geprägt. Sie hatten aus der Situation heraus miteinander geschlafen und endlich wieder den Spaß und die Erfüllung dabei erlebt, den ihre Beziehung brauchte. „Es war phantastisch, Sven. Endlich hatte ich wieder das Gefühl, von dir begehrt zu werden.“ „Es ging mir nicht anders“, strich Sven zärtlich durch Marias Haar. „Wir müssen von diesem selbst auferlegten Zwang weg. Wenn es in diesem Jahr nicht mit dem Kind klappt, dann eben im nächsten.“ „Ja, aber deine Eltern warten doch auf die frohe Botschaft“, gab Maria zu bedenken. „Wenn sie unbedingt ein Kind wollen, sollen sie doch selbst noch eins nachlegen“, lachte Sven trotzig. „Spinner.“ „Na, ist doch wahr. Wir sind noch jung und haben demzufolge noch viel Zeit.“

Natürlich beruhigten seine Worte und doch blieb in Marias Kopf ein gewisser Makel haften. Immerhin hatte sich Sven von seinem Arzt untersuchen lassen, Es lag an ihr, dass es nicht klappen wollte und dieser Umstand nagte tagein und tagaus an ihr. In ihrem Kummer fragte sie sich immer häufiger, ob sie überhaupt eine vollwertige Frau war. Natürlich hatte auch sie ihre Ärztin aufgesucht, um sich einer umfassenden Untersuchung zu unterziehen. Der Befund fiel zwar nicht so gut aus wie der ihres Mannes, aber eine Schwangerschaft war dennoch möglich.

„Wir dürfen uns einfach nicht verrückt machen“, riss Sven sie aus ihren Gedanken. „Du wirst sehen, es wird schon irgendwann klappen.“ „Lieb von dir“, seufzte Maria, während sie seine Brusthaare um ihren Zeigefinger drehte, bis er kurz aufjaulte. „Verdammt, das tut doch weh!“ „Ups, entschuldige, ich war ganz im Gedanken.“ „Das habe ich gemerkt.“ „Na, nun stell dich mal nicht so mimosenhaft an.“ „Na warte, ich werde dich..., von wegen Mimose!“, rief Sven und schlug ihr spaßeshalber ein Kissen über den Kopf, woraufhin sich eine muntere Schlacht entwickelte.

„Ich liebe dich, Maria Sandfort, geborene Görtze“, nahm Sven seine Liebste irgendwann in den Arm und küsste sie. „Du bist so lieb“, entgegnete Maria. „Es ist schön, deine Ehefrau zu sein.“ „Das will ich hoffen, bei dem, was die Hochzeit gekostet hat“, erwiderte er derart trocken, dass Maria im ersten Moment nicht wusste, ob er seine Äußerung ernst gemeint hatte.“ „Du altes Ekel!“, rief sie schließlich und zog ihm erneut das Kissen über den Kopf.

Sven hielt Wort. In der folgenden Woche gehörte Maria jede Sekunde, die er sich frei machen konnte. Es wurden einige wundervolle Tage, die das junge Paar größtenteils zu Hause und in der Fußgängerzone verbrachte. Es war eine Woche, in der sich Sven und Maria so nah wie nie zuvor waren und doch stand an ihrem Ende der Abschied und die Ernüchterung, noch immer nicht schwanger zu sein.

Maria hatte ihren Mann nicht zum Flughafen begleitet. Sven hasste es auf irgendeinem Bahnhof oder sonst wo Abschied zu nehmen. Wenn seine Geschäfte gut verliefen und die chinesischen Behörden keinerlei Schwierigkeiten machen würden, war er in etwa zwei Wochen wieder zu Hause. Das und nur das zählte für ihn. Es war ungewohnt für Maria, die Abende allein im Haus zu sein und so versuchte sie, es weitestgehend zu vermeiden. Sie ging aus oder lud sich Freunde ein, die sie noch bis spät am Abend bewirtete. Einige Tage ließen sich auf diese Weise überbrücken, doch irgendwann saß sie dann doch allein in ihrem Wohnzimmer und machte sich die Gedanken, die sie so lange erfolgreich verdrängt hatte.

Selbstzweifel paarten sich einmal mehr mit ihrer Wut auf den eigenen Körper. Ihre lädierte Psyche suchte sich ein Ventil und fand es schließlich in einer Flasche Rotwein. Nachdem der Trostspender geleert war und auf der Seele ein Pflaster klebte, fand sie schließlich den Weg in ihr verwaistes Bett. Irgendwann schlief die junge Frau schließlich ein. Sie träumte von einem großen kräftigen Mann mit vollem schwarzen Haar, Dreitagebart und blauen Augen. Er trug ganz merkwürdige Kleidung und in seinen Augen lag eine gewisse Melancholie. Sie kannte diesen Mann nicht und doch schien er ihr vertraut zu sein. So, als habe sie seine Nähe bereits viele Male zuvor gespürt. Sie fragte den Mann aus ihrem Traum, weshalb er so traurig sei und er entgegnete ihr, dass er bereits seit sehr langer Zeit auf der Suche nach dem Licht sei.

„Würdest du mir bei dieser Suche helfen?“, fragte der Mann. „Was für ein Licht und woher weiß ich, wann ich das richtige gefunden habe?“ „Sei unbesorgt, wenn du es siehst, wirst du es wissen.“ Mit ihrem nächsten Atemzug verschwand der Mann ebenso spurlos, wie er gekommen war und auch wenn es sich nur um einen Traum gehandelt hatte, war Maria jedes einzelne Wort, jede Szene, jede seiner Gesten so präsent, als würde der Unbekannte ein Teil ihres realen Lebens sein. Selbst über den nächsten Tag verfolgte sie die Erinnerung an den Mann. Es waren Gedanken darunter, für die sie sich schämte. Erotische Fantasien, für deren Ursprung sie keine Erklärung hatte. Sie war durcheinander, verunsichert und verwirrt, aber es war ja nichts weiter als ein Traum.

 

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